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Marc Hieronimus (Hg.) 

Historische Quellen im DaF-Unterricht 



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Band 86 

Materialien 
Deutsch als Fremdsprache 



liversitätsdrucke Göttingen 




Copyright«) malerial 



Marc Hieronimus (Hg.) 
Historische Quellen im DaF-Unterricht 

Tins work is licensed under the 
Creative Commons License 3.0 "by-nd", 
allowing you to download, distnbute and print the 
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© 



SOME RIGHTS RESERVED 



erschienen als Band 86 in der Reihe „Materialien Deutsch als Fremdsprache 
in den Universitätsdrucken im Universitätsverlag Göttingen 2012 



Marc Hieronimus (Hg.) 



Historische Quellen 
im DaF-Unterricht 



Materialien 

Deutsch als Fremdsprache 
Band 86 



Universitätsverlag Göttingen 




' 7 } 7 



2012 



Copyrighted malerial 



Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek 

Die Deutsche Nationalbibliofhek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen 
Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über 
<http:/ /dnb.ddb.de> abrufbar. 



Die „Materialien Deutsch als Fremdsprache" sind eine Reihe des Fachverbands 
Deutsch als Fremdsprache e.V. (FaDaF), in der Tagungsergebnisse, Dissertationen und 
andere wichtige Einzeldarstellungen aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache 
veröffentlicht werden. 

http:/ /www.fadaf.de/ de/Publikationen/mat_daf/ 

fadaf 



Schriftleitung: Annett Eichstaedt; Annegret Middeke 



Dieses Buch ist nach einer Schutzfrist auch als freie Onlineversion über die Homepage 
des Verlags sowie über den OPAC der Niedersächsischen Staats- und 
Universitätsbibliothek (http:/ /www.sub.uni-goettingen.de) erreichbar und darf gelesen, 
heruntergeladen sowie als Privatkopie ausgedruckt werden. Es gelten die 
Lizenzbestimmungen der Onlineversion. Es ist nicht gestattet, Kopien oder gedruckte 
Fassungen der freien Onlineversion zu veräußern. 



Satz und Layout: Marc Hieronimus 
Umschlaggestaltung: Franziska Lorenz 

Titelabb.: Lern Riefenstahl bei Dreharbeiten (Bundesarchiv Bild 146-1988406-29) 



© 2012 Universitätsverlag Göttingen 
http: / /univerlag.uni-goettingen.de 
ISBN: 978-3-86395-061-3 
ISSN: 1866-8283 



Inhalt 



Einleitung III 

Uwe Koreik 

Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht — 

zur Arbeit mit historischen Quellen 1 

Thomas Roth 

Historische Quellen im Internet 15 

Jürgen Nielsen-Sikora 

Fotografie als historische Quelle? 59 

Wolfgang Koller 

Der Film als historische Quelle 77 

Jens Grimstein 

Zeitgeschichtliche Filmszenen für den DaF-Unterricht — 

Praktische Beispiele und Erfahrungen 91 

Beatrice Wiegand 

Historische Audio- und Videodokumente im DaF- /Phonetikunterricht - 
Vorschläge und Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis 103 

Jens Grimstein 

Formen der Arbeiterliteratur für den DaF- und Deutsch-Unterricht 115 

Arndt Kremer 

Namen schildern - 

Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 135 

Joachim Sistig 

Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 177 

Marc Hieronimus 

Plakate im DaF-Unterricht 209 

Autoren 237 



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Einleitung 



Marc Hieronimus 



Die Kombination von Titel und Titelbild des vorliegenden Bandes mag manche 
Fachkraft für Deutsch als Fremdsprache stutzen machen: Das ist doch die 
Riefenstahl, beim Dreh eines dieser Propagandastreifen?! Da gibt man sich alle 
Mühe, den Lernern den Reichtum der Geschichte und Gegenwart der deutsch- 
sprachigen Länder aufzuzeigen und ihre hartnäckigsten Vor- und Fehlurteile zu 
korrigieren, hält sich also gar nicht allzu lange mit dem deutschen Trauma der NS- 
Zeit auf — und dann prangt da gleich auf dem Cover ein Foto aus just dieser 
Epoche! 

Nun, zunächst handelt es sich bei dem Set-Foto um eine historische Quelle, 
sogar um eine Meta-Quelle, wenn der Ausdruck erlaubt sei: Wir sehen Leni 
Riefenstahl in jungen Jahren bei der Arbeit am Olympia-Film, der selbst Auskunft 
über Vergangenes erteilt. Die historisch vorbelastete Lehrkraft wird unschwer auch 
an diesem Foto von der Riefenstahl ihre Ästhetik wieder erkennen: der klare, helle 
und doch ein wenig „wilde" Himmel, die Inszenierung von Ernst und Arbeit, von 
Uninszeniertheit, vor allem das Erhabene der Froschperspektive, die das Publikum 
zur Hauptfigur wie zu einer Göttin oder zumindest einer „ganz Großen" 
aufschauen lässt — hat sie nicht an anderer Stelle ihre Kameras buchstäblich einge- 
graben, um Hitler und die Seinen möglichst imposant zeigen zu können? 

Das ist aber nicht der Blick der afrikanischen Deutschschülerin oder des chine- 
sischen Studenten im Anfängerkurs. Auch fortgeschrittene Lerner werden beim 
Betrachten des Fotos nicht unbedingt an Aufmärsche und Konzentrationslager 
denken, sondern sich zum Beispiel fragen, warum auf diesem offenkundig „alten" 
Bild eine Frau die Kamera führt, wo im Film wie in so vielen anderen Berufen 



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IV 



Marc Hieronimus 



doch bis heute die Männer den Ton angeben, werden sich für ihr Aussehen, ihre 
Kleidung, ihre Arbeitstechniken interessieren, Geschmacksurteile äußern können 
und vieles mehr. 

Das Titelbild ist eine historische Quelle, die ebenso gut Einleitung, Illustration 
oder Gegenstand einer Unterrichtsstunde oder -sequenz zu Aspekten des Dritten 
Reichs sein kann wie zu, sagen wir: Kleidungsstücken (also Wortschatz), Lokal- 
präpositionen (Grammatik), Vermutungen (mündlicher Ausdruck) oder anderem. 
Man sieht: Historische Quellen sind vielfach einsetzbar. 

Was versteht man aber eigentlich unter einer „historischen Quelle"? „Man hat 
seit jeher versucht, die Fülle der historischen Quellen durch Gliederung übersicht- 
licher und greifbarer zu gestalten. Um die Art, wie solche Einteilung am zweck- 
mäßigsten und logisch am einwandfreiesten zu geschehen habe, ist in der 
geschichtstheoretischen Literatur eine umfangreiche und voraussichtlich auch end- 
lose Diskussion entstanden", heißt es in Ahasver von Brandts Klassiker zum 
Thema (Brandt 13 1992: 49). Das Bemühen, eine absolute Ordnung mit ebensolcher 
Gültigkeit finden, erscheint ihm müßig, „sei es nun, dass sie vom Stoff (Stein, 
Metall, Pergament, Papier), von der Aussageform (Gerät, Bild, Schrift, Sprach- 
form) oder von der Zwecksetzung (,Literatur', Recht, Verwaltung) ausgeht, oder 
aber den Aussagewert zum Kriterium der Einteilung macht." Schließlich seien die 
Quellen „nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck der historischen Er- 
kenntnis" (Brandt: 50). Es ist festzuhalten: Auch Knochen, Geräte, Steine, selbst 
Bauwerke sind historische Quellen. 

J.G. Droysen und E. Bernheim haben folgende Unterscheidung etabliert: 
„Überreste: Alles, was unmittelbar von den Begebenheiten übriggeblieben ist. Tra- 
dition: Alles, was von den Begebenheiten übriggeblieben ist, hindurchgegangen 
und wiedergegeben durch menschliche Auffassung." In ähnlicher Weise spricht 
H.L. Mikoletzky von „willkürlicher" und „unwillkürlicher" Überlieferung (Brandt: 
52). 

Von Brandt fährt fort: „Unabsichtlich dient uns jede Quelle, die, ,unmittelbar 
von den Begebenheiten übriggeblieben', in ihrer Entstehung nicht den Zweck 
historischer Unterrichtung der Mit- oder Nachwelt verfolgt, sondern entweder aus 
anderer Zwecksetzung oder zweckfrei entstanden ist." Dazu gehören Sachüber- 
reste wie Gebäude, Kunstwerke, Gegenstände des täglichen Bedarfs wie Gerät, 
Kleidung, Möbel, Waffen, Wappen, Münzen, körperliche Überreste; dann ab- 
strakte Überreste wie Institutionen Rechts- und Verfassungszustände in münd- 
licher Überlieferung, Sitten und Gebräuche, Sprachen und Sprachformen, Orts- 
und Flurnamen und vieles mehr; schließlich „das gesamte Schriftgut, das aus ge- 
schäftlichen oder privaten Bedürfnissen der jeweiligen Gegenwart entstanden ist, 
dessen Zweck mithin eine geschäftliche, rechtliche, politische, wirtschaftliche oder 
persönlich-private Dokumentation ist" (Brandt: 53) — und was sich also in Archi- 
ven befindet. 

„Tradition" sind dagegen im weitesten Sinne „literarische" Quellen, und zwar 
sowohl „primär mündlich überlieferte, wie Mythen, Sagen, historische Lieder, 



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Einleitung 



V 



genealogische oder historische Erzählungen" wie die schriftlich fixierten, z.B. „An- 
nalen, Chroniken, Biographien, Memoiren, Autobiographien, zeitgenössische 
Geschichtsdarstellungen aller Art." Auch ein großer Teil der Publizistik sei hierzu 
zu rechnen (Brandt: 54). 

Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen größtenteils auf eine DAAD- 
Fachtagung an der Universite de Picardie Jules Verne (UPJV) Amiens im März 
2011 zurück. Ihr lag eine simple Überlegung zugrunde: Im Sprach- und Landes- 
kundeunterricht sind Medien unerlässlich. Gegenüber den vorgefertigten Pro- 
dukten der einschlägigen Verlage und Internetplattformen haben historische Quel- 
len aber einen großen Mehrwert, indem sie als Lern- und im weiteren Sinne Bil- 
dungsmedien mit Wiedererkennungswert gewissermaßen en passant Kultur ver- 
mitteln und Anknüpfungspunkte an landeskundliche und medienwissenschaftliche 
Themen bieten. 

Die Artikel der Beiträger zeigen auf sehr überzeugende Weise, wie vielfältig die 
Quellen und ihre Einsatzmöglichkeiten sind; sie sprechen für sich und bedürfen 
also nicht der für Einleitungen durchaus üblichen Vorankündigung. Vielmehr sei 
hier abschließend auf einige Lücken des Bandes hingewiesen. 

Literatur als historische Quelle ist Gegenstand der Kulturwissenschaften, die 
sich mit Dingen wie historischen Zukunftsvorstellungen, Geschlechter-, Technik-, 
Krankheits- und anderen Diskursen beschäftigen; jede Stoff- und Motivgeschichte 
nutzt Literatur als historische Quelle, indem sie etwas über die Ausformungen 
ihres Stoffes oder eben Motivs zu einer und durch eine bestimmte Zeit aussagt. 
Anders gesagt: Der Nutzen von Literatur als historische Quelle ist konstitutiv für 
die Literaturwissenschaft und kann schon deshalb nur bedingt Gegenstand eines 
Artikels im vorliegenden Rahmen sein; Jens Grimstein zeigt am Beispiel des 
Unterbereichs der Arbeiterliteratur zahlreiche Einsatzmöglichkeiten für den DaF- 
Unterricht auf. 

Comics werden trotz aller Anerkennung weniger „Meisterwerke" in Feuilleton, 
Wissenschaft und Unterricht bis heute eher stiefmütterlich behandelt. Als einzig- 
artige historische Bild- /Textquellen können sie auch im Geschichts-, Deutsch und 
DaF-Unterricht eingesetzt werden; zwei der Beiträger haben sich an anderer Stelle 
eingehend mit dem Thema beschäftigt (Sistig 2002; Hieronimus 2009; 2010). 

Auch Zeitungen sind eine wichtige und gut einsetzbare Quelle, zunächst für 
Stimmungslagen, nicht zuletzt aber auch durch ihre privaten und gewerblichen An- 
zeigen (vgl. z.B. Hieronimus 2006). Das Projekt der „Zeitungszeugen", also der 
kommentierten Wiederveröffentlichung von Zeitungen aus der NS-Zeit inklusive 
Werbung und Propagandaposter, zeugt durch seinen Erfolg vom anhaltenden Inte- 
resse für diese Quellenart. Ein interessanter Nebenaspekt der Arbeit mit diesen 
und allgemein Schriftquellen wie Urkunden und Briefen ist die Begegnung mit alten, 
dem ungeübten Leser nicht unmittelbar zugänglichen Hand- und Druckschriften 
wie Sütterlin oder Fraktura. 

Darüber hinaus liegt es im Ermessen und Interesse jeder Lehrkraft, auch gegen- 
ständliche Quellen als Anschauungs- und Lehrmaterial zu verwenden, handele es sich 



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VI 



Marc Hieronimus 



nun um Münzen, Kleidung und andere Dinge des Alltags, fachspezifische Gegen- 
stände wie etwa Werkzeug und stilgeschichtlich Interessantes aus der Angewand- 
ten Kunst, oder Abbildungen repräsentativer und also mehr oder minder berühm- 
ter Artefakte der europäischen Geschichte. Eins möge der geneigte Leser davon- 
tragen: Man kann nicht nur über alles reden — man kann auch mit allem unter- 
richten! 

Der Band 86 der Reihe MatDaF konnte nur durch die Mitarbeit und Unter- 
stützung zahlreicher Personen und Institutionen zustande kommen. Der Dank des 
Herausgebers gilt in chronologischer Reihenfolge dem DAAD und der UPJV für 
die finanzielle und logistische Unterstützung; den Beiträgern für ihre spannenden 
Vorträge und fast sämtlich fristgerecht eingereichten Beiträge; dem FaDaF und 
besonders Annegret Middeke und Annett Eichstaedt für die geduldige Betreuung 
des Buchprojekts; und nicht zuletzt Bertrand Delville für die zuverlässige Über- 
windung aller technischen Hindernisse. 



Literatur 

Brandt, Ahasver von ( 13 1992): Werkzeug des Historikers. Stuttgart, Berlin, Köln: 
Kohlhammer. 

Hieronimus, Marc (2006): Krankheit und Tod 1918. Vom Umgang mit der Spanischen 
Grippe in Frankreich, England und dem Deutschen Reich. Münster: Lit- Verlag. 

Hieronimus, Marc (2009): Geschichtscomics im DaF-Unterricht. In: Nieradka, 
Magali Laure; Specht, Denise (Hrsg.) (2009): Fremdkörper? Aspekte der 
Geisteswissenschaften in der Auslandsgermanistik und im DaF-Unterricht. Münster: Lit- 
Verlag, 101-114. 

Hieronimus, Marc (2010): Hitler is fun. Sixty Years of Nazism in Humorous 

Comics. In: Buttsworth, Sara; Abbenhuis, Maartje (Hrsg.) (2010): Monsters in the 
Mirror. Representation of Nazism in Post-War Populär Culture. Westport, 
Connecticut: Praeger, 75-100. 

Sistig, Joachim (2002): Invasion aus der Vergangenheit. Das Deutschlandbild in 
frankophonen Bandes Dessinees. Frankfurt/Main: Peter Lang. 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - 
zur Arbeit mit historischen Quellen 



Uwe Koreik 



1 Landeskunde und Geschichte im DaF-Unterricht 

Die Vermittlung historischer Themen im DaF-Unterricht — insbesondere auch 
wenn es um den Einsatz historischer Quellen geht — ist im Kontext der Diskussion 
um die Landeskunde und die Landeskundevermittlung sowie ihren Anteil und ihre 
Bedeutung für den Unterricht in Deutsch als Fremdsprache zu verorten. „Es ist 
seit langem schon unbestritten, dass Sprachvermittlung immer auch Kulturver- 
mittlung bedeutet, weil das Erlernen einer Sprache immer auch zugleich den Zu- 
gang zu einer neuen Welt, anderen Werten und Wertvorstellungen, anderen Ein- 
stellungen und Verhaltensweisen eröffnet. Für die Vermittlung kultureller Inhalte 
über Land und Leute des Zielsprachenlands hat sich seit den 1960er Jahren im 
Sprachunterricht und in der Sprachlehrerausbildung als Begriff Landeskunde durch- 
gesetzt und bis heute hartnäckig gehalten" (Koreik 2011). Dabei verdeutlicht die 
Tatsache, mit welchen unterschiedlichen Begriffen der kulturkundliche Vermitt- 
lungsbereich innerhalb der Philologien seit dem Ende des 19. Jahrhunderts be- 
zeichnet wurde (Realienkunde, Kulturkunde, Landeskunde, Landeswissenschaft, 
Kulturstudien u.a., vgl. Koreik; Pietzuch 2010, Altmayer; Koreik 2010) zugleich, 
welche unterschiedlichen Kernkonzepte damit jeweils auch intendiert waren. Von 
der reinen Faktenvermittlung (gerne polemisch als „Stadt, Land, Fluss" charakteri- 
siert) über den kommunikativen Ansatz, bei dem Alltags Verhaltens weisen im Vor- 
dergrund standen, bis zum interkulturellen Anspruch seit den späten achtziger 
Jahren, bei dem mit dem Ziel, sich und andere besser zu verstehen, eine kulturelle 



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Uwe Koreik 



Kompetenz angestrebt wird, reichen die großen Trendlinien, die zumeist jedoch in 
vermischten Formen auftraten und auftreten. Immer jedoch spielte das Thema 
„Geschichte" bei der Vermittlung kultureller Inhalte eine mehr oder weniger große 
Rolle. 1 



1.1 Ziele und Bedingungsfaktoren bei der Vermittlung historischer 
Themen 

„Landeskunde ist in hohem Maße auch Geschichte im Gegenwärtigen" heißt es in 
den ABCD-Thesen (1990: 307). Daraus ergebe sich „die Notwendigkeit, auch his- 
torische Themen und Texte im Deutschunterricht zu behandeln. Solche Themen 
sollten Aufschluß geben über den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart 
und Zukunft, über unterschiedliche Bewertungen sowie über die Geschichtlichkeit 
der Bewertung selbst" (ebd.). In drei Sätzen sind damit sehr hohe und komplexe 
Ansprüche formuliert, die sich je nach Zielgruppe und dem gegebenen sprachli- 
chem Niveau nur begrenzt werden einlösen lassen. Gerade auch bei der Einbezie- 
hung historischer Themen in den Unterricht in Deutsch als Fremd- bzw. -Zweit- 
sprache spielen zahlreiche Faktoren wie Lernort, Vermittlungsinstitution (und ihre 
Lehrziele bzw. die Curricula), Vorbildung, Zusammensetzung der Lernergruppe 
(im Hinblick auf Alter, Nationalität, Geschlecht), die Motivation für den Sprach- 
erwerb, die vorhandenen Medien, die Qualifikation und auch die Begeisterungsfä- 
higkeit der Lehrenden eine bedeutende Rolle. 

Die Frage nach dem Gegenwartsbezug hat der Historiker Heinrich-August 
Winkler, natürlich nicht mit Bezug auf den DaF-/DaZ-Unterricht, sondern mit 
Blick auf die Geschichtswissenschaft kürzlich folgendermaßen beantwortet: „Die 
entscheidende Frage der Geschichtswissenschaft lautet aus meiner Sicht nicht so 
sehr, frei nach Ranke, wie es eigentlich gewesen ist, als vielmehr, warum es eigent- 
lich so gekommen ist. Das heißt, wir sollten auch fragen, wie unsere Gegenwart 
entstanden ist, warum sich unsere Geschichte so und nicht anders entwickelt hat" 
(Winkler 2011). Die gleichen Fragestellungen sind auch für den DaF-/DaZ-Unter- 
richt relevant. 

In der zitierten ABCD-These (vgl. Koreik 2010: 1478-1479), die sich in ihrem 
Aussagegehalt in zahlreichen späteren Veröffentlichungen im Fach widerspiegelt, 
wird nicht nur auf die Bedeutung des Zusammenhangs von Vergangenheit und 
Gegenwart verwiesen, sondern ebenfalls ein geradezu prognostisch anmutender 
Blick in die Zukunft gefordert sowie vor allem eine Verständnissicherung für die 
Relativität der Bewertung geschichtlicher Ereignisse und Prozesse erwartet. Der 
gewagten Forderung nach dem Blick in die Zukunft verweigern sich in der Regel 
die Historiker, sondern beziehen meist ähnlich wie Winkler (2011) in diesem Fall 
mit Verweis auf Schlegel Position: „Zunächst einmal hat Friedrich Schlegel wahr- 



1 Zum Thema Geschichte in DaF-Lehrwerken: Koreik 1995; Koreik 2010; Maijala 2004; Maijala 
2007; Thimme 1994; Thimme 1996. 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - zur Arbeit mit historischen Quellen 



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scheinlich recht mit seinem berühmten Bonmot, dass die Historiker rückwärts 
gekehrte Propheten sind. Für mich ist die Frage weniger, was kommen wird, son- 
dern, auf welche Zukunft wir hinarbeiten sollten" (ebd.). 

Aus der Geschichte lässt sich zwar vielleicht Einiges lernen — der Umgang mit 
der Weltwirtschaftskrise in der ausgehenden ersten Dekade des 21. Jahrhunderts 
zeigt, dass zumindest zunächst in gewisser Weise aus den Erfahrungen von 1929 
gelernt wurde - jedoch einen konkreten Zusammenhang zur Zukunft herzustellen, 
ist eben nicht nur eine Forderung, der sich die Fachwissenschaftler verweigern, 
sondern auch eine Aufgabe, deren Umsetzung im Sprachunterricht allenfalls Ge- 
sprächsanlässe — gelegentlich allerdings sogar sehr interessante — bieten dürfte, 
welche lediglich zu Spekulationen einladen. 

Die Relativität geschichtswissenschaftlicher Darstellungen hingegen hat nicht 
nur einen hohen erkenntnistheoretischen Stellenwert, sondern ist zudem je nach 
Zusammensetzung der Lernergruppe von einiger Brisanz, da Lerner nicht selten 
aus Lernkulturen kommen, in denen Geschichtskenntnisse weitgehend unhinter- 
fragt als positivistisch gesichertes Wissen vermittelt werden. Dabei ist eindeutig, 
„[...] dass Geschichte immer wieder aus einem bestimmten Blickwinkel wahrge- 
nommen und überliefert wird" (Sauer 7 20 08: 17). Und dieser Blickwinkel kann 
zunächst auch ein national vermittelter sein, bei dem Schulbücher, traditioneller 
Geschichtsunterricht und die jeweilige mediale Vermittlung das Geschichtsbild 
prägen. 

Die Auswertung neu zugänglicher Quellen, neue oder anders gewichtete ge- 
schichtswissenschaftliche Ansätze und ein damit sich verändernder Blickwinkel 
sowie auch jeweils vorherrschende gesellschaftspolitische Strömungen führen nicht 
selten dazu, dass historische Ereignisse und Prozesse neu bewertet werden und 
sich eine andere Lehrmeinung durchsetzt, wie beispielsweise die Nachwirkung der 
„Fischer- Kontroverse" um das Ausmaß der deutschen Schuld am Ausbruch des 1. 
Weltkriegs deutlich gezeigt hat. Eine derartige Meta-Ebene der Betrachtung lässt 
sich im Landeskundeunterricht allenfalls in Ansätzen realisieren, allerdings kann 
,,[m]ithilfe multiperspektivischer Zugänge (bei der Auswahl der Themen, bei der 
Auswahl und Bearbeitung historischer Quellen, bei der Bewertung von Ereignis- 
sen, ...) [versucht werden] historische und gegenwärtige Konflikte von verschie- 
denen Seiten zu betrachten und sich dabei der Relativität der eigenen (nationalen, 
geschlechtsspezifischen, sozialen, ...) Sichtweise bewusster zu werden" (Grabe 
2004: 25). 

Als Zielsetzung für die Vermittlung historischer Inhalte, durchaus auch auf den 
DaF-/DaZ-Kontext übertragbar, formuliert Winkler sehr klar: „[...] nicht die An- 
häufung von Wissen ist das, was wir den Studierenden vermitteln sollten, sondern 
die Erkenntnis von Zusammenhängen, die Fähigkeit, einzelne Erscheinungen in 
einen größeren Kontext einzuordnen. Das setzt in allererster Linie Problemver- 
ständnis voraus, die Fähigkeit, nach Motiven, Handlungsspielräumen und Alterna- 
tiven der Akteure zu fragen. Das ist die Grundlage jedes historischen Urteils. Das - 



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Uwe Koreik 



glaube ich — ist ein Zugang zur Geschichte, der uns auch offen macht für die Her- 
ausforderungen der Gegenwart" (ebd.). 

Für die Einbettung historischer Themen in den DaF-/DaZ-Unterricht, in dem 
Sprachvermittlung immer auch eine gewisse Rolle spielt, gilt es bestimmte Voraus- 
setzungen zu beachten bzw. sie zu schaffen. 

Einmal abgesehen davon, dass die gewählten Themen möglichst einen Aktua- 
litätsbezug aufweisen (häufig lassen sich Entwicklungslinien herstellen) oder einen 
Erkenntniswert vermitteln sollten, der im Kontext zur Gesamtausbildung der Ler- 
nergruppe steht, gilt es bei der Auswahl der Texte das sprachliche Niveau der Ler- 
nergruppe im Blick zu haben. Der Schwierigkeitsgrad der Texte — und das gilt ins- 
besondere bei historischen Quellen — darf das durchschnittliche Sprachvermögen 
der Lernergruppe nur begrenzt übersteigen. Eine veraltete Lexik, Begriffe mit einer 
speziellen zeitgebundenen Konnotation sowie syntaktische Besonderheiten, die 
nicht mehr der aktuell verwendeten deutschen Sprache entsprechen, erschweren 
nicht nur das Textverständnis, sondern werfen auch die Frage auf, welcher Gewinn 
für die Sprachausbildung erreicht werden kann. Diese Frage wird unterschiedlich je 
nach Lernergruppe zu beantworten sein. Handelt es sich beispielsweise um eine 
Gruppe Studierender an einer ausländischen Hochschule, die als Studienfach auch 
Geschichtswissenschaft hat, wird man kaum Grenzen ziehen wollen; handelt es 
sich jedoch um Studierende, die die deutsche Sprache „lediglich" im Rahmen einer 
Zusatzqualifikation neben weniger affinen Studienfächern erlernen wollen, gilt es 
für die Lehrkraft, eine Güterabwägung zu treffen und die Materialauswahl im 
Zweifels fall zugunsten der sprachlichen Weiterverwendbarkeit zu treffen. Werden 
mehrere historische Quellentexte in einer Reihe hintereinander behandelt, gilt es 
nach Möglichkeit auf die inhaltliche und sprachliche Progression zu achten, bei der 
im Idealfall auf beiden Ebenen schrittweise das Anspruchsniveau gesteigert wird. 

Die häufig vorgebrachte Forderung nach einer kontrastiven oder gar interkul- 
turellen Perspektive lässt sich bei historischen Themen nicht selten leicht einlösen, 
weil es in der Weltgeschichte immer wieder eine Ungleichzeitigkeit des Ähnlichen 
gibt, was bedeutet, dass historische Ereignisse und Prozesse immer auch im Zu- 
sammenhang mit vergleichbaren Abläufen zu anderen Zeiten in anderen Ländern 
oder gar Kulturkreisen betrachtet werden können. Eine derartige Vorgehensweise 
ist allerdings sehr anspruchsvoll, und das Problem dabei ist dann meistens die 
mangelnde Kompetenz Lehrender wie Lernender (vgl. Koreik 1998). 

In den bereits zitierten ABCD-Thesen heißt es an anderer Stelle: „Primäre 
Aufgabe der Landeskunde ist nicht die Information, sondern Sensibilisierung sowie 
die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Fertigkeiten im Umgang mit 
fremden Kulturen. Damit sollen fremdkulturelle Erscheinungen besser einge- 
schätzt, relativiert und in Bezug zur eigenen Realität gestellt werden. So können 
Vorurteile und Klischees sichtbar und abgebaut sowie eine kritische Toleranz ent- 
wickelt werden" (ebd.). Wenn man einmal von der hehren Hoffnung ein wenig 
Abstand nimmt, dass sich Vorurteile und Klischees, wenn sie denn sichtbar ge- 
macht wurden, auch leicht abbauen ließen, bleibt die Diskrepanz zwischen Infor- 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - zur Arbeit mit historischen Quellen 



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mationsvermittlung und Sensibilisierung bzw. Entwicklung von Fähigkeiten, Stra- 
tegien und Fertigkeiten. Damit wird 1990 ein Trend festgeschrieben, der als Hin- 
tergrund die Erkenntnis hat, dass sich die Totalität der gesellschaftlichen Wirklich- 
keit sowieso nicht im landeskundlichen Unterricht erfassen bzw. abbilden und 
vermitteln lässt, was auch auf die Vermittlung von Geschichtsthemen zutrifft. Im 
Sprachunterricht kann keineswegs die gesamte deutsche Geschichte nebenbei ver- 
mittelt werden, und auch in speziellen Landeskundeveranstaltungen zur deutschen 
Geschichte, wie es sie in manchen Ländern nach wie vor im Rahmen des Germa- 
nistikstudiums gibt, kann die Geschichte von den Germanen bis ins 20. Jahrhun- 
dert nur in Form meist eher oberflächlichen Faktenwissens vermittelt werden, 
wobei häufig die Ereignisgeschichte mit den Aspekten Politik-, Diplomatie- und 
Militärgeschichte im Vordergrund steht und wichtige Themenstränge der Wirt- 
schafts- und Sozialgeschichte in der Regel eher vernachlässigt werden. Selbst für 
den schulischen Geschichtsunterricht in der Bundesrepublik Deutschland heißt es: 
„Die vollständige Behandlung der Geschichte ist weder möglich noch wünschens- 
wert. Die Zahl der Themen ist prinzipiell unendlich und es kommt auf begründete 
Auswahl an" (Sauer 7 20 08: 19). 

Das spätestens seit der Veröffentlichung der ABCD-Thesen häufig propagierte 
Ziel ist es deswegen vielmehr, stärker themenorientiert und exemplarisch zu arbei- 
ten, gleichzeitig damit die Wahrnehmung und Reflektion zu schulen und dabei die 
traditionelle Faktenvermittlung deutlich in den Hintergrund treten zu lassen. Der 
Tendenz, die Wissensvermittlung als völlig untergeordnetes Ziel im Fremdspra- 
chenunterricht zu sehen, ist jedoch Schücking bereits 1927 mit folgenden Argu- 
menten entgegen getreten: „Es klingt sehr gut: Nicht Kenntnis, sondern Erkennt- 
nis! Nicht Wissen, sondern Fähigkeit zur Fragestellung! Aber Erkenntnis setzt 
zunächst einmal eine gewisse Kenntnis, die Fähigkeit zur Fragestellung setzt auch 
Wissen voraus" (Schücking 1927: 10). Galt lange Zeit die Vermittlung von Wis- 
sensbeständen über Land und Leute im DaF-/Daz-Unterricht in der 
Landeskundediskussion seit der „kommunikativen Wende" als verpönt und wurde 
als reine Faktenkunde gebrandmarkt, auch wenn diese Art des Landeskundeunter- 
richts in weiten Teilen der Welt — auch bis ins Extreme gesteigert — weiter betrie- 
ben wurde, so ist inzwischen eine Rückbesinnung auf den Wert von auch Infor- 
mationen vermittelndem, Hintergründe beleuchtendem und nicht nur rein kom- 
munikativ ausgerichtetem Landeskundeunterricht erfolgt. Für DaF-Lehrwerke aus 
Estland, Finnland, Frankreich, Großbritannien und Norwegen konstatiert Minna 
Maijala die „Rückkehr der Geschichte in die europäischen Deutschlehrwerke" und 
stellt zugleich fest, „dass der kognitive Ansatz der Landeskunde in den Mittelpunkt 
des Fremdsprachenunterrichts gerückt ist" (Maijala 2004: 345). Weitgehend auf 
Faktenvermittlung ausgerichtete Geschichtskapitel sind in Deutschland seit 2005 in 
speziellen Lehrwerken für Deutsch als Zweitsprache entstanden, die speziell in 
Integrationskursen eingesetzt werden. Einer der vier Themenschwerpunkte lautet 
„Überblick über die jüngere deutsche Geschichte", wobei bis jetzt allerdings nicht 
umfassend untersucht worden ist, inwieweit damit tatsächlich eine Horizonterwei- 



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Uwe Koreik 



terung erreicht wird, oder — wovon leider auszugehen ist - ob nur Fakten für den 
anschließenden Orientierungstest auswendig gelernt (und dann bald auch wieder 
vergessen) werden. 

Ein anderer viel versprechender Ansatz wird in dem von Schmidt und Schmidt 
(2007) herausgegebenen Lehrwerk „Erinnerungsorte. Deutsche Geschichte im 
DaF-Unterricht" verfolgt. In Anlehnung an das Konzept des französischen Histo- 
rikers Pierre Nora finden sich hier zu dreizehn deutschen „Erinnerungsorten" 
Unterrichtseinheiten, welche „exemplarisch Wege in und durch die deutsche Ge- 
schichte [eröffnen]" und als Zusatzmaterialien für den Sprach- und Landeskunde- 
unterricht konzipiert sind (Schmidt; Schmidt 2007: 6). 

Die zwei dem Buch beigefügten CD-Roms bieten eine Fülle an Zusatzmateria- 
lien — auch Hörtexte, sowie historisches Quellenmaterial — und ermöglichen eine 
vielschichtige Herangehensweise, wie sie für den Einsatzort Bulgarien in muster- 
gültiger Weise und mit der Möglichkeit des Perspektivenwechsels (Fornoff 2009) 
ausgearbeitet wurde. In einem modernen in den Sprachunterricht integrierten Lan- 
desunterricht, in dem historische Themen behandelt und die Arbeit mit histori- 
schen Quellen in den Vordergrund geraten, werden auch in Zukunft mehrere 
Faktoren Berücksichtigung finden müssen: Adressatenspezifik und Lehrziel- 
/Curricula-Bezug sowie Prüfungs- und Testorientierung, wenn sie institutionell 
vorgesehen ist. Es wird immer wieder eine Gratwanderung zwischen einem stärker 
informierenden, einem kommunikativ ausgerichteten, gar zur Lernerautonomie 
hinführenden, einem auf Interaktion setzenden und auf interkulturelle Lernziele 
hinarbeitenden Unterricht geben, dessen Schwerpunktsetzung, abgesehen von 
institutionellen Vorgaben, maßgeblich von der jeweiligen Lehrkraft vorgenommen 
werden muss (vgl. Koreik 2011). 

Auch wenn seit den 1970er Jahren in der deutschen Geschichtsdidaktik für die 
Schule die Arbeit mit historischen Quellen im Mittelpunkt steht und sie sich auch 
für die Vermittlung historischer Themen im DaF-/DaZ-Unterricht alleine wegen 
ihres Authentizitätscharakters und des darin enthaltenen Lernpotentials anbietet, 
gilt auch für den Sprachunterricht zu historischen Themen: „Geschichtsunterricht 
kann nicht nur aus Quellenarbeit bestehen. Wer sie betreiben will, braucht fast 
immer, zu Beginn oder im Laufe seiner Untersuchung ein Vorwissen, einen be- 
stimmten Rahmen historischer Kenntnisse" (Sauer 7 2008: 110). 



2 Zur Arbeit mit historischen Quellen im Sprachunterricht 

Gpgenoorth und Schulz ( 6 2001: 40) greifen in ihrer „Einführung in das Studium 
der Neueren Geschichte" zur Klärung des Begriffs „Quellen" die viel zitierte De- 
finition von Kirn auf: „Quellen nennen wir alle Texte, Gegenstände oder Tatsa- 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - zur Arbeit mit historischen Quellen 



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chen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann", 2 um ange- 
sichts dieser weit gefassten Definition weitere Erklärungen und Differenzierungen 
vorzunehmen. Nachvollziehbar erläutern sie, warum z.B. erhaltene Kleidung aus 
den letzten Jahrhunderten uns als Gegenstände die Bedingungen der jeweiligen 
Zeit besser verdeutlichen als überlieferte Beschreibungen oder Abbildungen auf 
Gemälden, oder dass fremdsprachliche Bestandteile in der deutschen Sprache als 
Tatsachen (z.B. Italienisch in der Fachsprache der Musik im 17. und 18. Jahrhun- 
dert bei Bach oder Haydn) Zeitumstände verdeutlichen. 

Wichtig auch für den Sprachunterricht ist die auch von ihnen vorgenommene 
Unterscheidung in „Primär-" und „Sekundärquellen" (41), die sich grob damit 
erklären lässt, dass Quellen, die Bezug auf eine ihr zugrunde liegende Quelle neh- 
men, als Sekundärquellen bezeichnet werden. Erst wenn das ursprüngliche Quel- 
lenmaterial nicht mehr vorhanden oder rekonstruierbar ist, bekommt eine Sekun- 
därquelle, in der Ursprungsmaterial verarbeitet ist, zumindest partiell den Charakter 
einer Primärquelle. 

Eine weitere Unterscheidungsmöglichkeit bietet das Begriffspaar „Quel- 
len/Literatur", welches bei Opgenoorth; Schulz (41) am Beispiel der „Westfäli- 
schen Friedensverträge von 1648" und Dickmanns Buch „Der westfälische 
Friede" verdeutlicht wird. Während der Vertragstext eine Quelle darstellt, ist Dick- 
manns Darstellung eine Interpretation und damit Literatur. Letztlich ist die Unter- 
scheidung aber abhängig von der wissenschaftlichen Fragestellung. Will man die 
Positionen deutscher Historiker zu den Westfälischen Friedensverträgen Ende der 
1950er untersuchen, wird Dickmanns Erstauflage von 1959 zur Quelle. 

Zunächst hilfreich ist auch die traditionelle Unterscheidung in „Tradition" und 
„Uberrest", wenn man sich vor Augen führt, dass Quellen, die entstanden sind, um 
gezielt der Nachwelt Kenntnisse zu übermitteln (z.B. Erlebnis- oder Reiseberichte 
o.a.), anders zu werten sind als Quellen, die ohne diese Intention entstanden sind 
(z.B. Rechnungen, Inventarlisten u.a.). Aber auch diese Kategorisierung der Quel- 
len ist nicht trennscharf, sondern „hat einen Schönheitsfehler" (Opgenoorth; 
Schulz: 43), da der Begriff „Überrest" insofern als der weitere Begriff zu werten 
sei, als auch Traditionsquellen den Charakter von Uberresten bekämen, wenn we- 
niger der Inhalt als vielmehr die Gegebenheiten der Entstehung in den Blick ge- 
rückt würden. Erst recht seien die Grenzen seit dem Beginn der Neuzeit zuneh- 
mend verschwommen, als Quellen insbesondere aus dem Bereich der Publizistik 
zum Einen als Berichterstattung für die Zeitgenossen diente (also Überrest), zum 
Anderen aber auch als Überlieferung gesellschaftspolitischer Sachverhalte (also 
Tradition). Deutlicher noch urteilt Schulze ( 2 1 991 : 33) über die traditionelle Ein- 
teilung in Tradition und Überrest: „Ich halte die Unterscheidung für ebensowenig 
sinnvoll wie die Unterscheidung willkürlicher und unwillkürlicher Überlieferung. 
Sie kann sogar gefährlich sein, weil solche Einteilungen möglicherweise die weitere 

2 Einen informativen und prägnanten Uberblick über Quellenarten bietet http://www.uni- 
konstan2.de/FuF/Philo/ Geschichte/Tutorium/Themenkomplexe/ Quellen/ Quellenarten/ quellenar- 
ten.html. 



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Uwe Koreik 



Nutzung präjudizieren können. Vielmehr muß gelten, daß alle Quellen den glei- 
chen kritischen Verfahren unterzogen werden müssen, um sie zum Sprechen zu 
bringen. Die innere und äußere Kritik muß unbeeinflußt von a priori-Kategorisie- 
rungen angewendet werden." 

2.1 Textquellen 

Als Textquellen benennt Sauer ( 7 20 08: 187): „Akten, Annalen, Aufrufe, Augenzeu- 
genberichte, Biografien, Briefe, Chroniken, Dramen, Flugblätter, Epen, Gedichte, 
Gesetzestexte, Grabinschriften, Lebensbeschreibungen, Legenden, Memoiren, 
Memoranden, Protokolle, Reden, Reiseberichte, Romane, Tagebücher, Urkunden, 
Verträge, Zeitungen" und weist darauf hin, dass die Liste keineswegs erschöpfend 
sein müsse. Nimmt man Textquellen der jüngsten Geschichte hinzu, müssen Beg- 
riffe wie Blog, Twitter, Facebook, E-Mails, SMS, Google-Protokolle (Wikileaks) 
u.a. fallen. 

Bei der Arbeit mit Textquellen im DaF-/DaZ-Unterricht stehen zunächst die glei- 
chen Grundfragen im Vordergrund wie sie in der Geschichtsdidaktik benannt 
werden (vgl. Sauer 7 2008: 190): 

Verfasser/in des Texts (Amt, Stellung, soziale Schicht, Beziehung zum er- 
wähnten Ereignis, Kenntnisstand) 

Entstehung der Quelle (Wann, wo, weshalb wurde der Text verfasst?, zeit- 
licher Abstand zum Ereignis? 

Quellengattung (Art, welche Aussagen kann man erwarten?, Art der 
Verbreitung des Texts) 

Thema und Aussage (welches Ereignis wird erwähnt und was wird mitge- 
teilt) 

Adressaten und Intention (wer wird angesprochen, warum, mit welcher 
Absicht, aus welcher Perspektive wird geschrieben, Bericht?, Urteil?, Ar- 
gument? Was soll bei den Adressaten erreicht werden? 
Darstellungsweise (sprachliche und rhetorische Mittel) 

Gerade der letzte Punkt ermöglicht im Sprachunterricht — wenn passend und ge- 
wünscht — eine intensivere Befassung mit der Sprache selbst, wenn man sich die 
dazu gehörigen Unterpunkte bei Sauer (190) vergegenwärtigt: „[...] Satzgestalt 
(Satzart, -länge, -Stellung), allgemeine Wortwahl (alltäglich, gewählt, konventionell), 
Argumente, Begriffe und ihre besondere Bedeutung, traditionelle Muster (Topoi), 
rhetorische Mittel (Symbole, Allegorien, Metaphern, Wiederholungen, Wortspiele, 
Lautmalereien usw.)". Allein hierdurch dürfte klar geworden sein, dass die Arbeit 
mit historischen Quellen im DaF-/DaZ-Unterricht recht anspruchsvoll ist. 

Gleichzeitig ist jedoch auch deutlich, dass die Quelle alleine letztlich nicht aus- 
reicht, um Lernern eine ausreichende Interpretation zu ermöglichen. Informatio- 
nen über den/die Verfasser/in, Überblickswissen über den Zeitkontext und ggf. 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - zur Arbeit mit historischen Quellen 



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Auskünfte über eine spezielle Textgattung (z.B. Flugblatt) sind erforderlich, um 
eine angemessene Aufschlüsselung und Einordnung einer historischen Quelle zu 
ermöglichen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Lerner der deutschen Sprache 
nicht immer eine schulische Sozialisation durchlaufen haben, in der eine textkriti- 
sche Auseinandersetzung mit historischen Quellen eingeübt worden ist. Umso 
erhellender kann allerdings eine derartige Auseinandersetzung mit historischen 
Quellen im Sprachunterricht ausfallen. 

Für den Einsatz historischer Schriftquellen im DaF-/DaZ-Unterricht darf man 
sich auch durchaus vor Augen führen, welche didaktischen Einsatzmöglichkeiten 
für den schulischen Geschichtsunterricht in Deutschland diskutiert werden (vgl. 
Sauer 7 20 08: 1 91 f): die Präsentation einer Textquelle in unsystematisch angeord- 
neten Teilstücken, die erst durch genaues Lesen in eine kohärente Reihenfolge 
gebracht werden können, das Weglassen des Schlusses einer Textquelle, die von 
den Lernern sinnvoll ergänzt werden soll, zunächst fehlende Informationen über 
den/die Verfasser/in der Textquelle, um einen geschärften Blick für die direkten 
und ggf. indirekten Intentionen des Textes zu erarbeiten, oder das Weglassen aller 
Angaben zur historischen Situation, um auf der Basis von Vorkenntnissen und 
genauem Lesen die Rekonstruktion des historischen Kontextes einzufordern. 
Noch kreativer sind Sauers Vorschläge zur Manipulation der Textquelle: Das Ein- 
fügen von Anachronismen, die es herauszufinden gilt, das Versehen des Textes mit 
Lücken oder Schwärzungen, um durch die dann nötigen Ergänzungen die Textlo- 
gik nachzuvollziehen, oder das Einfügen von „gefälschten" Textpassagen, um zu 
erarbeiten, mit welchen Intentionen „Fälscher" nachträglich den historischen Text 
verändert haben. Ob man im DaF-DaZ -Unterricht zu derartigen kreativen, für 
viele sicherlich zu „verspielten" Methoden greift, wird sicherlich sehr von der Ler- 
nergruppe abhängen, wie auch von der Bereitschaft der Lehrkraft, auch — z.B. im 
Rahmen universitärer Veranstaltungen - unkonventionelle Wege zu beschreiten. 
Auf jeden Fall können strukturierende Aufgaben wie die Gliederung des Textes in 
einzelne Abschnitte, das Einfügen von Teilüberschriften oder die Markierung von 
Schlüsselwörtern hilfreiche Arbeitsschritte sein, um eine Textquelle zusammenfas- 
send (mündlich oder auch schriftlich) auszuwerten, wobei abschließend ohne eine 
entsprechende Kontextualisierung nicht auszukommen sein wird. 

2.2 Tonquellen 

Für zahlreiche Ereignisse der neueren Geschichte stehen auch relativ leicht erhält- 
liche Tondokumente zur Verfügung 3 (z.B. zur NS-Zeit oder zur Geschichte der 



3 Tondokumente für verschiedene Phasen der deutschen Geschichte finden sich beispielsweise auf 
den Seiten von LeMO (Lebendiges virtuelles Museum Online), einem Gemeinschaftsprojekt des 
Deutschen Historischen Museum (DHM) in Berlin, des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik 
Deutschland (HdG) in Bonn und des Fraunhofer Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST) in 
Berlin, (http:/ /www.dhm.de/lemo/home.html). Vgl. auch den Beitrag von Beatrice Wiegand im vor- 
liegenden Band. 



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Uwe Koreik 



BRD und der DDR). Diese historischen Tonquellen können selbstverständlich 
isoliert eingesetzt werden, haben dann allerdings auch den Charakter von Hörver- 
stehensübungen, wobei manche Reden mehrfach gehört werden müssen, um wirk- 
lich vollständig verstanden zu werden. Diese Tondokumente können allerdings 
auch im Zusammenhang mit den bereits anhand einer Transkription erarbeiteten 
Texten eingesetzt werden und verstärken so das Authentische bei der Arbeit mit 
historischen Quellen. 

2.3 Bildquellen 

Von besonderer Bedeutung bei der Arbeit an historischen Themen im Sprachun- 
terricht sind Bildquellen, weil sie zum einen bestimmte Fertigkeiten für die Inter- 
pretation voraussetzen und keineswegs einfach für sich sprechen sowie zum ande- 
ren vielfältige Möglichkeiten der Versprachlichung ohne vorgegebene Sprachmus- 
ter bieten, folglich einen kreativen Umgang mit Sprachproduktion ermöglichen 
(Bildunterschrift finden, Bildbeschreibung, Bildinterpretation, Kommentar usw.). 
„Bilder sind nicht nur bloße Jllustration' des bisher schon durch Texte erschlosse- 
nen Wissens. Sie stellen eine eigene Quellengattung dar und bieten einen spezifi- 
schen und eigenständigen Zugang zur wissenschaftlichen Erforschung von Ge- 
schichte" (Schlaak, o.J.). Bilder bieten zwar einen anschaulichen Zugang auch zu 
einem historischen Thema, präsentieren jedoch immer auch einen sehr reduzierten 
Ausschnitt aus zumeist sehr komplexen Vorgängen und bedürfen für ihre Inter- 
pretation in der Regel eines nicht unerheblichen Maßes an Vorarbeit zum Umgang 
mit Bildquellen. „Ein Missverständnis gilt es grundsätzlich zu vermeiden: Bilder, 
auch Fotos, dürfen nicht als Abbildungen der Wirklichkeit gelesen werden, son- 
dern als deren Interpretation, als Auseinandersetzung des Künstlers mit der erleb- 
ten Wirklichkeit, als ,visueller Bestandteil' zeitgenössischer Diskurse" (Büttner, 
2007). Dabei ist die Vielfalt der Bilder und Fotos, die gewinnbringend auch im 
DaF-/Daz-Unterricht eingesetzt werden können, um historische Themen zu be- 
handeln oder einzuleiten, nahezu unüberschaubar. „Die unterschiedlichsten Bild- 
gattungen kommen als historische Quellen in Frage. Sie lassen sich einerseits nach 
Bildtechniken, Präsentations- und Verbreitungs formen unterscheiden: die Malerei 
mit Gemälde, Wandbild oder Buchmalerei; der Holzschnitt als Buchillustration 
oder als Flugblatt; der Kupferstich und die Lithografie, genutzt zum Beispiel für 
Plakate, Bilderbögen oder Ansichtskarten; die Fotografie und - nimmt man drei- 
dimensionale Bildwerke hinzu - die Plastik" (Sauer 2005: 1). 

Erst seit Mitte der 1980er Jahre hat sich in der Geschichtswissenschaft eine histori- 
sche Bildforschung entwickelt, die aber in den letzten zehn Jahren immer wichtiger 
geworden und als Teilbereich der Geschichtswissenschaft wie auch im Unterricht 
nicht mehr wegzudenken ist (z.B. Sauer 2000; Burke 2003; Jäger 2009). Ein sehr 
gutes Analyse-Modell (Büttner, 2007) reicht von einer vor-ikonographischen 
Beschreibung über eine ikonographische Analyse bis zu hin zu den Fragen nach 
dem Bild als Kommunikationsmittel mit folgenden Unterpunkten: 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - zur Arbeit mit historischen Quellen 



1 1 



Mitteilungsabsicht 
Adressaten 

Funktionen des Bildes (liturgische, didaktische, soziale, rechtliche, propa- 
gandistische) 

War das einzelne Bild Teil eines Bildprogramms? 
War das Bild repräsentativ für seine Zeit? 

Was hier bei Büttner in historicum.net nur auf Bilder bezogen scheint, gilt in glei- 
cher Weise für Fotos. So auch die Fragen zum wirkungsgeschichtlichen Kontext: 

Wer konnte das Bild sehen? 
Verbreitung? 

Erwartungen und Vorkenntnisse des Bildbetrachters? 

War ein Bildprogramm zu seiner Zeit erfolgreich? (weiterentwickelt / ver- 
worfen?) 

Spätere Wirkung, Interpretation, Veränderung, Fälschung? 

Auch wenn Bilder und Fotos als eigenständige historische Quelle zu werten und zu 
bearbeiten sind, können sie im DaF-/DaZ-Unterricht häufig mit Gewinn kom- 
plementär zu Textquellen eingesetzt werden. Dabei darf allerdings nicht unberück- 
sichtigt bleiben, dass es Bilder sind, die am ehesten im Gedächtnis haften bleiben. 

2.4 Filme als historische Quellen 

Einen ganz besonderen Bereich stellt der Film als historische Quelle dar. 4 Sei es 
der Dokumentarfilm, eine propagandistisch angelegte Wochenschau aus der NS- 
Zeit oder auch der Spielfilm, in dem Zeitströmungen transportiert werden, welche 
als Quellengattung eigener Art interpretiert werden können (z.B. Hey 2001). Film- 
material entwickelt im Unterricht sehr leicht eine Eigendynamik und ist, auch wenn 
heutzutage alle Lerner über sehr viel Filmseherfahrung verfügen, aufgrund der 
Komplexität, die Lernern in der Regel nicht bewusst ist, am schwierigsten zu bear- 
beiten. Am sinnvollsten ist es oft — wenn zum Thema möglich — , eine Filmsequenz 
nach der Textarbeit ergänzend zu zeigen, um unterschiedliche Zugänge zur Inter- 
pretation eines historischen Themas zu ermöglichen. 



4 Eine gute Zusammenstellung der relevanten Fachliteratur (Stand 2006) findet sich von Hilke 
Günther-Arndt unter: http:/ /www.historicum.net/lehren-lernen/geschichtsdidaktik/medien-histori- 
schen-lernens/visuelle-quellen-und-darstellungen/ art/4_Filme/html/ artikel/3003/ ca/ - 
flfb0e926202946b5b5032475377a21e/. Vgl. auch die Beiträge von Wolfgang Koller und Jens Grim- 
stein im vorliegenden Band. 



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Uwe Koreik 



3 Schlussbetrachtung 

„Geschichte hat es stets mit - wie der einschlägige didaktische Begriff lautet - 
Alteritätserfahrung, also der Erfahrung von Andersartigkeit zu tun: Wer sich mit 
vergangenen Zeiten befasst, begegnet dem Fremden" (Sauer 7 20 08: 76); so lautet 
die Feststellung eines deutschen Geschichtsdidaktikers. Wenn man sich die beson- 
dere Situation des DaF-/DaZ-Unterrichts vor Augen führt, in dem nichtdeutsche 
Lerner bemüht sind, die deutsche Sprache zu erlernen bzw. deren Handhabung zu 
perfektionieren und gleichzeitig Erkenntnisse über kulturelle Gegebenheiten und 
Hintergründe des Zielsprachenlands erfahren wollen bzw. sollen, dann ist offen- 
sichtlich, dass hier zunächst eine doppelte Verfremdung greift: die der zeitlichen 
wie auch die der kulturellen Fremde. Zugleich ist jedoch auch klar, dass es hin- 
sichtlich der zeitlich bedingten Fremde die Ähnlichkeit des Ungleichzeitigen oder 
auch (fast) Gleichzeitigen und hinsichdich kultureller Unterschiede die Ähnlichkeit 
des vermeintlich Anderen geben kann, was bedeutet, dass das Fremde gar nicht so 
fremd sein muss, wenn ein Bewusstsein für die jeweils eigene Geschichte (welches 
im Unterricht sogar herbeigeführt werden kann) den Blick auf die behandelten 
historischen Quellen schärft und auch erweitert. 

Auf jeden Fall bietet der Einsatz historischer Quellen im DaF-/DaZ-Unter- 
richt die Möglichkeit der Auseinandersetzung mit Authentischem, was einen Reiz 
an sich darstellt. Zudem eröffnet die Arbeit mit historischen Quellen eine themati- 
sche Vielfalt, die gerade auch angesichts der inzwischen im Internet zur Verfügung 
gestellten Quellen 5 eine komfortable und flexible Unterrichtsgestaltung ermöglicht. 
Wird dann noch ein angemessenes Verhältnis von Beiträgen der Lehrkraft, not- 
wendigen Hintergrundinformationen, Eigenarbeit der Lerner, zusätzlicher Recher- 
che und nach Möglichkeit ein Zugang über verschiedene einander ergänzende 
Quellenarten eingehalten, kann die Arbeit mit historischen Quellen nicht nur Spaß 
machen, sondern ein Erkenntnispotential eröffnen, das weit über den punktuellen 
Erwerb von Tatsachenwissen über das Zielsprachenland hinausgeht. 



Literatur 

ABCD-Thesen zur Rolle der Landeskunde im Unterricht (1990): Deutsch als 
Fremdsprache 27(2): 306-308. 

Altmayer, Claus; Koreik, Uwe: Geschichte und Konzepte einer Kulturwissenschaft 
im Fach Deutsch als Fremdsprache. In: Krumm, Hans-Jürgen et. al., 1377- 
1390. 



5 Einen guten Überblick über Quellen und Editionen bietet: http://www.historicum.net/de/lehren- 
lernen/internet-im-geschichtsstudium/archive-quellen-editionen/ und der Beitrag von Thomas Roth 
im vorliegenden Band. 



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Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht - zur Arbeit mit historischen Quellen 



13 



Büttner, Sabine (2007): Bilder als historische Quellen, in: historicum.net, URL: 
http:/ / http://www.historicum.net/lehren-lernen/arbeiten-mit- 
quellen/bilder-als-quellen/. 

Burke, Peter (2003): Augen^eugenschaft. Bilder als historische Quellen. Berlin: 
Wagenbach. 

Fornoff, Roger (2009): Erinnerungsgeschichtliche Deutschlandstudien in 
Bulgarien. Theoriekonzepte - unterrichtspraktische Ansätze - 
Lehrerfahrungen. In: Informationen Deutsch als Fremdsprache 36,6, 499-517. 

Grabe, Daniela (2004): Immer dieselbe Geschichte? Konfliktbearbeitungsmetho- 
den im DaF-Unterricht. In: Hans-Jürgen Krumm und Paul R. Portmann- 
Tselikas (Hrsg.), Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge %u Deutsch als 
Fremdsprache 8, 25-38. Innsbruck etc.: Studienverlag. 

Hey, Bernd (2001): Zwischen Vergangenheitsbewältigung und heiler Welt. Nach- 
kriegsdeutsche Befindlichkeiten im Spielfilm. In: Geschichte in Wissenschaft und 
UnterrichtSl, 228-237. 

Jäger, Jens (2000): Photographie. Bilder der Neuheit. Finführungin die Historische 

Bildforschung (Historische Einführungen Bd. 7). Tübingen: Edition Diskord. 

Koreik, Uwe (1995): Deutschlandstudien und deutsche Geschichte. Die deutsche Geschichte im 
Rahmen des Fandeskundeunterrichts für Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: 
Schneider. 

Koreik, Uwe (1998): Deutsche Geschichte und inter kulturelles Lernen im 

Landeskundeunterricht für Deutsch als Fremdsprache. In: Wolff, Armin; Blei, 
Dagmar (Hrsg.): DaF für die Zukunft. Fine Zukunft für DaFl, Beiträge der 23. 
Jahrestagung DaF 1995. Regensburg: FaDaF, 1997, 329-340 (Materialien 
Deutsch als Fremdsprache, 44). 

Koreik Uwe (2010): Landeskundliche Gegenstände: Geschichte. In: Krumm, 
Hans-Jürgen et. al., 1478-1483. 

Koreik, Uwe (2011): Landeskunde. In: Ahrenholz, Bernt; Oomen- Welke, Ingelore 
(Hrsg.): Handbuch Deutsch als Fremdsprache (= Deutschunterricht in Theorie und 
Praxis, Band 10) Baltmannsweiler: Schneider (im Druck). 

Koreik, Uwe; Pietzuch, Jan Paul (2010): Entwicklungslinien landeskundlicher 
Ansätze und Vermittlungskonzepte. In: Krumm, Hans-Jürgen et. al., 1441- 
1454. 

Krumm, Hans-Jürgen; Fandrych, Christian; Hufeisen, Britta; Riemer, Claudia 
(Hrsg.) ( 2 2010): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch. 
Berlin, New York: de Gruyter. 



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14 



Uwe Koreik 



Maijala, Minna (2004): Deutschland von außen gesehen. Geschichtliche Inhalte in Deutsch- 
lehrbüchern ausgewählter europäischer Länder. Frankfurt/ Main: Lang. 

Maijala, Minna (2007): Zur Analyse von landeskundlichen bzw. geschichtlichen 
Inhalten in Lehrwerken für Deutsch als Fremdsprache. In: Deutsch als 
Fremdsprache 44(3): 174-180. 

Opgenoorth, Ernst; Schulz, Günther ( 6 2001): 'Einführung in das Studium der Neueren 
Geschichte. Paderborn: Schöningh. 

Sauer, Michael (2000): Bilder im Geschichtsunterricht. Typen, Interpretationsmethoden, 
Unterrichtsverfahren. München: Kallmeyer. 

Sauer, Michael (2005): Bilder als historische Quellen, in: Bundeszentrale für 
politische Bildung, http://www.bpb.de/themen/F0RC2C.html. 

Sauer, Michael ( 7 20 08): Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und 
Methodik. Seelze-Velber: Kallmeyer. 

Schlaak, Alexander (o.J.): Bilder als historische Quelle, http://www.uni- 

konstanz.de/FuF/Philo/Geschichte/Tutorium/Themenkomplexe/ Quellen/ 
Quellenarten/Bilder/bilder.html. 

Schücking, Levin L. (1927): Die Kulturkunde und die Universität. In: Die neueren 
Sprachen 1, XXXV, 1-16. 

Schmidt, Sabine; Karin Schmidt (Hrsg.) (2007): Erinnerungsorte. Deutsche Geschichte im 
DaF -Unterricht. Berlin: Cornelsen. 

Schulze, Winfried ( 2 1991): Einführung in die Neuere Geschichte. Stuttgart: UTB. 

Thimme, Christian (1994): Zeitgeschichte in Lehrwerken Deutsch als 
Fremdsprache. In: Informationen Deutsch als Fremdsprache 21 (4), 456-474. 

Thimme, Christian (1996): Geschichte in Eehrwerken. Deutsch als Fremdsprache und 
Französisch als Fremdsprache. Ein deutsch französischer Lehrbuchvergleich. Baltmanns- 
weiler: Schneider. 

Winkler, Heinrich-August (2011): „Wir sind rückwärts gekehrte Propheten." In: 
Spiegel-Online (http:/ / www.spiegel.de/ unispiegel/ wunderbar/ - 
0,1 51 8,751 563,00.html), 32.3.2011. 



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Historische Quellen im Internet 



Thomas Roth 



1 Geschichte und Internet 

Die Etablierung des Internet 1 in den 1990er Jahren hat auch in der Geschichts- 
wissenschaft entgegengesetzte Reaktionen hervorgerufen: Neben kulturkritischer 
Abwehr und medienkritischen Kommentaren standen optimistische, zuweilen fast 
euphorische Einschätzungen. 2 Das Internet versprach demnach: 



1 Der Begriff „Internet" umfasst nicht nur Verknüpfungen im Rahmen des „World Wide Web" 
(WWW), sondern zahlreiche andere Dienste (wie E-Mail, Mailinglisten, Chats, Newsgroups etc.); 
„Internet" bezeichnet eher die Infrastruktur der Vernetzung, während der Begriff des „World Wide 
Web" auf die abrufbaren elektronischen Dokumente verweist (s. Pscheida 2010: 9, Fn. 1). In der 
Folge werden beide Begriffe aus pragmatischen Gründen dennoch weitgehend synonym verwendet; 
wenn es um die Präsentation historischer Quellen geht, ist i.d.R. das WWW gemeint. - Stand für die 
in den Fußnoten genannten Internetadressen ist jeweils Juli 2011. Die zitierten Webadressen können 
wegen des Zeilenumbruchs zusätzliche Trennstriche enthalten. 

2 Zur Diskussion um das Verhältnis von Internet, Geschichte, Geschichtswissenschaft und 
Geschichtsdidaktik vgl. — auch für die folgenden Ausführungen — Alavi 2010; Burckhardt; Hohls; 
Prinz 2007; Burckhardt; Hohls; Ziegeldorf 2005; Cornelißen 2008; Danker; Schwabe 2008a; Epple; 
Haber 2005; Haber; Koller; Ritter 2002; Hödel 2007; Jenks; Marra 2001; Kröll 2010; Kümper 2010; 
Schmale 2010; Schmale et al. 2007; Schürer 1999; Schwabe 2010; Spahn 2009; zu Internet, 
Erinnerungs- und Geschichtskultur Assmann 2004: 55ff.; Assmann 2006: 243ff.; Bavendamm 2006; 
Beier 2000; Dornik 2004; Dornik 2010; Hein 2005: 184ff.; Hein 2009a; Meyer 2009a; Meyer 2009b; 
Zierold 2006: 166ff. Die Literatur über Chancen, Grenzen und Gebrauchsweisen des Internet ist 
kaum noch überschaubar und muss hier nicht ausführlicher benannt werden. Zur 
mediengeschichtlichen Einführung vgl. Bosch 2011: 227f£; Haber 2009; Hörisch 2004: 386ff.; 
Pscheida 2010: 11 ff, 65ff, 245ff. 



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Thomas Roth 



— erweiterte Möglichkeiten wissenschaftlichen Austausches durch die Verkürzung 
der Kommunikationswege, die Beschleunigung der Interaktion und neue Formen 
wissenschaftlicher Publikation und Edition; 

— bessere Forschungsbedingungen durch die Digitalisierung analoger Informations- 
träger und den Wegfall von institutionellen oder räumlichen Barrieren beim 
Zugriff auf Bibliotheken und Archive; 

— erweiterte Möglichkeiten historischen Erzählens durch Hypertext und Multi- 
media, die (nichtlineare) Verknüpfung von Texten und Kombination mit Audio-, 
Video- und Fotosequenzen; 

— Impulse für die Geschichtsvermittlung und das gesellschaftliche Geschichts- 
bewusstsein durch die bessere „Anbindung" breiter Bevölkerungskreise an histo- 
rische Ausstellungen, ihre Einbindung in geschichtspolitische Debatten und Betei- 
ligung an öffentlichen Erinnerungsprozessen; 

— neue Möglichkeiten historischen Lehrens und Lernens durch Informations- 
zuwächse und Interaktivität, eine verbesserte Kommunikation zwischen Lehrer 
und Lerner, die Auflösung streng hierarchischer Unterrichtssituationen und ziel- 
gruppenangepasste Umgebungen für individuelles, selbsttätiges, forschendes 
Lernen. 

Wie bei allen medientechnologischen Umbrüchen (vgl. Bosch 2011; Hörisch 
2004; Vowinckel 2010) hat sich auch in Bezug auf das Internet mittlerweile eine 
realistischere Einschätzung durchgesetzt. Die Geschichtswissenschaft sieht - 
ähnlich wie die Fremdsprachendidaktik 3 - die allgemeinen Potenziale der neuen 
Technologie, betrachtet aber auch die mit ihr verbundenen Probleme und beachtet 
nun stärker die konkrete institutionelle und individuelle Nutzung des „Netzes". 
Dabei zeigt sich auch, dass die erweiterten technischen Möglichkeiten zu einer 
Zunahme von Daten und Veröffentlichungen, „Information overload" und Orien- 
tierungsschwierigkeiten führen. Das Internet mag zur einer Ausdifferenzierung, 
Pluralisierung oder gar „Demokratisierung" der Erinnerungs- und Geschichts- 
kultur(en) beitragen, 4 relativiert aber auch sinnvolle Strukturen zur Bewertung, kri- 
tischen Reflexion und Filterung historischen Wissens; die Vertrautheit zumal 
jüngerer Nutzer mit dem „Netz" und seinen Inhalten kann nicht mit Medien- 
kompetenz, geschweige denn mit historischer Methodenkompetenz gleichgesetzt 
werden. Traditionelle Vermittlungs- und Unterrichts formen sind durch E-Lear- 
ning, Weblogs und Wikis nicht entbehrlich geworden, während die Chancen, die 
das Internet für eine hypermediale, modulare und multiperspektivische Präsen- 
tation von historischen Sachverhalten bietet, oft (noch) nicht einmal genutzt 
werden. Das Internet ist also nicht die - befürchtete oder ersehnte - Maschine 



3 Vgl. die zahlreichen Publikationen, die seit Ende der 1990er Jahre zur Bedeutung der „neuen" oder 
„digitalen Medien" im Fremdsprachenunterricht entstanden sind; die Diskussionen resümierend: 
Bausch; Christ; Krumm 4 2003 : 269ff., 426ff., 430f£; Krumm et al. 2010: etwa 1199f£, 1227ff. sowie 
Huneke; Steinig 5 2010: 21 Off. 

4 So die gängigen begrifflichen Formeln in der Literatur, vgl. Anm. 2. 



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Historische Quellen im Internet 



17 



einer neuen Geschichtswissenschaft, -didaktik oder Geschichtskultur, 5 sondern 
Arbeitsmittel, Präsentationsplattform und Kommunikationsraum mit sehr unter- 
schiedlichen Optionen, „Gebrauchsweisen" (Dörte Hein) und Akteuren. Das wird 
sich auch beim Blick auf historische Quellen und Materialien im Internet zeigen. 



2 Historische Quellen, Digitalisierung und Internet 

Seit Ende der 1990er Jahre sind zahlreiche Initiativen zur Digitalisierung von 
historischen Quellen entstanden, die nicht notwendigerweise, aber in der Regel mit 
dem Internet verbunden sind (vgl. Burckhardt; Hohls; Prinz 2007: Bd.l, 69ff, 
206ff., 466ff; Czmiel et al. 2005; Haber 2009: 141 ff, 164ff; Hering 2006; Jahrbuch 
2007; Kruse 2008: 29ff, 43ff; Maier 2007; Sahle 2001). Zu Beginn stand die Digi- 
talisierung von historischen Findmitteln und Bestandskatalogen im Mittelpunkt. 
Der weltweite Zugriff auf die Verzeichnisse von Bibliotheken und Archiven, heute 
eine Selbstverständlichkeit, absorbierte beachtliche finanzielle und personelle Res- 
sourcen, so dass die Digitalisierung der Quellen selbst oft erst in einem zweiten 
Schritt möglich war. Dabei ging es einmal darum, bisher oft entlegene Dokumente 
der wissenschaftlichen „Community" zugänglich machen und Quellen für com- 
putergestützte Analyse verfahren aufzubereiten, zum anderen um Erhalt und 
Datensicherung bei sensiblen Beständen oder die Präsentation von herausragen- 
dem Kulturgut. Antriebskräfte für die vermehrte Einbindung von historischen 
Quellen ins Internet waren allerdings nicht nur Ambitionen von Wissenschaft und 
Archiven, sondern auch die Bedürfnisse einer Öffentlichkeit, die sich intensiv mit 
geschichtlichen Ereignissen und Verantwortlichkeiten beschäftigt, in der 
historische Befunde und Deutungskonflikte eng mit kultureller Sinnstiftung und 
politischen Debatten verbunden sind und „die Geschichte" mittlerweile ein eta- 
bliertes Unterhaltungsmittel ist. 6 

Ein großer Teil der heute im Internet zu findenden Quellen zur deutschen 
Geschichte wurde von großen staatlichen Archiven und Bibliotheken zugänglich 
gemacht, die — oft gefördert von Ministerien und Einrichtungen wie der Deut- 
schen Forschungsgemeinschaft - zunächst kostbare mittelalterliche und frühneu- 
zeitliche Urkunden, wichtige kirchen-, politik- und rechtsgeschichtliche Doku- 
mente, Gelehrtennachlässe, schwer erreichbare Drucke des 15.-18. Jahrhunderts 



5 Jüngere Untersuchungen zum World Wide Web betonen, dass sich im „virtuellen Raum" keine 
eigenständige „Erinnerungskultur" entwickle, sondern Online -Angebote andere „Erinnerungs- 
medien" und -angebote ergänzten und spiegelten (vgl. Hein 2009a; Hein 2009b: 164ff.; Meyer 2009b 
sowie Dornik 2004). 

6 Vgl. hierzu einführend Barricelli; Hornig 2008; Bosch 2007; Bosch; Goschler 2009; Hardtwig; Schug 
2009; Körte; Paletschek 2009; Paul 2010; Schwarz 2010; zur Geschichte historischer Debatten und 
Auseinandersetzungen in Deutschland nach 1945 einführend Große Kracht 2005; Sabrow; Jessen; 
Große Kracht 2003; Wolfrum 1999; Wolfrum 2001: 56ff. 



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18 



Thomas Roth 



oder frühes wissenschaftliches Schrifttum erschlossen 7 haben. Parallel dazu sind 
geschichtswissenschaftliche Internet-Portale und -Journale entstanden, in denen 
gelegentlich historische Dokumente präsentiert, quellenkritisch eingeordnet sowie 
geschichtlich kontextualisiert und diskutiert werden. 8 Das Angebot weitet sich 
dabei Schritt für Schritt: So werden inzwischen verstärkt Quellen der neueren und 
neuesten Zeit im WWW publiziert. Und aufgrund der inhaltlichen und 
methodischen Öffnung der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten 
findet ein breites Spektrum von Quellen Berücksichtigung, vom „gesellschaftlichen 
Alltag" bis zur „hohen Politik". 

Wichtiger Motor für die Publikation von Quellen im Netz sind auch andere 
Akteure der weit ausdifferenzierten deutschen Geschichtslandschaft. Zahlreiche 
Gedenkstätten, Museen, Dokumentationsstellen und historische Initiativen suchen 
die „virtuelle Öffentlichkeit" und verwenden Quellen für die institutionelle 
Selbstdarstellung, die Werbung und Bindung von Besuchern oder eine vertiefende 
zielgruppenorientierte pädagogische Arbeit. 9 Auch Stiftungen und Einrichtungen 
historisch-politischer Bildungsarbeit nutzen das World Wide Web verstärkt, um 
historische Themen mit „authentischem" Material nahe zu bringen. Der Födera- 
lismus führt dabei zu einer Vervielfältigung der Angebote — zumal durch landes- 
und regionalgeschichtliche Plattformen, die in vielen (Bundes-)Ländern entstanden 
sind (vgl. Rettinger; Schrade 2006; Schlögl 2006; Weidner 2010). Historische 
Websites, die Überblicksdarstellungen, Einführungstexte und Basisinformationen 
mit exemplarischen Quellen verknüpfen, sind jedoch nicht nur auf „Land und 
Leute" bezogen, sondern auch auf bestimmte Ereignisse und Erinnerungsorte. Die 
in der Wissenschaft zum Teil beklagte Fixierung der Öffentlichkeit auf Jahrestage 
und Jubiläen und die zunehmende „Eventisierung" von Geschichte (Handro 2009: 



7 In der Regel handelt es sich um Digitalisate (also digitale „Faksimiles"), mitunter um Trans- 
kriptionen, z.T. um wissenschaftlich kommentierte Editionen. Vgl. die weiterführenden Hinweise, 
Erläuterungen und Links unter http://www.historicum.net/recherche/digitalisierte-quellen/textres- 
sourcen; http://www.clio-online.de/ site/lang de/95/ default.aspx; http:/ / www.ub.uni-heidelberg.de/he- 
lios/digi/digiallg.html; http://old.hki.uni-koeln.de/retrodig/ (Ubersicht über Retrodigitalisierungs- 
Projekte mit Unterstützung der DFG); http:/ /gdz. sub.uni-goettingen.de/ (Göttinger Digitalisierungs- 
zentrum); http://www.digitale-sammlungen.de/ (Münchner Digitalisierungszentrum); http://www.- 
zvdd.de/ („Zentrales Verzeichnis Digitalisierter Drucke") sowie http://www.intelligent-informa- 
tion.de/hintergrundsinformation/digitaiisierungsprojekte-bestandsaufnahme/. 

8 Vgl. die Hinweise in Anm. 26. Zu regional- und landesgeschichtlichen Portalen vgl. Anm. 29. 

9 Dabei gibt es jedoch sehr unterschiedliche Ansätze. Während sich ein großer Teil der Einrichtungen 
zurückhaltend gegenüber ausgedehnten Web-Präsentionen gibt und das Internet eher selektiv nutzt, 
haben sich Einrichtungen wie das Deutsche Historische Museum in Berlin oder das Haus der 
Geschichte in Bonn schon frühzeitig um ihren „virtuellen" Auftritt bemüht, Sammlungsdatenbanken 
zugänglich gemacht oder Ausstellungen im Netz „archiviert". Die Beteiligung am Web 2.0 und die 
offensive Nutzung von Plattformen wie „Flickr", „Facebook" oder „YouTube" für die 
Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit - wie sie etwa vom Anne Frank Haus, Yad Vashem oder dem US 
Holocaust Memorial Museum praktiziert wird - ist noch nicht allgemein üblich. Vgl. die Beiträge der 
im April 2011 durchgeführten Tagung „Digital Memory on the Net" unter http://www.bpb.de/ver- 
anstaltungen/EB66Ql. 



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Historische Quellen im Internet 



19 



79ff.) hat zuletzt mehrere Projekte begünstigt, in denen Symbolorte und Wende- 
punkte deutscher Geschichte multimedial präsentiert werden. 10 

Daneben versuchen auch private Unternehmen, den Bedarf an historischer 
Rückschau und Selbstvergewisserung, Appeal und Aura historischer Quellen zu 
nutzen. Die notorischen Digitalisierungsprojekte von Google 11 haben nicht nur 
wichtige Buchbestände und Kunstobjekte 12 „übers Netz" zugänglich gemacht, 
sondern den Druck auf öffentliche Einrichtungen erhöht. Projekte wie die „Deut- 
sche Digitale Bibliothek" oder die digitale Bibliothek „Europeana" 13 sind demnach 
auch als Gegenentwurf zum „Google Books Library Project" zu verstehen — als 
Versuch, der vermeintlich drohenden „Amerikanisierung" des digitalen Gedächt- 
nisses zu begegnen, 14 kommerzielle Interessen zu begrenzen und dem europä- 
ischen Kulturgut eine eigene Plattform zu verschaffen (vgl. Euler 2011: 345ff.). 15 
Google ist jedoch nicht der einzige privatwirtschaftliche Akteur im „Digitali- 



10 Vgl. die Hinweise in Abschnitt 5. 

11 Seit 2004 digitalisiert Google in Kooperation mit Bibliotheken und Verlagen Buchbestände und 
macht die Digitalisate online verfügbar (derzt. unter dem Namen „Google Bücher/books.google"); 
dabei wurden neben älteren urheberrechtsfreien Büchern und „verwaisten Werken", wo 
Rechteinhaber unauffindbar oder unbekannt waren, auch Bücher erfasst, für die noch 
Urheberrechtsschutz bestand - solange die Rechteinhaber nicht widersprachen. Nach Klagen von 
Betroffenen und einem 2008 entwickelten Vergleich zwischen Google und amerikanischen Verlagen 
und Autoren, der dem Konzern eine Digitalisierung urheberrechtsgeschützter Bücher gegen 
Entschädigung und gewisse Einschränkungen erlaubte, ist die Digitalisierungspraxis seit einem 
amerikanischen Urteil vom März 201 1 zunächst in Frage gestellt. — Deutsche Buchbestände sind von 
Google bisher nur vergleichsweise zurückhaltend erfasst worden, wegen des enger gefassten 
deutschen Urheberrechts und größerer Skepsis der dortigen Bibliotheken und Verlage (vgl. Euler 
2011). 

12 Vgl. http:/ /www.googleartproject.com/. Das Projekt - laut Spiegel ein „StreetView für Museen" - 
präsentiert derzeit virtuelle Rundgänge durch siebzehn weltbekannte Museen (darunter das Museum 
of Modern Art, die Eremitage, die Reina Sofia oder die Alte Nationalgalerie in Berlin) und jeweils 
hochauflösende Scans von einzelnen Werken der Malerei. 

13 Vgl. http://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/ und http://www.europeana.eu/portal/. Die 
2009 initiierte Deutsche Digitale Bibliothek und die 2007 ins Leben gerufene Europeana sind als 
Portale mit umfangreichen Suchfunktionen konzipiert, über die man Zugriff auf die Daten und 
digitalisierten Bestände der beteiligten Bibliotheken und Archive bekommt. Die DDB, die noch in 
der Konzeptionsphase ist, wird vor allem von großen staatlichen Archiven, Bibliotheken und 
Wissenschaftsinstituten getragen; an der Europeana oder Europäischen Digitalen Bibliothek wirken 
derzeit Einrichtungen aus 30 Ländern (vor allem Frankreichs, Spaniens, Italiens, Griechenlands, 
Deutschlands, Österreichs und des Beneluxraums) mit. Sowohl DDB als auch Europeana wollen 
nicht nur Bücher und Druckwerke in den Mittelpunkt stellen, sondern Fotosammlungen, Filme und 
Abbildungen von Objekten erfassen. 

14 Befürchtet wird zum einen, dass die von Google betriebene Digitalisierung schwerpunktmäßig 
amerikanisches Kulturgut erfasst, zum anderen, dass die digitalisierten europäischen Quellen aus 
rechtlichen Gründen nur amerikanischen Nutzern zugänglich sein könnten. 

15 Bisher bleibt die Europeana jedoch deutlich hinter Google zurück. Aus urheberrechtlichen 
Gründen, aber auch wegen des geringeren finanziellen Einsatzes der öffentlichen Hand und 
institutioneller Blockaden verfügt die Europeana bisher über deutlich weniger Digitalisate als die 
Google-Datenbank. Deutsche Quellen sind bislang vergleichsweise spärlich vertreten. Vgl. die 
Angaben unter http://www,spiegel.de/netzwelt/web/0,l 51 8,591 570,00.html; http://www.welt.de/- 
kultur/article5004877/Literatur-kann-man-gut-ohne-Google-digitalisieren.html und http:/ /www.- 
spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/0,1518,753229,00.html. 



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20 



Thomas Roth 



sierungsgeschäft". Auch andere Anbieter engagieren sich auf dem Markt für 
historische Stoffe und Dienstleistungen, wie vor allem der Spiegel-Konzern 16 oder 
der Zenodot- Verlag mit seiner Volltextbibliothek „zeno.org". 17 

Schließlich sind Initiativen der Nutzer selbst zu nennen. So kursieren vielfach 
Quellentexte, gescannte Fotografien oder Filmausschnitte — teilweise unter Miss- 
achtung von Urheber- oder Archivrechten - in den verstreuten Foren zu histo- 
rischen Themen oder Portalen wie „Flickr" oder „YouTube". Es gibt aber auch 
Bemühungen um eine koordiniertere Zusammenstellung historischer Quellen, in 
erster Linie natürlich bei dem 2001 gegründeten deutschen „Wikipedia" — wo man 
den Status des „Amateurhaften" zunehmend abzustreifen versucht, 18 mit dem 
„Schwesterprojekt" (Cyron 2009: 262) „Wikisource" seit 2005 eine Sammlung 
rechts-, politik- und kulturgeschichtlicher Quellen entwickelt und dabei mittler- 
weile auf professionelle Unterstützer wie das Bildarchiv des Bundesarchivs und die 
Deutsche Fotothek zurückgreifen kann (Beine 2009; Sahle 2009). 19 

Das Internet etabliert sich so immer mehr als wichtiges „Gedächtnismedium" 
(Assmann 2006: 243), als Struktur, die historische Quellen direkt zugänglich macht. 
Dennoch gibt es auch gegenläufige Tendenzen. Kommerzielle Interessen, aber 
auch berechtigte urheber-, archiv- und datenschutzrechtliche Vorbehalte (vgl. 
Burckhardt; Hohls; Ziegeldorf 2005: 49ff.; Euler 2011) stehen vor allem bei 



16 Der Spiegel-Verlag stellt nicht nur die früheren Ausgaben des Nachrichtenmagazins online zur 
Verfügung, sondern betreibt das quellenorientierte Geschichtsportal „einestages" und ist führender 
Akteur auf dem Markt für Geschichtsdokumentationen und „Histotainment" (Spiegel TV). Auch das 
ursprünglich eigenständige Projekt „Gutenberg-De", das sich die Webpräsentation urheberechtsfreier 
(literarischer) Texte vorgenommen hatte, ist mittlerweile vom Spiegel- Verlag aufgegriffen und an 
Spiegel Online angedockt worden; vgl. http://gutenberg.spiegel.de/. Andere Medienunternehmen 
wie der ZEIT-Verlag oder Gruner + Jahr agieren ebenfalls auf dem Markt für historische Inhalte und 
halten Online-Angebote mit redaktionellen Inhalten, die auch vereinzelt Quellen vorstellen. Vgl. etwa 
http:/ /www.zeit.de/wissen/geschichte/index oder http:/ / www.geo.de/GEO/heftreihen/geo_epo- 
che/ magazinuebersicht.html. 

17 Vgl. http:/ / www.zeno.org/. 

18 Das zeigt sich u.a. daran, dass sich Wikipedia um Redaktionen für bestimmte Themenbereiche 
bemüht, Qualitätssiegel für fundierte Artikel vergibt, die Veränderbarkeit ausgereifter Beiträge 
einschränkt, Zugriffsrechte abstuft, Propagandaattacken und „Edit wars" zu unterbinden versucht. 
Auf der anderen Seite versuchen Einrichtungen politisch-historischer Bildungsarbeit zunehmend auf 
die Wikipedia-Artikel Einfluss zu nehmen; so möchte etwa ein Projekt der Friedrich-Ebert-Stiftung 
die Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung auf den „richtigen" Stand bringen (vgl. 
http://www.fes.de/hfz/forschung/inhalt/projekte.htm#projekt_woyke). Zur Kritik der „Professio- 
nalisierungsbestrebungen" bei Wikipedia vgl. Cyron 2009; Lorenz 2009a: 296ff., 305f. bzw. Lorenz 
2009b; Meyer 2009a: 279f.; Pscheida 2010: 331 ff. 

19 Vgl. http:/ /de.wikisource.org. Veröffentlicht werden Quellen, die urheberrechtsfrei sind oder unter 
einer freien Lizenz stehen. Das Bundesarchiv hat 2008 ca. 100.000 Fotos aus seinen Beständen für 
die Nutzung über Wikisource freigegeben, so lange Archiv und Urheber genannt und die Dateien nur 
zu gleichen Bedingungen weitergegeben werden (Creative-Commons-Lizenz BY-SA). Seit 2009 gibt 
es eine Zusammenarbeit mit der Deutschen Fotothek der Sächsischen Landesbibliothek — Staats- und 
Universitätsbibliothek Dresden, die Wikisource zunächst 250.000 Bilder zur Verfügung stellen will. 



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Historische Quellen im Internet 



21 



zeithistorischen und massenmedialen Quellen einem schnellen Zugriff entgegen. 20 
Oft benutzen Museen und Gedenkstätten Quellen, zumal Bilder, nur als „Teaser" 
oder Orientierungspunkte, da das Internet Interesse wecken, aber nicht den Aus- 
stellungsbesuch ersetzen und bei sensiblen historischen Themen eine visuelle 
„Reizüberflutung" vermieden werden soll (vgl. Hein 2009a: 159ff, 212ff., 254, 257; 
Hein 2009b: 161 ff.) . Abgesehen von grundsätzlicheren Einwänden gegen die Digi- 
talisierung verfügen viele Archive, Forschungseinrichtungen und Museen nicht 
über die personellen, finanziellen und technischen Möglichkeiten für eine rasche 
und systematische Onlinestellung ihrer Bestände. So werden historische Quellen 
meist nur exemplarisch und projektorientiert zugänglich gemacht. Dies gilt noch 
mehr für die Privatinitiativen von Internetnutzern, deren Quellenerschließung oft 
punktuell, impressionistisch und persönlich motiviert ist. Das Internet ist also kein 
eigenständiges, umfassendes Archiv, sondern eine selektive „Benutzeroberfläche" 
für die historische Überlieferung. 



3 Quellensuche 

Macht man sich im Internet nun auf die Suche nach historischen Quellen zur 
deutschen Geschichte 21 oder brauchbaren Materialien für eine moderne, historisch 
fundierte Landeskunde 22 , so wird man mit der üblichen Suche per Google (Yahoo 
u.a.) schon recht weit kommen. 23 Wer dort einschlägige Begriffe wie „Ermächti- 



2,1 So sind viele digitalisierte Quellen, die urheberrechtlichen Beschränkungen unterliegen oder 
kommerziell vermarktet werden (v.a. Fotos und Filme), nur nach Registrierung und gegen Entgelt 
recherchier- und nutzbar (also Teil des „Hidden Web/Invisible Web"). 

21 Im Folgenden kann die „Quellenlage" im World Wide Web nur oberflächlich und ausschnitthaft 
dargestellt werden. Genauere Ausführungen zu Struktur, Aufmachung, inhaltlicher Qualität und 
didaktischer Brauchbarkeit der genannten Websites müssen aus Platzgründen entfallen. Hier können 
nicht nur kommentierte Linklisten weiterhelfen, sondern vor allem die Web-Rezensionen und 
Intemettipps, die im Portal H-Soz-u-Kult sowie seit der Jahrtausendwende regelmäßig in den 
Zeitschriften „Geschichte in Wissenschaft und Unterricht", „Geschichte Lernen" und „Praxis 
Geschichte" erscheinen, vgl. http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/type=rezwww und 
http:/ / www.praxisgeschichte.de/ unterricht/index_links.php. 

22 „Modern" zielt hier auf den Ansatz einer neueren, nicht nur Fakten vermittelnden, sondern 
kulturwissenschaftlich grundierten, handlungsorientierten, kommunikativen und interkulturell 
ausgerichteten Landeskunde (vgl. die verschiedenen Beiträge in Krumm et al. 2010: 1378-1511 bzw. 
die Artikel von Lüsebrink, Leupold und Krumm in Bausch; Christ; Krumm 4 2003: 60ff., 127ff., 138ff. 
sowie Huneke; Steinig 5 2010: 84ff.; Storch 2001: 285ff.). „Modern" soll hier aber auch zeitlich 
verstanden werden: Wenn Landeskunde - wie die kanonische Formulierung der ABCD-Thesen lautet 
— „in hohem Maße [...] Geschichte im Gegenwärtigen" ist, so können sicher auch historische Themen 
wie die Reformation und das Zeitalter der Glaubenskriege oder Absolutismus und Aufklärung 
landeskundlich von Interesse sein, im Hinblick auf die historischen Grundlagen der Gegenwart 
kommt jedoch schwerpunktmäßig die Geschichte des 19-21. Jahrhunderts in Betracht. 

23 Einführende Hinweise für das historische Arbeiten mit Hilfe des Internet oder des World Wide 
Web bieten z.B. Eder et al. 2006; Gasteiner; Haber 2010; Grosch 2002; Jenks; Marra 2001; die Suche 
nach historischen Quellen steht dabei jedoch nicht (immer) im Mittelpunkt. Grundlegend zu 
medienadäquaten Recherchestrategien auch Haber 2009: 66ff., 162ff. 



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22 



Thomas Roth 



gungsgesetz", „Thesenanschlag", „Faust", „Kommunistisches Manifest" oder 
„Novemberrevolution" eingibt, erhält nicht nur Seiten mit einführenden Infor- 
mationen, sondern auch direkt Zugriff auf zentrale Dokumente und Bildquellen. 
Das hat vor allem mit der unaufhaltsamen Ausweitung des „Wikipedia-Uni- 
versums" (Pscheida 2010) und den Suchalgorithmen von Google u.a. zu tun. 24 Ein 
Grund hierfür ist aber auch, dass öffentliche Bildungseinrichtungen Strategien 
entwickeln, um dafür zu sorgen, dass ihre Seiten unter den ersten Fundstellen sind 
und nicht in einer Treffermenge von 368.000 untergehen - und dabei zum Teil 
sogar die Zusammenarbeit mit Suchmaschinenbetreibern suchen. 25 Dennoch ist 
„googeln" nicht alles. Abgesehen davon, dass man die Trefferlisten der Such- 
maschinen kritisch reflektieren sollte (vgl. auch grundlegend Haber 2005: 86f), 
können deren Ergebnisse bei komplexeren Themen immer noch intransparent und 
unübersichtlich sein. Je weiter man sich von den großen historischen Ereignissen 
und ikonischen Figuren der Geschichte entfernt, sach-, begriffsbezogen oder 
zeitübergreifend sucht, desto eher muss man auch andere Wege ausprobieren. 

Da übergreifende Quellenportale wie Wikisource oder Europeana derzeit noch 
über ein recht lückenhaftes Angebot verfügen, bietet sich an, auch auf Empfeh- 
lungen und Linklisten von Fachportalen zurückzugreifen. Zunächst zu nennen 
sind hier die aus wissenschaftlicher Sicht zentralen Plattformen „Clio online", 
„historicum.net" oder „Zeitgeschichte-online" 26 , aber auch geschichtsdidaktische 
Angebote wie auf „Lehrer-Online" 27 Sie erschließen die Weiten des World Wide 



24 Vgl. zur Bedeutung der Suchmaschinen Meyer 2009c: 180ff.; grundlegend Lehmann; Schetsche 
2005; Machill; Beiler 2007; Wiedmaier 2007. Kritik findet immer wieder, dass die Suchalgorithmen 
der Anbieter nicht offen liegen, das Ranking nicht transparent ist und die Trefferlisten von 
inhaltlichen Vorentscheidungen und kommerziellen Interessen geprägt sind. Zur Bevorzugung 
Wikipedias durch Google vgl. Lorenz 2009b: 21 7f. 

25 Vgl. Meyer 2009a: 277 sowie die Beiträge der Tagung „Digital Memory on the Net" von 2011; 
http:/ / www.bpb.de/ veranstaltungen/EB66Q 1 . 

26 Bei Clio online findet man unter dem Menüpunkt „Web-Verzeichnis" (http:/ / www.clio-online.de- 

/site/lang de/40208087/default.aspx) zahlreiche Unterverzeichnisse mit Hinweisen auf WWW- 

Ressourcen, für die Quellensuche besonders hilfreich: „Materialien", „Multimedia" und „Quellen". 
„historicum.net" (http://www.historicum.net/home/) bietet Themen- und Ländermodule, die 
jeweils in einem Unterpunkt wichtige Quellen vorstellen und dabei ausgewählte Links bieten; 
erwähnenswert auch der Bereich „Lehren & Lernen" (http://www.historicum.net/lehren-lernen/), 
der einführende Hinweise zum Thema Geschichte und Internet gibt, sowie das zu historicum.net 
gehörende E-Journal Zeitenblicke (http://www.zeitenblicke.de/). — „Zeitgeschichte-online" (ZOL) 
bietet neben Aufsätzen, Vortragsvideos, Ausstellungsrezensionen oder Filmbesprechungen 
umfassendere Themenmodule mit Hinweisen auf Online-Ressourcen und ein Verzeichnis zu „Texte 
& Quellen", das kommentierte Links zur Verfügung stellt (vgl. http://www.zeitgeschichte- 
online.de/go/rainbow/95/de/DesktopDefault.aspx) — allerdings weitgehend übereinstimmend mit 
Clio online, dem ZOL zugeordnet ist. Unter Zeitgeschichte-online wird auch auf die Fachzeitschrift 
„Zeithistorische Forschungen" verlinkt (vgl. http://www.zeithistorische-forschungen.de/- 
site/40208106/default.aspx), deren Themenhefte regelmäßig interessante Beiträge zu wichtigen 
Quellen und Quelleneditionen liefern. — Wichtige Informationsangebote (im Aufbau) sind auch 
http://www.ieg-ego.eu/ (European History Online) und http://docupedia.de/zg/Hauptseite (Docu- 
pedia-Zeitgeschichte). 

27 Vgl. bei Lehrer-Online insbesondere das Verzeichnis „Unterricht", das für den Bereich Geschichte 
hilfreiche Unterrichtseinheiten und Fachmedien vorstellt, Didaktisierungsmöglichkeiten thematisiert 



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Historische Quellen im Internet 



23 



Web thematisch, verweisen auf wichtige WWW-Quellen und multimediale An- 
gebote, ermöglichen mit Hilfe eigener Suchfunktionen eine beschleunigte 
Annäherung an Inhalte wie Materialien und liefern teilweise hilfreiche redaktionelle 
Einschätzungen. Portale wie „Virtual Library Museen", das „Online Gedenk- 
stättenforum" oder das „BAM-Portal" bieten Informationen und Linklisten für 
den Rechercheeinstieg und die weitere Erkundung der Museums- und 
Gedenkstättenlandschaft; zum Teil ermöglichen sie auch einen direkten Zugriff auf 
digitalisiertes Sammlungsgut und themenbezogene Internetpräsentationen. 28 
Wichtige Ansatzpunkte für die Recherche sind auch die Einrichtungen politisch- 
historischer Bildung. Sie sind in jüngster Zeit zu wichtigen Akteuren „digitaler 
Geschichtsvermittlung" geworden und bieten zum Teil zeitlich und thematisch 
breit angelegte Internetdossiers mit Fachartikeln, Glossar, Literaturschau, 
illustrierenden Quellen oder weiterführenden Links. 29 



und kommentierte Linksammlungen zu historischen Quellen und anderen Materialien bietet. 
Brauchbar auch http://www.geschichte -lernen. de/go/Hilfreiche+Links (thematisch geordnete, 
kommentierte Links). Das Portal „Lernen aus der Geschichte" bündelt Materialien und Ressourcen 
zum Thema NS-Geschichte und gibt dabei zahlreiche Hinweise auf andere Internetpräsentationen 
und WWW-Quellen; im Verzeichnis „Lernen & Lehren" finden sich thematische Dossiers, die jeweils 
auch externe Links kommentieren und einbinden, vgl. http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen- 
und-Lehren. 

28 Vgl. http://www.historisches-centrum.de/index. php?id=272 (Virtual Library Museen, allerdings 
veraltet); http://www.gedenkstaettenforum.de/ (bietet auch Links zu einzelnen Projekten oder 
privaten Initiativen); http://www.bam-portal.de/ (Portal für Bibliotheken, Archive, Museen, 
ermöglicht objektorientierte Suche). Hilfreich auch http://www.dhm.de/links.html (Linkadressen 
von Museumsverbänden und -portalen); http://www.museumsbund.de/de/links/national/ bzw. 
http:/ /www.museumsbund.de/ fileadmin/ geschaefts/dokumente/Wir_Mitgliedschaft/Museums- 

verzeichnis_2009.pdf; http:/ /www.clio-online.de/site/lang de/54/Default.aspx (Museenübersicht 

bei Clio online); http://www.gedenkstaetten-uebersicht.de/WebObjects/ITF.woa/wa/europa (mit 
länderbezogenem Zugriff); http://www.ns-gedenkstaetten.de/ (Portal der NRW-Gedenkstätten mit 
Einstieg zu Gedenkstätten anderer Bundesländer). 

29 Hinter der Bundeszentrale für politische Bildung (http://www.bpb.de/), die auf diesem Gebiet 
eine besonders extensive Tätigkeit entfaltet (historische Dossiers mit ergänzenden Quellen und 
Verweisen auf WWW-Ressourcen finden sich im Verzeichnis „Themen \ Geschichte", allgemeine 
Linktipps im Verzeichnis „Wissen"), stehen die Landeszentralen etwas zurück; sie konzentrieren sich 
stärker auf Projektförderung, Schriftenvertrieb und Veranstaltungsmanagement und haben meist 
reduzierte Internetangebote. Vgl. jedoch http://www.geschichte.nrw.de/; http://www.lpb- 
bw.de/geschichtsdossiers.html; http://www.infoseiten.slpb.de/ sowie das gemeinsame Portal von 
Bundes- und Landeszentralen http://www.politische-bildung.de/. - Ausführliche Internet- 
präsentationen zur deutschen Geschichte bieten die landesgeschichtlichen Portale, die von 
Bibliotheken, Landschaftsverbänden, landesgeschichdichen Ämtern oder Instituten getragen werden. 
Quellen werden hier einmal illustrativ in Artikel eingebunden, zum anderen aber auch in gesonderten 
Modulen vorgestellt und erläutert. Vgl. etwa http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/; 
http://lagis.online.uni-marburg.de/de/ (Hessen); http:/ / www.lwl.org/westfaelische-geschichte/- 
portal/Internet/haupt.php?urlNeu= und http:/ / www.lwl.org/LWL/Kultur/ Aufbruch/ start_- 
html/seite2/start2_html; http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Seiten/home.aspx (im Aufbau); 
http:/ / www.vimu.info/ general_01 .jsp (Schleswig-Holstein); http:/ / www.landesarchiv-bw.de/ - 
web/50999 (Baden-Württemberg, in der Konzeptionsphase); http://www.sachsendigital.de/; 
http://www.ooegeschichte.at/Wir-Oberoesterreicher.l294.0.html sowie als Überblick Rettinger; 
Schrade 2006; Schlögl 2006; Weidner 2010. 



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24 



Thomas Roth 



Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein wichtiger Lieferant für histo- 
rische Materialien und Informationen. Mit dem Boom des Geschichtsfernsehens 
und der Profilierung eines bildungsorientierten Kulturradios sind in den letzten 
zehn Jahren etliche sendebegleitende Internetangebote entstanden, die weiter- 
führende Informationen zur Verfügung stellen und sich vereinzelt sogar zu virtu- 
ellen Ausstellungen entwickelt haben. 30 

Die Archive und Bibliotheken als eigentliche „Hüter der Überlieferung" und 
Lieferanten der Quellen treten demgegenüber etwas zurück. Sie tragen das größte 
Gewicht bei der Erschließung und Digitalisierung, setzten aber mit Blick auf die 
Sicherung von Kulturgut und die akademische Forschung zunächst andere Schwer- 
punkte als die Hauptakteure historisch-politischer Bildungs arbeit und populärer 
Geschichtsvermittlung. Ihr Augenmerk galt weniger der Präsentation von 
Schlüsseldokumenten und bildhaften, „sprechenden" Quellen als vielmehr der 
Aufbereitung größerer Quellenkorpora, die ideen-, kultur- und wissenschafts- 
geschichtlich von Interesse, hinsichtlich Inhalt, sprachlicher Komplexität, Struktur 
und Anschaulichkeit allerdings nicht für die didaktische Arbeit (geschweige denn 
den Fremdsprachenunterricht) geeignet sind. 

Allerdings gibt es inzwischen auch bei den Archiven eine verstärkte Wendung 
zum Publikum (vgl. Jakobi 2000; Kruse 2008: 30f., 44f.; Lersch; Müller 2010; 
Schmitt 2010; Storm 2010), einmal mit Archivportalen, die über Leistungen und 
Bestände der überregionalen, regionalen und lokalen „Gedächtnisorte" infor- 
mieren, 31 zum zweiten mit archivpädagogischen Modulen, die Dossiers für die 
Bildungsarbeit, Studium und Schule bereitstellen. 32 



30 Die Zahl der hierbei entstandenen, oft qualitativ guten, zumal für die Bildungsarbeit geeigneten 
Angebote war groß, ist nach dem 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag (vgl. Anm. 68) aber stark 
zurückgegangen. Wichtige historische Internetausstellungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 
gibt es derzeit (Juli 2011) beispielsweise noch zur preußischen Geschichte (http:/ /www. preussen- 
chronik.de/), zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen (http://www.deutsche-und- 
polen.de/) oder zur Geschichte des Auschwitz-Prozesses (http://www.hr-online.de/website/static/- 
spezial/auschwitzprozess/index.html). Besonders breit gefächert sind die Serviceangebote zur 
Geschichte der DDR und der deutschen Wiedervereinigung (vgl. Anm. 99). 

31 Ein bundesweites Archivportal gibt es noch nicht, jedoch haben fast alle deutschen Länder 
entsprechende Angebote eingerichtet; als Beispiel http://www.archive.nrw.de/; Ubersicht unter 
http:/ / www.archivschule.de/ Service/ archive-im-internet/archive-in-deutschland/ archivportale/ - 
regionale-archivportale-im-internet.html. 

32 Vgl. die Angebote unter http://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumen- 
te/index.html.de; http://www.digam.net/ (Digitales Archiv Marburg); http://www.digada.de/ 
(Digitales Archiv Hessen-Darmstadt). Mittlerweile haben die meisten Archive pädagogische 
Angebote (vgl. http://www.archivpaedagogen.de/), während umfangreichere Online-Module noch 
die Ausnahme darstellen. 



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Historische Quellen im Internet 



25 



4 Quellensorten und -gruppen 

Versucht man aufgrund eines ersten Überblicks die „Quellenlage im Internet" 
nach Quellensorten oder -gruppen aufzuschlüsseln, so ergibt sich folgendes Bild. 

- Wer den rechtlichen und politischen Rahmen der deutschen Geschichte er- 
arbeiten möchte, kann über rechtsgeschichtliche Websites, Auftritte von Ministe- 
rien und anderen politischen Einrichtungen sowie Bibliotheks- und Archivseiten 
neben den Verfassungen als Schlüsseltexten deutscher Staatlichkeit und „klas- 
sischer" Staatsbürgerkunde auch auf das Reichs- und Bundesgesetzblatt sowie die 
wesentlichen Gesetzbücher zurückgreifen. 33 So lässt sich die rechtliche Ent- 
wicklung des 19.-20. Jahrhunderts für den Bereich des Deutschen Reiches (aber 
ebenso für Österreich und die Schweiz 34 ) in Vielem nachzeichnen. Auch für 
einzelne Länder wie Preußen und Bayern und frühere Epochen liegen digitalisierte 
Rechtstexte vor. 35 Zugänglich sind überdies wichtige parlamentarische Quellen wie 
die Protokolle des Deutschen Reichstags von 1867-1942 und die Protokolle des 
Deutschen Bundestages; 36 für die Länderparlamente gibt es — zumeist für die 
jüngere Zeit — ebenfalls zahlreiche Digitalisate oder Transkripte. 37 Hinzu kommen 
Dokumente der Exekutive (etwa in Gestalt der Akten der Reichskanzlei in der 



33 Vgl. http://www.documentarchiv.de/ (19-21. Jahrhundert); http://www.verfassungen.de/; die 
zentralen Verfassungs- und Rechtstexte sind auch zu finden unter: http://www.dhm.de/- 
lemo/home.html; http://www.bpb.de/wissen/VGB5GU,0,0,Gesetze.html oder http://de.wiki- 
source.org/wiki/Hauptseite zu finden. Für das Reichsgesetzblatt vgl. http://alex.onb.ac.at/ge- 
setze_drab_fs.htm, für das Bundesgesetzblatt http://www.bgbl.de/index.php. — Das deutsche 
Strafgesetzbuch findet sich z.B. unter http://de.wikisource.org/wiki/Strafgesetzbuch_P/oC3%- 
BCr_das_Deutsche_Reich_(1871), die neueste Fassung unter http://www.gesetze-im-internet.de/- 
bundesrecht/stgb/gesamt.pdf, das Bürgerliche Gesetzbuch von 1896 mit seinen Änderungen unter 
http://lexetius.com/BGB/lnhalt, die jüngste Fassung unter http://www.gesetze-im-internet.de/- 
bundesrecht/bgb/ gesamt.pdf. 

34 Vgl. für Osterreich v.a. http://alex.onb.ac.at/alex.htm (Gesetzesblätter bis 1945) und 
http://www.ris.bka.gv.at/default.aspx (nach 1945); für die Schweiz http://www.amtsdruck- 
schriften.bar.admin.ch/ showHome.do (Bundesblatt, Diplomatische Dokumente, Bundesrats- 
protokolle); http://db.dodis.ch/dodis/dodis?_l=de (Diplomatische Dokumente der Schweiz); http:- 
/ /www.ssrq-sds-fds.ch/online/ (Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen). 

35 Vgl. als herausragende Beispiele die Interneteditionen zum Sachsenspiegel und zum Westfälischen 
Frieden; http://www.sachsenspiegel-online.de/cms/ und http://www.pax-westphalica.de/ipmipo/- 
index.html. Für den landeskundlichen DaF-Unterricht sind derartige Texte aber natürlich schon 
sprachlich nicht geeignet. 

36 Vgl. http://www.reichstagsprotokolle.de/index.html sowie http://dip.bundestag.de/ 
(Bundestagsprotokolle, derzeit ab 1976). — Einführende Texte zur Parlamentarismusgeschichte mit 
begleitenden Quellentexten und Bildern: http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/- 
geschichte/parlamentarismus/index.jsp. Dort werden auch Videos aus der Volkskammer der DDR 
zur Verfügung gestellt: http://www.bundestag.de/kulturundgeschichte/geschichte/parlamenta- 
rismus/10_volkskammer/ mediathek/index.jsp. 

37 Vgl. nur die Einstiegsseite http://www.parlamentsspiegel.de/ps/inhalt/links-parlamentsdokumen- 
tation.jsp; historisch weiter zurückreichend: http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/land- 
tag-digital. 



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26 



Thomas Roth 



Weimarer Republik oder der Kabinettsprotokolle der Bundesregierung 38 ) sowie 
wichtige bilaterale oder internationale Verträge. 39 

— Für eine inhaltlich und visuell verdichtete, sozial- oder kulturgeschichtliche 
Deutung deutscher Politik sind jedoch andere Quellen und Ausdrucksformen 
erforderlich: Druckschriften, Parteiprogramme, Flugblätter, Plakate, Karikaturen. 40 
Neben wenigen Quellen zu Reformation, Bauernkrieg und den konfessionellen 
Konflikten der Frühen Neuzeit 41 und digitalisierten Sammlungen zur Revolution 
von 1848/49 42 liegt vor allem für das 20. Jahrhundert wichtiges Material vor. 
Natürlich liefert das Netz keine lückenlose Dokumentation. Über verschiedene 
Plattformen — von der Friedrich-Ebert- und Konrad-Adenauer-Stiftung über das 
Deutsche Historische Museum und das Bundesarchiv bis zur Bundeszentrale für 
politische Bildung — lässt sich jedoch eine aufschlussreiche Reihe von politischen 
Parolen, Statements, Wahlplakaten und Bildpostkarten erstellen. 43 Die im Netz 



38 Vgl. http://\\nÄrw.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0000/index.html (Akten der 
Reichskanzlei) sowie http://www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0000/index.html (Kabinetts- 
protokolle, derzeit bis in die 1960er Jahre reichend) und die Darstellung von Jörg Filthaut und Uta 
Rössel in Jahrbuch 2007: 75 ff. 

39 Vgl. die Angebote der Ministerien, etwa die Darstellungen und Quellen unter http:/ /www.auswaer- 
tiges-amt.de/sid_14106E50B2410825DB57BB7FA3706C9D/DE/AAmt/PolitischesArchiv/Ein- 
blickeindasArchiv_node.html sowie http:/ /www.staatsvertraege.de/. 

40 Die im WWW zur Verfügung gestellten historischen Konversationslexika und Wörterbücher 
(Zedier, Meyer's, Brockhaus etc.) können zwar wichtige Einblicke in die Entwicklung der politischen 
Semantik bieten, eignen sich i.d.R. aber auch kaum für die Verwendung im Fremdsprachenunterricht. 
Vgl. nur http://www.retrobibliothek.de; http://www.zeno.Org/Zeno/-/Lexika oder http://www.- 
zedler-lexikon.de / . 

41 Vgl. den Überblick unter http://www.historicum.net/themen/bauernkrieg/links/; http://www.- 
historicum.net/themen/ reformation/ quellen/ ; http:/ / digbib.bibliothek.uni-augsburg.de/ dda/ flug- 
schriften_0001.html; http://www.onb.ac.at/onbarchiv/flu/l848/index.htm sowie die Portale für 
deutschsprachige Drucke des 16. und 17. Jahrhunderts, die allerdings nur zu einem kleineren Teil 
digitalisiert sind, http:/ /www.bsb-muenchen.de/1681.0.html (VD 16) und http:/ /www.vdl7.de/. 

42 Vgl. http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/1848/1848.htm; http://www.zlb.de/digitalesammlungen/- 
f4index.php?collection=2&layer=2; http://www.onb.ac.at/onbarchiv/flu/1848/index.htm und die 
ältere Internetpräsentation http://www.zlb.de/proiekte/1848/index.html. — Allein die Schrift lässt 
eine Verwendung solch älterer Flugschriften im DaF-Unterricht schwierig erscheinen. 

43 Vgl. www.dhm.de/sammlungen/plakate/bestand.html (Beispiele aus der Plakatsammlung des 
Deutschen Historischen Museums); http://www.bild.bundesarchiv.de/collections/2265753/_13115- 
98214/? (Plakatsammlung des Bundesarchivs); http://plakatarchivaustria.onb.ac.at/; http://www.- 
museum-folkwang.de/de/sammlung/deutsches-plakat-museum.html (stellt wenige „Highlights" vor); 
http:/ /www.bildpostkarten. uni-osnabrueck.de/index.php. — Interessante (wenngleich hinsichtlich der 
Abbildungsqualität nicht immer befriedigende) thematische Sammlungen finden sich beispielsweise 
unter: http:/ / digitalgallety.nypl.org/ nypldigital/ explore/ dgexplore.cfm?topic=history&co l_id=21 1 
(„World War I Photograph Albums and Postcards"); http://www.wwl-propaganda-cards.com 
(Erster Weltkrieg); http://content.lib.washington.edu/postersweb/ („War Posters Collection", Erster 
und Zweiter Weltkrieg); http://www.calvin.edu/academic/cas/gpa/ („German Propaganda 
Archive", zu NS-Regime und DDR); http://ddr-plakate.de/; http://www.dhm.de/aus- 
stellungen/kkv/ („Kunst! Kommerz! Visionen! Deutsche Plakate 1888-1933"); 
http:/ /www.dhm.de/ausstellungen/grundrechte/ („Die Grundrechte im Spiegel des Plakats 1919 bis 
1999"); http://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/00659/index.html.de 
(„Öffentlich angeschlagen — Politische Plakate"); http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/in- 
halt/downloads/weimar_plakat.htm („Politische Plakate der Weimarer Republik"); 



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Historische Quellen im Internet 



27 



greifbaren Plakatsammlungen gewähren zudem Einblick in andere Felder - etwa 
der Wirtschafts-, Konsum-, 44 Kultur- oder Mediengeschichte. 

— Auch Zeitungen und Zeitschriften sind in den letzten Jahren verstärkt 
digitalisiert oder über Transkripte im Netz zugänglich gemacht worden. Darunter 45 
finden sich satirische Blätter des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wie der Kladde- 
radatsch oder der Simplicissimus, Karl Kraus' Fackel, Ah Publikationsorgane 
sozialdemokratischer und sozialistischer Gruppierungen sowie die Exilpresse der 
NS-Zeit 47 In landeskundlicher Hinsicht noch interessanter sind die Angebote der 
bundesrepublikanischen Leitmedien „Die Zeit" 48 und „Spiegel" 49 . Beide Zeitungen 
haben seit einiger Zeit ein gut recherchierbares Webarchiv, das ohne wesentliche 
Einschränkungen benutzbar ist und bis in die 1940er Jahre zurückreicht. 50 



http://wwwl.bpb.de/methodik/31P06X,0,0,Wahlplakate_im_Spiegel_der_Zeit.html; 
http://w\v\v.hdg.de/karikatur/view/karikaturen.html („50 Jahre deutsche Frage in Karikaturen"); 
http://www.dhm.de/ausstellungen/kalter_krieg/aus.htm („Deutsch-Deutsche Feindbilder in der 
politischen Propaganda 1945 bis 1963"); http://ww.hdg.de/film/classl25_idl000564.html („50 
Jahre deutsche Geschichte in Kinoplakaten"); http://www.hdbg.de/karikatur/de/a_home/a_fr.htm 
(„Bayern & Preußen. Eine historische Beziehung in Karikaturen"); http://www.kas.de/- 
wf/de/71.5707/ (Plakat- und Filmdatenbank des Archivs für Christlich-Demokratische Politik) bzw. 
http://www.kas.de/wf/de/71.9048/ (Angebot der Konrad-Adenauer-Stiftung zur Geschichte der 
CDU); http:/ /www.fes.de/ archiv/ adsd_neu/inhalt/ Sammlung/ audiovisuell/plakatsammlung.htm 
(Plakatsammlung der Friedrich-Ebert-Stiftung). Historische Wahlergebnisse sind z.B. unter 
http:/ /www.wahlen-in-deutschland.de/ zu finden. 

44 Vgl. zur Konsum- und Produktgeschichte auch http://www2.wu-wien.ac.at/werbung/ (Reklame- 
markensammlung); http://www.bibliothek.uni-regensburg.de/mmz/hwa.htm (Historisches Werbe- 
funkarchiv mit wenigen Hörbeispielen); http://www.alltagskultur-ddr.de/pages/sam/sam.html. — 
Umfassendere Quellenpräsentationen aus dem Bereich der Wirtschaftsgeschichte liegen bisher kaum 
vor; einzelne Materialien sind jedoch unter Umständen über die Websites von Industrie-, Technik- 
und Agrarmuseen oder Unternehmensarchiven zu erhalten. 

45 Zur Digitalisierung von historischen Zeitungen durch Bibliotheken vgl. z.B. die Überblicke bei 
http:// zefys.staatsbibliothek-berlin.de/list/ ; http:/ / digipress.digitale-sammlungen.de/de/ fontSizel /- 
papers-overview/static.html; für Österreich: http://anno.onb.ac.at/. 

46 Vgl. http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/kladderadatsch.html; http://www.simplicissi- 
mus.info/ ; http:/ / corpusl.aac.ac.at/fackel/ (erfordert Registrierung) bzw. http:/ / de.wikisource.org/ - 
wiki/Die_Fackel (Auszüge); http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/ulkhd.html (Ulk — Illu- 
striertes Wochenblatt für Humor und Satire). Zu digitalisierten literarischen Zeitschriften des 18. und 
19. Jahrhunderts vgl. http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufklaerung/; eine (allerdings nicht 
vollständige) Übersicht über digitalisierte Zeitschriften unter http://de.wikisource.org/- 
wiki / Zeitschriften. 

47 Vgl. zu den verschiedenen Digitalisierungsprojekten der Friedrich-Ebert-Stiftung http://library.- 
fes.de/inhalt/digital/zeitschriften.htm (u.a. Die Arbeit, Die Naturfreunde, Die neue Zeit, Sozia- 
listische Monatshefte); http:/ /library. fes.de/inhalt/digital/pressedienst.htm (Sozialdemokratischer 
Pressedienst); für Österreich http://www.arbeiter-zeitung.at/ (erfordert Registrierung). — Digitalisate 
zur NS-Exilpresse unter http:/ / deposit.ddb.de/ online/ exil/ exil.htm. 

48 Vgl. http://www.zeit.de/archiv/index. 

49 Vgl. http://www.wissen.spiegel.de bzw. http://www.spiegel.de/spiegel/print/. 

50 Dies ist umso bemerkenswerter, als andere Zeitungsarchive lückenhaft sind, nur aktuellere Beiträge 
erfassen bzw. nur gegen Bezahlung zu nutzen sind (so auch bei der Frankfurter Rundschau, der 
Süddeutschen und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung). Derzeit in Teilen öffentlich zugänglich: 
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2()ll /index. html (Berliner Zei- 
tung, ab 1994); http://www.freitag.de/archiv (Freitag, ab 2005); http://www.jungewelt.de/suche/ 
(junge weit, ab 1997); http://www.neues-deutschland.de/suche/ (Neues Deutschland, ab 2001); 



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Thomas Roth 



Wichtige historische Schlaglichter liefern außerdem themenbezogene Samm- 
lungen wie das Projekt „Deutsche Geschichte in der Berliner Presse" (1 847-1 990) 51 
oder das „Medienarchiv68" 52 des Springer- Verlages. 

— Was für viele Zeitungen gilt, gilt auch für die fotografische Überlieferung: 
zahlreiche visuelle Quellen sind zwar prinzipiell übers Internet verfügbar, aus kom- 
merziellen und urheberrechtlichen Gründen aber allenfalls eingeschränkt recher- 
chier- und nutzbar. Das gilt besonders für prominente private Bildagenturen. 53 
Zwar gewährend staatliche Archive und Bibliotheken per Internet Zugang zu um- 
fassenden digitalen Bilddatenbanken wie etwa dem „Bildarchiv preußischer 
Kulturbesitz", dem Bildarchiv des Bundesarchivs und des Deutschen Historischen 
Museums oder dem „Bildarchiv Austria". 54 Zudem existieren öffentliche Daten- 
banken zu Spezialthemen (Wiederaufbau, Erziehungs-, Kolonial-, Frauen-, Sozial- 
geschichte, linksalternative Bewegungen) 55 und digitale Bildarchive mit Schwer- 
punkt Bildende Kunst, Architektur- und Kulturgeschichte wie die „Deutsche Foto- 
thek" und der „Marburger Bildindex"; 56 auch englischsprachige Archive und 



http://www.taz. de/digitaz/.archiv/suche.demo,l/suche?demo— 1 (Die Tageszeitung, ab 1986); 
http:/ / epaper.apps.welt.de/archiv/ (Die Welt, ab 2001). 

51 Vgl. http://www.zlb.de/proiekte/millennium/. 

52 Vgl. http:/ / www.medienarchiv68.de/. 

53 So auch für die für historische Themen eigentlich ertragreichen Agenturen dpa/Picture-Alliance 
(http://www.picture-alliance.com/), akg-images (http://www.akg-images.de/) oder http://www.- 
frontalvision.com/historische_ddr_photos_g64.html. 

34 Vgl. http://bpkgate.picturemaxx.com/webgate_cms/; http://www.bild.bundesarchiv.de/; http:- 
/ /www.dhm.de/sammlungen/bildarchiv/ bzw. http:/ /www. dhm.de/datenbank/bildarchiv. html; 
http://www.bildarchivaustria.at/; http://ba.e-pics.ethz.ch. — Vgl. für die landesgeschichtliche 
Überlieferung z.B. http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/bildarchiv/06_bildarchiv_ueber- 
sicht.php (Bildarchiv des Hauses der Bayerischen Geschichte); http://www.bsb-muenchen.de- 
/Bilder.591.0.html (Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek); http://www.lwl.org/marsLW~L- 
/instance/ko.xhtml?oid=42611 (Bildarchiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe); http:- 
/ /www.lmz-bw.de/medien/bilddokumentation.html (Fotoarchiv des Landesmedienzentrums Baden- 
Württemberg). - Die Datenbanken sind z.T./perspektivisch auch über die Plattform Europeana 
erreichbar. 

55 Vgl. http://www.datenmatrix.de/projekte/hdbg/bildarchiv/06_bildarchiv_allgemein.php (Hinweis 
auf Sammlung „Bayerisches Pressebild" zum Wiederaufbau im Bildarchiv des Hauses der 
Bayerischen Geschichte); http://www.bbf.dipf.de/VirtuellesBildarchiv/ („Pictura Paedagogica 
Online"); http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildprojekt/Bildsammlung/Bild- 
sammlg.htm (Bildbestand der Frankfurter Kolonialgesellschaft); http://www.frauenmediaturm.de- 
/recherche/bilddatenbank/ (im Aufbau); http://www.sozialarchiv.ch/archiv/recherche/datenbank- 
bild-ton/ (Schweizerisches Sozialarchiv); http:/ /umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/ welcome. html. 

56 Vgl. http://www.deutschefotothek.de/# | home (auch erschlossen über die Europeana); 
http://www.bildindex.de/# | home. — Auch Kunstmuseen unterhalten mitunter virtuelle 
Bildergalerien oder Ausstellungen; vgl. nur http://www.dresdengallery.com/; http://www.met- 
museum.org/ toah/ ; http:/ / www.pinakothek.de/ pinakothek-der-moderne/ Sammlungen/ meister- 
werke sowie Anm. 12. — Vereinzelt sind auch interessante kunsthistorische Ausstellungsprojekte wie 
„Die Farbe der Tränen. Der Erste Weltkrieg aus Sicht der Maler" (http://www.memorial-caen.fr- 
/10EVENT/EXPO1418/d/index2.html) im WWW dokumentiert. 



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Historische Quellen im Internet 



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Geschichtsportale können wichtige Funde liefern. 57 Eine uneingeschränkte 
Nutzung der Bildquellen ist jedoch auch in diesen Fällen meist nicht möglich. 58 

Freilich sind etliche, besonders die emblematischen Bilder deutscher Ge- 
schichte über Internetseiten von Museen, Bildungseinrichtungen oder Rundfunk- 
anstalten oder „gemeinfreie" Quellensammlungen wie bei Wikipedia und „zeno" 
greifbar. Schwieriger ist die Suche nach digitalen oder digitalisierten Karten zur 
deutschen Geschichte, bei der man es mit verstreuten Angeboten von Landes- 
archiven, historischen Instituten oder landesgeschichtlichen Portalen zu tun hat. 59 

— Während Fotos noch relativ gut recherchierbar sind und „einschlägige" 
historische Bilder an zahlreichen Stellen innerhalb „des Netzes" reproduziert 
werden, sieht dies bei historischen Audio- und Videoquellen etwas anders aus. 
Nicht nur die Archive von Medienunternehmen und Sendeanstalten bleiben 
gegenüber der Internet-Öffentlichkeit abgeschirmt, auch zentrale medienhisto- 
rische Einrichtungen wie das Deutsche Rundfunkarchiv, das Deutsche Film- 
museum, das Filmarchiv im Bundesarchiv oder die Deutsche Kinemathek sind 
hinsichtlich audiovisueller Webpräsentationen aus urheberrechtlichen Gründen 
und wirtschaftlichen Motiven zurückhaltend. 60 Wer beispielsweise im Netz nach 



57 Vgl. beispielsweise die Bildarchive des US Holocaust Memorial Museum (http://www.ushmm.org- 
/research/collections/photo/) oder von Yad Vashem (http://collections.yadvashem.org/photos- 
archive/en-us/index-container.html) zum Thema Holocaust oder die Digitalisate der New York 
Public Library (http://digitalgallery.nypl.org/ nypldigital/index.cfm). 

58 Während private Bildarchive und -agenturen oft bereits den Zugang zu ihren Beständen 
beschränken, stellen viele staatliche Archive Voransichten der digitalisierten Bilder ins Netz, 
allerdings meist in beschränkter Auflösung oder mit Wasserzeichen versehen. Die Nutzung der 
hochauflösenden „Originale" ist in der Regel erst auf Antrag und nach Erwerb von Nutzungsrechten 
möglich. 

59 Vgl. den Überblick unter http://www.clio-online.de/site/lang de/lll/Default.aspx. Derzeit 

noch am brauchbarsten unter den reinen Kartenangeboten erscheinen: http://www.ieg-maps.uni- 
mainz.de/ (digitale Grundkarten); http:/ /hgisg.geoinform. m-mainz.de/mapbender22/i3mainz/site- 
map/Uebersicht-thematischeKarten.php (dynamisch erzeugte thematische Karten, keine 
„Faksimiles"); http://www.davidrumsey.com/view/articles/view (mit Faksimiles historischer 
Deutschlandkarten); http://www.lib.utexas.edu/maps/germany.html und http://www.rootsweb.an- 
cestry.com/~wggerman/map/index.htm (allerdings mit englischsprachiger Beschriftung). 

60 Vgl. http://www.dra.de/; http://www.deutschesfilmmuseum.de; http://www.bundesarchiv.de- 
/bundesarchive/organisation/ abteilung_fa/index.html.de; http:/ /www.deutsche-kinemathek.de/. 
Die ARD bietet unter http://www.swr.de/swr2/archivradio/ zwar wechselnde Streams aus dem 
Archiv der deutschen Rundfunkanstalten, aber keinen dauerhaften Fundus von Audioquellen. Der 
Sender Phoenix präsentiert Programmhöhepunkte der letzten zehn Jahre unter http:/ /bibliothek.- 
phoenix.de/; vom NDR-Politmagazin Panorama sind immerhin die Sendungen der letzten 50 Jahre 
zugänglich (http://daserste.ndr.de/panorama/archiv/index.html). — Ähnlich wie bei den bundes- 
deutschen Medien verhält es sich beim Filmarchiv Austria (http://filmarchiv.at/), dem öster- 
reichischen Rundfunk (http://orf.at/) oder dem Schweizer Filmarchiv (http://www.cinema- 
theque.ch/d.html). Für die österreichische Geschichte liegen allerdings unter http://www.- 
mediathek.at/ akustische Quellen sowie als „Akustische Chronik" eine multimediale Web-Äusstellung 
vor; vgl. außerdem http://www.austria-lexikon.at/af/Wissenssammlungen/AEIOU_Video_Album. 
Das Schweizer Fernsehen (http://www.sf.tv/archiv/) bietet einige kürzere Beiträge aus dem 
Fernsehen der 1950er bis 1990er Jahre an, allerdings i.d.R. in Schwyzerdütsch. Deutschsprachige 
Auszüge aus Schweizer Rundfunksendungen finden sich auch unter http:/ /www.ideesuisse.ch/. 



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Thomas Roth 



NS-Propagandafilmen, den deutschen Wochenschauen 61 oder filmhistorischen 
Klassikern der Weimarer Republik sucht, wird sie oft nur in geringer Auflösung, 
über Screenshots oder kurze Zitate greifen können — lässt man mal das bisweilen 
in einer rechtlichen Grauzone operierende „Sammelalbum" YouTube (vgl. Erpel 
2010: 158 bzw. Schultz 2008: 87) oder zweifelhafte, etwa von Rechtsextremen 
betriebene Seiten außen vor. Ausführlicher wird historisches Film- und Funk- 
material nur in wenigen Pilotprojekten zugänglich gemacht, etwa Politikerreden aus 
der Weimarer Republik oder Marshall-Plan-Filme der Alliierten durch das 
Deutsche Historische Museum 62 , Propagandasendungen des DDR-Rundfunks 
durch das Deutsche Rundfunkarchiv 63 oder Radiomaterial zum Kalten Krieg. 64 

Wer historische Filmausschnitte oder Radiozitate für die landeskundliche oder 
geschichtsdidaktische Arbeit benötigt, wird somit derzeit vor allem in Internet- 
ausstellungen oder bei geschichtsbezogenen Websites von Bildungseinrichtungen 
und Rund funkan stalten fündig. 65 Dort trifft man allerdings häufig auf Kurzfilme 
oder Videoclips, die verschiedene Quellen (Fotos, Interviews, Filmaufnahmen) 



61 Vgl. http://www.wochenschau-archiv.de/ (für die Zeit bis 1945; registrierte Nutzer können alle 
digital bereit gestellten Wochenschauen in reduzierter Auflösung kostenlos anschauen; Fassungen in 
höherer Auflösung erfordern Bezahlung) und http://www.deutsche-wochenschau.de/ (für die Zeit 
nach 1945; auf der Webseite können wenige ausgewählte Streams angesehen werden). — Viele der auf 
YouTube ursprünglich zu findenden Wochenschauen sind inzwischen gelöscht worden, nachdem das 
Bundesarchiv das Urheberrecht geltend gemacht hatte; ein Teil dieser Filme (etwa die der UFA) ist 
jedoch noch abzurufen. Auch im amerikanischen „Internet Archive" http:/ /www.archive.org/ kann 
man einige Wochenschauen ansehen, die dort als „Open Source" klassifiziert sind. Die Austria- 
Wochenschauen sind recherchierbar über http://www.europeanfilmgateway.eu/, wo man Links zu 
Streams erhält. 

62 Vgl. http://www.dhm.de/sammlungen/zendok/weimar/ sowie http://www.dhm.de/filmarchiv- 
/virtuelles-filmarchiv/die-filme/ (nur wenige in deutscher Sprache). 

63 Vgl. http://1961.dra.de/ (Mauerbau aus Sicht von DDR-Hörfunk und -Fernsehen); http:- 
// 1989.dra.de/ (Ausschnitte aus dem DDR-Fernsehen zur „Wende" 1989/90). Vgl. auch die 
Projekte des Deutschen Rundfunkarchivs mit Filmen aus der Volkskammer (http://www.- 
dra.de/dra/kooperationspartner/deutscher-bundestag.html) und zu den Sendungen des „Schwarzen 
Kanals" (http:/ /sk.dra.de/, allerdings ohne Videos). 

64 Vgl. http://www.kalter-krieg-im-radio.de/. Vgl. auch die Filmclips in der Internetausstellung des 
Militärgeschichtlichen Forschungsamtes zur Geschichte der Bundeswehr unter http://50jahre- 
bw.bundeswehr.de/mgfa/filme.htm oder einzelne Audio-/Rundfunkquellen unter http:/ /www.- 
mediaculture-online.de/Tonarchiv. 804.0.html. 

65 Vgl. die Hinweise in Anm. 30, 71 und Abschnitt 5. — Wer nicht einzelne Quellen, sondern 
allgemeines Informationsmaterial, Skripte oder Podcasts zu gelaufenen Sendungen sucht, wird u.a. 
fündig unter: http://www.ard.de/wissen/ (Tag „Geschichte"); http://zeitgeschichte.zdf.de; 
http:/ /www.wissen.sf.tv/Dossiers/Historisch; http://www.spiegel.de/ sptv/magazin/ ; 
http:/ /www.planet-schule.de/ sf/ filme-online.php; http:/ /www.br-online.de/bildung/ databrd/in- 
dex.htm bzw. http://www.br-online.de/br-alpha/schulfernsehen/index.xml; http://www.dradio.de- 
/dlf/sendungen/ reihen/ bzw. http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/reihen/ (z.T. Audio- 
podcasts); http://www.kalenderblatt.de/ (Audiopodcasts, Deutsche Welle); http://www.hr- 
online.de/website/ Specials /wissen/index.jsp bzw. http:/ / www.hr-online.de/website/radio/hr2- 
/index.jsp?rubrik=28184 (Audiopodcasts); http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/in- 
dex.jsp?rubrik=2904 (Manuskripte); http:/ / www.wdr.de/wissen/wdr_wissen/themen/geschich- 
te/index.php5; http:/ /www.br-online.de/bayern2/radiowissen/ radiowissen-basics-unterricht-ge- 
schichte-ID 1285936371 339. xml; http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/index.jsp. 



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Historische Quellen im Internet 



31 



kombinieren und erzählend kommentieren — was für den landeskundlichen Unter- 
richt durchaus geeignet, in quellenkritischer Hinsicht aber nicht immer unproble- 
matisch ist. 

Damit sind auch medienspezifische Probleme der Quellenrecherche und Quellen- 
nutzung angesprochen. Die rasche technische Entwicklung und Dynamik des 
Netzes und die Tatsache, dass Internetangebote oft projektbezogen entwickelt und 
nicht kontinuierlich „gepflegt" werden, hat zur Folge, dass man bei der Suche oft 
noch auf ältere Angebote trifft, die die Potenziale des Netzes ungenutzt lassen, die 
lange Buchstabenkolonnen anstelle sinnvoll strukturierten Hypertextes bieten, Bil- 
der nur als beiläufige Zutat liefern, audiovisuelle Quellen vernachlässigen, der Ge- 
staltung nach anachronistisch wirken und die Erwartungen der Nutzer ent- 
täuschen. 

Darüber hinaus werden immer wieder interessante, in den einschlägigen 
Portalen verzeichnete Angebote aus dem Netz genommen oder so verschoben, 
dass sie unauffindbar werden, 66 darunter aufschlussreiche virtuelle Ausstellungen 
zur Geschichte des Frauenstudiums in Deutschland, zu politisch Verfolgten 
während des Nationalsozialismus in Hamburg — oder das Projekt „Zeitenwende" 
des Südwestdeutschen Rundfunks, das mit dem Anspruch eines „Jahrhundert- 
Memorials" historische Stimmen und Erinnerungen zum 20. Jahrhundert 
gesammelt hat, um dann nach zehn Jahren stillschweigend „vom Netz genommen" 
zu werden. 67 Der kürzlich abgeschlossene neue Staatsvertrag für den öffentlich- 
rechtlichen Rundfunk, der die Internetangebote der Sender streng limitiert, hat 
überdies zu zahlreichen Löschungen geführt. 68 

Bei der Interpretation der gefundenen Quellen ist nicht nur auf Transkriptions- 
fehler oder Bildbearbeitungen, sondern auf eine ausreichende Beschreibung zu 
achten. 69 Während Archive, Museen, Bibliotheken die präsentierten Quellen meist 



66 Diese mangelnde „Langzeitstabilität" des World Wide Web (s. Assmann 2004: 55 f.) schränkt auch 
seine Leistungsfähigkeit als „kulturelles Gedächtnis" der Gesellschaft (Pscheida 2010: 289) ein. 

67 Vgl. die entsprechenden Einträge und Verweise bei Clio online (etwa unter http://www.cüo-on- 

line.de/site/lang de/74/default.aspx), zu letztem Beispiel http://www.swr.de/swr2/zeitenwende- 

/index_d.html. 

68 Der seit Juni 2009 in Kraft befindliche 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag hat die Internet- 
aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu Gunsten privater Anbieter stark einge- 
schränkt und verfügt, dass ein Großteil der Angebote nur noch begrenzte Zeit zur Verfügung stehen 
darf. Sendeinhalte und Begleitinformationen dürfen in der Regel nur sieben Tage im Web bereit 
gestellt werden bzw. müssen ein aufwändiges Prüfverfahren durchlaufen. Zwar können zeit- und 
kulturgeschichtliche Inhalte unbeschränkt und bildungsbezogene Inhalte für fünf Jahre im Netz 
bleiben, dennoch haben die Rundfunkanstalten im Anschluss an den Vertrag zahlreiche 
sendebegleitende Internetangebote gelöscht, darunter viele Seiten zu historischen Themen mit 
eingebundenen Quellen. Dieses flächendeckende „Depublizieren" hat bei Historikern und 
Medienexperten heftige Kritik hervorgerufen (vgl. nur http://www.faz.net/artikel/C31013/de- 
publizieren-die-leere-hinter-dem-link-30291159.html). 

69 Vgl. den Beitrag von Jürgen Nielsen-Sikora in diesem Band sowie Gruner 2009: 258; Näpel 2008: 
94f; zu Notwendigkeit und Ansatzpunkten einer speziellen „Quellenkritik" für Internetseiten (als 



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32 



Thomas Roth 



mit genauen Informationen zu Urheber, Datum und Entstehungskontext ver- 
sehen, ist dies bei privat betriebenen Seiten mitunter nicht der Fall. So werden Bil- 
der von militärischen Konflikten oder nationalsozialistischer Verfolgung bisweilen 
illustrativ oder zur Erzeugung von „Schauereffekten" eingesetzt; und auch gut 
gemeinte Seiten thematisieren die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung mit 
Fotos der Täterseite, ohne besonders darauf hinzuweisen, welche propagan- 
distische Funktion diese hatten und wie weit sie den spezifischen Blick der 
Verfolger präsentieren. 

Nicht unproblematisch sind Videoclips, die - nach den Gewohnheiten des im 
Fernsehen inzwischen üblichen „Histotainment" 70 — Impressionen zu historischen 
Ereignissen oder Epochen in raschen Schnittfolgen aneinander reihen und mit 
suggestivem Sounddesign versehen, auf effektvolle Inszenierung, pathetische 
Überhöhung oder flotte Kommentierung setzen. Derartige Präsentationsformen 71 
können für einen thematischen Einstieg, für das historische Assoziieren und die 
Auseinandersetzung mit Geschichtsbildern und -darstellungen hilfreich sein, 72 aber 
auch vorschnelle, vereinfachende Deutungen befördern und durch ihre 
Komposition den Weg zur einzelnen Quelle und deren spezifischer Aussage eher 
verstellen. 

Auf der anderen Seite bedürfen nicht nur Bilder, sondern auch scheinbar 
evidente Texte wie Gesetze einer politik-, kultur- oder gesellschaftsgeschichtlichen 
Kontextualisierung, um sie adäquat zum Sprechen zu bringen. Gerade für die 
geschichts- und fremdsprachendidaktische Arbeit erscheint es deshalb ratsam, auf 
Angebote zurückzugreifen, die Quellen in historische Hintergrundinformationen 
einbetten und gegebenenfalls auf fachwissenschaftliche Deutungsangebote und 
Debatten verweisen. 73 Solche Angebote haben überdies den Vorteil, die Masse der 



Zusatz zur klassischen Quellenkritik) vgl. die Hinweise bei Eder; Fuchs 2005: 153ff.; Enderle 2002; 
Haber 2009: 194ff.; Marra 2005; Pfanzelter 2010. 

70 Als Trendsetter in Deutschland wird hierfür meist die von Guido Knopp geleitete ZDF- 
Geschichtsredaktion genannt, allerdings haben zu den neueren „Histotainment"-Formaten auch 
andere Sender und unterschiedliche Produktionsfirmen beigetragen (Meyer 2009a: 276). Zur Kritik 
der Fachwissenschaft an solchen Formen historischer Darstellung vgl. Bosch 2006; Fischer; Wirtz 
2008; Handro 2009; Hein 2009a: 15f.; Kansteiner 2006: 109ff.; Keilbach 2 201(); Kolpatzik 2010; 
Meyer 2009c: 177f.; Näpel 2003; Paul 2010; Popp et al. 2010. 

71 Derartige historische Videoclips bieten meist die sendebegleitenden Websites der Rundfunk- 
anstalten (vgl. Anm. 65). Angebote, die stark auf unterhaltende Aufbereitung, inszenatorische 
Elemente oder rasche Szenen- und Themenwechsel setzen, finden sich z.B. unter: http://diedeut- 
schen.zdf.de/ZDFde/inhalt/12/0,1872,7272428,00.html?dr=l (dazu auch Kolpatzik 2010); http:- 
//terra-x.zdf.de/ZDFde/inhalt/10/0,1872,8235178,00.html?dr=l; http://history.zdf.de/ZDFde/in- 
halt/26/0,1872,1020218,00.html?dr=l; http://www.dw-world.de/dw/0„12670,00.html; http://- 
www.60xdeutschland.de/. Zurückhaltender in der Herangehensweise sind etwa die erläuternden 
Filme, die auf der Plattform http:/ /www.deutschegeschichten.de/ abrufbar sind. 

72 Vgl. auch die Anmerkungen im Beitrag von Uwe Koreik in diesem Band. 

73 Besonders zugespitzt beschreibt Gerhard Paul (2010: 24) die Gefahren einer Missachtung und 
Verfälschung historischer Zusammenhänge im Internet: „[Das Netz] offeriert [...] mit Wikipedia 
Informationsangebote, die dem aktuellen Forschungsstand meilenweit hinterherhinken oder ihn 
sogar konterkarieren oder wie bei Google und YouTube eine schier unübersehbare Anzahl von in der 



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Historische Quellen im Internet 



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Überlieferung bereits auf aussagekräftige, didaktisch brauchbare Quellen reduziert 
zu haben. Diese Vorauswahl enthebt den Lehrenden jedoch nicht einer kritischen 
Reflexion. 74 Obgleich viele der von Museen oder Bildungseinrichtungen gebotenen 
Präsentationen auf Neutralität, Sachlichkeit oder die geschichtsdidaktisch immer 
wieder geforderte Multiperspektivität achten, folgt die Darstellung doch nicht 
selten bestimmten historischen Perspektiven, Erzählrichtungen und Topoi. 
Landeskundliche Portale appellieren mitunter an ein modernisiertes Heimatgefühl, 
Museen und Medienangebote zur deutschen Geschichte folgen der „Meister- 
erzählung" von der „geglückten Demokratie" (vgl. Wolfrum 2006) oder 
„wiedergefundenen" deutschen Nation (vgl. Kolpatzik 2010); Darstellungen, die 
den Ersten Weltkrieg als europäische „Urkatastrophe" schildern, lassen die deut- 
sche Kriegsschuld zurücktreten, und Websites, die jüdische Geschichte von der 
Shoah aus begreifen, erzählen mitunter eine nur aufs Katastrophische zugespitzte 
Verlustgeschichte. 75 



5 Thematische Schwerpunkte und Defizite 

Inzwischen wird man zu vielen Themen einer historisch fundierten Landeskunde — 
wie sie insbesondere von Uwe Koreik entworfen worden ist (Koreik 1995; Koreik 
2010) — zumindest punktuell Quellen und Materialien im Internet finden. Gleich- 
wohl lassen sich thematische und zeitliche Schwerpunkte und Lücken feststellen. 

1. Wer nach epochenübergreifenden Angeboten zur deutschen Geschichte 
sucht, wird zunächst auf den Klassiker virtueller Ausstellungen verwiesen: das 
bereits Ende der 1990er Jahre eingerichtete „LeMO" oder „Lebendige virtuelle 
Museum Online", das 150 Jahre deutscher Geschichte abdeckt. Obgleich in der 
Aufmachung selbst schon historisch wirkend, mit einer etwas unübersichtlichen 
„Informationsarchitektur", stark politikgeschichtlichen Ausrichtung und didak- 
tischen Defiziten behaftet, ist es doch ein zentrales Arbeitsmittel für die 
Geschichtsvermittlung. Es bietet differenzierte zeitliche und thematische Zugriffe, 
zahlreiche interne Vernetzungen, ein ausführliches Glossar, Zeitzeugenerin- 
nerungen, Bildleisten und wichtige Dokumente, Audio- wie Video-Quellen, von 
der Rede Wilhelms II. zum Kriegsbeginn 1914 bis zu Werbespots der 1950er 



Regel entkontextualisierten, oftmals sogar nur in Ausschnitten wiedergegebenen Fotos und Filmen, 
die im wesentlichen nur die Schaulust der User, aber kein Aufklärungsbedürfnis bedienen und deren 
Herkunft, Kontext und Authentizität oft völlig unsicher sind." Vgl. auch Schmale 2010: 13f. sowie zu 
einer grundsätzlichen Kritik an Wikipedia und dessen unreflektierter Verwendung Cornelißen 2008; 
Grosch 2008: etwa 20ff.; Kümper 2010; Lorenz 2009a; Lorenz 2009b. 

74 ... im Sinne einer - bei Koreik (1995: 142ff.) oder Thimme (1996: 97ff.) beispielhaft vorgeführten - 
kritischen Lehrmittelanalyse. 

75 Vgl. hierzu auch Brautmeier et al. 2010; Jarausch; Sabrow 2002; Nonn 2007sowie die Befunde der 
Museumsforschung, auch wenn diese einen Trend zu vielschichtigen, reflexiven, erzählerisch und 
ästhetisch offeneren Ausstellungen erkennt (vgl. Beier-de Haan 2005; Härtung 2006; Pieper 2010; 
Thiemeyer 2010). 



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Thomas Roth 



Jahre. 76 Zwei der Trägerorganisationen des LeMO, das Haus der Geschichte der 
Bundesrepublik Deutschland und das Deutsche Historische Museum, bieten 
darüber hinaus mit digitalen Ausstellungsarchiven Zugriff auf Darstellungen und 
Materialien zu Themen wie NS-Propaganda, Kriegsende, europäische Kultur- 
beziehungen, Kalter Krieg, deutsche Teilung oder DDR. 77 

Die bereits erwähnte Bundeszentrale für politische Bildung stellt den 
Nutzerinnen und Nutzern nicht nur etliche Themendossiers zur Verfügung, 
sondern ist auch an verschiedenen historischen Webportalen beteiligt, so an dem 
Projekt „Deutsche Geschichten", das die Zeit zwischen 1890 und 2005 durch 
ausführliche Informationstexte sowie durch Audio- und Videodateien erschließt. 78 
Zu nennen sind darüber hinaus Angebote wie „100(0) Schlüsseldokumente zur 
deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert" 79 , Portale wie die „Zentrale für 
Unterrichtsmedien" 80 oder archivpädagogische Module - zumal diese mitunter 
frühere Phasen deutscher Geschichte (Spätmittelalter, Frühe Neuzeit, Absolu- 
tismus und Aufklärung) in den Blick nehmen und anhand ausgewählter Quellen 
thematische Längsschnitte 81 zu setzen versuchen. Auch der Blick über die Grenzen 
der Bundesrepublik hinaus kann lohnen, einerseits wegen verschiedener Projekte 
von österreichischer Seite, 82 zum anderen, weil auch angloamerikanische Websites 
bisweilen einen bündigen, seriösen Zugriff auf deutsche Quellen bieten. 83 

2. Die zentrale Rolle, welche die Auseinandersetzung mit dem National- 
sozialismus in der deutschen Erinnerungskultur seit zwei Jahrzehnten spielt, hat 
auch im Internet ein dichtes Geflecht von Informations- und Serviceangeboten 
entstehen lassen. Im Zentrum stehen die Staats- und landeseigenen Gedenkstätten, 



76 Vgl. http://www.dhm.de/lemo/home.html. Allerdings können einige ursprünglich präsentierte 
Filmquellen — vermutlich aus urheberrechtlichen Gründen — nicht mehr abgerufen werden. Zur 
Kritik an LeMO vgl. z.B. http://hsozkult.geschichte.hu-berkn.de/rezensionen/id=96&type- 
=rezausstellungen; Näpel 2008: 103; Pöppinghege 2010. 

77 Vgl. http://www.hdg.de/bonn/ausstellungen/virtuell/; http://www.hdg.de/bonn/ausstellungen- 
/wanderausstellungen/ (einzelne Pressematerialien); http://www.hdg.de/leipzig/ausstellungen/ar- 
chiv/ (dto.); http://sint.hdg.de/sint/html/suche.html (Sammlungsdatenbank); http://www.dhm.de- 
/ausstellungen/ausst.html (Ausstellungsarchiv mit kurzen Einführungen und z.T. Rundgängen). 

78 Vgl. http:/ /www.deutschegeschichten.de/. 

79 Vgl. http://mdzx.bib-bvb.de/cocoon/delOOOdok/start.html (vornehmlich politikgeschichtlich, 
kaum audiovisuelle Quellen, mit ausführlicheren Erläuterungen) sowie Altrichter/ Antipow 2009. 

80 Vgl. http://www.zum.de/psm/indexl.php. 

81 Vgl. die Hinweise in Anm. 32. Thematische Längsschnitte betreffen beispielsweise die Geschichte 
der jüdischen Bevölkerung, der Jugend oder der Regime-/Systemwechsel in Deutschland. 

82 Vgl. die multimedialen Projekte unter Anm. 60; älter und landeskundlich weniger geeignet: 
http: / / www.uibk.ac.at/ Zeitgeschichte/ zis/library/ oesterreich-im-20.-jahrhundert/ dokumente. 

83 Herauszuheben ist das differenzierte und nicht nur zeitlich breit angelegte, auch Quellen zur 
Kultur-, Sozial- oder Wirtschaftsgeschichte integrierende Angebot „German History Docs" des 
Deutschen Historischen Instituts in Washington (http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/Index.cfm?- 
language=german; wird kontinuierlich ausgebaut). Andere Sites wie das Internet Modern History 
Sourcebook (vgl. http://www.fordham.edu/halsall/mod/modsbook.html; ähnlich: http://www.- 
csustan.edu/Histoty/Faculty/Weikart/gerhist.htm) sind für den DaF-Unterricht schon deswegen 
nicht geeignet, weil sie die deutschen Quellen nur in englischer Ubersetzung präsentieren. 



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Historische Quellen im Internet 



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Museen und Dokumentationsstellen, die man über besondere Portale erreichen 
kann. 84 

Unter der Leitidee einer „Erziehung nach und über Auschwitz" sind überdies 
Informationsplattformen und didaktisch orientierte Angebote wie „Shoa.de", 
„Nationalsozialismus.de", „Holocaust Referenz", „Erinnern. at" oder „Lernen aus 
der Geschichte entstanden". 85 Hinzu kommen (teils verdiente, teils fragwürdige, 
auf den Schauder des Nazismus bauende) private Erinnerungsprojekte und 
Rechercheforen - und natürlich die einführenden Seiten der Rundfunkanstalten. 
Über diese Angebote lassen sich einzelne Quellen, Unterrichtsmaterialien oder 
weiterführende Internetpräsentationen zu Facetten der NS-Herrschaft aufspüren. 

Neben den zentralen Dokumenten der NS-Herrschaft, Material zur NS-Propa- 
ganda 86 und den einschlägigen Bildern von Nationalsozialisten, Gleichschaltung 
und Terror finden sich im Netz auch verschiedene - geschichtsdidaktisch aller- 
dings nur eingeschränkt brauchbare - Materialien zur Durchsetzung der NS-Herr- 
schaft in einzelnen deutschen Gemeinden 87 , Milieus und Gruppen 88 , Biografien, 
Erinnerungsberichte und Darstellungen zu NS-Alltag, politischer Repression und 
Bombenkrieg 89 , lokal- und lebensgeschichtliche Quellen zu nationalsozialistischer 
Erziehung und Jugend im „Dritten Reich", 90 Zwangsarbeit und NS-Kranken- 



84 Vgl. die Hinweise in Anm. 28. 

85 Vgl. http://www.shoa.de/; http://www.nationalsozialismus.de/; http://www.h-ref.de/ (allesamt 
private Initiativen/ Angebote); http://lernen-aus-der-geschichte.de/ sowie http://www.fasena.de/ 
(Forschungs- und Arbeitsstelle „Erziehung nach /über Auschwitz"). 

86 Vgl. die Hinweise in Anm. 43 und 95. 

87 Vgl. z.B. http://www.frankfurtl933-1945.de/; http://www.celle-im-nationalsozialismus.de/; 
http:/ / www.lwg.uni-hannover.de/wiki/Hildesheim_im_Nationalsozialismus_-_Aspekte_der_Stadt- 
geschichte sowie http://www.memoryloops.net (München; virtuelles Denkmal, das auf Quellentexte 
zurückgreift). 

88 Vgl. http://www.kirche-christen-juden.org/ausstellung/ausstellung.html; http://www.zwangsar- 
beit-in-der-kirche.de/ns_kirche.php. 

89 Vgl. http://www.eg.nsdok.de/default.asp („Erlebte Geschichte", Interviews mit Kölner Zeitzeu- 
ginnen und Zeitzeugen mit unterschiedlichsten Lebensgeschichten und einem Schwerpunkt auf 
Ausgrenzung und Verfolgung); http://www.lebensgeschichten.net/ (Biografiensammlung mit 
ergänzenden Dokumenten, Schwerpunkt Rheinland); http://www.zeitzeugengeschichte.de/ (Video- 
und Audioclips zu Interviews mit Zeitzeugen der NS-Zeit, Schülerprojekt); http://www.resist.ance- 
archive.org/ („European Resistance Archive" mit z.T. deutschsprachigen Videointerviews); http:- 
//www.dhm.de/lemo/forum/kollektives_gedaechtnis/index.html (Zeitzeugenberichte zur NS-Zeit); 
http://www.georg-elser.de/; http://www.gdw-berlin.de/themen/bereiche-d.php (Angebot der 
Gedenkstätte deutscher Widerstand); http://www.gegen-diktatur.de/ (Materialen zu Widerstand in 
Deutschland vor und nach 1945); http:/ /www.doew.at/ausstellung/ (Internetpräsentation des Doku- 
mentationsarchivs des österreichischen Widerstandes); http://www.widerstand.musin.de/ (zu 
Widerstand in München); http://www.ausdemleben.at/ (zur nationalsozialistischen Verfolgung der 
Homosexuellen in Wien); http://www.zeitzeugenforum.de/ (private Seite mit Erinnerungen an NS- 
und „Kriegszeit"). 

90 Vgl. z.B. http:/ /www.museenkoeln.de/ausstellungen/nsd_0404_edelweiss/ (Internetausstellung zu 
unangepasstem Jugendverhalten in Köln); http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/alltagsleben/klv/ 
(zur „Kinderlandverschickung"); http:/ /www. dhm.de/lemo/html/nazi/organisationen/jugend/ ; 
http:/ /www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/bdm/ ; http://www.bdmhistory.com/ (jeweils 
einführende Materialien zu HJ/BDM); http://www.dhm.de/ausstellungen/bildberichterstatterin/ 



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Thomas Roth 



mord, 91 Judenverfolgung, Enteignung und Deportationen 92 sowie Ausstellungen 
2ur Geschichte der Konzentrationslager 93 . 

Nachdem der Holocaust längst ein transnationales Thema, globales Symbol 
und universelle Metapher geworden ist (vgl. Assmann 2006: 255ff.; Eckel; Moisel 
2008; Leggewie; Lang 2011; Levy; Sznaider 2001) und sich auch in Bezug auf den 
Zweiten Weltkrieg zunehmend europäische Perspektiven entwickeln (vgl. Arnold; 
Süß; Thießen 2009; Echternkamp; Martens 2007), lohnt auch der Blick auf die 
Träger der nicht-deutschsprachigen, speziell angloamerikanischen Erinnerungs- 
kultur. So hat Yad Vashem vor Kurzem sein Bildarchiv online gestellt; 94 und das 
US Holocaust Memorial Museum präsentiert eine Fotosammlung und mehrere 
Internetausstellungen, die unterschiedlichste Blickwinkel auf das NS-Regime 
eröffnen: von Aufzeichnungen Anne Franks über Schlaglichter der NS- 
Propaganda bis zu einem Fotoalbum der SS in Auschwitz. 95 



(Fotos zur Erziehung von Frauen und Mädchen im NS-Regime); http://www.ub.uni- 
heidelberg.de/helios/digi/nsfrauenwarte.html und http://www.calvin.edu/academic/cas/gpa/ fw.- 
htm (zur Zeitschrift der NS-Frauenschaft). 

91 Vgl. www.zwangsarbeit.eu bzw. http://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/ (Angebot des 
Bundesarchivs und der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", mit Dokumenten, 
Fotografien, Lebenszeugnissen); http://www.ausstellung-zwangsarbeit.org/de/242/; http://- 
www.zwangsarbeit-archiv.de/ (Angebot der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft", der 
FU Berlin und des Deutschen Historischen Museums; mit Interviews in verschiedenen Sprachen; 
Registrierung erforderlich); http://www.kontakte-kontakty.de/ deutsch/ ns-opfer/ freitagsbriefe/ 
(rückblickende Schilderungen früherer Zwangsarbeiter); http://www.historicum.net/the- 
men/ zwangsarbeit-rhein-erft-rur/ ausstellung/ ; http: / / www.nrw-zwangsarbeit.de / ; http:/ / www.di- 
gada.de/ zwangsarbeiter/ uebersichtzwangsarbeiter.htm sowie http: / / www.denkzeichen.de/ con- 
tent/konzept/index.php?sid=c80d7bl823a809539e7el8419ac9blf7&flash=0 (zur NS-Tötungsanstalt 
Pirna-Sonnenstein); http://www.lpb-bw.de/publikationen/euthana/euthana.htm und http://- 
www.landesarchiv-bw.de/ stal/grafeneck/ (zur NS-Tötungsanstalt Grafeneck). 

92 Vgl. http://www.blechner.com/german/index.html (zum Schicksal einer „Münchner Familie 
während des Holocaust"); http://www.chotzen.de/ („Lebenswege einer jüdischen Familie von 1914 
bis heute"); http://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/zis/turteltaub/ („Die Geschichte einer jüdischen 
österreichischen Familie"); http:/ / www.forschungsgesellschaft.at/ emigration/index_d.htm 
(„Vertrieben. Erinnerungen burgenländischer Juden"); http://www.ghwk.de/deut/ausstel- 
lung2006.htm (Angebot der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz); http://www.dhm.de/aus- 
stellungen/holocaust/ ausstellung.htm; http:/ /hannoverscher-bahnhof.hamburg.de/ ; http:/ /www.ar- 
chiv.sachsen.de/6078.htm („Die Verfolgung Leipziger Juden 1938/39"); vgl. auch http://www.- 
iff.ac.at/ inventarisiert/ inventar_de.html. 

93 Initiative in dieser Hinsicht entwickelt derzeit vor allem die Gedenkstätte Buchenwald; vgl. http:- 
/ / www.buchenwald.de/ fotoarchive/buchenwald/ ; http://www.buchenwald.de/ fotoausstellung/ ; 
http://www.topfundsoehne.de. Für die Gedenkstätte Sachsenhausen vgl. http://www.stiftung-bg.- 
de/gums/de/index.htm („Die Fälscherwerkstatt im KZ Sachsenhausen"); http://www.stiftung-bg.- 
de/kz-oranienburg/ („Die politischen Häftlinge des KZ Oranienburg"). Vgl. auch http://videoar- 
chiv-ravensbrueck.de/ und weitere Berichte von Überlebenden des Frauenkonzentrationslagers unter 
http:/ / www.bpb.de. 

94 Vgl. http:/ /collections. yadvashem.org/photosarchive/en-us/photos. html. 

95 Vgl. http://www.ushmm.org/museum/exhibit/online/af/htmlsite/index.html; http://www.- 
ushmm.org/ propaganda/ exhibit.html#/ gallery/ ; http:/ /www.ushmm.org/ museum/ exhibit/ online- 
/ssalbum/; Weiteres unter http://www.ushmm.org/museum/exhibit/online/. Zu den von Yad 
Vashem entwickelten Onlineausstellungen vgl. http://wwwl.yadvashem.org/y\Ven/exhibitions- 
/index.asp. Vgl. auch den Onlineauftritt des Anne Frank Hauses (unter http://www.annefrank.org- 



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Historische Quellen im Internet 



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Mit der Historisierung der NS-Zeit und ihrer Einbettung in die längeren Linien 
deutscher Geschichte ist zuletzt auch die Nachgeschichte der NS-Herrschaft, die 
gescheiterte Entnazifizierung, vielfach blockierte oder selektive „Vergangen- 
heitsbewältigung" sowie die verstärkte Aufarbeitung seit den 1960er Jahren zum 
Thema gemacht worden (einführend Fischer; Lorenz 2007; Reichel 2 2007; Reichel; 
Schmid; Steinbach 2009). Die NS-Geschichte wird demnach auch im Internet - 
mit Quellen zu den Nürnberger Prozessen 96 oder der berühmten Weizsäcker-Rede 
von 1985 97 - zur bundesdeutschen und internationalen Geschichte hin geöffnet. 
Eine perspektivische Erweiterung erlauben zudem Materialen zur jüdischen 
Geschichte. 98 Sie ermöglichen einmal, die nationalsozialistische Judenverfolgung in 
die lange Geschichte des deutschen — und abendländischen — Antisemitismus 



/de) sowie http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/section.cfm?section_id=13. - Die zahlreichen ame- 
rikanischen Seiten zum Thema präsentieren oft Quellen, Texte jedoch meist nur in englischer Über- 
setzung; umfangreichere Bildsammlungen finden sich etwa unter http://fcit.coedu.usf.edu/holo- 
caust/resource/gallery/gallery.htm#l („A Teacher's Guide to the Holocaust"). 

96 Vgl. http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+N%C3%BCmberger+Proze%C3%9F (deutsch- 
sprachige Fassung); http:// nuremberg.law.harvard.edu/ php/docs_swi.php?DI=l&text=overview 
(englischsprachige Fassung mit Bildmaterial); http://www.ushmm.org/museum/exhibit/focus/war- 
crimetrials/ (Bildmaterial); http://www.nuernberg.de/internet/museen/bildarchiv/prozesse.html 
(dto.) bzw. http://www.memorium-nuernberg.de/. Die meisten Internetmaterialien zu NS-Prozessen 
liegen derzeit in englischer Sprache vor (Gruner 2009); zu deutschen Prozessen einige Quellen unter 
http://wwwl.jur.uva.nl/junsv/Lesen.htm (Auszüge aus Urteilen); http://einestages.spiegel.de- 
/staüc/topicalbumbackground/1853/als_westdeutschland_aufwachte.html (Fotos); http:/ /www.- 
landesarchiv-bw.de/web/43377 (Tonbandaufnahme einer Urteilsverkündigung). Eine multimediale 
Präsentation des Hessischen Rundfunks zum Frankfurter Auschwitz-Prozess ist unter 
http://www.hr-online.de/website/static/spezial/auschwitzprozess/index.html zu finden. — Einige 
Quellen zum Thema „Entnazifizierung" bietet http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_docs.- 
cfm?section_id=14, einige Zeitzeugenberichte zur Nachkriegszeit http://www.dhm.de/lemo/forum- 
/kollektives_gedaechtnis/index.html. 

97 Vgl. http:/ / www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Richard-von-Weizsaecker/Re- 
den/ 1985/05/1 9850508_Rede.html und http: / / www.mediaculture-online.de / fileadmin/ mp3s/ weiz- 
saecker_geschichte.mp3. Vgl. auch http://www.20-juli-44.de/reden.php. — Zur Erinnerung an den 
Nationalsozialismus vgl. auch http://www.bpb. de/themen/DU8MZJ,0,0,Geschichte_und_Er- 
innerung.html und http://www.bpb. de/themen/S82KDR,0,0,Bildergalerie. html. 

98 Vgl. die Hinweise in Anm. 92 sowie die Präsentationen unter http://www.jmberlin.de/ (Jüdisches 
Museum Berlin); http:/ /www.juedischesmuseum.de/ (Frankfurt/Main) und die archivpädagogischen 
Angebote unter http://www.digam.net/PstF247 (Deutsch-jüdische Geschichte vom Mittelalter bis 
zur Gegenwart); http://www.digada.de/juden/uebersichtjuden.htm (Jüdisches Leben in Südhessen). 
Zur jüdischen Publizistik http://www.literatur-des-judentums.de (digitalisierte jiddische Drucke); 
http://www.compactmemory.de/ (Jüdische Periodika des 19. und frühen 20. Jahrhunderts); http:- 
/ / sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/freimann/ (Judaica-Sammlung); http:/ / deposit.d-nb.de/online- 
/jued/jued.htm (Jüdische Zeitungen aus NS-Deutschland und davor). Vgl. auch http://www.syna- 
gogen.info/ (Synagogen Internetarchiv mit virtuellen Darstellungen zerstörter Synagogen; dazu Hein 
2009a: 155ff); http://spurensuche.steinheim-institut.org/ (Informationsangebot zu jüdischen 
Friedhöfen); http://www.vor-dem-holocaust.de/ (Jüdisches Alltagsleben in Hessen in Fotografien); 
http:/ /www.ifs.tu-darmstadt.de/fileadmin/ueberlebende-zeilsheim/index.html (Jüdische Überleben- 
de in Frankfurt-Zeilsheim); http://www.juedisches-leben.net (Internetportal „Jüdisches Leben in 
Europa jenseits der Metropolen"); http:/ /www.deutschefotothek.de/ (mit Themenfilter „Judentum"- 
/„jüdisch"); zur epochenübergreifenden Geschichte des Antisemitismus auch http://www.anti- 
semitismus-anhalt.de/zeitreisen.html (Spurensuche zum Antisemitismus in Anhalt); http://www.- 
buehler-hd.de/ gnet/ neuzeit/ antisem/hd/ doku.htm („Abgestempelt. Judenfeindliche Postkarten"). 



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38 



Thomas Roth 



einzuordnen; andererseits helfen sie, jüdische Geschichte nicht auf eine Opfer- 
geschichte zu verengen und jüdische Kultur als einen Teil deutscher Geschichte zu 
verstehen. 

3. Wenn auch der Nationalsozialismus eine prägende Rolle in der Erinnerungs- 
kultur und im „virtuellen historischen Raum" spielt, hat sich in den letzten Jahren 
doch ein starkes Gegengewicht gebildet mit der Geschichte der DDR, des deutsch- 
deutschen Systemkonflikts und der Wiedervereinigung (vgl. Behrens; Ciupke; 
Reichling 2009; Sabrow 2009; Sabrow 2010). Seit Mitte der 1990er Jahre haben 
politische Stiftungen, Archive und Sendeanstalten hierzu empfehlenswerte 
Internetplattformen geschaffen, so zum 17. Juni 1953, zum Mauerbau 1961, zur 
„Chronik der Mauer" oder „Chronik der Wende". 99 Sie verknüpfen einführende 
Texte zu Diktatur, Opposition und Systemwandel mit Fotos, Dokumenten, Um- 
fragen, Erinnerungsberichten, O-Tönen, Rundfunk- und Fernsehclips und bieten 
so zahlreiche Ansatzpunkte für die historisch-politische Landeskunde. Ergänzt 
werden solche vielschichtigen Angebote durch kleinere oder thematisch enger 
abgesteckte Projekte, die alternative Bilder und Deutungen zu den zentralen Ereig- 
nissen, Figuren und Szenen der DDR-Geschichte liefern, etwa zu Erziehung und 
Jugendopposition in der DDR, 100 zur Grenz- und Fluchtgeschichte oder zu Foto- 
grafien aus dem Alltag der Diktatur. 101 



99 Vgl. http://www.17juni53.de/home/index.html; http://1961.dra.de/ („Eine Woche im August... 
Der Mauerbau 1961 im Hörfunk und Fernsehen der DDR"); http://www.chronik-der-mauer.de/; 
http://1989.dra.de/ („Wende-Zeiten. Bilder, Töne, Kommentare aus dem DDR-Fernsehen"); http:- 
//www.chronikderwende.de/ sowie dazu Alavi 2008, die den Materialreichtum der Seite lobt, 
allerdings auch auf kritische Punkte hinweist (eingeschränkte Übersichtlichkeit des Angebots, 
analytische Herangehensweise, wissenschaftliche Sprache, notwendiges Vorwissen) und daraus die 
Notwendigkeit einer weiteren Didaktisierung ableitet. Umfassende, vor allem auf Audio- und 
Videodateien setzende Angebote finden sich auch unter http://www.mdr.de/damals/index.html 
(„Damals im Osten. Mitteldeutschland - 1945 bis heute") und http://www.mdr.de/www3/eure- 
geschichte/ (Schulprojekt zur DDR-Geschichte); weitere Nachrichten- und Zeitzeugenclips unter 
http://unsere-geschichte.zdf.de/ZDFde/inhalt/19/0,1872,7112211,00.html (zur „Wiedervereini- 
gung" 1989/90); Informationsangebote mit ergänzenden Quellen und Zeitzeugenberichten unter 
http:/ /www.stiftung- aufarbeitung.de/50-jahrestag-der-berliner-mauer-l 651. html; http:/ /revo- 
lution89.de/ und http://www.deinegeschichte.de/; weitere Erinnerungsberichte unter http://- 
www.mein-herbst-89.de/ ; http://www.dhm.de/lemo/ forum/kollektives_gedaechtnis/index.html. 

100 Ygi jjg umfassende, zahlreiche Zeitzeugeninterviews präsentierende Website http:/ /www. jugend- 
opposition.de/index.php?id=l. — Die unter http://www.fachportal-paedagogik.de/filme/ vorge- 
stellte Sammlung von Schulfilmen aus der DDR ist leider nur für registrierte Nutzer mit 
wissenschaftlichem Interesse zugänglich. 

101 Vgl. http://www.berliner-mauer-gedenkstaette.de; http://www.grenzerinnerungen.de/ (persön- 
liche Berichte und Bilder); http://www.mauerfotos.de (privates Internet-Fotoarchiv); http://www.- 
berliner-mauer.de/. Weitere Zeitzeugen-/Erinnerungsberichte und begleitende Fotos in dem um- 
fangreichen, von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützten Portal http://www.wir- 
waren-so- frei.de/index.php sowie auf der privaten Website http://www.ddr-zeitzeugen.de/index.- 
html und unter http://www.zeitzeugenforum.de/. Zur Bildgeschichte der DDR vgl. auch http:- 
/ / www.ddr-bilder.de/ ; http:/ / www.ddr-fotografie-riemann.de/html/ ddr-galerie.html; http: / / www.- 
dhm.de/ausstellungen/pdr/homep.htm (Bilder aus dem „Palast der Republik"). Links zu den DDR- 
Museen und -Gedenkstätten unter http:/ / www.stiftung-aufarbeitung.de/erinnerungsorte-l 176.html. 



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Historische Quellen im Internet 



39 



4. Wer landeskundlich eine Fixierung auf Deutschland als „Land der 
Diktaturen" vermeiden will, muss derzeit bei der Quellenrecherche noch mit mehr 
Aufwand rechnen. Im Zuge der Selbsthistorisierung der Bundesrepublik und 
zeithistorischer Debatten 102 sind in den letzten Jahren aber auch umfangreichere 
multimediale Präsentationen zur westdeutschen Geschichte seit 1945 103 ent- 
standen. Hinzu kommen Internetdossiers, die interessantes Material zu Einzel- 
aspekten bieten: zu Parteien und Politikfeldern wie der Außen- und „Neuen 
Ostpolitk" 104 , zu Themen wie Nachkriegszeit, Wiederaufbau und Wirtschafts- 
wunder 105 , „Kaltem Krieg" und Deutscher Teilung 106 , zu Terrorismus 107 oder 
„'68", APO und den Neuen Sozialen Bewegungen 108 . 



102 Vgl die Hinweise in Anm. 6 sowie Görtemaker 2004; Schildt; Siegfried 2009; Wolfrum 2006. 

103 Vgl. nur http://www.60xdeutschland.de/ (umfassendes Angebot der ARD und der 
Bundeszentrale für politische Bildung mit Videoclips und Hörfunkbeiträgen; dazu auch Handro 2010: 
208ff.); http://www.dw-world.de/dw/0„12670,00.html (ähnliches Angebot der Deutschen Welle zu 
„60 Jahre Bundesrepublik"); http:/ /www.dpa.de/60-deutsche-Jahre. 506.0. html (Artikel verschiedener 
Zeitungen). 

104 Vgl. http://www.kas.de/wf/de/71.9060/ (Geschichte der CDU auf den Seiten der Konrad-Ade- 
nauer-Stiftung); http:/ /www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/downloads/geschichte_spd.htm; http:- 
/ /www. fes.de/hfz/arbeiterbewegung/epochen/bundesrepublik-deutschland-1949-1989/kollektion 
(mit Links auf die Pressemitteilungen, Parteitagsprotokolle und den Pressedienst der SPD); zur 
„Neuen Ostpolitik" beispielsweise http:/ /libraty.fes.de/library/netzquelle/ostpolitik/index.html 
(Materialien der Friedrich-Ebert-Stiftung); http://germanhistorvdocs.ghi-dc.org; http://www.aus- 
waertiges-amt.de/sid_168AE7F8700E71F717ClC6573326CBF4/DE/AAmt/PoUtischesArchiv- 
/HistorischeDokumente/Ostpoli tik_node.html. 

105 Vgl. http://www.hdg.de/lemo/html/Nachkriegsjahre/index.html; http://germanhistorydocs.ghi- 
dc.org/ sub_docs.cfm?section_id=14&language=german; http://www.dhm.de/filmarchiv/virtueUes-- 
filmarchiv/die-filme/ (Marshall-Plan-Filme); http://www.parlamentarischerrat.de/; http://www.- 
digada.de/nachkriegszeit/uebersichtnachkriegszeit.htm (Nachkriegszeit in Hessen); http://www.- 
lwl.org/LWL/Kultur/Aufbau_West/home/ („Neubeginn zwischen Vertreibung und Wirtschafts- 
wunder" in Westfalen); http://www.hdbg.de/wanderausstellung-wiederaufbau/wiederaufbau_the- 
men.php (Bayern). 

106 Vgl. nur http://www.bpb.de/themen/KGBNU7,0,0,Deutsche_Teilung_Deutsche_Einheit.html 
(Überblick der Bundeszentrale für politische Bildung mit Materialien und weiteren Nachweisen) und 
http:/ /www.kalter-krieg-im-radio.de/ sowie die Hinweise in Anm. 100. 

107 Vgl. http://www.bpb.de/themen/TSS56U,0,0,Die_Geschichte_der_RAF.html (Überblick der 
Bundeszentrale für politische Bildung); http://www.wdr.de/themen/politik/deutschland/deut- 
scher_herbst/uebersicht.jhtml?rubrikenstyle=kultur (als Beispiel für die zahlreichen Themenseiten 
der Rundfunkanstalten); http://www.hdg.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/NeueHeraus- 
forderungen/Linksterrorismus/; http:/ /labourhistory.net/raf/index-de.php (Dokumentensamm- 
lung); http://www.swr.de/swr2/wissen/ specials/-/id=661214/nid=661214/did=2414272/2ql2qs- 
/ index.html („Tondokumente von den RAF-Prozessen" in Stammheim). Überblick über die 
verschiedenen — meist noch aktualisierten — Dossiers von Rundfunksendern und Tageszeitungen 
unter http:/ /www.zeitgeschichte-online.de/ site/ 4020831 6/default.aspx. 

108 Vgl. z.B. http://www.bpb.de/themen/UEZYL5,0,0,Die_68erBewegung.html (Überblick der 
Bundeszentrale für politische Bildung zur „68er-Bewegung" mit Materialien und weiterführenden 
Hinweisen); http://www.medienarchiv68.de/; http://www.glasnost.de/hist/apo/ (Quellen und 
Texte zur Geschichte der Außerparlamentarischen Opposition); http://www.fr-online.de/politik- 
/spezials/zeitgeschichte/1968/-/1477444/1477444/-/index.html (Dossier mit zahlreichen Fotos); 
http:/ / service.tagesschau.de/multimedia-box/index.php?id=1968 (Fernsehausschnitte); http://ger- 
manhistorydocs.ghi-dc.org/ sub_doclist.cfm?sub_id=34&section_id=15&language=german; 
http://www.hr-online.de/website/specials/68er/index.jsp („Frankfurt 1968 - Ein Stadtrundgang 



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40 



Thomas Roth 



Ein für die interkulturelle Bildungsarbeit wichtiger Aspekt ist darüber hinaus 
die Migrationsgeschichte, die seit einigen Jahren nicht nur wissenschaftlich starke 
Beachtung findet, sondern integrales Thema historischer Bildungs arbeit geworden 
ist (vgl. Lange 2008; Leggewie; Lang 2011: 162ff; Motte; Ohliger 2004). Das 
betrifft das immer noch geschichtspolitisch umkämpfte Thema der Vertrei- 
bungen, 109 vor allem aber die Geschichte der BRD als „Gastarbeiter-" und „Ein- 
wanderungsland". Sie hat in den letzten Jahren erste Würdigung in Websites 
gefunden, die Ankunft, Ausgrenzung und Integration vor allem alltagsnah und 
lebensgeschichtlich nacherzählen. 110 Die verstärkte Aufmerksamkeit für die Migra- 
tionsgeschichte hat überdies die deutsche Ein- und Auswanderung des 19. und 
frühen 20. Jahrhunderts in den Blick rücken lassen. 111 



nach 40 Jahren"). — Zur „grünen Bewegung" vgl. http://www.boell.de/stiftung/archiv/archiv- 
4285.html (Materialsammlung zur Partei von Seiten der Heinrich-Böll-Stiftung). Zur „neuen 
Frauenbewegung" vgl. http://www.bpb. de/themen/KYOE75,0,0,Frauenbewegung.html (Überblick 
der Bundeszentrale für politische Bildung); http://www.hdg.de/lemo/html/DasGeteilteDeutsch- 
land/KontinuitaetUndWandel/UnruhigeJahre/neueFrauenbewegung.html; das Angebot auf german- 
historydocs.ghi-dc.org sowie http://www.frauenmediaturm.de/recherche/ („EMMA" -Archiv und 
Bilddatenbank, allerdings erst im Aufbau). Auch zur „ersten Frauenbewegung" des späten 19. /frühen 
20. Jahrhunderts gibt es dort punktuell Intemetmaterialien. 

109 Vgl. zur jüngeren Debatte http://www.zeitgeschichte-online.de/site/40208192/default.aspx. 
Trotz der Intensität der Auseinandersetzung stellt das Internet bisher nur relativ wenig historische 
Materialien und Quellen zu den Vertreibungen nach 1945 zur Verfügung. Neben den wegen ihrer 
geschichtspolitischen Ausrichtung nicht unproblematischen Seiten der Vertriebenenverbände finden 
sich überschaubare Quellenhinweise etwa unter http://library.fes.de/library/netzquelle- 
/ zwangsmigration/index.html; http:/ / www.dhm.de/ ausstellungen/ zuwanderungsland- 

deutschland/migrationen/rooms/0504.htm; http://www.hdg.de/lemo/html/Nachkriegs- 
jahre/DasEndeAlsAnfang/fluchtUndVertreibung.html; http://www.digam.net/?str=124 
(Flüchtlinge und Vertriebene in Hessen); http://www.lwl.org/LWL/Kultur/Aufbau_West/flucht/; 
http://www.hdbg.de/integration/de/index.htm. Knapper Einblick in die Ausstellung des „Bundes 
der Vertriebenen" zu Zwangsmigrationen im 20. Jahrhundert unter http://erzwungenewege.z-g-v.de; 
Zeitzeugeninterviews zum Thema „Flucht und Vertreibung" aus verschiedenen europäischen Län- 
dern bietet http://www.the-unwanted.com/. 

11(1 Wesentlicher Impulsgeber war hierbei das seit 1990 aktive (zunächst auf die Immigration aus der 
Türkei fokussierte) „Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland" (vgl. 
http://www.domid.org/index.html), dessen Ausstellungen zum Thema jedoch nur teilweise im 
Internet verfügbar sind. - Wichtige migrationsgeschichtliche Präsentationen finden sich jedoch unter 
http://www.angekommen.com/iberer/index.html (Sammlung von Biografien mit Interview- 
ausschnitten); http://www.angekommen.com/italiener/index.html (dto.); http://www.migration- 
audio-archiv.de/ (Sammlung mit längeren lebensgeschichtlichen Interviews); http://www.ein- 
familienalbum.de/ (Familiengeschichte von Deutschen und Einwanderern von 1888 bis 1999); 
http://lebenswege.rlp.de/lebenswege/ (Biografien, z.T. mit Audiodateien). Neuere Materialien und 
Quellen bieten des Weiteren http://lebenswege.rlp.de/sonderausstellungen/50-jahre-anwerbe- 
abkommen-deutschland-griechenland/ ; http:/ /lebenswege. rlp.de/ Sonderausstellungen/ 50-jahre-an- 
werbeabkommen-deutschland-spanien/ (zur Zuwanderung nach Rheinland-Pfalz); http://- 
www.muelheim-ruhr.de/cms/migration-geschichte.html (lokalgeschichtliches Angebot); http://- 
www.museum-neukoelln.de/ausstellungen-99-neukoelln.php (Präsentation migrationsgeschichtlich 
aufschlussreicher Objekte). Zu migrationsgeschichtlichen Ausstellungen vgl. allg. http://- 
www.lwl.org/LWL/Kultur/wim/ portal/ S/hannover/ ort/ migration/ exponat/. 

111 Vgl. neben http://www.angekommen.com/italiener/index.html http:/ /www. migrationsroute.- 
nrw.de/ (zu Erinnerungsorten der Migrationsgeschichte in NRW); http://www.dhm.de/ausstel- 
lungen/ zuwanderungsland-deutschland/ migrationen/ index.html; http:/ /www.hdbg.de / auswande- 



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Historische Quellen im Internet 



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5. Migrationsgeschichtliche Quellen bieten wichtige Ansatzpunkte, um 
Identitäten, Identitätspolitiken, historische Selbst- und Fremdzuschreibungen zu 
thematisieren, wären indes nicht die einzigen Materialien, die hierfür in Frage kom- 
men. Andere Ressourcen — etwa zur Außen- und Kulturpolitik, zu den „Bildern 
des Anderen" in Schulbüchern, zu Tourismus und Reiseliteratur — sind allerdings 
bisher nur vereinzelt im Internet auszumachen. Dieser Befund verwundert etwas 
angesichts der teilweise recht intensiven kulturdiplomatischen Bemühungen und 
Versöhnungsinitiativen nach dem Zweiten Weltkrieg und des in den letzten Jahren 
wiederbelebten Diskurses über die koloniale Vergangenheit Deutschlands (vgl. 
Kundrus 2003; Laak 2005). Die in den letzten Jahren intensivierten Debatten um 
eine europäische Erinnerungskultur (vgl. Assmann 2006: 250ff; Kühberger; 
Sedmak 2009; Leggewie; Lang 2011) könnten jedoch dazu beitragen, dass die 
Beziehungsgeschichte der Nationen, Länder und Kulturen im Internet bald 
stärkere Beachtung findet. 

Immerhin liegen bereits wenige Angebote zur deutschen Kolonialgeschichte 
vor 112 — sowie zur Beziehungsgeschichte von Deutschland und seinen europä- 
ischen Nachbarn, vor allem zu Polen. 113 Auch ein Projekt wie das „Virtuelle 
Museum", das die deutsch-dänische Grenzregion in den Blick nimmt, zeigt, dass es 
auf diesem Gebiet Entwicklungspotenziale gibt. 114 Das gilt auch für die deutsch- 
französischen Beziehungen, die bereits seit Jahrzehnten bildungspolitisch, kultur- 
historisch und geschichtsdidaktisch reflektiert und „gepflegt" werden (vgl. Dalmas 
2010). Hierzu lassen sich im Internet zwar regierungsamtliche, wissenschaftliche 



rung/deutsch/index2.htm (Auswanderung aus Bayern nach Amerika seit 1683); http://www.- 
hamburg.de/bilder/hamburg-historisch (Bilder und Texte zum Auswandererhafen Hamburg). 

112 Vgl. http:/ /www.bpb.de/ themen/KB4UAN,0,0,Ein_Platz_an_der_afrikanischen_Sonne.html 
(Uberblick der Bundeszentrale für politische Bildung); http://www.dhm.de/lemo/html/kaiserreich- 
/aussenpolitik/kolonien/index.html (Einstieg zur Kolonialpolitik des deutschen Kaiserreiches); http:- 
/ / www.bundesarchiv.de/ oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/index.html.de (unter Kategorie 
„Kaiserreich" Quellendossiers zum Krieg gegen die Herero 1904, zu Kolonialkarten, zu den „Muster- 
kolonien" Kiautschou und Samoa, zum „Boxeraufstand"); http://www.zum.de/psm/imperialismus- 
/primaer.php (Quellen/Transkripte zur deutschen Kolonialpolitik im 19. /frühen 20. Jahrhundert); 
http: / / www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de / Bildproj ekt / Bildsammlung/ Bildsammlg.htm (Bildbe- 
stand der Deutschen Kolonialgesellschaft); http://www.ub.bildarchiv-dkg.uni-frankfurt.de/Bildpro- 
jekt/Lexikon/lexikon.htm (Transkript des Deutschen Koloniallexikons von 1920); http://www.- 
dhm.de/ausstellungen/namibia/rundgang.htm. Zu den gegenwärtig noch sichtbaren Spuren des 
Kolonialismus vgl. http://www.koloniale-spuren.de/ (zu Hannover); http://www.afrika-hamburg.de; 
http:/ / www.freiburg-postkolonial.de; http://www.kopfwelten.org/kp/ („Köln postkolonial"). 

113 Vgl. http://www.bpb.de/themen/7LlYH7,0,0,Deutschpolnische_Beziehungen.html (Überblick); 
http://www.deutsche-und-polen.de/ (historischer Überblick mit Bild- und Videomaterial); 
http:/ /library.fes.de/library/netzquelle/deutsch-polnisch/index.html (Materialien der Friedrich- 
Ebert-Stiftung); http://www.deutschland-polen.diplo.de/Vertretung/ deutschland-polen/ de/Startsei- 
te.html (Präsentation des Auswärtigen Amtes, weitgehend gegenwartsorientiert). — Zu den deutsch- 
russischen Beziehungen vgl. http://www.unsererussen.de/ausstellung.html; http://www.hdg.de- 
/bonn/ ausstellungen/archiv/2003/spuren-sledy-deutsche-und-russen-in-der-geschichte/ ; zu den 
deutsch-skandinavischen Beziehungen im 19. Jahrhundert http://www.dhm.de/ausstellungen/wahl- 
verwandtschaft/ . 

114 Vgl. http://www.vimu.info/ sowie Danker; Schwabe 2008b und Nissen 2008. 



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Thomas Roth 



und didaktische Materialen finden. 115 Wichtige Aspekte sind aber oft nur über 
thematisch anders gelagerte Seiten zu erfassen. So kann man z.B. die Wahrneh- 
mungen der Kriegsgegner im Ersten Weltkrieg über bild- und propaganda- 
geschichtliche Sammlungen, 116 die deutsche Kampagne gegen die französischen 
Kolonialsoldaten über regional- oder lokalhistorische Seiten 117 oder die Verwand- 
lung der „Erbfeinde" zu Partnern im Rahmen europäischer Sicherheitspolitik über 
eine Präsentation zur deutschen Militärgeschichte thematisieren. 118 

6. Material zu den „Aushängeschildern" deutscher Kultur ist aufgrund inten- 
siver Forschung und Bildungsarbeit, von Traditionspflege und Standortmarketing 
meist problemlos zu finden — ob zu den „großen Männern" Adenauer, 119 
Bismarck 120 , Ebert oder Brandt, 121 Luther, Goethe, Bach oder Beethoven, 122 ob 
zum Kölner Dom, der Paulskirche oder Neuschwanstein. 123 Weitaus schwieriger ist 
es hingegen, wenn es um die historische Entstehung und Ausprägung von 



115 Vgl. http://www.deuframat.de/ („Deutsch-französische Materialien für den Geschichts- und 
Geographieunterricht", Gemeinschaftsprojekt des Bundeskanzleramtes und des Georg-Eckert-Insti- 
tuts für internationale Schulbuchforschung); http://www.fplusd.org/kultur-und-alltagsleben/politik- 
und-geschichte/ (Sprachenportal der Außenministerien); http://www.france-allemagne.fr/Geschich- 
te-der-deutsch,l 501.html (Portal der Außenministerien); http://www.leforum.de/de/de-traites.htm; 
http:/ /www.hdg.de/lemo/html/DasGeteilteDeutschland/DieZuspitzungDesKaltenKrieges/Tei- 
lungDeutschlands/deutschFranzoesischeBeziehungen.html. Die Website zur Ausstellung „Fremde? 
Bilder von den ,Anderen' in Deutschland und Frankreich seit 1871" (http://www.dhm.de/ausstel- 
lungen/ fremde/ausstellung.html) ist hinsichtlich Quellen leider nicht ergiebig. 

116 Vgl. die Hinweise in Anm. 43. Einzubeziehen in die bild- und propagandageschichtliche 
Recherche wären auch die umfangreichen Ressourcen von Museen und Archiven in den Vereinigten 
Staaten, Großbritannien, Frankreich oder dem Beneluxraum, wo die Erinnerung und Aufarbeitung 
des Ersten Weltkrieges derzeit einen noch sehr viel größeren Stellenwert hat als in Deutschland oder 
Österreich (vgl. Bavendamm 2006; Dornik 2004: 95). 

117 Vgl. http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44947; http://www.minderhei- 
ten.mkg-koeln.de/ main/ produktionstagebuch/ die_recherche/3_01_02/3_01_02.htm. 

H8 Vgl. den Film zur Aufstellung der deutsch-französischen Brigade 1989 aus einer 
Internetausstellung zur Geschichte der Bundeswehr unter http://media.bwehr.de/Redak- 
tionen/50jahre/mgfa/()3/10_d414_300k.wmv. 

119 Vgl. http://www.konrad-adenauer.de/; http://www.adenauerhaus.de/ oder auch http://helmut- 
kohl.kas .de/ index.php?menu_sel= 1 &menu_sel2=&menu_sel3 =&menu_sel4= . 

120 Yg] http://bismarckstiftung.de/index.php/startseite; http://www.dhm.de/lemo/html/biogra- 
fien/BismarckOtto/index.html. - Für die österreichische Geschichte vgl. beispielsweise http:- 
/ / www.habsburger.net/. 

121 Vgl. http://www.willy-brandt-luebeck.de/; http://www.willy-brandt.de/; http://www.ebert- 
gedenkstaette.de/stiftung.html; http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/ebert.htm oder auch 
http: / / www.stiftung-heuss-haus.de/ . 

122 Yg]_ http://www.goethehaus-frankfurt.de/; http://www.klassik-stiftung.de/; http://www.martin- 
luther.de/; http:/ /luther.chadwyck. co.uk/deutsch/html/frames/moreinfo/unsubscribed_g.htm (nur 
eingeschränkte Nutzung); http://www.zeno. org/Literatur/M/Luther,+Martin; http://www.bach- 
haus.de/ ; http:/ /www.bach-leipzig.de/; http:/ /www.beethoven-haus-bonn.de/. 

123 yg\ nur http://www.koelner-dom.de/; http://www.aufbau-ffm.de/serie/Teil2/paulskirche.html; 
http:/ /www.neuschwanstein.de/. 



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Historische Quellen im Internet 



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Bräuchen und Ritualen, Festen und Feiern (jenseits von Karneval und 
Oktoberfest 124 ), um Alltags kultur, Erziehungs- oder Mentalitätsmuster geht. 125 

Eine lebensweltliche Annäherung an die moderne deutsche Geschichte kön- 
nen allerdings auch Zeitzeugenerinnerungen, -berichte und -interviews, bringen. 
Trotz immer noch anklingender wissenschaftlicher Kritik sind sie inzwischen inte- 
graler Bestandteil von größeren Geschichtspräsentationen oder Onlineausstel- 
lungen. Dazu hat die Etablierung erfahrungsgeschichtlicher Perspektiven in der 
Geschichtsschreibung ebenso beigetragen wie der museumsdidaktische Trend zu 
Anschaulichkeit und Personalisierung und die besonders durch die NS-Geschichte 
geförderte Aufwertung persönlicher Zeugenschaft. Ausschlaggebend ist aber auch 
die allgemeine Popularität privaten Erinnerns und historisch kolorierter Familien- 
geschichten sowie das Bestreben der Massenmedien, historische Stoffe mit 
Erinnerungsberichten und Alltagsgeschichten einem breiteren Publikum nahe zu 
bringen. 126 

Aufgrund der audiovisuellen Möglichkeiten und guten Erreichbarkeit im 
WWW sind in letzter Zeit einige der zahlreichen Zeitzeugenarchive geöffnet 127 und 



124 ygL 2 ß http://www.karneval.de/geschichte.aspx; http://www.kk-museum.de/cms/front_con- 
tent.php?client= 1 &lang= l&idcat=6; http:/ / www.oktoberfest.de/ de/ article/Das+Oktoberfest/ Ge- 
schichte/Die+Geschichte+des+Oktoberfests/ 621 / ; http:/ /www.bayerische-landesbibliothek-onli- 
ne.de/ oktoberfest. 

125 Das Angebot ist hier disparat. Erziehungs- und schulgeschichtliche Quellen: http://gei- 
digital.gei.de/cms/ („Die digitale Schulbuch-Bibliothek", bisher Geschichtsschulbücher des 
Kaiserreichs erfasst); http:/ /bbf.dipf.de/ retro-digitO.htm/digitale-bbf/ scripta-paedagogica-online 
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oldenburg.de/retrodig/index.php (Digitalisierte historische Kinderbücher); http://en.childrens- 
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spielzeug.org/ (kl. Präsentation zu Spielzeug im Kalten Krieg); http://www.deutschefotothek.de/ 
(mit Themenfilter „Schule"); http://www.schulmuseum.at/vsm/index2.htm (Virtuelles Schul- 
museum Klagenfurt; stellvertretend für die verschiedenen Schulmuseen) sowie die Hinweise in Anm. 
55 und 100. Vgl. auch http://www.bildpostkarten.uni-osnabrueck.de/index.php (Postkarten- 
sammlung mit Material zu zahlreichen alltagskulturellen Themen); http://www.liederlexikon.de/ 
(Texte und Bilder des Deutschen Volksliedarchivs); http://www.lwl.org/LWL/Kultur/VOKO/Ar- 
chive_Bibliothek/Volkslied_Tonarchiv/ (mit Hörbeispielen); http://www.zeno.org/Kulturge- 
schichte (Benimmbücher des 18.-20. Jahrhunderts); http://gutenberg.spiegel.de/genre/fairy 
(Märchen); http://gutenberg.spiegel.de/genre/fable (Fabeln); https://www2.landesarch.iv- 
bw.de/ofs21 /olf/startbild.php?bestand=2350 (Bildsammlung eines süddeutschen Fotoateliers mit 
Aufnahmen von Festen und Feiern); http://www.siue.edu/COSTUMES/history.html (Publikation 
des 19. Jahrhunderts zur Geschichte der Kostüme); http://www.dilibri.de/nav/classification/55402 
(Fastnachtszeitungen des 19. Jahrhunderts); eine ältere Sammlung zur Festkultur unter 
http://www.hab.de/bibliothek/wdb/festkultur/index.htm (Deutsche Drucke des 17. Jahrhunderts 
zur Festkultur des Barock). 

126 Vgl. hierzu aus unterschiedlichen Blickwinkeln Assmann 2006: 85ff.; Fischer; Wirtz 2008; Handro 
2009: 86ff; Keilbach 2 2010; Kohr 2008; Lersch; Viehoff 2009: 99ff.; Welzer; Moller; Tschugnall 2002. 

127 Mittlerweile gibt es in Deutschland eine Vielzahl von Zeitzeugenarchiven und 
„Erinnerungswerkstätten", deren Bestände bisher nur punktuell „übers Netz" zugänglich sind. 
Zentrale und stilbildende Einrichtungen stammen aus den USA, so das an der Yale University 
untergebrachte, überwiegend englischsprachige Fortunoff Video Archive for Holocaust Testimonies 
(vgl. http://www.library.yale.edu/testimonies/excerpts/; eine Auswahl der knapp 4.500 Interviews 



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Thomas Roth 



Oral History-Projekte direkt fürs Netz konzipiert worden. Hier geht es darum, 
Betroffene nicht nur als Stichwortgeber für historische Darstellungen einzusetzen, 
sondern von persönlichen Erinnerungen und lebensgeschichtlichen Erzählungen 
auszugehen, um diese dann mit Dokumenten, Fotos und historischen Erläu- 
terungen weiter aufzuschlüsseln. 128 

Das Internet bietet nicht bloß eine Plattform für erfahrungs- und lebens- 
geschichtliche Quellen; mit seinen interaktiven Möglichkeiten regt es die Nutzerin- 
nen und Nutzer auch unmittelbar zur Quellenproduktion an, zum Schreiben von 
Erinnerungsgeschichten oder zum Entdecken historischer Zeugnisse im eigenen 
Umfeld. 129 So gibt es neben privaten Websites, die Erfahrungsberichte zur DDR- 
Zeit sammeln, 130 Projekte wie zeitzeugengeschichte.de, das Schülerinnen und 
Schüler zur „Erinnerungsarbeit" mit Zeugen der NS-Zeit ermuntert, 131 oder das 
von der Bundeszentrale für politische Bildung ins Leben gerufene „Internet- 
Archiv" „Wir waren so frei", zu dem bereits zahlreiche Personen private Fotos, 
Filme und Impressionen beigesteuert haben. 132 Große Resonanz findet auch das - 
redaktionell stark formatierte, unverkennbar kommerziellen Interessen dienende - 
Spiegel-Portal „einestages", das Erinnerungen „kleiner Leute" mit prominenten 
Biografien und großen historischen Szenarien zusammenschneidet. 133 

Auch andere, ältere erfahrungsgeschichtliche Quellen und Selbstzeugnisse sind 
gelegentlich im Internet zu entdecken. So finden sich dort verstreute Auszüge aus 



des Archivs ist im „Ort der Information" am Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin 
einsehbar) und das in den 1990er Jahren auf Initiative Steven Spielbergs eingerichtete Visual History 
Archive des Shoah Foundation Institute an der University of Southern California (vgl. 
http://dornsife.usc.edu/vhi/). Unter dessen ab 1994 geführten etwa 52.000 Interviews finden sich 
auch knapp 1.000 deutschsprachige; bis vor Kurzem waren die Interviewfilme jedoch nur an 
ausgewählten, lizenzierten Einrichtungen (etwa der Freien Universität Berlin [vollständig] oder dem 
Jüdischen Museum Berlin [deutschsprachige Interviews]) einsehbar, ein weitergehender Zugang über 
Internet ist offenbar angedacht. Vgl. http://www.zeugendershoah.de/, die Erläuterungen von Verena 
Lucia Nägel unter http://www.bpb.de/files/AEXUOE.pdf sowie Barricelli 2010; Meyer 2009c: 190f. 
und den Beitrag von Linde Apel in den Zeithistorischen Forschungen, http://www.zeithistorische- 
forschungen.de/site/40208872/default.aspx. 

128 Yg] jjg Hinweise auf entsprechende Zeitzeugen- und Interviewprojekte in den Anm. 89, 91, 92, 
99-101, 109, 110 sowie Leh 2009. 

129 Zur Entwicklung des Web 2.0 in den letzten Jahren und den damit gegebenen 
Beteiligungsmöglichkeiten vgl. die Hinweise bei Meyer 2009a: 280ff.; Meyer 2009c; Pscheida 2010: 
274ff, 291 ff; Spahn 2009: 302f. Erst an diesem Punkt — wenn historische Erinnerungen eigens für 
das World Wide Web aufgeschrieben oder private Materialen „im Netz" zu bedeutsamen Quellen 
erklärt werden - wird das Internet ein ganz eigenständiges „Medium der Erinnerung" Zit. n. Hein 
2009a, 19. 

130 Vgl. die Hinweise in Anm. 101. 

131 Vgl. http://zeitzeugengeschichte.de/ sowie Marzinka 2010; Meyer 2009c: 193. 

132 Vgl. http:/ /www.wir-waren-so-frei.de/ („Momentaufnahmen 1989/1990"); Thema ist der Zusam- 
menbruch der DDR und die „Wende-Zeit". 

133 Vgl. http://einestages.spiegel.de/page/Home.html sowie Meyer 2009a: 281 ff.; Meyer 2009c: 
198ff. - Ähnlich angelegt ist http://www.von-zeit-zu-zeit.de/ („Die Geschichtswerkstatt von 
Stuttgarter Zeitung und Stadtarchiv"); dazu auch die weiterführenden Hinweise in Lersch; Müller 
2010. 



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Historische Quellen im Internet 



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Tagebüchern 134 ebenso wie (private) Editionen von Postkarten oder Feldpost- 
briefen aus dem Zweiten und Ersten Weltkrieg 135 . Solche „Ego-Dokumente" 
werden zukünftig eine noch größere Rolle im Netz spielen, zumal es inzwischen 
auch Ansätze gibt, derartige Materialien gezielter zusammenzutragen und gebün- 
delt im World Wide Web vorzustellen. 136 



6 Schluss: Historische Quellen im Internet und Landeskunde 

Mit der Entwicklung des Internet zu einem Raum historischer Präsentation, 
Vermittlung, Auseinandersetzung und Erinnerung ist auch der Zugriff auf 
geschichtliche Ressourcen unzweifelhaft leichter geworden. Das World Wide Web 
mag ein ,,riesige[r] Wissensspeicher" (Pscheida 2010: 283f.) geworden sein. Aller- 
dings ist es (noch) längst kein „virtuelles Archiv" oder ein „virtueller Lesesaal", in 
dem man einen einfachen, systematischen und umfassenden Zugriff auf historische 
Quellen, Bilder, Töne und Dokumente bekommt. Das Netz liefert zusätzliches 
Material für die didaktische Arbeit, um besser auf die jeweiligen Geschichtsbilder 
der Lernenden einzugehen, Lerneinheiten speziell audiovisuell anzureichern und 
die zum Teil problematischen Darstellungen 137 älterer Lehrwerke zu umgehen. 
Dies macht jedoch auch einige Suchbewegungen erforderlich sowie eine kritische 

134 Vgl. http://www.tagebucharchiv.de/texte/bilderserien.htm bzw. http://www.tagebucharchiv.de- 
/texte/leseecke.htm (Auszüge aus den Beständen des Deutschen Tagebucharchivs); http://zeitstim- 
men.de/ („Tagebuchliteratur aus Brandenburg"); http://grossmann.weebly.com/ (Tagebuch eines 
Lehrers und Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg); http://www.buehler-hd.de/landeskunde/rhein- 
/geschichte/zeitgeschichte/wkl/ tagebuch.htm (Tagebuch eines badischen Soldaten im Ersten 
Weltkrieg). Für frühere Epochen: http://www.mdsz.thulb.uni-jena.de/ („Mitteldeutsche Selbst- 
zeugnisse der Zeit des Dreißigjährigen Krieges"). 

135 Ygi_ va http://www.museumsstiftung.de/feldpost (Online-Sammlung der Museumsstiftung Post 
und Telekommunikation mit 1.400 Feldpostbriefen zum Zweiten Weltkrieg) sowie http://www.feld- 
post-archiv.de/; http://www.digada.de/wkl/uebersichtwkl.htm (Feldpostbriefe Darmstädter 
Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg); http://www.dradio.de/dlf/sendungen/feldpost/ (sendebeglei- 
tende Materialien zum Ersten Weltkrieg); als Beispiele für die zahlreichen privaten Initiativen http:- 
/ /www. feldpostbriefe.de/index2. html; http://www.clooney.at/feldpost/; http:/ /www.peter-engel- 
hardt.com/ ; http://klee-klaus.business.t-online.de/vermisst.htm; http:/ / www.hier-ist-es-schoen.de- 
/HP/Sadelkow-fr.htm (Briefe und Postkarten von Soldaten zum Ersten Weltkrieg) sowie http:- 
/ /www.32postkarten.com/index_D.html (Postkarten einer deutsch-jüdischen Familie aus den 1940er 
Jahren). Vgl. auch http://www.ub.uni-heidelberg.de/helios/digi/feldzeitungen.html (digitalisierte 
„Schützengrabenzeitungen"); für frühere Epochen http://www.digam.net/?str=122 (Feldpostbriefe 
1866, 1870/71). 

136 So soll das Projekt Europeana 1914-1918 bis 2014 hunderttausende digitalisierte Quellen zum 
Ersten Weltkrieg europaweit verfügbar und dabei auch bisher nicht greifbare, zumal 
alltagsgeschichtliche Quellen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ausdrücklich werden auch 
Privatpersonen aufgefordert, ihre Erinnerungsstücke zur Verfügung zu stellen. Vgl. 
http://group.europeana.eu/web/guest/details-europeanal914-1918/. Einen ähnlichen Ansatz 
verfolgt das HOPE-Projekt („Heritage of People's Europe"), das v.a. sozialgeschichtliche Quellen 
bündelt; vgl. http:/ /www.peoplesheritage.eu/. 

137 Besonders deutliche und differenzierte Kritik haben Darstellungen zur neueren deutschen und 
NS-Geschichte erfahren; vgl. Ghobeyshi 2002; Koreik 1995: 142ff.; Thimme 1996: 97ff.; Warmbold; 
Koeppel; Simon-Pelanda 1994). 



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Reflexion der im Internet präsentierten Materialien, ihres Verwendungszusammen- 
hangs und ihrer didaktischen Brauchbarkeit (Rösler 2010: 1207 f.). Zwar gibt es 
einige Internetangebote, die unterschiedliche Quellen, verschiedene historische 
Perspektiven und breite, differenzierte Hintergrundinformationen liefern; 
kompakte, direkt nutzbare Lehr- und Lernumgebungen sind aber immer noch 
vergleichsweise selten. Insofern wird man bei vielen Themen noch auf „analoge" 
Lehrmittel oder DVDs zurückgreifen, die nicht bloß Quellenmaterial liefern, 
sondern intensivere redaktionelle Bearbeitung garantieren und produktive 
Didaktisierungen bieten. 138 

Mit Blick auf das Fach Deutsch als Fremdsprache und die Ansprüche einer 
historisch basierten Landeskunde lässt sich folgendes vorsichtiges und natürlich 
vorübergehendes Fazit ziehen: 

- Im Internet finden sich etliche Hilfsmittel und Materialien für die historische 
Faktenvermittlung, auch für die kritische Reflexion der selbst bei interessierten 
Lernern verbreiteten Mythen, geschichtspolitischen Legenden oder unscharfen 
Geschichtsbilder (vgl. Borries 2000; Uly 1999; Koreik 1995: 82ff.; Thimme 1996: 
79ff.; Warmbold; Koeppel; Simon-Pelanda 1994). Das gilt besonders, wenn man 
neben historischen Quellen die „quellenbegleitenden" Texte und Materialien 
einbezieht. 

- Differenzierter muss geurteilt werden, wenn man die „kommunikative" und 
„interkulturelle" Ausrichtung der Landeskunde, Kommunikationssicherheit, 
Handlungskompetenz, Reflexion und „Fremdverstehen" betont. Eine solche 
Landeskunde bedarf anderer Materialien und historischer Quellen als eine einfache 
„Realien-" oder „Staatsbürgerkunde". Solche „anderen", sozial-, kultur- und 
mentalitätsgeschichtlichen Quellen lassen sich im Internet durchaus finden, sind 
jedoch nicht so leicht greifbar. Auch hinsichtlich der Auseinandersetzung mit 
historisch bedingten Stereotypen und Vorurteilen mangelt es m.E. noch an 
Plattformen, die Materialien sammeln, bündeln oder schnellen Zugriff auf 
„sprechende", anschauliche Quellen erlauben. 

- Die starke Präsenz der NS-Zeit und der DDR-Geschichte im Internet 
entspricht der Entwicklung der deutschen Erinnerungs kultur in den letzten 
Jahrzehnten. Insofern vermitteln Quellen und Materialien zu diesen Epochen nicht 
allein historisches Wissen, sondern Orientierung in der deutschen Gegenwarts- 
gesellschaft, die in öffentlichen Debatten, politischen Entscheidungen, Familien- 
geschichten und Alltags kommunikation immer wieder auf NS-Diktatur und „SED- 
Regime" Bezug nimmt. 



138 Vgl. den - älteren - Überblick bei Oswalt 2006 und die entsprechenden Beiträge in 
Danker; Schwabe 2008a; zu den zahlreichen DVD-Editionen des Deutschen Historischen 
Museums Jahrbuch 2007: 47ff. — Als gelungenes Beispiel für eine quellenorientierte 
Auseinandersetzung mit „Fixpunkten" deutscher Geschiente: Schmidt; Schmidt 2007; als 
Beispiel für die Auseinandersetzung mit historisch gewachsenen Mentalitätsmustern, 
Stereotypen und Vorurteilen: Behal-Tnomsen; Lundquist-Mog; Mog 1993. 



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Historische Quellen im Internet 



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- Andere geschichtliche Prägungen der deutschen Gesellschaft scheinen über 
Internetressourcen und WWW-Quellen weniger dicht zu erfassen zu sein, etwa 
Umweltschutz und Naturromantik, der deutsche Weg der Sozialstaatlichkeit, 
Ordnungsvorstellungen, Obrigkeits- und Staatsverständnis. Aspekte wie Frauen- 
unterdrückung und -emanzipation, der Wertewandel und die kulturelle Liberali- 
sierung seit den 1960er Jahren sowie Realitäten von „Deutschland als Ein- 
wanderungsland" haben zuletzt aber auch im Netz stärkere Beachtung gefunden. 
Die Veränderungen des Geschichtsbewusstseins und die Dynamik des World Wide 
Web machen es wahrscheinlich, dass es hierzu bald weitere brauchbare Internet- 
angebote geben wird. 

— „Alltag und Erfahrung" als Perspektiven historischer Landeskunde lassen 
sich im Netz derzeit am ehesten über Zeitzeugenberichte und lebensgeschichtliche 
Interviews einfangen. Wenngleich solche Quellen besonderer methodischer Refle- 
xion bedürfen, in der Unterrichtspraxis bisher nicht im Zentrum stehen (vgl. Uly 
1999: Abschn. 3.1.5) und von der sprachlichen Textur gerade Fremdsprachen- 
lernern Schwierigkeiten bereiten können, stellen sie aktuell doch eines der wich- 
tigsten Angebote des Internet an die Landeskunde dar. 



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Fotografie als historische Quelle? 



Jürgen Nielsen-Sikora 



Geblendet schloß er die Augen. 

(Elias Canetti) 



Einleitung 

Das Auge ist das am häufigsten zitierte Sinnesorgan, wenn es darum geht, dem 
Wesen des Menschen nachzuspüren. 1 Schon in der griechischen Antike, die im 
Staunen das Motiv für Erkenntnis Fortschritte entdeckte, waren existenzielle Fragen 
primär an die Ordnung der Blicke geknüpft. Damit einher ging seit Piaton und 
Aristoteles die Mahnung, eine strikte Trennung von Sein und Schein (z.B. Soph. el. 
1, 164a 20ff.) zu achten, um dem der Wahrheit verpflichteten Leben der theoria 
gerecht zu werden; ein Anspruch der Philosophie, der noch Kants transzendentale 
Dialektik von 1781 durchdrang und sogar bis weit in das 20. Jahrhundert hinein 
virulent blieb. 2 

Ein zentrales Kriterium der Wahrheitsfindung ist die philosophische Reflexion, 
jene Selbstbezüglichkeit des denkenden Ichs, das mit Descartes und Hegel zum 



1 Ich danke Stephanie Coche, Martina Pilger, Uwe Koreik und Felix Hinz für inhaltsbezogene 
Hinweise. 

2 Vgl. Kant 1998. 



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Jürgen Nielsen-Sikora 



populären Moment des Philosophierens aufstieg und einmal mehr auf das Auge als 
herausragendes Organ dieser Tätigkeit verwies. Die Idolatrie und der „Adel des 
Sehens", auf den viele Philosophien immer wieder rekurrierten, blieben bis ins 
vorangegangene Säkulum uneingeschränkt an der Macht: Die Philosophischen 
Anthropologien von Helmuth Plessner (1928) und Ludwig Klages (1935), von 
Jean-Paul Sartre (1943), Hans Jonas (1979) und Hans Blumenberg (2006) kommen 
ohne eine Okulararistokratie nicht aus; 3 unterschiedlichste Disziplinen des 20. Jahr- 
hunderts wie die Phänomenologie, die Existenzphilosophie, die Semiotik, der 
Konstruktivismus oder die Ethnologie greifen Metaphern des Sehens auf und 
widmen sich den Fallstricken der Beobachterperspektive im Kontext der so 
genannten „Visual Culture", der bildverliebten Kultur, die im „Jahrhundert der 
Bilder" (vgl. Paul 2008/9), der Werbung und des Konsums scheinbar allein über 
das Auge zur Vernunft kommt. Eine paradoxe Situation? 

Bereits die Aufklärung hatte das Bild vom Menschen als Homo pictor und 
Animal symbolicum vorgedacht, doch erst die Spätmoderne hat diese Vorstellung 
vollendet: bildlich phantasierend, Bilder interpretierend, Abbilder erkennend und 
Zeichen verwendend wird der Mensch zu einem Wesen, das über den 
bildsprachlichen Ausdruck der Wahrheit auf den Grund zu gehen vermag, indem 
es den falschen Schein seiner Wahrnehmungswelt dekonstruiert. Doch gelingt dies 
nicht immer: „Ich sehe", schrieb Roland Barthes deshalb, „den Menschen an 
,Bildern' erkrankt, an seinem ,Bikf erkrankt." (Barthes 2006: 387). Denn das Bild, 
das der Mensch sich von sich selbst macht, macht er im Schatten der Bilder, die 
täglich auf ihn einströmen. 4 In Bilderfiut und Blitzlichtgewitter verliert das 
Selbstbild zwangsläufig an Schärfe, und der Anspruch, den der Mensch an sich seit 
Alters her gestellt hat, ist kaum mehr einlösbar: Der „logos" löst sich zusehends in 
den Logos der Werbeindustrie auf. 

Eine Kritik der Sehfähigkeit lässt ebenfalls kaum Zweifel an der Vorherrschaft 
des Auges: Jean Baudrillards Theorie der Simulakren (1991), die die platonische 
Darstellung der Troglodyten nach mehr als zweitausend Jahren konsequent zu 
Ende denkt, indem sie das Imaginäre als Bewusstsein gestaltendes Moment 
versteht, oder Vilem Flussers Entwurf einer telematischen, völlig vernetzten 
Gesellschaft (2007) im Informationszeitalter bilden hier keine Ausnahme. 

Ein Wesen, das sich über die Jahrhunderte so intensiv und ausdauernd, 
ausgiebig und wohlüberlegt mit dem Blick auf die Welt, seit der Renaissance mit 
der Perspektivenvielfalt, seit der Weimarer Republik mit der Unschärferelation 
beschäftigt, muss die Erfindung der Fotografie und ihre Weiterentwicklung als 
digitale Computergrafik auf Grund der vermeintlichen Verdopplung der Welt als 
Herausforderung seiner Wahrheits suche empfinden. Eine Neuvermessung der 
Blicke schien mit Heraufkunft der Fotografie unausweichlich. 



3 Vgl. Plessner 1978; Klages 1982; Sartre 1993; Jonas; Blumenberg 2006. 

4 Nota bene zeigt sich etymologisch das Verhältnis von Krankheit und Nachbildung im Begriff der 
„Simulation". 



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Fotografie als historische Quelle? 



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Inzwischen fragt auch die Geschichtswissenschaft nach dem Objektivi- 
tätscharakter fotografischer Bilder: Lassen sich Fotografien als historische Quellen 
nutzen, oder sind sie nicht mehr als illustratives und emblematisches Schmuckwerk 
in historischen Darstellungen? 

Im Folgenden will ich versuchen, diese Frage anhand einiger prominenter 
Beispiele zu beantworten und darf vorwegnehmen, dass ich Zweifel am Nutzen 
des Einsatzes von Fotografien als historische Quellen hege. Allein unter der Frage- 
stellung, wie sich der Blick auf die Welt mit der Weiterentwicklung fotografischer 
Techniken verändert hat, scheint mir im Hinblick auf den Stellenwert von Bildern 
als Quelle historischer Forschung sinnvoll. Meine Ausführungen sollen diese 
Skepsis argumentativ unterstreichen. 

Mir geht es hierbei jedoch nicht um den didaktischen Wert der Fotografie für 
den Fremdsprachenunterricht, sondern allein um die Frage, ob wir durch den 
Gebrauch von Fotografien als Quellenmaterial in der historischen Forschung und 
im Geschichtsunterricht einen Mehrwert an Erkenntnis gewinnen, oder ob wir 
nicht gänzlich auf Fotografien im Rahmen der Geschichtsanalyse einer bestimmten 
Zeit, Epoche oder eines Ereignisses verzichten sollten. Meine These ist, dass sich 
der Mehrwert allein durch den Reiz des Anschauungsmaterials ergibt, das jeweilige 
Foto allerdings über die Vermittlung einer subjektiven Sichtweise in einem 
bestimmten Zeitraum hinaus wenig Aussagekraft besitzt. Die folgenden Bemer- 
kungen verstehen sich insofern als Plädoyer für einen sparsamen Gebrauch der 
Fotografie im Kontext historischer Forschungen und erteilen der Beschäftigung 
mit Bildern nur dann die Legitimation, wenn es darum geht, anstelle der Aussagen 
über die Wirklichkeit der Vergangenheit etwas über den Blick auf diese Ver- 
gangenheit erfahren zu wollen; ein Plädoyer, Fotografien nicht bloß als Illustration 
des Textes, und Texte nicht nur als Kommentare der Bilder zu sehen, sondern 
Wort und Bild zirkulieren und sie in Dialog treten zu lassen. Allein dann, so 
scheint mir, haben Fotos als historische Quelle ihre Berechtigung. Hierzu will ich 
in drei Punkten Stellung nehmen. Zunächst sage ich etwas zum Verhältnis von 
Fotografie und Text (1), frage anschließend danach, was Bilder wollen (2) und gebe 
zum Schluss und in aller Kürze einige didaktische Anregungen, ehe ich ein Fazit 
meiner Ausführungen ziehe (3). 



1 Zum Verhältnis von Fotografie und Text 

Stellen Sie sich angesichts des oben skizzierten Vorhabens einmal eine Situation 
vor, in der jemand ein Foto wie folgt beschreibt: 

„Das Bild ist schwarz-weiß. Ich sehe ein Schlachtfeld, und auf dem 
Schlachtfeld einen einzelnen Mann, der zwischen gefallenen Soldaten steht und 
entsetzt in die Weite blickt. Er fasst sich mit der rechten Hand an den Kopf und 
reißt Augen und Mund weit auf. Die andere Hand liegt auf der Schulter eines am 
Hang liegenden gefallenen Soldaten. Er hat einen langen Mantel an, der nicht 



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Jürgen Nielsen-Sikora 



geschlossen ist und trägt einen Gürtel und Stiefel. Außerdem hat er eine Box um 
den Hals gehängt. Die ganze Szene scheint in einem Schützengraben zu spielen. 
Die gefallenen Soldaten liegen zum Teil übereinander, zwei haben Blut im Gesicht. 
Alle Soldaten bis auf den Überlebenden tragen Helme und haben die Augen 
geschlossen. Insgesamt ist aber nicht erkennbar, ob auch alle liegenden Soldaten 
wirklich tot sind. Die Gesichter der Männer sehen relativ jung aus, in jedem Fall 
deutlich jünger als das des entsetzt in die Weite blickenden Mannes. Zwischen den 
Soldaten, vor dem lebenden Mann, liegen nicht weiter erkennbare Gegenstände. 
Außer dem Schützengraben ist nichts zu sehen. Keine Natur, keine Gebäude, 
keine anderen Menschen, keine schweren Geschütze." 

Mit diesen Worten skizzierte eine Kollegin ein Bild, das ich ihr mit der Bitte 
überreichte, sie möge die Szene in Worte fassen. Wann und wo das Gesehene 
spielt, lässt sich scheinbar nicht exakt sagen. Meine Kollegin äußerte die Vermu- 
tung, es sei ein Bild aus dem Ersten Weltkrieg. Der Stahlhelm, der Schützengraben 
ließen darauf schließen. 

Warum die Bildbeschreibung? „Bilder sind längst fester Bestandteil in verschie- 
denen Bereichen des Lehrens und Lernens" schreiben Hecke und Surkamp (2010: 
9). Hierbei gehe es um die Fragen nach Bildauswahl, Verwendung und metho- 
dischem Einsatz. Die Bilder und Fotografien einerseits, die Reflexion des Einsatzes 
andererseits bleiben im Unterricht jedoch oftmals unkritisch. Auch Hecke und 
Surkamp neigen meines Erachtens zu einer Überbewertung der Möglichkeiten des 
Bildeinsatzes. So zeichne sich eine Abbildung dadurch aus, „dass die zentralen 
Merkmale von Darstellung und Dargestelltem übereinstimmen (wie z.B. bei 
Porträtfotos)" (ebd.: 10). Des Weiteren könnten „authentische Bilder ... 
produktive Sprechanlässe liefern" (ebd.: 11) und seien „wertvolles Material" (ebd.) 
für den Unterricht, weil sie diesen positiv beeinflussen und „das Textverständnis 
unterstützen" (ebd.: 12) würden. Insgesamt ließe sich das Sehen trainieren und 
trüge zu einer „Medienkompetenz der Lernenden", zur „Sehkompetenz" und 
„visual literacy" bei (ebd.: 13). Trainiert werden solle insbesondere die „Fähigkeit, 
Bildinhalte verbalisieren zu können" (ebd.: 14). Ein visuell kompetentes Betrachten 
unterscheide sich vom bloßen Wahrnehmen dadurch, „dass die visuellen Reize 
kritisch begutachtet und bewusst unter Bezugnahme auf Gestaltungshinweise und 
Kontext des Bildes gedeutet werden." (ebd.: 15). Der letzte Punkt, auf den auch 
Gabriele Blell aufmerksam macht, ist entscheidend. Zwar gehe es darum, so Blell, 
den Lerner zu einem kenntnisreichen und kritisch-kompetenten „Leser im Sinne 
eines Schauers aller Arten von visuellen Texten" (ebd.: 94) zu machen, weil alles 
Visuelle eine bedeutungsstiftende, eine bedeutungstragende sowie eine bedeutungs- 
vermittelnde Instanz" (ebd.: 95) besitze. Gleichwohl gibt sie zu verstehen, dass 
Lesen und Sehen „immer subjektiv, selektiv, also immer schon Interpretation" 
(ebd.: 98) der jeweiligen „Bildgrammatik" seien. Die Schwierigkeit, diese Bildgram- 
matik kritisch zu entschlüsseln, sollte nicht unterschätzt werden. 

Kommen wir deshalb noch einmal auf die Bildgrammatik der eingangs 
beschriebenen Szene zurück. Die in Worte gefassten Eindrücke meiner Kollegin 



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Fotografie als historische Quelle? 



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bilden den Ausgangspunkt für ein kleines Gedankenexperiment des Bild- 
verstehens: Zu Beginn eines Vortrags lese ich den Text vor, ohne das Bild, das die 
Kollegin beschreibt, zu zeigen. Anschließend bitte ich meine Zuhörer, sich vor 
dem inneren Auge die Situation vorzustellen. Erst danach wird die Fotografie 
gezeigt. Die Diskrepanz zwischen all den Vorstellungen, die sich durch die 
Beschreibung ergeben und dem auf die Leinwand projizierten Bild ist, wie zu 
erwarten, groß. Denn der Versuch, das Foto in Worte zu fassen, kann noch so 
gelungen sein, eine Übereinstimmung zwischen der Gedankenwelt und der Sehwelt 
ist nicht herzustellen; auch dann nicht, wenn weitere Personen die Bildbeschrei- 
bung durch eigene Worte ergänzen und komplettieren würden. Aussagen zum 
Format, zum Mittelpunkt des Bildes, zum Vorder- und Hintergrund oder zu den 
Bildachsen mögen hierbei Konkretisierungen des inneren Bildes hervorrufen, doch 
lassen sich niemals alle Bildinformationen als Text rekapitulieren. Kurt Tucholsky 
fasste diesen Sachverhalt bereits im Jahre 1926 wie folgt zusammen: „Weil jeder 
genau so ist, wie er aussieht, und weil wir nur nicht lesen können, was uns die 
Natur eindeutig auf die Menschengesichter schreibt, so können Augenblicksfoto- 
grafien erbarmungslos enthüllen, was das Auge nicht so schnell hat wahrnehmen 
können. Eine Momentaufnahme ist die fixierte Blamage einer unvorsichtigen 
Bewegung, eines schiefen Lächelns, einer sorgsam versteckten Beobachtung ... 
Plötzlich ist alles am Tage ... Und weil ein Bild mehr sagt als hunderttausend 
Worte, so weiß jeder Propagandist die Wirkung des Tendenzbildes zu schätzen: 
von der Reklame bis zum politischen Plakat schlägt das Bild zu, boxt, pfeift, 
schießt in die Herzen und sagt, wenn's gut ausgewählt ist, eine neue Wahrheit, und 
immer nur eine. Es gibt Beschreibungen, die die Bilder übertreffen, aber das ist 
selten. Es gibt hunderttausend Fotografien, die den besten Schilderer übertreffen, 
das ist die Regel ..." (Peter Panter 1926: 75). 

Das von mir ausgewählte Bild war ein Fotostill, ein spiegelverkehrt aus dem 
Internet kopiertes Cover aus G.W. Pabsts UFA-Klassiker „Westfront 1918" aus 
dem Jahre 1930, aus dem ich alle Textbausteine getilgt hatte, so dass kein Verweis 
auf den Film mehr sichtbar war. Erst im Vergleich mit dem vollständigen Cover 
wird deutlich, dass das Foto nicht aus dem Ersten Weltkrieg stammt, sondern am 
Ende der Weimarer Republik produziert wurde. Das Foto war gestellt und 
verfälscht. Diese Informationen erhalten wir aber nur durch den Text, der auf die 
Klassiker-Edition, die Schauspieler und den Regisseur verweisen. Das Bild, das ich 
eingangs der Kollegin gezeigt habe, sagt mithin mehr als tausend Worte; es sagt aber 
zugleich auch weniger. Zum Verständnis der dargestellten Szene benötigen wir 
stets Informationen, die sich nicht allein aus dem Anblick eines Fotos erschließen. 



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Jürgen Nielsen-Sikora 



WESTFRONT 1918 




Abb. 1: DVD-Cover von G.W. Pabsts „Westfront 1918", © Edition Ufa-Klassiker. 



Auch der Pionier der Fotografie, William Henry Fox Talbot, der in seinen Bildern 
durchaus einen historischen Mehrwert erblickte und die Fotografie 1844 als 
„Zeichenstift der Natur" (vgl. Stiegler 2010: 161) begriff, kam nicht ohne Kom- 
mentare zu seinen Bildern aus. Seine Schilderungen fielen dabei recht bildreich aus. 
So heißt es über das Queen's College in Oxford: „Die Oberfläche des Gebäudes 
mit ihrem verwitterten Stein, der wahrscheinlich von Anfang an von schlechter 
Qualität war, zeigt aufs deutlichste Spuren der Zerstörung durch Zeit und Wetter." 
(161). Über den Pariser Boulevard heißt es: „Es ist Nachmittag. Die Sonne verlässt 
gerade die säulengeschmückte Häuserreihe: Die Fassade ist schon im Schatten, 
aber ein einzelner Fensterladen steht weit genug offen, um einen Schimmer Sonne 
zu erhaschen . . . Ein wahrer Wald von Schornsteinen säumt den Horizont: Denn 
das Instrument registriert alles, was es wahrnimmt, und einen Schornsteinaufsatz 
würde er mit der gleichen Unparteilichkeit festhalten wie den Apoll von 
Belvedere." (162f). Das Instrument ist der Fotoapparat, dessen „Unparteilichkeit" 
Talbot heraufbeschwor. Doch ist dies eine Illusion: Die Natur kennt keine 
Rahmung, keinen Ausschnitt und keine Welt in Schwarz und Weiß. Die 
Perspektive eines Fotos ist zudem eine andere als die des Blicks; auch verteilt sich 
die Sehschärfe anders als auf der Fotografie: Wir sehen nur im Blickzentrum 
scharf, an den Rändern unseres Blicks wird die Welt zusehends unschärfer. Aber 
nicht nur hier täuscht uns das fotografische Bild — es verschweigt auch den Kon- 
text, in den es eingebettet ist: Seinen möglichen Auftraggeber, die Entstehungszeit, 
den Ereigniszusammenhang, die Agentur, die das Foto vertreibt, die Auflagenhöhe 
und die ganze Bilderpolitik, die im Zuge seiner Verwendung und Nicht- 
verwendung betrieben wird (vgl. Jäger 2009). Viele Fragen bleiben offen bei einer 



Fotografie als historische Quelle? 



65 



Bildbetrachtung: Wer sind die abgebildeten Personen? Wie wurde das Bild 
rezipiert? Welche Bedeutung hatte es für seine Betrachter? Wie Susan Sontag 
schreibt (vgl. Stiegler 2010: 295), kann ein Foto kein Beweis sein für das, was 
passiert, ohne dass wir über ein politisches Bewusstsein der Kontexte des 
Geschehens verfügen: Welche Intention hatte der Fotograf? Wie wirkt das Bild auf 
seine Betrachter? Welche Assoziationen verbinden sie damit? Und in welchem 
Verhältnis steht das Bild zu den Ereignissen, von denen es einen Ausschnitt 
widerspiegelt? 



Abb. 2: Bild-Kontexte 

Jedes Foto wird aus einem Kontext gerissen, den es zu rekonstruieren gilt, will 
man Genaueres über das auf dem Foto Dargestellte wissen. Der Ausschnitt, den 
das Foto zeigt, mag zufällig und spontan gewählt worden sein; selbst dann wird 
man dem Fotografen noch Absicht und insofern eine Intention unterstellen 
dürfen, die es zu interpretieren gilt wie einen Text. Dieser semiotisch anders zu 
deutende visuelle Text, der uns in jedem Foto vorliegt, steht im Spannungsfeld von 
Bildintention und Bildinterpretation des jeweiligen Betrachters. Aussagen über den 
Bildkontext lassen sich stets leichter verifizieren als Spekulationen über das 
Verhältnis zwischen Abbild und Wirklichkeit: Ist der Mensch auf dem Foto unten 
Barack Obama oder doch George W. Bush? 



Fotograf 



Kontext 



Betrachter 




Wirklichkeit 
(Natur) 



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Jürgen Nielsen-Sikora 




Abb. 3: Gemorphtes Bild aus den Konterfeis von Barack Obama und 
George W. Bush 

Fotografien sind mithin nicht nur bedeutungstragend, wie Blell schreibt, sondern 
vor allem bewusstseins- und meinungsbildend, weil jedes Foto im Zeitalter der 
digitalen Computergrafik prinzipiell manipuliert werden kann. Die Manipulation 
muss nicht einmal gravierend sein. Ein prominentes Beispiel ist das 1972 
geschossene Foto der damals neunjährigen Vietnamesin Kim Phuc aus dem 
zweiten Indochina-Krieg. Es zählt wohl zu den bekanntesten Fotografien des 20. 
Jahrhunderts und hat nicht zuletzt medienpolitisch auf die damaligen 
Gesellschaften in den USA und Europa eingewirkt. Das Foto wurde nachträglich 
beschnitten; so rückt die völlig verbrannte, nackte, weinende Kim Phuc stärker in 
den Bildmittelpunkt, der zwischen ihrem Nabel und der Scham liegt. Sie ist so zu 
einer Bildikone des vergangenen Jahrhunderts geworden. 

Aber genau dies ist auch ein zentrales Problem historischer Aufnahmen: Die 
Geschichte zerfällt, so schon Walter Benjamin in seinem Kunstwerkaufsatz von 
1935, in Bilder. Und Susan Sontag ergänzt: „Bilder lähmen. Bilder betäuben ... Je 
öfter man mit solchen Bildern konfrontiert wird, desto weniger real erscheint das 
betreffende Ereignis." (Benjamin 2010: 296f). Denn der politische und gesell- 
schaftliche Diskurs verlagert sich durch die Fotografie, besser: durch die perma- 
nente Reproduktion von Fotografien auf die Ebene einer zweiten Realität. Diese 
Ebene vermittelt nichts als subjektive Sichtweisen und verfolgt bestimmte Ziele. 
Die Frage, die wir uns deshalb stellen müssen, wenn wir Bilder als historisches 
Dokument betrachten, lautet: Was wollen Bilder? 



Fotografie als historische Quelle? 



67 



2 Was wollen Bilder? Einige Beispiele 

Bernd Stiegler weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Fotografien in 
erster Linie nicht die Wirklichkeit verdoppeln - und insofern als historische Quelle 
unbrauchbar sind, um etwas über die Inhalte des Dargestellten zu erfahren, 
vielmehr konstituiere die Fotografie „das Bild der Wirklichkeit. Es geht weder um 
Naturalismus noch um Konstruktivismus, sondern um eine in der Fotografie- 
theorie und mitunter sogar in den Bildern medial vermittelte Reflexion über 
Konstruktivismus und Naturalismus . . . darüber, was zu bestimmten Zeiten und in 
bestimmten Kontexten als Wirklichkeit und als visuelle Wahrheit zu fassen ist. 
Dies ist notwendig historisch zu bestimmen: als Geschichte der Wahrnehmung, 
des Realismus und der Konstruktionsformen des Realen." (Stiegler 2010: 23f). Es 
geht mithin darum, wie eine bestimmte Zeit Wirklichkeit konstruiert hat, und 
welchen Beitrag zu dieser Konstruktion des Realen die Fotografie auf einem 
bestimmten Stand der Technik lieferte. Zwar ist das Foto des kleinen Mädchens 
zum Inbegriff des Vietnamkrieges und seiner Gräuel geworden, und es steht wie 
kein anderes Dokument für die verheerende Wirkung der Napalmbomben. Über 
die Hintergründe und die Geschichte des Krieges aber sagt es nichts; schon gar 
nichts darüber, warum die Vietnamesen, die die US-Bombe geworfen haben, ihr 
eigenes Volk angriffen. 

An dieser Stelle darf man gewiss einwenden, dass auch ein so großartiges Buch 
wie Bernd Greiners „Krieg ohne Fronten" (2009), das bis dato unbekanntes 
Archivmaterial zum Vietnamkrieg präsentierte, nicht lückenlos sein kann. Doch 
das Wort ist in der Lage zu reflektieren, wohingegen das Foto immer nur ein 
„Bruchstück der Welt" sein kann; eine Miniatur der Realität, „die jedermann 
anfertigen oder erwerben kann." (Sontag a.a.O.: 278). Das Foto wird auf Grund 
seines Reproduktionscharakters zu einer Projektionsfläche, für die allein die 
Aufmerksamkeit des Betrachters entscheidend ist. 



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68 



Jürgen Nielsen-Sikora 




Abb. 4: Kim Phuc als Pop-Ikone zwischen Mickey Mouse und Ronald McDonald. 
Ein Werk des Graffiti-Künstlers Banksy. 

Immer und immer wieder gezeigte Bilder sind Indizes von Wendepunkten und 
Umbrüchen (vgl. Schuster 1996: 194). Die Erinnerung an fotografische 
Repräsentationen ist vitaler als das Erlebte. „Politics of Representation" könnte 
man im Anschluss an Victor Burgin (1982) diese Form der medialen Inszenierung 
nennen und zugleich unterstreichen, dass Fotos alles andere als ein „Fenster zur 
Welt" (vgl. Burgin in Wolf 2002: 25) darstellen. Vielmehr, so Burgin, gehe es 
darum zu zeigen, „inwiefern die Repräsentationsmittel das Repräsentierte deter- 
minieren." (26). Eine dekonstruktive Lektüre des immer stärker in den Vorder- 
grund rückenden Hilfsmittels der Geschichtswissenschaft ist es, worum sich 
Burgin bemüht: „Die Oberfläche des Fotos aber verbirgt nichts außer der Tatsache 
der eigenen Oberflächlichkeit." (37). Wo sie doch einmal durchbrochen wird, dort 
spielt sie selbstironisch auf ihren Oberflächencharakter an. So zum Beispiel in 
Michael Schirners Fotomontage von Brandts Kniefall 1970 in Warschau. Das 
digital bearbeitete Foto kommt ganz ohne den Protagonisten aus: Brandt fehlt auf 
Schirners Foto; der leere Fleck lädt das Foto noch einmal mit Bedeutung auf, 
indem es den Ikonencharakter der Darstellung und des Nicht-Dargestellten 
kritisch befragt. Jean Baudrillard sprach in den Fatalen Strategien (1991) von der 
„Kunst des Verschwindens". Wenn diese irgendwo geglückt sein sollte, dann am 
ehesten in diesem großartigen Foto von Michael Schirner. 



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Fotografie als historische Quelle? 



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„Wir entfernen 100% von allem, was das ursprüngliche Photo bekannt gemacht 
hat: den Protagonisten, das zentrale Bildmotiv, Form und Inhalt der Geschichte. 
Das durch Entfernen des Bildvordergrundes entstandene »Loch« oder die 
Leerstelle wird in aufwendigen Verfahren durch digitales Neumalen des Hinter- 
grundes gefüllt. So entstehen ein neues Bild und ein selbständiges Werk. Ziel der 
Unsichtbarmachung oder des Entfernens vom ursprünglichen Inhalt und der 
wesentlichen Elemente des Bildes ist es, aus dem journalistischen Photo etwas 
kategorisch Anderes zu machen..." (ebd.). 

Schirner hat Roland Barthes' Idee der Punktierung gewissermaßen ins Negativ 
gekehrt. Barthes sprach 1980 in „Die helle Kammer" von den empfindlichen 
Stellen und Verletzungen eines Fotos. Diese nennt er „punctum" und deutet sie als 
„Strich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt — und: Wurf der Würfel. Das 
punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich 
aber auch verwundert, trifft)." (Barthes 1989: 36). In Schirners digital bearbeiteten 
Fotografien wird die Verwunderung dadurch hervorgebracht, dass der uns 
eigentlich bekannte Stich (die Verwundung) ausgelöscht wird. Somit wird das 
Punctum gleichwohl besonders betont — als Negativ. Wenn für Barthes das Punc- 
tum etwas ist, das ihn der Fotografie etwas hinzufügen las st, so fügt Schirner dem 
Bild etwas hinzu, indem er etwas weglässt. 

Schirners Bildkritik — vermittelt durch das Bild selbst — ist ungewöhnlich und 
neu. Textkritik am vermeintlichen Repräsentationscharakter der Fotografie kam 
hingegen bereits im 19. Jahrhundert auf. Auch waren Bearbeitungen der Fotos 
durchaus üblich. Nicht alle teilten Talbots Auffassung vom Zeichenstift der Natur. 



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Jürgen Nielsen-Sikora 



Neben Johann Gustav Droysens Historik aus dem Jahre 1857, die kritisch auf die 
Fotografie als historische Quelle blickt 5 , war es beispielsweise Peter Henry 
Emerson, der Arzt und Fotograf, der Ende des 19. Jahrhunderts bemerkte, Fotos 
spiegelten keinesfalls die Wahrheit einer Szene wider. Das menschliche Auge, so 
Emerson, sehe nur eine Anzahl von Zeichen. Nur aus Gewohnheit würden wir 
diese Zeichen „Natur" nennen. Ein wahrer Eindruck einer Szene sei nicht 
erkennbar (vgl. Emerson in Stiegler: 168f.). 

Unsere Sehgewohnheiten widersprechen dieser Einschätzung allerdings bis 
heute, denn das Foto ist „begrifflich nicht von seinem Trägermaterial zu trennen. 
Phänomenologisch schlägt sich das Foto als reines Bild nieder, und dieser Effekt 
ist auch der Grund dafür, weshalb wir der Fotografie gewöhnlich den mythischen 
Wert der Transparenz zuschreiben", merkt Solomon-Godeau an (in Wolf 2003: 
70) und formuliert als Aufgabe, diese „encodierten und verborgenen Bedeutungen 
ans Licht zu bringen, die historischen und formalen Strategien aufzudecken, die die 
Herstellung, den Sinn, die Rezeption und den Gebrauch einer Arbeit determiniert 
haben ..." (72). Angesichts der Bilderflut heutzutage wirkt diese Herausforderung 
allerdings alles andere als einfach und kann nur im Einzelfall zum Erfolg führen, 
um paradigmatisch den grundsätzlich dubitativen Charakter (Lunenfeld) von 
Fotografien zu demonstrieren. Doch Zweifel am Wahrheitsgehalt von Fotografien 
sind bis heute nicht üblich. Wir müssen hierbei nicht einmal Fotos zitieren, die der 
damalige Außenminister der Vereinigten Staaten der Weltöffentlichkeit präsen- 
tierte, um den Irak-Krieg zu rechtfertigen. Fotos, auf denen zwar nichts wirklich zu 
sehen war, die aber beweisen sollten, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen 
verfüge. Wir brauchen nur einmal in einige Schulbücher zu schauen und stellen 
fest, wie selbst in Unterrichtsmaterialien der historische Kontext manipuliert wird. 
In einer gängigen Illustration einer spartanischen Phalanx wurde der fünfte Krieger 
wegretuschiert, weil er in sich zusammensackt und scheinbar nicht dem Wesen der 
Phalanx entspricht. Seine Beine aber blieben erhalten, weil sie im Gewühl der 
übrigen Krieger auch nicht weiter auffallen. Dass die vier Spartaner in der Bild- 
mitte über zu viele Beine verfügen, stört viele Schulbuchverlage nicht. 



5 Vgl. Droysen 1977. 



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Fotografie als historische Quelle? 



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Abb. 6: Spartanische Phalanx, der gefallene Krieger wurde wegretuschiert. Nur 
seine Beine sind noch am Platz. Forum Geschichte (Cornelsen), Bd. 1, 2005: 89. 



Es sind solche durch Manipulation hervorgerufene Bedeutungsverschiebungen, die 
im Rahmen einer Quellenanalyse in erster Linie in den Blick genommen werden 
müssen. In den Blick nehmen bedeutet, dass das betrogene Auge fähig ist, den 
Trug zu entlarven. Eine reflexiv-kritische Lektüre visueller Texte kann den über die 
Fotografie vermittelten Schein der Dinge wieder ins rechte Licht rücken. Den 
falschen Schein erkennen, der sich nicht nur in gemorphten, gefilterten, weich 
gezeichneten, gespiegelten, invertierten, gedrehten, gestreckten, kolorierten oder 
gerasterten Bildern, sondern in ausnahmslos jedem Foto wieder findet, kann nur, 
wer die Augen ein weiteres Mal bemüht, genauer hinzusehen und Textinforma- 
tionen hinzuzieht. Denn die Kamera setzt zunächst alles gleich und ebnet die 
Bedeutungen ein. Sie hat, wie Susan Sontag zu Recht konstatiert, eine „chronisch 
voyeuristische Beziehung zur Welt geschaffen." (Sontag, a.a.O.: 286). 

Andererseits kann sie Dinge sichtbar machen, die für das bloße Auge 
unsichtbar sind. Denken wir nur an eine Torkamera, an das Zielfoto bei einem 100 
Meter-Sprint und an andere Bewegungsabläufe, die mittels Fotografie exakter zu 
studieren sind, weil sie die Welt für den Bruchteil einer Sekunde einzufrieren 
vermögen und, wie Jean Baudrillard skizziert, „das Überstürzen der Ereignisse" 
unterbrechen (a.a.O., 56). Doch diese Ereignisse müssen zuvor definiert worden 
sein: Wembley, Olympische Spiele, 11. September etc. Erst nach ihrer Definition 
und der Festlegung ihres Status im Kontext der Bilderpolitik können Fotos eine 
Kontrolle über unsere Erinnerungen ausüben: Nine-Eleven wird sodann zum 
Synonym für die ewige Wiederkunft des Bildes von Flug 175 der United Airlines. 



72 



Jürgen Nielsen-Sikora 



Wie Georges Salles meint, ist die Erinnerung ein „geheimnisvolles Auge", das 
„wiederkäut". (Salles 2001: 48). 




Abb. 7: Wembley-Tor 1966: Fotografie als (Gegen-) Beweis? 



3 Didaktische Aspekte und Fazit 

Der Mensch ist dieses Wesen, das seine inneren Bilder stets wiederkäut und 
versucht ist, über dieses Wiederkäuen eine Kontrolle über die Vergangenheit zu 
erlangen. Sich der Geschichte zu vergewissern über die Bilder, die wir von ihr 
besitzen, sie in der Gegenwart wieder aufblitzen zu lassen, daran scheint kein Weg 
vorbei zu führen, sucht der Mensch in seiner Gegenwart Orientierung. Nicht 
zuletzt gilt dies für Erinnerungen an sein eigenes, gelebtes Leben: „Ach, das war 
ich, als ich so und so alt war, schau. Und hier, auf diesem Bild, bin ich mit Vater 
und Mutter in Frankreich. Das hier ist der Hof meines Großvaters und auf dem 
nächsten Bild ..." Ohne die Fotografien gäbe es diese Erinnerung nicht; nicht in 
der Form. Die Bilder prägen unsere Erinnerung an die Vergangenheit, die wir 
durch ihre Brille lesen: Habe ich das wirklich so erlebt, oder erlebe ich das jetzt nur 
so, weil ich mir dieses Foto nach Jahren wieder anschaue? Kann ich mich nur 
erinnern, weil ich dieses Bild von der Vergangenheit in Händen halte? „Die Foto- 
grafie befreit . . . die bildhaften Erinnerungen aus ihrer absoluten Isolation, indem 



Fotografie als historische Quelle? 



73 



sie über ein Foto kommunizierbar werden" schreibt der Kölner Psychologe Martin 
Schuster (a.a.O.: 17). In der Fotografie sieht er ein technisches Instrument, das die 
Möglichkeiten unserer Denkgewohnheiten selbst verändere und zur Bewusstseins- 
erweiterung beisteuere. Noch stärker als die Erinnerung an bestimmte Personen sei 
allerdings die Erinnerung, die fotografierte Dinge übermittelten (ebd.: 76): Der 
Teddy, mit dem man früher gekuschelt, das Auto, das man einst gefahren, oder das 
Zimmer, das man vor langer Zeit bewohnt habe. Dem pflichtet auch Pierre 
Bourdieu bei, indem er fragt: „Was ist realer und der Realität getreuer als eine 
Photographie? Was ist beruhigender und deutlicher? Und zwar derart, dass die 
Photographien einen zur Verzweiflung bringen: Wenn es regnet, wozu sollte man 
sagen, dass es regnet?" (Pierre Bourdieu, zitiert nach: Brohm 2009: 197). 




Abb. 8: Waren wir das damals auf diesem Bild? Erinnern wir uns an die Situation 
auf Grund des Fotos? Konservieren wir darin unsere Erinnerung? (Der 1. Schultag, 
© Verfasser 2010) 



Ziehen wir ein Fazit unserer Überlegungen. Wir haben feststellen müssen, dass 
eine Fotografie unkommentiert niemals ein Zitat der Wirklichkeit sein kann. Sie ist 
insofern als Quelle, die etwas über die Wirklichkeit der Geschichte aussagt, 
zunächst ungeeignet. Die Fotografie, sagt Jean Baudrillard, sei „unser Exorzismus. 
Die primitive Gesellschaft hatte ihre Masken, die bürgerliche Gesellschaft ihre 
Spiegel. Wir haben unsere Bilder . . . Durch das Bild erzwingt die Welt ihre Dis- 
kontinuität, ihre Zerstückelung, ihre künstliche Augenblicklichkeit." (Baudrillard in 
Stiegler, a.a.O.: 50£). Allerdings scheint die Fotografie als Quelle, die etwas über 
die Wirklichkeit der Blickpunkte in der Vergangenheit und Gegenwart aussagt, 
geeignet, ihren Beitrag im Rahmen historischer Forschung zu leisten. Denn sie 



74 



Jürgen Nielsen-Sikora 



vermittelt subjektive Sichtweisen und ihre Veränderungen (vgl. Warnke et al. 
2011). Darin liegt jedoch auch die einzige Legitimation der Verwendung von Foto- 
grafien als historische Quelle. Nicht das dargestellte Geschehen als solches, 
sondern allenthalben die Ordnung der Blicke (vgl. Reich 1998) auf das Ereignis ist 
es wert, untersucht zu werden. Darüber hinaus beeinflussen Fotografien unsere 
Erinnerungen. Manche Ereignisse werden nur deshalb in Erinnerung behalten, 
weil sie durch das Betrachten eines Fotos mehrmals als Erinnerungsbild 
reproduziert werden: Das Foto nimmt den Platz der realen Situation ein. Hierbei 
eröffnet das, was Roland Barthes (1980/89) das Punctum der Fotografie genannt 
hat, die Stelle im Bild, die uns zur Verwunderung, zum Staunen bringt, neue 
Zugänge zur (eigenen) Geschichte. Denn Fotos verändern Sehgewohnheiten. 
Diese Veränderungen im „kollektiven Bildbewusstsein" (Schuster) müssen 
thematisiert werden. Nehmen wir das seit den Griechen so oft beschworene 
Staunen über die Bilder der Welt einmal mehr zum Anlas s, um auch und vor allem 
im Geschichtsunterricht die Frage nach dem Menschen und den Bildern, die er 
sich von sich selbst macht, nachzugehen. 



Literatur 

Aristoteles (1883): Sophistische Widerlegungen. Übersetzt von J. H. von Kirchmann, 
Heidelberg: Georg Weiss. 

Barthes, Roland (2006): Das Rauschen der Sprache. Kritische Essays. Frankfurt/Main: 
Suhrkamp. (Original 1977). 

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Frankfurt/Main: Suhrkamp. (Original 1980). 

Baudrillard, Jean (1991): Die fatalen Strategien. Berlin: Matthes & Seitz. 

Benjamin, Walter (2010): Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Repro- 
duzierbar -keit. Frankfurt/Main: Suhrkamp. (Original 1935). 

Blell, Gabriele (2010): Der Leser als „Grenzgänger": Entwicklung intermedialer 
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Blumenberg, Hans (2006): Beschreibung des Menschen. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 

Bourdieu, Pierre (2009): L'image de l'image. Zitiert nach: Holger Brohm: Dia- 
gramm und Fotografie als Praxis des Visuellen. Pierre Bourdieu (1930-2002). 
In: Jörg Probst; Jost Philipp Klenner (Hrsg.): Ideengeschichte der Biowissenschaft. 
Siebzehn Porträts. Frankfurt/Main: Suhrkamp, S. 197-213. 

Burgin, Victor (1982): Thinking Photography. London: Macmillan Education. 

Droysen (1977): Historik. Historisch- kritische Ausgabe. Hg. von Peter Leyh. Stuttgart- 
Bad Cannstadt: Fromann-Holzboog. (Original 1857). 



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Fotografie als historische Quelle? 



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Flusser, Vilem (2007): Kommunikologie. Frankfurt/Main: Fischer. 

Greiner, Bernd (2009): Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam. Hamburg: Ham- 
burger Edition. 

Hecke, Carola; Surkamp, Carola (Hrsg.) (2010): Einleitung: Zur Theorie und 

Geschichte des Bildeinsatzes im Fremdsprachenunterricht. In: Dies.: Bilder im 
Fremdsprachenunterricht. Neue Ansätze, Kompetenzen und Methoden. Tübingen: Narr, 
S. 9-24. 

Jäger, Jens (2009): Fotografie und Geschichte. Frankfurt/Main: Campus. 

Kant, Immanuel (1998): Kritik der reinen Vernunft. Hrsg. von Jens Timmermann. 
Hamburg: Meiner. (Original 1781). 

Klages, Ludwig (1982): Grundlegung der Wissenschaft vom Ausdruck. Bonn: Bouvier. 
(Original 1935). 

Paul, Gerhard (Hrsg.) (2008/9): Das Jahrhundert der Bilder. 2 Bände. Göttingen: 
Vandenhoeck & Ruprecht. 

Piaton (1988): Der Staat, übersetzt von Otto Apelt. Hamburg: Meiner. 

Plessner, Helmuth (1978): Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die 
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Reich, Kersten (1998): Die Ordnung der Blicke. 2 Bände. Neuwied: Luchterhand. 

Salles, Georges (2001): Der Blick. Berlin: Vorwerk 8. (Original 1939). 

Sartre, Jean-Paul (1993): Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen 
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Schuster, Martin (1996): Fotopsjchologie. Fächeln für die Ewigkeit. Berlin und Heidel- 
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Solomon-Godeau, Abigail (2003): Wer spricht so? Einige Fragen zur Dokumentar- 
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Stiegler, Bernd (2010): Fexte ^urFheorie der Fotografie. Reclam: Ditzingen. 

Tucholsky, Kurt alias Peter Panter (1926): Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. 
In: Uhu 2, November 1926: 75. 

Warnke, Martin; Fleckner, Uwe; Ziegler, Hendrik (Hrsg.) (2011): Handbuch der 
politischen Ikonografie. 2 Bände. München: C.H. Beck. 

Wolf, Herta (Hrsg.) (2002): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen 
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Wolf, Herta (Hrsg.) (2003): Diskurse der Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen 
Zeitalters. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 



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Der Film als historische Quelle 



Wolfgang Koller 



Während der Vorstellung [...] verließen viele Zuschauer fluchtartig das Lokal. ,Das ist ja nicht 
%um Aushalten', ertönte es hinter mir; und: ,Wie darf man uns so etwas bieten!' (Siegfried 
Kracauer, Frankfurter Zeitung, 27.5.1930) 

Am 23. Mai 1930 läuft in Berlin der Spielfilm „Westfront 1918" an, der erste deut- 
sche Tonfilm über den Ersten Weltkrieg (1914-1918). Auf neuartige Weise trans- 
portiert er Sinneseindrücke auf Ton- und Bildebene vom Kriegsgeschehen, vom 
Geknatter der Maschinengewehre bis zur Naheinstellung der Todesangst und des 
Sterbens. Die Regiearbeit von G. W. Pabst führt wegen seiner realitätsnahen und 
schonungslosen Schilderungen der Kriegsgräuel und der physischen und psychi- 
schen Zerstörung von Menschen zu heftigen Reaktionen. Kritiker empören sich 
über die unzumutbare Ausschlachtung der Grausamkeit und die vermittelte Anti- 
kriegsbotschaft — in ihren Augen ein Hohn für die soldatische Pflichterfüllung und 
Opferbereitschaft von Millionen von Frontsoldaten. Andere begrüßen, dass gerade 
die ausgereifte Technik des Filmmediums erst Krieg in seiner ganzen Unmensch- 
lichkeit vor Augen führen und ein Umdenken in der Gesellschaft bewirken könne 
(vgl. Kester 2003: 147-160). Trotz oder gerade wegen der nervlichen Belastung, die 
„Westfront 1918" dem Zuschauer offenkundig abverlangt, wird er einer der größ- 
ten Kassenerfolge des Jahres. 1 Es ist die Zeit, als um die Deutung des wenige Jahre 
zuvor verlorenen Ersten Weltkriegs mit rund zwei Millionen gefallenen Deutschen 



1 Dies geht aus einer Umfrage der Fachzeitschrift Film-Kurier unter Kinobesitzern hervor (Film- 
Kurier vom 23. Mai 1931). 



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Wolfgang Koller 



heftigste Auseinandersetzungen toben. Filme wie „Westfront 1918" oder die US- 
Produktion „Im Westen nichts Neues" (im Original: „All Quiet on the Western 
Front", Regie: Lewis Milestone) sieben Monate später ziehen den Sinn des Krieges 
und des Sterbens für das „höhere Ziel des Vaterlandes" in Zweifel, während die 
Mehrzahl der zeitgenössischen Kriegsfilme das Heldentum der Frontkämpfer 
beschwört. 

Die Weltkriegs filme jener Jahre liefern ein eindrückliches Beispiel dafür, wie 
die Bilder, die über die Kinoleinwände flimmern und wie die Geschichten, die sie 
erzählen, die Menschen ihrer Zeit bewegen können. Sie geben zugleich der Nach- 
welt Auskunft, welche Fragen die Zeitgenossen sich stellen und welche Vorstel- 
lungen und Argumentationen kursieren. Filme ziehen Menschen seit Beginn des 
20. Jahrhunderts in ihren Bann und erreichen schon früh ein Millionenpublikum. 
Bald wird dieses Medium kultisch verehrt und zur liebgewordenen Gewohnheit, zu 
einem imaginären Zufluchtsort vor den täglichen Sorgen, aber ebenso zum Aus- 
tragungsort weltanschaulicher Grabenkämpfe. Filme bieten den Zuschauern Vor- 
bilder und Gegenbilder dar, provozieren und bestätigen, klären ebenso auf wie sie 
manipulieren. 

In der Geschichtswissenschaft ist heute weitgehend unbestritten, dass Filme 
eine wertvolle Quelle darstellen, um die Lebenswelten der Menschen im 20. und 
beginnenden 21. Jahrhundert zu erforschen. Bis dieses Medium allerdings als 
Untersuchungsgegenstand für Historiker breite Akzeptanz findet, vergehen Jahr- 
zehnte. Dieser Prozess der Anerkennung von Filmen als historische Quellen lässt 
sich vor allem auf zwei grundlegende Fragen reduzieren, um die die Diskussionen 
kreisen. Eine betrifft ihre Aussagekraft: Sind Filme von geschichtswissenschaft- 
licher Bedeutung, bzw. worüber geben sie Auskunft? Die andere betrifft ihre 
Qualität als historische Quelle: Wie sind Filme zu untersuchen? Wie kann man 
über Filme schreiben? Die folgenden Seiten werden entlang dieser Fragen die Ent- 
wicklung der Filmhistoriographie aufzeigen und zentrale Forschungsfelder 
präsentieren. 



1 Abbilder der Wirklichkeit oder Illusionsfabrik? 

Als die Brüder Lumiere 1 895 ihre ersten Filme vorführen, sind es Aufnahmen von 
Arbeitern beim Verlassen der Lumiere- Werke oder von der Ankunft eines Zuges 
auf dem Bahnhof in La Ciotat. Technisch ist es nun möglich — das wollen die bei- 
den Filmpioniere verdeutlichen — , nicht nur wie in der Malerei oder der Fotografie 
Augenblicke einzufangen, sondern das Leben in seiner natürlichen Bewegtheit. 
Entsprechende Hoffnungen weckt das neue Medium, dass künftig die Wirklichkeit 
für die Nachwelt speicherbar sei. Die folgenden Jahrzehnte führen indes vor 
Augen, dass das filmische Potential, Illusionen zu schaffen, schier unendlich ist - 
und letztlich dem fiktionalen Spielfilm zum Siegeszug verhilft. Ebenso groß scheint 
damals die Bereitschaft von Filmemachern, dieses Potential einzusetzen, um als 



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Der Film als historische Quelle 



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real zu deklarieren, was kunstvoll arrangiert ist. Die anfänglichen Hoffnungen 
weichen der Ernüchterung: Auch „dokumentarische Filme" bilden die Wirklichkeit 
nicht tatsächlich ab, sondern lassen vielmehr authentisch wirkende Welten ent- 
stehen. 

Dieser Umstand mag die Jahrzehnte währende Skepsis der Historikerzunft 
dem Film gegenüber erklären. Entziehen sich dokumentarische Filme doch einer 
klaren Einordnung im Sinne der klassischen Quellenbewertung: als Überrest, also 
einer nicht bewusst für spätere Generationen hergestellten Quelle, oder als bewusst 
an die Zeitgenossen und die Nachwelt gerichteten Traditionsquelle. Fiktionale Filme 
scheinen unter diesem Gesichtspunkt erst recht keinen Mehrwert in der Frage zu 
Hefern, „wie es eigentlich gewesen" ist (Leopold von Ranke) zu Zeiten ihrer Ent- 
stehung. 2 

Zur Einschätzung, dass Filme wertvolle neue Aussagen über die Gesellschaft 
liefern, gelangt als einer der ersten der Kritiker und Soziologe Siegfried Kracauer in 
seiner 1947 veröffentlichten Studie „From Caligari to Hiüer". Er durchleuchtet das 
Filmschaffen der Weimarer Republik auf kollektive „psychologische Grund- 
muster" der Deutschen und macht darin autoritäre Dispositionen ausfindig, die 
Hitler den Weg zur Macht erleichtert hätten (Kracauer 1947: 14). 3 Kracauers Werk 
ist längst ein Klassiker, nicht aufgrund der umstrittenen und zweifelhaften Thesen, 
sondern als Inspirationsquelle für die Filmsoziologie und Filmhistoriographie. 4 
Filme liefern Informationen über die Gesellschaft, in der sie entstehen - oftmals 
mehr implizit als über den konkreten inhaltlichen Realitätsbezug. Das trifft auf 
fiktionale wie nichtfiktionale Produktionen zu, auf Verfilmungen historischer 
Ereignisse wie das eingangs erwähnte Beispiel ebenso wie auf animierte Phantasie- 
welten. 



2 Cultural Turn 

Die Debatte um die Anerkennung des Films in der Historiographie setzt jedoch 
erst in den 1960er Jahren ernsthaft ein. Vorreiter ist hier die französische 
Geschichtswissenschaft. 1961 findet ein Beitrag des Filmessayisten Georges Sadoul 
über Filme als historische Quelle Eingang in den Sammelband „L'Histoire et ses 
methodes" (Samaran 1961). Wesentlich zur Etablierung trägt schließlich Marc 
Ferro bei. Ihm zufolge sind fiktionale wie nicht fiktionale Filme gleichermaßen 
bedeutsame Zeugnisse für Historiker, ist das Stattgefundene und das nicht Statt- 
gefundene gleichermaßen Geschichte. Er begründet dies mit dem Argument, Filme 



2 Zur Diskussion und Entwicklungsgeschichte des Films als historische Quelle sind unter anderem 
erschienen: Heiß 2006; Riederer 2003; Aurich 1995; Pithon 1995; Heß 1986. 

3 Den wesentlich plausibleren Weg geht das kürzlich erschienene Buch von Kaes 2009. Auch Kaes 
folgt den Spuren des Unbewussten im Weimarer Kino, erklärt die Filme allerdings über die 
Verarbeitung der traumatischen Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. 

4 Die Filmsoziologin der ersten Stunde ist Emilie Altenloh mit ihrer Doktorarbeit 1913 über die 
Soziologie des Kinos (Altenloh 1914). 



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Wolfgang Koller 



erlaubten einen Blick unter die Oberfläche der Gesellschaft auf ihre „Überzeu- 
gungen, die Intentionen, das Imaginäre des Menschen" (Ferro 2 1987: 254). 5 

Ferro wie eine zunehmende Zahl von Wissenschaftlern seiner Generation sind 
überzeugt, dass den bewegten Bildern zeitgenössische Mentalitäten und Wahrneh- 
mungen eingeschrieben sind. 6 An einem Film sind Drehbuchautoren, Produzen- 
ten, Regisseure, Kameraleute, Darsteller, Techniker und zahlreiche weitere Perso- 
nen beteiligt. Aufgrund dieses kollektiven Herstellungsprozesses, aber auch, weil 
die Beteiligten zumeist angehalten sind, sich aus Absatzgründen am Geschmack 
der Mehrheit zu orientieren, können Filme repräsentative zeitgenössische Aus- 
drucksformen beinhalten. Darüber hinaus wirkt dieses Massenmedium durch 
seinen enormen Verbreitungsgrad wiederum in die Gesellschaft hinein. Es beein- 
flusst tagtäglich die Lebenswelt unzähliger Menschen. Bereits 1914 werden bei- 
spielsweise in Großbritannien 360 Millionen Karten in den landesweit 5.000 Kinos 
verkauft (vgl. Hiley 1999: 39-53). Das Inselkönigreich verfügt damals über die 
beste Infrastruktur, aber längst wird die Kinematographie auch auf dem euro- 
päischen Kontinent und in Nordamerika zum Massenphänomen. In den folgenden 
Jahrzehnten legen die Zuschauerzahlen noch deutlich zu, bis ab den späten 
1950ern langsam das Fernsehen dem Kino Konkurrenz macht. 

Die Forschung an Filmen als historischen Dokumenten lässt Rückschlüsse auf 
verbreitete Mentalitäten, Stereotypen oder Geschichtsbilder zu. Die Analyse des 
Entstehungsprozesses kann die medienpolitischen Machtverhältnisse und Motiv- 
lagen der Akteure aufdecken. 7 Doch was ist mit dem Publikum? Kino steht bei- 
spielsweise für Abendunterhaltung vor der Leinwand. Darüber hinaus versorgen 
Fach- und Fanzeitschriften ebenso wie Tageszeitungen in ihren Filmrubriken eine 
millionenschwere Leserschaft, die das neue Programm studiert oder Anteil am 
Leben der Filmstars nimmt. Die Analyse der Kinokultur gibt also Aufschluss über 
Alltagsgewohnheiten und -Vorlieben, über die Spuren, die die „laufenden Bilder" in 
einer Gesellschaft hinterlassen. 

Dass diese verschiedenen Aspekte seit den 1970er Jahren von Historikerseite 
vermehrt unter die Lupe genommen werden, verdanken wir einem grundlegenden 
Perspektivwechsel, der oft mit dem Schlagwort „Cultural Turn" umschrieben wird. 
Das Blickfeld, das bis dahin die politische und die Sozialgeschichte umfasst, er- 
weitert sich zunehmend um die Kultur- und Alltagsgeschichte. Das führt zu einer 
größeren Offenheit für neue, bisher vernachlässigte Quellen wie den Film. 8 Das 
wissenschaftliche Hantieren mit Filmen setzt allerdings die Entwicklung einer dem 
Medium angemessenen historisch-kritischen Methode voraus. 



5 Zu Ferros wichtigsten Arbeiten gehört Ferro 1977. 

6 Erwähnt sei hier nur Monaco 1973. 

Für die deutsche Filmproduktion im Nationalsozialismus erforscht dies beispielsweise Albrecht 
1969. 

8 Zum kulturgeschichtlichen Wert von Filmen vgl. Kaes 1992. 



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Der Film als historische Quelle 



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3 Wie „übersetzt" man einen Film? 

Die Nichtschriftlichkeit des Films stellt gewiss einen weiteren wesentlichen Grund 
für seine lange Vernachlässigung dar. Wie geht man quellenkritisch an einen Film 
heran? Wie kann ein Bewegtbild in Textform analysiert, also „übersetzt" werden? 

Dem schreibenden und für gewöhnlich lesenden Wissenschaftler bieten sich 
viele Möglichkeiten des Scheiterns. So erweist sich der Versuch, die Leinwand- 
bilder vollständig zu beschreiben und zu analysieren, beispielsweise von der Farbe 
und dem Faltenwurf des Kleides der Protagonistin, der sich langsam veränderten 
Mimik und Gestik, der musikalischen Untermalung der Szene, den auf- und ab- 
tretenden Figuren im Hintergrund bis zum Wolkenspiel am Himmel als völlig un- 
praktikabel. Kein Text kann die Facetten eines Films in toto adäquat wiedergeben. 
Durch den Medientransfer und die erforderliche Dekodierung eines Zeichen- 
systems in ein anderes schafft jede Rede über den Film wieder eine andere, eigene 
Geschichte. Zu akzeptieren, dass mit der Überführung des Films in einen Text 
notwendigerweise eine Reduktion und Verfremdung der analysierten Quelle 
einhergeht, ist also ebenso Voraussetzung wie ein profundes Wissen über die 
verschiedenen Wirkungsmechanismen des Mediums (vgl. Lagny; Sorlin 1991: 111- 
128). 

Filme weisen meist eine ähnliche Erzählstruktur wie Romane auf. Die fest- 
gelegte Anordnung von Bildern und Worten entscheidet darüber, welche Empfin- 
dungen, z.B. Spannung, ausgelöst und welche Kausalitäten hergestellt werden. Der 
Film arbeitet, ähnlich wie die Malerei oder Fotografie, mit ikonographischen Ver- 
dichtungen und schafft „Sinnbilder", Metaphern und Symbole. Ahnlich wie im 
Theater agieren Schauspieler in unterschiedlichen Rollen in einer Figurenkonstel- 
lation. Filme weisen demnach Überschneidungen zu anderen Medien auf. Sie 
konstituieren aber auch eine ganz eigentümlich filmische Welt aus der Kamera- 
perspektive, der Kamerabewegung im Raum und der Kombination der Kamera- 
einstellungen — im Wesentlichen umschrieben durch die Begriffe „Mise en Scene" 
und „Montage". Aus diesen Grundprinzipien und Techniken, wie Filme ihre In- 
halte vermitteln, lassen sich methodische Grundlagen der Filmanalyse ableiten. Die 
Geschichtswissenschaft profitiert hier enorm von den Erkenntnissen anderer Dis- 
ziplinen, insbesondere der Semiotik, der Narratologie und der Film- und Medien- 
wissenschaft. 9 

Der Blick über den historiographisch-disziplinären Tellerrand ist auch hilf- 
reich, wenn es um methodische Ansätze zur Untersuchung des filmischen 
Kontextes geht. Dies betrifft die Produktionsgeschichte, die Einflussfaktoren für 
die Filmentstehung, aber auch ihre zeitgenössische Aufnahme durch die Presse 
und das Publikum. Presserezensionen sind leider oftmals die einzigen Relikte, die 
heute noch ermöglichen, die einstige Wirkung beim Publikum einzuschätzen. In 



9 Zu den zentralen Werken über den Film zählen: Wollen 1972; Metz 1973; Branigan 1984; Bordwell 
1985; Deleuze 1989; Deleuze 1991; Eder 2008. Eine Einführung in die Filmanalyse geben u.a.: 
Kanzog 2001; Bordwell; Thompson 2003; Faulstich 2 2008; Monaco 2009. 



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Fragen der Kontextuierung erweisen sich besonders die Erkenntnisse der 
poststrukturalistischen Literatur- und Medienwissenschaft als gewinnbringend und 
inspirierend für die Herausbildung einer historiographischen Filmforschung. 10 
Filme werden angeregt und beeinflusst von anderen Filmen, literarischen Werken, 
Deutungsmustern der Vergangenheit und der zeitgenössischen Welt, von 
ökonomischen und künstlerischen Motiven. Sie sind an finanzielle und technisch- 
industrielle Voraussetzungen geknüpft. Und sie hinterlassen ihrerseits Spuren in 
anderen Medienerzeugnissen oder im öffentlichen Diskurs. 

Ein Beispiel: Der berüchtigte antisemitische Spielfilm „Jud Süß" (Regie: Veit 
Harlan, 1940) entstand im Auftrag des NS-Propagandaministers Josef Goebbels im 
Zuge der verschärften medialen Mobilmachung gegen Juden — man denke nur an 
die zeitgleich anlaufende, ebenso berüchtigte „dokumentarische" Produktion von 
Fritz Hippler namens „Der ewige Jude". „Jud Süß" war aber auch eine späte Reak- 
tion der Nazis auf den 1934 von deutschen Exilanten in Großbritannien gedrehten 
Spielfilm „Jew Süss" (Regie: Lothar Mendes). Beide Filme gehen auf die historisch 
verbürgte Person Josef Süß Oppenheimer (1698-1738) zurück. Aus einer jüdischen 
Kaufmanns familie stammend stieg er bis zum einflussreichen Finanzrat des Her- 
zogs von Württemberg auf, was für einen Juden der damaligen Zeit einzigartig war. 
Spannungen zwischen dem absolutistisch herrschenden Landesfürsten und den 
Landständen sowie aufgestaute Ressentiments gegen den Emporkömmling 
entluden sich nach dem plötzlichen Tod des Herzogs an Süß Oppenheimer, der 
unter Vorwürfen wie Bestechung und Jungfrauenschändung verhaftet und hin- 
gerichtet wurde. Sein Schicksal wurde mehrfach literarisch verarbeitet, allerdings 
auf sehr unterschiedliche Weise. Erste antisemitische Schriften über den Fall 
erschienen noch im Jahr der Hinrichtung. Bekannt wurde dann Wilhelm Hauffs 
Novelle „Jud Süß" aus dem Jahr 1868, die sich auf diese Rezeptionstradition stützt. 
Einen völlig anderen Akzent setzte Lion Feuchtwanger mit seinem gleichnamigen 
Roman von 1925. Zeichnet die eine Seite das Bild des habgierigen Ränkeschmieds, 
begreift ihn Feuchtwanger als Sündenbock. Feuchtwangers Roman inspirierte 
Lothar Mendes zur „Jew Süss"-Produktion von 1934, der damit indirekt auch die 
Judenverfolgung unter den Nazis anklagt. Goebbels' Replik von 1940 greift 
hingegen wieder tief in die Kiste überlieferter Schmähungen und transferierte 
damit auch die antisemitische Geschichte Süß Oppenheimers auf die Leinwand 
(vgl. Hollstein 1971). 



111 Zur Rezeptionsforschung vgl. Turner 1998; Moores 1990. Mit intertextuellen Aspekten beschäftigt 
sich Bennett; Woollacott 1987. Einen guten Uberblick über die verschiedenen interdisziplinären 
Ansätze der Filmanalyse gibt Winter 1992. Auf Seiten der geschichtswissenschaftlichen Filmanalyse 
sind insbesondere zu nennen: Elsaesser; Buckland 2002; Körte 1999; Bock 1997; Lagny 1992; Staiger 
1992. 



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4 Vom einzelnen Filmwerk zum Mainstream-Filmprogramm 

An den „Jud Süß"-Verfilmungen zeigt sich exemplarisch die intertextuelle und 
intermediale Verflechtung von zwei Kinoproduktionen. Das Problem solcher 
Einzelstudien ist aber, dass sie nur geringe Aussagekraft für das Kino einer Zeit 
und seine gesellschaftlichen Einprägungen haben. Steht in früheren filmhisto- 
rischen Arbeiten oftmals ein Kanon meist künstlerisch bedeutsamer oder häufig 
zitierter Werke im Vordergrund, oder durchleuchten Wissenschaftler wie Marc 
Ferro (vgl. Ferro 1987) Filme, die enthüllen sollen, was die offizielle und staatlich 
protegierte Geschichtsschreibung verdeckt, fokussieren neuere kulturwissenschaft- 
liche Ansätze hingegen gerade die breite Masse der Standardware. Die Populär- 
kultur wird zunehmend zum Untersuchungsgegenstand. 11 Im Gegensatz zu den 
subversiven Ausnahmeproduktionen, Propagandamachwerken oder künstlerischen 
Highlights wandelt das Gros der Filmschaffenden auf den ausgetretenen Pfaden 
von Klischees und Wertekonventionen. Die Durchschnittsfilme werden oft in 
Serie gefertigt. Sie orientieren sich am Bekannten, an kommerziell bewähren 
Erfolgsrezepten, beliebten Genremustern und Themen. 12 

Genres entstehen, weil sie auf eine Art und Weise wiederholen, was besonders 
nachgefragt wird. Sie sind das Ergebnis eines Wechselspiels aus kreativen 
Impulsen, Produktion nach Schema und Reaktion an den Kinokassen. Für die 
Filmanalyse ist hier vor allem der kinematographische und gesellschaftliche 
Zusammenhang interessant. Warum ist ein Thema oder Genre zu einer bestimm- 
ten Zeit in einer bestimmten Gesellschaft so beliebt? Ein Beispiel aus dem TV- 
Bereich: In den 1960er Jahren kommen Science-Fiction-Serien wie „Raum- 
patrouille" (Deutschland) und „Star Trek" (USA) auf. Aufschlussreich ist schon 
der Blick auf Modegeschmack, Gesten oder Rollenverhalten, die mittlerweile in die 
Jahre gekommen und insofern „historisierbar" sind. Dies an einzelnen Folgen zu 
erörtern wäre auch ein praktisches Anwendungsgebiet für DaF bereits in den unte- 
ren Lernstufen. In höheren Niveaus könnten sich weitergehende Fragen an- 
schließen, z.B. nach den zum Ausdruck kommenden damaligen Zukunftserwar- 
tungen in der westlichen Welt angesichts des wahrgenommenen Fortschritts, etwa 
des Apollo-Raum fahrtprojekts, des Sprungs in der Waffentechnik durch die 
Erfindung der Kernwaffen oder der Entwicklung des Computers. 

Mainstream-Filme lassen aufgrund ihrer Vielzahl und ihres Zuspruchs beim 
Publikum Rückschlüsse sowohl auf landläufige Einstellungen und populäres 
Gedankengut wie auf mehrheitliche Sehgewohnheiten zu. Je nach Art des Zugangs 
fördern Untersuchungen Neues zu Tage, beispielsweise über das Filmstar-Phäno- 
men, die in Kino und Fernsehen favorisierten Eigenschaften und Stereotypen von 
Filmhelden oder über die Ausformungen des Persönlichkeits kults im Medien- 
geschäft (vgl. Dyer 1979; Ascheid 2003). Ein bedeutendes Untersuchungsfeld 



11 Einen solchen Ansatz wählt beispielsweise Stiasny 2009. Darin untersucht der Autor, welche 
Spuren der Erste Weltkrieg im populären Kino der Weimarer Republik hinterlassen hat. 

12 Zu Genreaspekten vgl. Moine 2005; Koebner 2003; Seeßlen 1995; Landy 1991. 



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markieren die Geschlechtervorstellungen, die Filme transportieren. Die Gender- 
Forschung hat auf diesem Gebiet interessante Erkenntnisse z.B. zur männlich 
dominierten Wahrnehmungsperspektive in Filmen hervorgebracht (Kaplan 1997; 
Mulvey 1985). Zunehmend stehen hier geschlechtlich ebenso wie ethnisch und 
sozial konstruierte Differenzen und Identitätsentwürfe im Fokus der Studien. 13 
Wie entwerfen Filme Idealbilder von Männlichkeit und Weiblichkeit? So wieder- 
holt sich z.B. im Western häufig das Handlungsschema, dass der männliche Held 
als Einzelkämpfer die Grenze der Zivilisation überschreitet, räumlich wie im 
sozialen Gefüge, um letztlich seine Männlichkeit neu zu beweisen (vgl. Weidinger 
2006). 

Gegenstand vieler historiographischer Filmuntersuchungen ist die Konstruk- 
tion kollektiver, meist nationaler Identitäten und Alteritäten. 14 Überschneidungen 
gibt es hier vor allem zum Forschungsfeld der historischen Mythen, Geschichts- 
deutungen und Erinnerungskulturen. 15 Historienfilme beeinflussen allein schon 
durch die Breitenwirkung des Mediums die kollektiven Geschichtsbilder und Erin- 
nerungskulturen in Gesellschaften. Dieser Umstand macht sie für die Forschung 
so interessant. Was sagen beispielsweise Spielfilme wie „Der Name der Rose" 
(Regie: Jean-Jacques Annaud, 1986) über unser Bild vom Mittelalter am Ende des 
20. Jahrhunderts? Kinogroßproduktionen früherer Jahrzehnte setzen noch eher die 
höfische Kultur und den ritterlichen Edelmut in Szene. Hier sehen wir hingegen, 
wie Menschen in Schmutz und Elend vegetieren. Das Mittelalter erscheint uns als 
eine von Entbehrung, religiösem Fanatismus und Aberglaube gebeutelte Zeit. 

Bedeutende Arbeiten sind in den letzten Jahrzehnten auch zur Geschichte der 
ökonomischen und organisatorisch-rechtlichen Rahmenbedingungen des Kinos 
entstanden. Dies betrifft die Film Wirtschaft/ Filmindustrie, Konzernstrukturen, 
Studios und ihre Finanzierung. Oftmals nicht davon zu trennen sind die häufigen 
politischen Interventionen in das Filmwesen - ein Bereich, der verhältnismäßig gut 
aufgearbeitet ist. 16 Ähnliches gilt für die staatliche Filmgesetzgebung und Zensur- 
politik. 17 



5 Quo vadis Filmgeschichte? 

Die Filmgeschichtsschreibung ist heute stark interdisziplinär ausgerichtet und unter 
vielfältigen Fragestellungen für die Geschichtswissenschaft von Nutzen. So ent- 



13 Unter den zahlreichen Filmstudien der Genderforschung vgl. unter anderem Babington; Davies 
Powrie 2004. Benshoff; Griffin 2009. 

14 Zu diesem Forschungsgegenstand sind insbesondere zu nennen: McLaughlin 2010; Nagl 2009 
Rother 1998. 

15 Hierzu sind erschienen: Koller (in Vorbereitung); Braun 2010; Noack 2010; Erll; Wodianka 2008 
Slanicka 2007; Chiari; Rogg; Schmidt 2003; Grindon 1994. 

16 Bezogen auf Deutschland sind besonders erwähnenswert: Vande; Welch 2007; Hoffmann 1996 
Rentschier 1996; Drewniak 1987; Spiker 1975. 

17 Zur Filmzensur vgl. Sanders 2002; Robertson 1985. 



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stehen zunehmend alltags- und mikrogeschichtliche wie auch sozialhistorische 
Studien über kulturelle Formen und Praktiken der Kinematographie. Das Aufkom- 
men der „Lichtspielhäuser" verändert Anfang des 20. Jahrhunderts das Gesicht der 
Städte und den Lebensrhythmus ihrer Bewohner. 18 Filmvorführungen in den 
1920er oder 1930er Jahren haben mitunter Showcharakter, brisante Themen füh- 
ren zu Ausnahmezuständen und Protestaktionen im Kinosaal. 19 Das neue Medium 
wird zu einem Faktor des öffentlichen Lebens. 20 Es dringt, in manchen Fällen 
mittels massiver staatlicher Förderung, bis zur Jahrhundertmitte mehr und mehr in 
die Nischen des Alltags ein und erfasst immer größere Bevölkerungsteile (vgl. Stahr 
2001). 

Gerade die historiographisch so interessante Nahtstelle zwischen dem Unter- 
haltungs- und Informationsprodukt Film und der zeitgenössischen Gesellschaft ist 
aber oft nur schwer sichtbar zu machen. Besonders für die erste Hälfte des 20. 
Jahrhunderts stellt sich das Problem, wie aufgrund der schlechten Quellensituation 
die Verbreitungsräume von Filmen oder die Publikumsstrukturen rekonstruierbar 
sind. Uber solche Studien ließe sich die gesellschaftliche Relevanz differenzierter 
darstellen: beispielsweise, ob es bei einem Genre oder behandelten Thema lokale, 
regionale, nationale Präferenzen oder Ubereinstimmungen gab, ob es stärkeren 
Anklang unter Männern oder Frauen, im Arbeiter- oder bürgerlichen Milieu fand. 
Nachweise über häufige Reaktionen und Geschmacksurteile erlaubten wiederum 
konkretere Rückschlüsse auf die Aneignung von Filminhalten. Erschwerend für 
Untersuchungen über diesen Zeitraum kommt hinzu, dass auch ein beachtlicher 
Teil der Filme selbst als verschollen gilt. Wer sich der Erforschung der Anfangs- 
jahre des Films oder des Zeitalters der Weltkriege verschreibt, begibt sich auf ein 
schwieriges Terrain. 

Die nächsten Jahre könnten hier für Historiker einen Zuwachs der Material- 
basis bringen. Zumindest besteht Anlass zur Hoffnung, bedenkt man die Möglich- 
keiten der elektronischen Massenspeicherung und Volltextdigitalisierung von histo- 
rischen Tageszeitungen und Fachzeitschriften, die damals beispielsweise über ört- 
liche Filmprogramme berichteten und eine Auswahl der Produktionen rezensier- 
ten. Viel versprechende Projekte existieren bereits jetzt, etwa die Internetplattform 
zur Informations- und Dokumentensammlung über verschollene Filme namens 
Lost Films. 21 Weit gediehen sind in den letzten Jahren auch die Onlineportale, zu- 
meist der nationalen Filminstitute, die über die Filmdaten hinaus teilweise auch 
zeitgenössische Materialien wie Zensurprotokolle, Presserezensionen und Informa- 
tionsbroschüren zum Filmstart zur Verfügung stellen. 22 



18 Über den frühen Kinoboom ist erschienen: Hiley 2002. Mit lokaler Kinokultur befasst sich Maier 
2009. 

19 Hier2u ist kürzlich erschienen: Nowak 2010. 

20 Besonders interessant ist hierzu Müller; Segeberg 2008. 

21 Lost Films: http://www.lost-films.eu/ 

22 International ausgerichtet sind die Filmdatenbanken Internet Movie Database (www.imdb.com, frei 
zugänglich), und Treasures from fhe Film Archives, eine zugangsbeschränkte Datenbank der 



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Es ist zu hoffen, dass eine bessere Erschließung von Filmzeitschriften künftig 
auch zu mehr Studien führt, die sich an der historischen Wirklichkeit der 
Kinokultur orientieren. Nach wie vor wird allzu häufig Filmgeschichte von ihrem 
Produktions- und nicht ihrem Aufführungsort her gedacht. Sich hier nur auf das 
nationale Filmschaffen zu konzentrieren, verzerrt aber die historische Realität. 
Bereits in den 1920er Jahren kommen in Frankreich und Großbritannien mehr US- 
amerikanische Filme in die Kinos als heimische Produktionen. Auch in Deutsch- 
land ist die Situation in dieser Zeit nicht grundlegend anders. Ein stark inter- 
nationales Filmangebot ist für Europa wie große Teile der Welt fast zu allen Zeiten 
die Regel und nicht die Ausnahme. Warum untersuchen Filmhistoriker beispiels- 
weise immer noch den deutschen Film anstatt der Kinokultur in Deutschland mit 
all ihren Facetten, vom Heimatfilm bis hin zum Hollywood- Western? Warum gibt 
es so wenige transnationale Studien, die den filmischen Kulturtransfer über die 
Landesgrenzen hinaus betrachten oder Vergleiche zwischen Regionen und 
Ländern vornehmen? Ein Grund liegt in der meist staatlichen bzw. öffentlich orga- 
nisierten Sammlungspolitik, so dass Wissenschaftler in Fragen der Filmsichtung 
und Dokumentenrecherche vor besonderen Herausforderungen stehen. Doch die 
positiven Ansätze der letzten Jahre sind unverkennbar. Sie geben Anlass zur 
Hoffnung, dass Historiker der gesellschaftlichen Bedeutung, die der Film seit dem 
frühen 20. Jahrhundert hat, Stück für Stück in seinen vielfältigen Ausprägungen 
näher kommen. 



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(http://www.bifi.fr) empfehlenswert, zu deutschen Filmen die zentrale Internetplattform 
filmportal.de sowie die Materialsammlung des Deutschen Filminstituts (http://www.deutsches- 
filminstitut.de), zu britischen Filmen die Datenbanken des British Film Institute (http:- 
/ / ftvdb.bfi.org.uk und http://www.screenonline.org.uk). 



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Zeitgeschichtliche Filmszenen für den DaF- 
Unterricht - Praktische Beispiele und Erfahrungen 



Jens Grimstein 



1 Einleitung 

Es hat lange gedauert, bis sich der Film als historische Quelle für kulturgeschicht- 
liche Forschungsinteressen hat etablieren können. 1 Die Zweifel seitens einer sich 
vor allem als Textwissenschaft verstehenden Geschichtswissenschaft gegen die 
bewegten Bilder hielten lange an. Wenn überhaupt ein filmisches Medium zu For- 
schungszwecken taugte, dann war es aus nahe liegenden Gründen der Dokumen- 
tarfilm. Dass allerdings auch dieser film sprachlichen Inszenierungskonventionen 
(und Manipulationsversuchungen) unterlag, wurde zu selten in Betracht gezogen 
und stattdessen sein dokumentarischer Wert im realitätsgetreuen Abbilden histori- 
scher Ereignisse hervorgehoben. Ihm gegenüber zählte man den typischerweise 
abendfüllenden, durchschnittlich ein- bis zweistündigen fiktionalen Spielfilm zur 
Unterhaltung und übersah dabei sein Vermögen als Vermittler diskursiver Prak- 
tiken. 

Dies hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert. Mittlerweile erfährt 
der Spielfilm als historische Quelle eine große Aufmerksamkeit in der Kultur- und 
Alltagsgeschichte. Er eröffnet Einblicke in die Gewohnheiten, Vorlieben, Denk- 



1 Vgl. Abraham; Kepser 2009: 168f. Da grundsätzlich vorausgesetzt werden darf, was ein Film ist, soll 
an dieser Stelle auf ein Standardwerk zur Filmtheorie und -praxis verwiesen werden. Vgl. auch 
Hickethier 2007: 22ff. 



92 



Jens Grimstein 



und Handlungsweisen von Menschen einer sowohl vergangenen als auch jüngeren 
Zeit. 2 Der Einsatz von Filmmaterial im praxisnahen „Deutsch als Fremdsprache" 
(DaF) -Unterricht gilt heutzutage ebenfalls als normal, auch wenn methodisch- 
filmdidaktische Theoriewerke hierfür bislang noch fehlen. 3 Der Film darf somit als 
„fiktionales Leitmedium" (Abraham; Kepser 2009: 167) gelten, der in einer aktuell 
bildwütigen Zeit enorme Aufmerksamkeit auf sich zieht. Unsere Weltwahrneh- 
mung orientiert sich demnach maßgeblich an den bewegten und hörbaren Bildern. 4 
Dies gilt auch für geschichtliche Filmthemen, die von einem großen Publikum rezi- 
piert werden. 5 Ein offenkundig gesellschaftliches Bedürfnis nach Geschichte 
scheint im Film auf fruchtbaren Boden zu fallen. 

Filme sind multimediale Werke, die verschiedene technische und geistige 
Komponenten in sich vereinigen. 6 Als Zuschauer nimmt man den Film als 
darstellendes Kunstwerk wahr. Er zeigt in rascher Folge - der englische Begriff 
„pictures" erinnert daran - Einzelbilder, die technisch so schnell vor unserem 
Auge ablaufen, dass wir sie als bewegt wahrnehmen. Auf diese Weise wird in Ein- 
stellungen, Szenen und Sequenzen der Film erzählt. 7 Diese kinematographische 
Grundlage ist von großer Wichtigkeit, denn über die (geschnittenen) Bilder neh- 
men wir im Einklang mit Dialogen der Protagonisten, Hintergrundgeräuschen und 
ggf. Musik die unterschiedlichen Informationen auf, um den Film zu verstehen. Im 
Vergleich zur Schriftsprache ist dies die Symbolebene des Films, die im Begriff der 
Bildästhetik oder „Bildsprache" (und deren Narration) ihre Entsprechung findet. 

In einem sich vor allem als Sprach- und weniger als Landeskundeunterricht 
verstehenden Fremdsprachenunterricht besetzt die Bildsprache auf diese Weise 
eine Position, die es erlaubt, zwei Kategorien in Aufgaben für DaF-Lerner zusam- 
menzuführen: Die Ebene der Bildsprache und die Ebene der Sprachfertigkeit, in 
diesem Fall die der deutschen Sprache. 8 Beide Kategorien produzieren Zeichen, die 
ihrerseits mit unterschiedlichen Mitteln Mitteilungen über die Wirklichkeit inner- 
halb eines kommunikativen und medialen Bezugsrahmens machen. Konkret für 
die Arbeit mit Filmszenen als historische Queller für den DaF-Unterricht bedeutet 
dies, dass eine Filmszene ein bestimmtes Aussagepotential über einen historischen 



2 Zur Kulturgeschichte des Films am Beispiel der Darstellung der Napoleonischen Kriege im Film 
des frühen 20. Jahrhunderts vgl. exemplarisch Koller (in Vorbereitung). Es beschäftigen sich außer- 
dem mit Geschichte im Film: Wedel 2011; Gehrke 2011; Schanze 1996; Kotulla 1964. 

3 Vgl. Abraham; Kepser 2009: 167. 

4 Noch offen ist, inwiefern die neue Videospielfilmkultur, die intensiv das aktive Einbringen des Nut- 
zers fordert und fördert, einen neuen Einfluss auf die Sehgewohnheiten jüngerer Generationen hat. 

3 Es ist davon auszugehen, dass Film und Fernsehen in der Rezeption historischer Stoffe weit vor 
Textquellen liegen. Die Zuschauerzahlen für historische Filme wie „Gladiator" (USA 2000, Regie: 
Ridley Scott) oder „Der Untergang" (BRD 2004, Regie: Oliver Hirschbiegel), aber auch die erfolg- 
reichen Geschichtsserien des Senders ZDF belegen dies. 

6 Damit sind z.B. Filmideen, das Schreiben eines Drehbuchs, aber auch alle technischen Hilfsmittel 
von der Kamera über die Requisiten bis zum Schnitt gemeint. 

7 Vgl. Hickethier 2007: 52. 

8 Nicht berücksichtigt werden hier filmsprachliche Analyse- und Arbeitskriterien, wie z.B. die Mon- 
tage, der Schnitt usw., die man analog zur Schriftsprache auch „Filmgrammatik" nennt. 



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Zeitgeschichtliche Filmszenen für den DaF-Unterricht - Beispiele und Erfahrungen 



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Abschnitt liefert. Dieses Aussagepotential wiederum kann angewandt werden in 
fremdsprachenspezifischen Übungen für Deutschlerner, indem es innerhalb einer 
Übung verbalisiert wird und dadurch zur eigenen Produktion von sprachlichen Er- 
zeugnissen motiviert. Die Filmszene kann in dieser Hinsicht als eine „Verbild- 
lichung" kulturell-sozialer Gesellschaftsbedingungen didaktisch in einer Übung 
ihre Anwendung finden und hierbei die Sprachkompetenz des Lerners fördern. 
Zwischen der Symbolsprache des Bildes mit Bezug auf historische Begebenheiten 
und der Zielsprache ergibt sich so eine Synthese, indem die Bildsprache und die 
historische Begebenheit im fremdsprachlichen Medium ihren Ausdruck finden. So- 
wohl ein mehrdeutiges Leseverstehen (im Sinne eines Dechiffrierens des Films und 
des Verstehens von Lesetexten in der Aufgabe) als auch Sprechen und Schreiben 
können durch die Arbeit mit Filmen geschult werden. 9 

Diese Auseinandersetzung mit dem Film im DaF-Unterricht kann neben der 
obligatorischen Arbeit mit kompletten Filmen (d.h. der ca. zweistündigen Spiel- 
filmlänge) insbesondere auch am Kleinformat der Filmszene stattfinden. 10 Die 
Vorteile des Kleinformats für die Benutzung des Films als historische Quelle liegen 
darin, dass so 

- die Filmszene sich leicht in eine Unterrichtsstunde/-einheit integrieren lässt; 

- die Filmszene sich geschichtsthematisch gut kanalisieren lässt; 

- die Filmszene mit der Kombination von Geschichtsthema und Analyse der 
Filmsprache Kontextwissen und Medienkompetenz fördert; 

- landeskundliche und linguistische Fähigkeiten miteinander an einem kon- 
kreten, überschaubaren Beispiel miteinander kombiniert werden können; 

- sich durch die Filmszenen ein zielgerichteter Lernerfolg realisieren lässt. 

Im Folgenden sollen diese Überlegungen anhand dreier ausgewählter Beispiele für 
Filmszenen als historische Quelle mit der Präsentation von Unterrichtsanwen- 
dungen konkretisiert werden. 



9 Vgl. hierzu auch Leitzke-Ungerer 2009: 12-21. 

10 Vgl. zum „Kleinformat" auch Abraham; Kepser 2009, S. 174. Dort wird statt des Wortes Film- 
szene der Begriff „Filmausschnitt" benutzt. Selbstverständlich bedarf es aber für ein ganzheitliches 
Verstehen eines Filmes und seiner Mittel des Schauens eines ganzen Films. Der Filmausschnitt 
ersetzt keinesfalls die Vorzüge, einen Spielfilm „von vorne bis hinten" gesehen und durch an- 
schließende Aufarbeitung verstanden zu haben. Vgl. auch zum Einsatz von Filmen im Deutschunter- 
richt Abraham 2006. 



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Jens Grimstein 



2 Filmbeispiele 

2.1 Auswahl und Einordnung der Filmbeispiele 

Die Beispiele decken entweder vom Produktionszeitpunkt oder vom Filminhalt 
her einen Zeitraum von etwa 30 Jahren ab und lassen sich der jüngeren Zeit- 
geschichte zuordnen. Dabei beziehen sich die Szenen auf unterschiedliche histo- 
risch prägnante oder alltagsweltliche Ereignisse. Zwei der sämtlich in Berlin spie- 
lenden Werke können hierbei als Spielfilme eingeordnet werden, darunter eine 
Literaturverfilmung (Herr Lehmann), der andere wiederum als ein so genanntes 
Biopic (Christiane F.) mit biographisch-dokumentarischem Gehalt. Der dritte Film 
ist ein klassischer Dokumentarfilm (Prinzessinnenbad). Die Literaturverfilmung 
wiederum nimmt Bezug auf zeitgeschichtliche Ereignisse (Mauerfall) und verar- 
beitet sie auf eine fiktive Weise. 11 

Die Beispiele zur Übersicht: „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" 
(BRD 1980, Regie: Uli Edel) erzählt die Geschichte des dreizehnjährigen Mäd- 
chens Christiane F., das im Berlin der frühen 1980er Jahre im sozialen Umfeld 
ihrer Clique heroinabhängig wird und später in der Prostitution landet. Der Film 
basiert auf der Lebensgeschichte der Protagonistin. Die Komödie „Herr Leh- 
mann" (BRD 2003, Regie: Leander Haussmann, nach dem gleichnamigen Roman 
von Sven Lehmann) gibt einen Einblick in das Leben des Barbesitzers Frank Leh- 
mann, gespielt von Christian Ulmen, der in Berlin-Kreuzberg eine Kneipe betreibt. 
Rahmenhandlung ist der Fall der Mauer 1989. Der Kinoerfolg „Prinzessinnenbad" 
(BRD 2007, Dokumentarfilm, Regie: Bettina Blümner) zeigt dokumentarisch den 
Alltag dreier jugendlicher Berliner Mädchen aus dem Stadtteil Berlin-Kreuzberg. 

Neben dem einheitlichen Schauplatz ist allen Filmen gemein, dass sie die All- 
tagswelt ihrer Hauptfiguren abbilden, deren Milieus sich kreuzen. 12 Dadurch erhal- 
ten die Filmszenen auch einen sozialhistorischen Wert. Die drei Filme repräsen- 
tieren in ihrer Thematik dabei soziale und politische Zustände aus drei Perioden 
der jüngeren deutschen Geschichte. 



2.2 Lernziel und Lerngruppe 

Die jeweiligen Filmszenen bieten sich für folgende Lernziele an: Die Lerner sollen 
anhand der Kleinformate ihre sprachlichen Kenntnisse in den Bereichen der 
Grammatik, des Ausdrucks, des Wortgebrauchs und der mündlichen Sprechfertig- 



11 Vgl. zur Ästhetik von Literaturverfilmungen Bohnenkamp 2005. 

12 Bei Christiane F. und Prinzessinnenbad kann man von einem Jugendmilieu sprechen, das sich 
durch Merkmale wie Musikgeschmack, zwischenmenschliche Beziehungen und „typische" Probleme 
Heranwachsender (Schule, Verhältnis zu Drogen und Narkotika, Eltern, Gelderwerb usw.) 
auszeichnet. Selbst für den Film „Herr Lehmann" können mit den Verweisen auf die Musikkultur, 
eine Trink- und alternative Kneipenkultur, die Lebensfragen eines Endzwanzigers sowie Bezie- 
hungsprobleme Parallelen gezogen werden. 



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Zeitgeschichtliche Filmszenen für den DaF-Unterricht - Beispiele und Erfahrungen 



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keit verbessern und vertiefen. Dabei wurden teilweise in die Aufgaben historische 
Bezüge wie Mauerfall, West-Berliner Drogenmilieu der 1980er Jahre oder zeithisto- 
rische Jugendkultur in Berlin eingewoben, um die beiden oben genannten Bereiche 
zu kombinieren. Es wurde versucht, beide Ebenen ausgewogen zu verbinden; ver- 
einzelt können aber entweder historische oder linguistische Fragstellungen in der 
einzelnen Aufgabe dominieren. Es wurde außerdem darauf geachtet, die Übungen 
im Hinblick auf handlungs- und produktionsorientiertes Lernen zu gestalten. Auf 
medienvertiefende Mittel wie Filmbearbeitung oder spezielles Arbeiten am Com- 
puter wurde bei der Konzeption der Übungen wiederum verzichtet. 

Die Aufgaben beziehen sich nach dem Europäischen Referenzrahmen für 
Fremdsprachen auf die Niveaus A2-B2; es wurde bei der Erstellung vornehmlich 
an erwachsene Lerner gedacht. 13 Die einzelnen Aufgaben pro Filmausschnitt 
bauen nicht aufeinander auf und können jeweils selbstständig im Unterricht 
eingesetzt werden. Dauer, Lernziel und Sozialform der Aufgabe wird im Einzelnen 
immer angegeben. 



2.3 Aufgaben 



Beispiel 1 : Christiane F. — Wir Kinder vom Bahnhof Zoo 

Lehrerinformation: Die Szene zeigt die Situation der jugendlichen Drogen- 
abhängigen, die sich auf der Rückseite des Bahnhofs Zoo prostituieren, um so 
Geld für den nächsten Drogenkauf zu bekommen. Christiane F. bringt ihnen ein 
paar Butterbrote vorbei und gerät dabei in ein Streitgespräch mit ihrem Freund 
Detlev. Die Sequenz beginnt bei Minute 01:10:05 und endet bei 01:12:07. 



Niveau: B 1 

Zeit: ca. 45 Minuten 

Sozialform: Gruppenarbeit (ä 2 oder 3 Personen) 

Lerntätigkeiten: schriftliches Nacherzählen; Konzentration auf ein 

Szenenelement 14 im historischen Kontext; Textverständ- 
nis (Grammatik oder Vokabular); Erstellen eines Lücken- 
textes für andere Teilgruppen. 



13 Allerdings findet das Niveau A2 nur einmalig Verwendung, was mit der niveauadäquaten 
Ausrichtung auf Spracherwerb zusammenhängt und leider weniger Spielraum zur Verbindung mit 
komplexerem, in diesem Falle historischem Wissen erlaubt. 

14 Der Begriff „Szenenelement" bezeichnet alles, was in einer Szene repräsentiert wird, also vom 
materiellen Gegenstand wie einem Schlüssel bis zum Dialog oder Klängen. Die Lehrkraft sollte vorab 
den Begriff verständlich machen, damit die Lerner wissen, was in der Aufgabe damit gemeint ist. 



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Jens Grimstein 



Aufgabe 1: 

Setzen Sie sich mit 2 oder 3 Personen aus Ihrem Kurs zusammen. Schauen Sie sich 
die Szene zwei- bis dreimal an. Achten Sie in Ihrer Gruppe auf „Ihr" 
Szenenelement: 



Teilgruppe 1 achtet auf die Kleidung und das Aussehen der Figuren 

Teilgruppe 2 achtet auf die Passanten 

Teilgruppe 3 achtet auf den Verkehr und die Umgebung 

Teilgruppe 4 achtet auf die Dialoge der Figuren 

Teilgruppe 5 achtet auf das Thema der Szene 

Erzählen Sie die Szene in Ihrer Teilgruppe nach. Orientieren Sie sich an den 
folgenden Fragen: In welcher Zeit spielt die Szene? Wie finden Sie das Aussehen 
der Figuren? Wo spielt die Szene? Was sieht man überhaupt? Was machen die 
Figuren? Was sagen die Figuren? Was machen die Passanten? 

Aufgabe 2: 

Erzählen Sie die Szene nochmals nach und heben Sie in Ihrer Nacherzählung Ihr 
Szenenelement (Kleidung oder Umgebung oder Dialoge oder Thema) diesmal beson- 
ders hervor, d.h. es soll besonders oft in Ihrem Text vorkommen. Fügen Sie dann 
Lücken in ihren Text ein, in denen entweder nach der grammatischen Form eines 

Faktors (z.B. „die dunkl (= dunklen) Haare des Jungen") oder nach dem 

passenden Ausdruck für ein Wort (z.B. „der Junge trägt eine jacke (= 

Jeansjacke)") gesucht wird. Tauschen Sie danach ihren Text mit einer anderen 
Teilgruppe und füllen Sie die Lücken aus. 



Beispiel 2: Herr 'Lehmann 

Lehrerinformation: Die Szene spielt in einer Kneipe in Kreuzberg nahe der U- 
Bahnstation „Kottbusser Tor". Herr Lehmann betrinkt dort seinen Liebeskummer. 
Die Frau mit den dunklen Haaren neben ihm informiert die gesamte Kundschaft 
über das Ereignis der Maueröffnung am 9. November 1989. Die Szene erhält ihre 
Komik durch die verhaltene, fast desinteressierte Reaktion vieler Gäste. Die Szene 
beginnt bei Minute 01:36:35 und endet bei 01:37:50. 



Niveau: 
Zeit: 

Sozialform: 
Lerntätigkeiten: 



B1-B2 

30-45 Minuten 

Gruppen- und Einzelarbeit 

Finden eines gemeinsamen Themas in einer Gruppe, 
Erstellen von Einzeldialogen zum Thema, freies Sprechen 
(Synchronisation von Schauspielern); schriftliches Be- 
gründen, Aufnahme und Verarbeitung von historischem 



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Grundwissen; Interpretation von Figurenverhalten und 
Szenenästhetik. 

Aufgabe 1: 

Schauen Sie sich die Szene mehrmals ohne Ton in einer Gruppe von vier Personen 
an. Jeder der Gruppenteilnehmer übernimmt eine Rolle der Szene: 1. Herr Leh- 
mann; 2. Herr Lehmanns Freund Silvio; 3. der weibliche Gast; 4. der Barkeeper. 
Überlegen Sie sich in Ihrer Gruppe ein Thema für die Szene (Beispiel: „Liveschal- 
tung aus Deutschland: Das Volk jubelt. Das neue Superauto ist endlich da!"). 
Überlegen Sie sich dann individuell Sätze, die ihre Rolle in der Szene sprechen soll. 
Achten Sie dabei auf die Länge ihrer Sätze, so dass Sie zu den Mundbewegungen 
der Figuren passen. Lassen Sie anschließend die Szene ohne Ton laufen und syn- 
chronisieren Sie die Szene mit ihren Dialogen. Wiederholen sie dies mehrmals. 

Aufgabe 2: 

Schauen Sie sich die Szene mehrmals an und beantworten sie schriftlich die fol- 
genden Aufgaben. Begründen Sie Ihre Antworten. Welches Ereignis steht im 
Mittelpunkt der Szene? Was sieht man für Bilder im Fernsehen? Welcher Zeit und 
welchem Ereignis würden Sie diese Fernsehbilder zuordnen? Warum? 

Aufgabe 3: 

Schauen Sie sich die Szene an und achten Sie auf das Verhalten der Figuren und 
auf die Szenen, die im Fernseher gezeigt werden. Beantworten Sie folgende Fragen 
schriftlich: Wie verhalten sich die Figuren in der Bar, wie die Menschen in den 
Fernsehbildern? Die Szene wirkt auf den Zuschauer komisch. Warum? 



Beispiel 3: Prin^essinnenbad 

Lehrerinformation: Der Dokumentarfilm „Prinzessinnenbad" zeigt ein Jahr im 
Leben dreier jugendlicher Mädchen in Berlin-Kreuzberg. Der Filmtitel verweist 
bereits auf die dazugehörige U-Bahnstation in Berlin-Kreuzberg, die Prinzenstraße 
auf der Linie U 1. Der Ausschnitt zeigt eine mit Musik unterlegte Ansicht der 
Gegend nahe der U-Bahnstation „Kottbusser Tor". Die Szene beginnt bei 00:06:11 
und endet bei 00:06:45. 



Aufgabe 1.1: 

Niveau: A2 

Zeit: 30-40 Minuten 

Sozialform: Einzelarbeit 

Lerntätigkeiten: Leseverstehen von Aussagen und Zuordnen richtiger/ fal- 

scher Antworten 



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Die folgende Szene besteht hauptsächlich aus Einstellungen bzw. 6 Bildern. Sind 
die folgenden Sätze richtig oder falsch? Schauen Sie sich die Szene mehrmals an. 



Bild 1 : Man sieht nur ein Taxi in dem Bild. r/ f 

Bild 2: Ein weißer Lastwagen ist vor einem roten Torbogen zu sehen. r/ f 

Bild 3: Es sind keine Passanten auf der Straße zu sehen. r/ f 

Bild 4: Man sieht eine gelbe U-Bahn fahren. r/ f 

Bild 5: Eine Person auf einem Motorrad fährt im Bildvordergrund her. r/ f 

Bild 6: Der Bus hat die Nummer M 29 und fährt in Richtung Roseneck. r/ f 



Aufgabe 1.2: 

Schreiben Sie einen kurzen Erzähler-Kommentar („voice over") zu den Einstel- 
lungen, indem Sie die Umgebung um das Kottbusser Tor präsentieren. Tragen Sie 
Ihren Kommentar zu den laufenden Bildern laut vor. 



Aufgabe 3: 

Niveau: B2 

Zeit: ca. 30 Minuten 

Sozialform: Einzelarbeit 

Lernziel: schriftliches Erörtern und Diskutieren 



Schauen Sie sich die Szene ein- bis zweimal an. Lesen Sie anschließend folgende 
Zeilen, die aus einem Artikel der Wochenzeitung „Die Zeit" vom 03.07.2003 
stammen: 



„Berlin-Kreuzberg, Kottbusser Tor: Deutschlands älteste Sanierungs- Story 
geht nach fast vier Jahrzehnten zu Ende. Die Hoffnung, mit Städtebau 
Sozialpolitik betreiben zu können, ist gescheitert. Spaziergang durch ein 
aufgegebenes Biotop." 

Beantworten Sie schriftlich: Was sind dem Artikel nach die Besonderheiten des 
Bezirks rund um das Kottbusser Tor? Vergleichen Sie die Aussagen mit den Film- 
bildern. Diskutieren Sie, inwiefern die Bilder diesen Aussagen entsprechen oder 
nicht. 



2.4 Unterrichtserfahrungen mit einzelnen Beispielen 

Zwei der genannten Beispielfilme 15 kamen in einer französischen Universität in 
den Jahrgängen der Licence 2 (vgl. mit dem Bachelor 2. Studienjahr) in den Kursen 



15 Das dritte Beispiel wurde eigens für diesen Text entworfen und konnte daher noch nicht im Unter- 
richt erprobt werden. 



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Zeitgeschichtliche Filmszenen für den DaF-Unterricht - Beispiele und Erfahrungen 



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„Expression et comprehension ecrites" und „Pratique orale" zum Einsatz. Das Ni- 
veau der Lerner kann in beiden Fällen auf Bl angesiedelt werden. 

In den „Expression ecrite"-Kursen wurden die Lerner in fünf Teilgruppen z.B. 
gebeten, sich die „Christiane F. "-Filmszene zweimal anzuschauen und sich wäh- 
rend des Schauens Notizen zur Szene (Kleidung, Umwelt, mündlicher Sprach- 
gebrauch, Thema des Dialogs) zu machen. Texte zum Merkmal aus der jeweiligen 
Zeit waren dazu in den vorherigen Unterrichtsstunden mit den Teilnehmern bear- 
beitet worden, so dass die Lerner auf ein passendes Vokabular und eine historische 
Einordnung zurückgreifen konnten. Im Anschluss daran wurden die Lerner auf- 
gefordert, mittels ihrer Notizen die Filmszene in ihrem Verlauf schriftlich wieder- 
zugeben, wobei jeder Lerner sich auf eines der Merkmale (s. Aufgabe) konzen- 
trieren sollte. Dazu wurde parallel die Aufgabe gestellt, den Handlungsverlauf in 
einen historischen Rahmen einzubetten und dabei jeweils das Merkmal gemäß der 
Zeit zu thematisieren. 

Im „Pratique orale"-Kurs erhielten die Teilnehmer die Szene aus dem Film 
„Herr Lehmann" mit der Aufgabenstellung, die Szene ohne Ton dreimal gut anzu- 
sehen. Hinterher wurden sie dann in Partnerarbeit gebeten, zu dieser Szene einen 
Fernsehbericht zu halten, d.h. sie sollten in die Rolle eines Reporters schlüpfen, der 
die zweiminütige Szene für ein fiktives Fernsehpublikum kommentiert. Das Fern- 
sehpublikum stellten dann die anderen Teilnehmer dar, während die beiden Lerner 
abwechselnd ihren Kommentar zu den Bildern vorlasen. Damit dieser nicht zu 
stockend abgelesen klingt, bekamen sie vorher zusätzliche Zeit für eine Leseprobe. 
Die Lerner wurden dabei von einem Abspielgerät (z.B. I-pod) aufgenommen und 
konnten sich hinterher ihre Leistung anhören, wobei die Lehrkraft die Stellen no- 
tierte, in denen die Satzmelodie oder die Wortbetonung verändert werden musste. 
Auf diese Weise konnten sich die Lerner in ihrem Sprechfluss verbessern. Von 
Vorteil in dieser Stunde war, dass die Lerngruppe nur aus vier Personen bestand. 
Bei einer größeren Gruppe könnte man in diesem Fall die Aufgabe zur Abgabe 
eines themengebundenen Berichts vergeben, d.h. die Szene soll in einem neuen 
Kontext wie z.B. einer „Fußballspielberichterstattung" oder eines „politischen 
Staatsbesuchs" nacherzählt werden. 

In beiden Gruppen war die Resonanz auf die Übungen weitestgehend positiv, 
allerdings war in der schriftlichen Aufgabe zur Filmszene „Christiane F." weitaus 
mehr Betreuung sowohl im Verstehen als auch während der Aufgabenfertig- 
stellung nötig. Dies gilt es bei der Durchführung zu beachten, um so vor allem 
schwächeren Kursteilnehmern stärker zu helfen und ggf. die Gruppeneinteilung 
vom Niveau her ausgewogener vorzunehmen. 



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Jens Grimstein 



3 Zusammenfassung 

Bei der Arbeit mit Filmszenen als historischen Quellen stellt sich die Frage, mit 
welchen didaktischen Mitteln man diese in den DaF-Unterricht integriert: Oft wird 
der Film en bloc gezeigt und dann die Variante des Vortrags gewählt, und man er- 
klärt am Film die jeweiligen Zeitumstände in einer Plenardiskussion oder im Fron- 
talunterricht. Eher selten folgen aus der Beschäftigung damit sprachkompetenz- 
orientierte Übungen, d.h. Aufgaben, die versuchen, das historische Wissen so 
niveau-adäquat zu vermitteln, dass der Lerner parallel dazu seine Sprachfähigkeit 
selbstständig trainieren kann. Das Ziel hierbei ist, dem Lerner die in einer Film- 
szene enthaltenen geschichtiichen Informationen als Herausforderungen zum Er- 
werb (höherer) Sprachkompetenz anzubieten. Die drei oben erwähnten Beispiele, 
die teilweise auch im Unterricht ihre Anwendung fanden, versuchen dies zu be- 
legen und laden Kolleginnen und Kollegen ein, sie ebenfalls auszuprobieren. 

Es hat einige Zeit gebraucht, bis der Film als Arbeitsmittel im Geschichts- und 
DaF-Unterricht vollständig anerkannt wurde. Dass der Film als solcher sich, zu- 
mindest als historische Quelle für den DaF-Unterricht schließlich hat durchsetzen 
können, verdankt er sicherlich auch der strukturellen Offenheit des Fachs, Material 
aus verschiedenen lebensnahen Kontexten aufzunehmen und zu didaktisieren. 



Literatur 

Abraham, Ulf; Kepser, Matthis ( 3 2009): 'Literaturdidaktik Deutsch. Line Einführung. 
Berlin: Erich Schmidt. 

Abraham, Ulf (2006): Mehr als nur „Theater mit Videos". Theatralität in einem 
medienintegrativen Deutschunterricht und szenische Verfahren im Umgang 
mit Film und Fernsehen, in: Frederking, Volker (Hrsg.): Jahrbuch Medien im 
Deutschunterricht 2005. Filmdidaktik und Filmästhetik. München: kopaed, 130-144. 

Behrens, Ulrich (2009): Geschichte im Film - Film der Geschichte. Norderstedt: Books 
on Demand. 

Bohnenkamp, Anne (2005): Vorwort. In: Bohnenkamp, Anne/Lang, Tilman 
(Hrsg): Interpretationen Eiteraturverfilmungen. Stuttgart: Reclam, 9-33. 

Gehrke, Ulrich (2011): Veit Harlan und der „Kolberg"-Film. Filmregie zwischen Geschichte, 
NS ^-Propaganda und Vergangenheitsbewältigung. Hamburg: Hamburg 
Marmorweg 14: U. Gehrke. 

Hickethier, Knut ( 3 2007): Film- und Fernsehanalyse. Stuttgart und Weimar: Metzler. 

Koller, Wolfgang: Die Erinnerungskultur der Revolutions- und Napoleonischen Kriege im 
europäischen Kino, 1914 bis 1945 (in Vorbereitung). 



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Zeitgeschichtliche Filmszenen für den DaF-Unterricht - Beispiele und Erfahrungen 101 



Kotulla, Theodor (1964): Der Film. Manifeste, Gespräche, Dokumente Bd. 2. 1945 bis 
heute. München: Piper. 

Leitzke-Ungerer, Eva (Hrsg.) (2009): Film im Fremdsprachenunterricht. Literarische 
Stoffe, interkulturelle Ziele, mediale Wirkung. Stuttgart: Ibidem. 

Schanze, Helmut (Hrsg.) (1996): Fernsehgeschichte der Uteratur. Voraussetzungen — 
Fallstudien - Kanon. München: Fink. 

Wedel, Michael (201 1): Filmgeschichte als Krisengeschichte. Schnitte und Spuren durch den 
deutschen Film. Bielefeld: Transkript. 

Filme 

Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. BRD 1981, Regie: Ulrich Edel. 
Herr Fehmann. BRD 2003. Regie: Leander Haussmann. 
Prin^esinnenbad. BRD 2007. Regie: Bettina Blümner. 



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Historische Audio- und Videodokumente im 
DaF-/Phonetikunterricht - Vorschläge und 
Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis 



Beatrice Wiegan d 



Einleitung 

Historische Tondokumente wirken auf heutige Hörer manchmal übertrieben 
gesprochen und seltsam „aus der Zeit gefallen". Während sie im landeskundlichen 
DaF-Unterricht häufig eine Abwechslung und Bereicherung darstellen, erscheinen 
sie für den Sprachunterricht aus diesem Grund hingegen eher ungeeignet. Dieser 
Beitrag will dennoch für den Einsatz historischer und zeithistorischer Audio- und 
Videodokumente im Sprach- und Phoneükunterricht werben, beziehungsweise sol- 
cher Dokumente, deren Sprecher sich wie der Sänger Max Raabe sehr stark an 
historische Vorbilder angelehnt haben oder sich in einem Kontext jahrzehnte- 
langer Traditionen bewegen, die sie aufgreifen oder bewusst abzuwandeln versu- 
chen, wie der Bundespräsident in seiner Weihnachtsansprache. 

Solche Hördokumente — im Folgenden zusammengefasst „historische" Doku- 
mente genannt — können nach Erfahrung der Verfasserin in besonderer Weise für 
phonetische und klangliche Aspekte der Sprache sensibilisieren. Dazu gehören 
Aussprachephänomene wie Akzentuierung, Rhythmisierung und Melodisierung im 
Deutschen, aber auch Aus Sprache Varianten und die sich in ihnen realisierenden 
Sprechabsichten (Ironie, Feierlichkeit, Spannungserzeugung usw.). Gerade dort, 
wo die Aussprache stilistische Auffälligkeiten aufweist, möglicherweise von 
heutigen Hörgewohnheiten abweicht und übertrieben erscheint, werden Gestal- 



104 



Beatrice Wiegand 



tungsmittel und Realisierungsformen oft besonders deutlich. Das erleichtert 
erstens die Wahrnehmung phonetischer Aspekte, zweitens kann dies in einer 
anschließenden Phase sprachlicher Produktion einen spielerischen Kontext und 
Freiraum bieten. 

Der Einsatz historischer Audio- und Videodokumente erscheint außerdem 
dadurch gerechtfertigt, dass es sich um authentische Materialien handelt, denen die 
Lerner auch außerhalb des Sprachunterrichts begegnen können, und anhand derer 
sich Hörerfahrungen erweitern lassen. Auch in Sprachprüfungen, z.B. den Zerti- 
fikatsprüfungen des Goethe-Instituts oder den auf diese Prüfungen vorbereitenden 
Unterrichtsmaterialien begegnen Deutschlerner verschiedenen Varianten der 
deutschen Sprache und Aussprache. 

Im Folgenden sollen Unterrichtseinheiten vorgestellt werden, die auf histo- 
rischen und zeithistorischen Audio- und Videodokumenten basieren und anhand 
derer verschiedene sprachliche Fertigkeiten, vor allem aber phonetische Aspekte 
des Deutschen thematisiert und geübt werden. Die einzelnen Beispiele sind als 
Anregungen für den Sprachunterricht gedacht. 



Unterrichtsentwurf 1: „Mein kleiner grüner Kaktus" 

Interpretation: Max Raabe & Palast Orchester 
Musik: Albrecht Marcuse; Bert Reisfeld 

Text: Hans Herda, 1934 

Blumen im Garten, 

so zwanzig Arten, 

von Rosen, Tulpen und Narzissen, 

leisten sich heute 

die feinen Leute, 

das will ich alles gar nicht wissen. 

Mein kleiner grüner Kaktus 
steht draußen am Balkon, 
hollari, hollari, hollaro. 
Was brauch' ich rote Rosen, 
was brauch' ich roten Mohn, 
hollari, hollari, hollaro. 

Und wenn ein Bösewicht 
was Ungezog'nes spricht, 
dann hol' ich meinen Kaktus 
und der sticht, sticht, sticht. 
Mein kleiner grüner Kaktus 



Historische Audio- und Videodokumente im DaF- /Phonetikunterricht 



105 



steht draußen am Balkon, 
hollari, hollari, hollaro. 

Heute um viere 

klopft's an die Türe. 

Nanu, Besuch so früh am Tage? 

Es war Herr Krause 

vom Nachbarhause, 

der sagt: Verzeih'n Sie, wenn ich frage... 

Sie ham' doch einen Kaktus 

da draußen am Balkon, 

hollari, hollari, hollaro. 

Der fiel soeben runter, 

was halten Sie davon? 

Hollari, hollari, hollaro. 

Er fiel mir aufs Gesicht, 

ob's glauben oder nicht, 

jetzt weiß ich, dass Ihr kleiner grüner Kaktus sticht. 
Bewahr'n Sie Ihren Kaktus 
gefälligst anderswo, 
hollari, hollari, hollaro. 



Aufgabenstellungen 

1 . Hören Sie das Lied „Mein kleiner grüner Kaktus" in der Interpretation von Max 
Raabe! Wie finden Sie das Lied? 

2. Hören und sehen Sie nun den Auftritt noch einmal! Charakterisieren Sie die 
Sprechweise, indem Sie die folgenden Adjektive an den passenden Stellen in den 
Kästen neben dem Liedtext oben ergänzen! 

vergnügt I gut gelaunt verärgert gelangweilt I gleichgültig 

Spannung erzeugend erstaunt/ verwundert 

misstrauisch 

3. Mit der Stimme kann man Emotionen, Ironie, Spannung usw. erzeugen. Womit 
noch? 

4. Wo in dem Lied und wie erzeugt Raabe Ironie? 



106 



Beatrice Wiegand 



5. Sprechen Sie die folgenden Textstellen jetzt mit unterschiedlicher Sprechweise! 
Sprechen Sie so, wie auf dem Los gefordert! Die anderen raten/erkennen, wie Sie 
gesprochen haben! 



vergnügt/ 
gut gelaunt 


verärgert 


misstrauisch 


Aufgeregt 


erstaunt/ 
verwundert 


gelangweilt/ 
gleichgültig 


Traurig 


schüchtern 


gan% normal 


wie Max Raabe 



Nach: Endt; Hirschfeld (1995: 54). 



Was brauch' ich rote Rosen, 
was brauch' ich roten Mohn, 

Dann hol ich meinen Kaktus 
und der sticht, sticht, sticht. 

Nanu, Besuch so früh am Tage? 

Verzeih'n Sie, wenn ich frage... 

Sie ham' doch einen Kaktus 
da draußen am Balkon... 

... der fiel soeben runter, 
was halten Sie davon? 

Bewahr'n Sie ihren Kaktus 
gefälligst anderswo auf! 



Ziele und Erfahrungen mit dem Unterrichtsentwurf 

Bei der im Unterricht verwendeten Videoaufnahme handelt es sich nicht um eine 
historische Aufnahme aus der Entstehungszeit des Liedes, also den 1930er Jahren 
des 20. Jahrhunderts, sondern um eine Interpretation Max Raabes aus dem Jahr 
2006, im Stil der Entstehungszeit, aber auch im persönlichen Stil des Interpreten. 1 

1 Für den vorliegenden Unterrichtsentwurf wurde der Interpretation Raabes der Vorzug vor einer 
historischen Aufnahme z.B. der Comedian Harmonists gegeben. Zum einen erlaubt dies den Einsatz 
eines Videos und damit die Berücksichtigung von Gestaltungsmitteln wie Mimik und Inszenierung 
(Kleidung, Orchester etc.). Zum anderen werden bei Raabe — dessen Interpretation sich auf histo- 
rische Vorbilder bezieht, jedoch auch übertreibt und ironisiert — Aussprachephänomene besonders 
deutlich. 



Historische Audio- und Videodokumente im DaF- /Phonetikunterricht 



107 



Ziel der anhand des Videomaterials entwickelten Unterrichtseinheit, die sich an 
Lerner ab Niveau Bl richtet, ist eine Sensibilisierung für emotional und situativ 
bedingte Sprechweisen 2 und Aussprachevarianten im Deutschen, hier eine 
bestimmte Emotionalisierung und Ironisierung. In Aufgabe 2 sollen die Lerner 
diese Modi des Sprechens erkennen. Die Aufgaben 3 und 4 tragen dem 
Sachverhalt Rechnung, dass auch andere Gestaltungsmittel zum Ausdruck von 
Emotionen, Ironie oder Spannung beitragen, was in Raabes sparsam, aber 
wirkungsvoll eingesetzter Mimik im Video deutlich wird. Aufgabe 5 stellt eine 
produktive Ausspracheübung spielerischer Form dar und basiert auf der Übungs- 
form „Lies den Text so!" des Phonetikmaterials „Die Rhythmuslokomotive" 
(Endt; Hirschfeld 1995: 54). Anhand der ihnen bereits bekannten Verse aus dem 
Lied können die Lerner hier selbst emotionale Varianten in der Fremdsprache 
Deutsch produzieren und ausprobieren. Zur Unterstützung phonetischer Mittel 
(z.B. Sprechtempo, Lautstärke, Melodieverläufe und andere Parameter der Proso- 
die) 3 können die Lerner auch Mimik und Gestik einsetzen. 

Im Sprachunterricht mit französischen Studierenden der Germanistik ließ sich 
zunächst feststellen, dass die Humorlage des Liedes und seiner Vortragsweise 
durchaus der relativ jungen Zielgruppe entsprach. Als lustig wurden der Kontrast 
zwischen ernstem festlichem Vortrag (Orchester, Kleidung, Aussprache und 
Vortragsweise) und dem „lustigen, albernen Text" (Zitate der Studierenden), aber 
auch die „energische, flotte Musik" sowie die Tendenz zu Deutlichkeit und 
Übertreibung empfunden. Während die Körperhaltung als reglos beschrieben 
wurde, imitierten die Lerner schnell Blick und Mimik Max Raabes. Im Bereich der 
Aussprache fielen die stellenweise hohe Deutlichkeit sowie die Realisierung der R- 
Laute auf. Beides lässt sich auf eine erhöhte Sprechspannung und 
Artikulationspräzision 4 einiger Passagen des Kunstgesangs zurückführen. Auch 
diese phonostilistische Aussprachevariante konnten die Deutschlerner im Verlauf 
der anschließenden produktiven spielerischen Übung imitieren, wenn sie gemäß 
ihrem Los „so wie Max Raabe" sprechen sollten. 



2 Zum Begriff „Sprechweise" vgl. Reinke 2008: 35ff. 

3 Einen Überblick über Begrifflichkeiten, Realisierungsmittel und Funktionen prosodischer Aspekte 
des Deutschen bieten Hirschfeld; Neuber 2010: 10-16. 

4 Zur Kategorie der Artikulationspräzision und phonostilistischen Varianten der Aussprache vgl. das 
Kapitel „Phonostilistische Differenzierungen der Standardaussprache" in: Krech; Stock; Hirschfeld; 
Anders 2009: 98ff. 



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Beatrice Wiegand 



Unterrichtsentwurf 2: 

„Eine Rede halten - die Weihnachtsansprache 2010" 

Aufgabenstellungen 

1. Sie sehen die Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten Christian Wulff aus 
dem Jahr 2010. Was sind zentrale Themen seiner Rede? Was sind zentrale 
Botschaften? 

2. Sehen Sie das Video nun noch einmal und notieren Sie Ihre Beobachtungen zu 
den unten genannten Aspekten! Präsentieren Sie anschließend die Beobachtungen 
Ihrer Gruppe! 

Gruppe 1: Inszenierung 

(Ort, Requisiten, Gäste, Kameraführung usw.) 



Gruppe 2: Gestik, Mimik, Blick, Körperhaltung 



Gruppe 3: Sprache und Aussprache 

(z.B. Wortwahl, Redetempo, Tempoänderungen, Pausen, Betonung etc.) 



3. Wie wirkt die Rede des Bundespräsidenten auf Sie? 

4. Halten Sie nun eine eigene kleine Ansprache! Die Situation ist die folgende: Sie 
haben ein dreimonatiges Praktikum in Deutschland absolviert, das nun zu Ende 
geht. Aus diesem Anlass geben Sie für Ihre zehn Kolleginnen einen Ausstand. Sie 
haben ein kollegiales Verhältnis, sind aber keine „Kumpel". Sie möchten sich 
positiv äußern und versprechen sich auch in Zukunft etwas von Ihren 
Praktikumsgebern, möchten sich aber auch nicht einschmeicheln. Sie haben einen 
Kuchen gebacken und bevor Sie diesen gemeinsam essen, richten Sie ein paar 
Worte an die Runde. Bereiten Sie einige Sätze zu den folgenden Inhaltspunkten 
vor! 



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Historische Audio- und Videodokumente im DaF- /Phonetikunterricht 



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- Resümee des Praktikums 

- Dank für die Zusammenarbeit 

- Hoffen auf weiteren Kontakt 

Halten Sie anschließend Ihre kleine Rede und benutzen Sie dabei eigene Mittel 
der Gestik, Mimik, Sprache und Aussprache! 

Ziele und Erfahrungen mit dem Unterrichtsentwurf 

Die Idee, eine Weihnachts- oder Neujahrsansprache zu analysieren, ist nicht neu. 
Eine interessante kontrastierende Perspektive eröffnet beispielsweise die Sendung 
„Karambolage" des Fernsehsenders Arte, indem sie eine französische und zwei 
deutsche Ansprachen gegenüberstellt (vgl. Clairon; Doutriaux 2005). Was nun die 
Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten Christian Wulff aus dem Jahr 2010 
für den Fremdsprachenunterricht Deutsch meines Erachtens interessant macht, 
betrifft einige Merkmale der Gestaltung seiner Rede, die auf eine direkte 
Ansprache des Adressaten zielen und in ihrer beabsichtigten Wirkung vielleicht am 
besten damit beschrieben werden können, dass sie „Verbindlichkeit" herstellen 
sollen. 

In der vorgeschlagenen Didaktisierung dient das erste Hören und Ansehen des 
Dokuments der Erarbeitung seiner inhaltlichen Seite. Die Aufgabenstellung, 
zentrale Themen und Inhalte der Rede herauszuhören, ist als Training des globalen 
Hörverstehens angelegt. Dieser inhaltlichen Auseinandersetzung folgt eine Analyse 
verschiedener Aspekte der Präsentation. Vorgeschlagen wird dabei eine Aufteilung 
der Beobachtungsaspekte auf drei Gruppen: Gruppe 1 konzentriert sich auf 
Aspekte der Inszenierung (Ort, Requisiten, Gäste, Kameraführung usw.), Gruppe 
2 beobachtet Gestik, Mimik, Blick und Körperhaltung des Redners und Gruppe 3 
macht Notizen zu Sprache und Aussprache (z.B. Wortwahl, rhetorische Mittel, 
Redetempo, Tempoänderungen, Pausen, Betonung usw.). Im Anschluss an ein 
zweites Ansehen des Videos erhalten die Studierenden einige Minuten Zeit, um 
innerhalb ihrer jeweiligen Gruppe Beobachtungsergebnisse auszutauschen und zu 
diskutieren. Danach präsentieren die Gruppen ihre Beobachtungen im Plenum. 
Die Frage 3 des Unterrichtsentwurfs, „Wie wirkt die Rede des Bundespräsidenten 
auf Sie?", zielt unter anderem auch darauf, die zunächst differenzierten 
Analyseaspekte und Blickpunkte in der Interpretation ihrer Wirkung wieder 
zusammenzuführen. 

In der Unterrichtspraxis war interessant zu sehen, wie die Interpretationen und 
Bewertungen der Rede durch verschiedene Lernergruppen auseinander ging. 
Während Gestik und Mimik in einem ersten Unterricht beispielsweise mit „steht 
aufrecht, gerade; lächelt, blickt freundlich" charakterisiert wurden, beschrieben 
Studierende eines anderen Kurses dasselbe Verhalten als „steht steif, bewegt nur 
die Hände; lächelt nur einmal". Bei der Frage nach der Wirkung der Rede führte 
das zu Wertungen wie „freundlich, nah, nicht distanziert" innerhalb der ersten 



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110 



Beatrice Wiegand 



Lernergruppe, während die Gruppe aus der anderen Unterrichtseinheit „feierlich, 
offiziell, ernst, optimistisch, idealisierend, klischeehaft" urteilte. 

In beiden Unterrichtsstunden führte ich den Begriff und die Kategorie der 
„Verbindlichkeit" der Ansprache ein, auf welche meines Erachtens sowohl 
Inszenierung als auch Gestik und Mimik sowie Sprache und Aussprache zielen. 
Die Studierenden selbst erwähnten in diesem Kontext den Blick als Kontaktmittel, 
aber auch den phonetischen Aspekt einer starken Akzentuierung „wichtiger 
Wörter", zentraler Begriffe der Rede und der Anreden von Personengruppen. 

Bei der Konzeption der produktiven Aufgabe, zu zweit eine eigene kleine 
Ansprache zu entwerfen und zu präsentieren, ging es vor allem darum, eine 
adäquate realitätsnahe Situation zu schaffen und diese möglichst konkret vor 
Augen zu führen. Die Lerner wurden schriftlich und mündlich dazu angehalten, 
bei der Gestaltung ihrer Ansprache nach ,,eigene(n) Mittel(n) der Gestik, Mimik, 
Sprache und Aussprache" zu suchen. Die präsentierten Ergebnisse wiesen, auch im 
Einsatz von Blick und Gestik, deutliche Unterschiede und persönliche Züge auf. 
Eine Aufzeichnung mit Videokamera kann hinsichtlich der Präsentation sicher zu 
noch mehr Ernsthaftigkeit führen und in der Auswertungsphase noch fundiertere 
Reflexion erlauben. 



Unterrichtsentwurf 3: 

„Die Prinzessin auf der Erbse - ein Märchen vortragen" 

Text: Hans Christian Andersen 

Vortrag: Alexander Moissi, 1928 

Aufgabenstellungen 

1. Welche Merkmale charakterisieren in der Regel den Vortrag eines Märchens? 
Kreuzen Sie an, was Ihrer Meinung nach zutrifft! 

Man spricht meist □ langsam □ schnell 

Pausen macht man □ viele □ wenige 

Die rhythmischen Gruppen sind L eher klein U eher groß 

(vgl. Stock 1996: 71) 

2. a Hören Sie nun den Vortrag des Schauspielers Alexander Moissi aus dem Jahr 
1928! Wie finden Sie seine Vortragsweise? Was charakterisiert sie? 

2.b Welche Merkmale sind stark der Zeit (den 1920er Jahren) verhaftet? Was 
würde Sie heute anders machen? 



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Historische Audio- und Videodokumente im DaF- /Phonetikunterricht 



111 



3. Auch wenn Ihr eigener Vortrag heute ganz anders ist, Akzente, Melodieverläufe 
und sinnfällige Pausen werden in dem historischen Vortrag doch sehr deutlich. 
Hören Sie den Text jetzt noch einmal! Markieren Sie - mit Bleistift - Pausen und 
wichtige Satzakzente! 

Es war einmal ein Prinz , // der wollte eine Prin zess in heiraten. // Aber / es 
sollte eine wirk liche Prinzessin sein. Er reiste nun in der ganzen Welt umher, 
um eine solche zu finden, aber immer kam etwas dazwischen. Prinzessinnen 
waren ja genug da, aber ob es eine wirkliche Prinzessin war, dahinter konnte er 
durchaus nie kommen. Immer war irgend etwas, das nicht recht stimmte. So 
kam er denn wieder nach Hause und war ganz traurig, denn er hätte doch so 
gern eine wirkliche Prinzessin gehabt. [...] 

4. Überprüfen Sie, ob Sie selbst dieselben Akzente und Pausen setzen würden! 
Ändern Sie eventuell Ihre Markierungen und bereiten Sie einen eigenen Vortrag 
vor! Machen Sie eine Aufnahme! 



Ziele und Erfahrungen mit dem Unterrichtsentwurf 

Den Vortrag eines Märchens kennzeichnen spezifische prosodische Merkmale. 
Insbesondere in Bezug auf Sprechtempo und Pausen können Lerner diese 
Textsorte sicher schnell beschreiben (vgl. Aufg. 1). Märchen kennzeichnet gemäß 
Stock (1996: 71) darüber hinaus, dass sie aus relativ kleinen rhythmischen Gruppen 
bestehen. Das prädestiniert sie für die Arbeit an prosodischen Aspekten wie 
Akzentuierung, Rhythmus, Pausierung und Melodisierung. Der Unterrichts- 
vorschlag setzt sich aus zwei angewandten Übungen 5 , einer Hörübung und einer 
textgebundenen Sprech- und Aus Spracheübung zusammen. Da das zu hörende 
Tondokument, eine Aufnahme des Schauspielers Alexander Moissi, ganz allgemein 
von unseren heutigen Hörgewohnheiten abweichen dürfte und beim Hören erst 
einmal sicher Heiterkeit verursacht, wird den Lernern zunächst die Frage nach 
phonetischen und sprechkünstlerischen Besonderheiten dieses Vortrags gestellt. 
Im CD-Cover werden Vortragsweise und Wirkung wie folgt beschrieben: 

„Auch dem Laien werden im Vergleich mit unseren heutigen Hör- 
gewohnheiten die Empathie, die „Übertreibung", das Theatralische, Pathe- 
tische nicht verborgen bleiben. Es entsprach den sprechstilistischen Auffas- 
sungen dieser Zeit, dass mehr „deklamiert" denn „rezitiert" wurde. Auch der 
Grad der Artikulationspräzision scheint heute überhöht. Besonderheiten wie 
das sogenannte rollende R sind dem damaligen Zeitgeschmack zuzuschreiben." 
(Müller: 2004) 



5 Die Klassifizierung und Charakterisierung der Übungen folgt in diesem Artikel der Typologie in 
Dieling; Hirschfeld 2000: 47ff. 



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Beatrice Wiegand 



Der übertreibende Gestus in Moissis Vortrag führt dazu, dass prosodische 
Merkmale und die Mittel ihrer Realisierung besonders deutlich hervortreten, was 
die Aufnahme meines Erachtens für den Einsatz im Phonetikunterricht interessant 
macht. Die starke Empathie und Dramatik seiner Interpretation des Märchens 
realisiert er nicht nur mittels verstellter Stimme in Passagen direkter Figuren- 
sprache, sondern auch mittels starker Akzentuierung. Auch die Mittel der Akzen- 
tuierung im Deutschen (erhöhte Lautstärke und Sprechspannung, herausgehobene 
Tonhöhe, verlangsamtes Sprechtempo, vgl. Hirschfeld; Neuber 2010: 12) treten 
deutlich hervor. Wenn auch den Lernern in jedem Fall deutlich werden muss, dass 
eine zeitgemäße Interpretation des Märchens heute anders klingt, prädestiniert 
diese Deutlichkeit prosodischer Aspekte und ihrer Realisierungsmittel meines 
Erachtens doch das historische Hörmaterial in besonderer Weise für einen Einsatz 
im Phonetikunterricht. Mit Hilfe des Hördokuments sollen die Lernenden auf 
ihrem Arbeitsblatt Pausen und Wortgruppenakzente markieren, denkbar wäre auch 
eine Markierung von Melodieverläufen. 6 Im Anschluss an eine Kontrollphase im 
Plenum soll ein eigener Vortrag des Märchens vorbereitet und realisiert werden. 
Die Lerner müssen sich nicht in jedem Fall an die Pausen und Akzentuierungen 
Moissis halten. In jedem Fall aber sollte eine Aufnahme des jeweiligen Vortrags 
erfolgen, um eine Auswertung des Ergebnisses zu ermöglichen. 

Zusammenfassung und Schlusswort 

Historische Audio- und Videodokumente, das sollte in diesem Beitrag gezeigt 
werden, bieten über ihre landeskundlichen Lernmöglichkeiten hinaus Potenzial für 
den Deutsch-als-Fremdsprache- und Phonetikunterricht. Sie sind authentische 
Materialien, mit denen sich Hörfertigkeiten trainieren und Hörerfahrungen 
erweitern lassen. Sie können für phonetische und rhetorische Aspekte der 
Gestaltung gesprochener Sprache sensibilisieren, und das auch und gerade dort, wo 
sie durch ihre Distanz zu heutigen Sprech- und Hörgewohnheiten auffallen und 
dadurch Phänomene und Gestaltungsmittel besser erkennbar werden lassen. Auch 
Übungen zum Training produktiver Fertigkeiten, Sprech- und Ausspracheübungen 
lassen sich anschließen. Damit können die Materialien nicht nur einen für viele 
Lerner vereinfachenden, sondern nach Erfahrung der Verfasserin immer auch 
unterhaltsamen und motivierenden Zugang zur komplexen Materie phonetischer 
Gestaltung bieten. 



6 Vorausgesetzt wird, dass die Studierenden mit Grundlagen der Prosodie des Deutschen wie den 
Regeln und Mitteln der Wort- und Satzakzentuierung, Melodieverläufen usw. vertraut sind. 



Historische Audio- und Videodokumente im DaF- /Phonetikunterricht 



113 



Literatur 

Dieling, Helga; Hirschfeld, Ursula (2000): Phonetik lehren und lernen 
(Fernstudieneinheit 21). Berlin, München: Langenscheidt. 

Endt, Ernst; Hirschfeld, Ursula (Hrsg.) (1995): Die Rhythmuslokomotive. München: 
Goethe-Institut. 

Hirschfeld, Ursula; Neuber, Baidur (2010): Prosodie im Fremdsprachenunterricht 
Deutsch — ein Überblick über Terminologie, Merkmale und Funktionen. In: 
Deutsch als Fremdsprache, 1. Quartal 2010/Heft 1, 10-16. 

Krech, Eva-Maria; Stock, Eberhard; Hirschfeld, Ursula; Anders, Lutz Christian 
(2009): Deutsches Aussprachewörterbuch. Berlin, New York: de Gruyter. 

Müller, Beate (2004): Zu den Tonaufnahmen. In: Deutsches Historisches 

Museum/Deutsches Rundfunkarchiv, Frankfurt/Main — Potsdam-Babelsberg/ 
Institut für Sprechwissenschaft und Phonetik, Martin-Luther-Universität Halle- 
Wittenberg (Hrsg.): Der Klang der zwanziger Jahre. Reden Reportagen Rezitationen 
1920-1930 (Booklet der CD). 

Reinke, Kerstin (2008): Zur Wirkung phonetischer Mittel in sachlich intendierter Sprechweise 
bei Deutsch sprechenden Russen. (Hallesche Schriften zur Sprechwissenschaft und 
Phonetik Bd. 26). Frankfurt/ Main: Peter Lang. 

Stock, Eberhard (1996): Deutsche Intonation. Berlin, München: Langenscheidt. 



Quellen der Audio- und Videodateien 

Clairon, Elsa; Doutriaux, Ciaire (2005): les voeux/die Neujahrsansprachen. In: 
Doutriaux, Ciaire: Karambolage. Une emission franco-allemande ludique et 
impertinente I Eine deutsch-französische Sendung, frech und verspielt. DVD, Arte Video. 

Die Prinzessin auf der Erbse: Deutsches Historisches Museum/Deutsches Rundfunk- 
archiv, Frankfurt/Main - Potsdam-Babelsberg/Institut für Sprechwissenschaft 
und Phonetik, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Hrsg.) (2004): Der 
Klang der zwanziger Jahre. Reden Reportagen Rezitationen 1920-1930 (CD). 

Mein kleiner grüner Kaktus: http://www.youtube.com/watch?v=qBl_DDv7iF0 
(letzter Zugriff: 10.05.2011) 

Weihnachtsansprache 2010: http:/ /www.youtube.com/watch?v=qFaHVwJdQhk 
(letzter Zugriff: 10.05.2011) 



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Formen der Arbeiterliteratur für den Deutsch- und 
DaF-Unterricht 



Jens Grimstein 



1 Einleitung 

Aktuelle literaturdidaktische Diskussionen beziehen zunehmend auch kulturwis- 
senschaftliche Fragestellungen mit in ihre Überlegungen ein. 1 Unter Berücksich- 
tigung moderner Theorien eines erweiterten Textbegriffs wird das Medium Lite- 
ratur verstärkt in seinen sozialen, anthropologischen und symbolsystematischen 
Dimensionen betrachtet. Literatur erfüllt angesichts ihres Einflusses auf Wahr- 
nehmung und Verhalten Einzelner lebenspraktische Bedürfnisse und erweitert so 
ihre vormals begrenzte Stellung in der hermeneutischen Textwissenschaft. 2 

Mit diesen neuen Prämissen bietet sich ein literarisches Genre zur Didakti- 
sierung im Germanistik- und/oder DaF-Unterricht an: die Arbeiterliteratur. Bevor 
im weiteren Verlauf konkrete Anwendungsbeispiele vorgestellt werden, soll zu- 
nächst theoretisch erörtert werden: Was bezeichnet Arbeiterliteratur? Welchen 
Stellenwert kann sie als historische Quelle beanspruchen? Und warum überhaupt 
eignet sich Arbeiterliteratur für den Germanistik- oder DaF-Unterricht? 



1 Vgl. Abraham; Kepser 2009: 10 

2 Mit „Textwissenschaft" ist die analytische Beschäftigung mit in diesem Fall literarischen Texten 
gemeint. Innerhalb eines Medienpluralismus der Humanwissenschaften wird damit der Literatur 
neben beispielsweise dem Film, der Musik oder der Fotographie ein gleichberechtigter Rang einge- 
räumt und jeweils jedes Medium innerhalb seiner eigenen Repräsentationsgrenzen bewertet. 



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116 



Jens Grimstein 



2 Arbeiterliteratur 

In ihrer klassischen Ausprägung beschäftigt sich die Arbeiterliteratur 3 mit der Dar- 
stellung von menschlichen Lebensverhältnissen innerhalb gesellschaftlich unter- 
privilegierter Schichten unter besonderer Berücksichtigung ihrer beruflichen Tätig- 
keiten. 4 Ihre stärkste Prägung fand die Arbeiterliteratur in den historischen und 
sozialen Umwälzungen des 19. und 20. Jahrhunderts, denen sie einen Großteil 
ihrer Werke verdankt. Es sind vor allem die Arbeitsbedingungen des Industrie- 
proletariats bis zum 2. Weltkrieg, die im Zentrum der Beschreibungen stehen. Auf 
diese Weise bildete sich der originär-industrielle Typus des Arbeiters bzw. der Ar- 
beiterin heraus, der bis heute Einfluss auf politische Diskurse hat. In Opposition 
zum bürgerlichen Unternehmer (auch: Kapitalisten) definierte sich die Arbeiterlite- 
ratur über ihre Protagonisten, die sie auf verschiedenen Ebenen mit gesellschaft- 
lichen Problemen konfrontiert. In der literarischen Praxis entwickelte sich so eine 
genrespezifische Poetik und Ästhetik der Arbeiterliteratur, die für die realen sozial- 
politischen Veränderungen einen eigenen, mit einem politischen Impetus verbun- 
denen künstlerischen Ausdruck fand. Gegenüber stärker kunsttheoretischen Bewe- 
gungen wie der Romantik oder dem Symbolismus ist es ein erklärtes Anliegen der 
klassischen Arbeiterliteratur, mittels literarischer Werke auf die soziopolitischen 
und ökonomischen Verhältnisse einzuwirken. 

Dies gelingt ihr in unterschiedlicher Qualität vor allem in dem Zeitraum 
zwischen ca. 1850 und 1980, wobei ihre Hochphase in Europa zwischen 1880 und 
1950 angesiedelt werden kann. Ihre thematischen Schwerpunkte fand sie für die 
deutschsprachige Literatur insbesondere in den Epochen des Naturalismus, in der 
Weimarer Republik/ Sachlichkeit sowie in der Literatur der DDR. Mit ihrer deut- 
lichen gesellschaftlichen Ausrichtung steht die Arbeiterliteratur so in Teilen der 
Aufklärung nah. Es geht ihr primär um die Emanzipationsbestrebungen einer 
sozial vernachlässigten Klasse, deren politisches Bewusstsein durch die materiellen 
Bedingungen nicht zur Entfaltung kommen kann. Eine historische und ideo- 
logische Nähe der Arbeiterliteratur zum Historischen Materialismus und später zur 
Kritischen Theorie zieht sich somit wie ein roter Faden durch die verschiedenen 
Epochen, an denen sie partizipiert (vgl. Scholz 2007: 41f.). 5 Umso ironischer 



3 Die Prämissen der Arbeiterliteratur für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts sollen hier ausdrück- 
lich nur auf die Literatur der BRD bezogen verstanden werden. Die Arbeiterliteratur der DDR wird 
aus Gründen ihrer Vielfalt und ihrer politisch anders zu bewertenden Nähe zur staatlichen Doktrin 
hier ausgeschlossen, da dies einen eigenen Artikel verlangen würde, der auf angemessene Weise die 
DDR- Arbeiterliteratur und ihren Wert für den DaF- und Germanistikunterricht behandelt. 

4 Vgl. dazu auch Goette 1975: 2. — In diesem in der BRD erschienen Band enthält sich der Heraus- 
geber einer Definition der Arbeiterliteratur und versucht stattdessen, die Texte für sich sprechen zu 
lassen. 

5 Diese Verbindung findet im Selbstverständnis der klassischen Arbeiterliteratur ihren vorläufigen 
Höhepunkt in den literarischen Werken der sozialistischen DDR, in der sie quasi als Hypostase 
ihres teleologischen Programms auftritt. Nicht zufällig forderte die Kulturpolitik des „Bitterfelder 
Weges" die schriftstellerische Tätigkeit der landwirtschaftlichen und industriellen Arbeiter, um im 
Gegensatz die Künstler zur materiellen Produktionstätigkeit zu verpflichten. 



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117 



nimmt sich die Tatsache aus, dass häufig die Autoren, die sich für die Belange der 
Arbeiter/-innen einsetzten, aus bürgerlichen Kreisen stammten und auch als 
Künstler diesem Milieu fest verhaftet blieben. 

3 Warum Arbeiterliteratur? 

3.1 Allgemeine kulturelle Gründe 

Im Verlauf ihrer Entwicklung durchläuft die Arbeiterliteratur diverse Epochen, 
präsentiert sich in unterschiedlichen Gattungen und variiert vielfältig ihr Thema. 
Dadurch präsentiert sie ihren zentralen Begriff, die „Arbeit", in seiner Diskonti- 
nuität und Wandelbarkeit und entfaltet ein beträchtliches historisches Reflexions- 
potential. Eines der Leitmotive, die Arbeitsbedingungen, aber auch „Arbeit" selbst 
zeigen sich in ihren diachronen Differenzen und machen so auf Kontexte 
aufmerksam, die mithilfe moderner Theorie neu bewertet werden können, wie z.B. 
das Funktionieren ökonomischer Zusammenhänge im Vergleich zur Rechtspre- 
chung oder die Polyphonie literarischer Stimmen über Arbeit. Damit bietet die 
Lektüre die Möglichkeit zur individuellen und kollektiven Sensibilisierung für die 
Verhältnisse der Gegenwart, aber auch für die Fragen nach einer gerechten Welt 
oder den (Un)Sinn von z.B. staatlich verwalteter Berufsausübung (oder Nicht- 
ausübung). 

Darüber hinaus vermittelt die Arbeiterliteratur konkretes geschichtliches 
Wissen z.B. zu Gründungen und Entwicklungen politischer Parteien und Pro- 
gramme. Sie kann als ein Verbreitungsmedium soziohistorischer Ereignisse be- 
trachtet werden, deren größere Kontexte sie notwendigerweise als klassenüber- 
greifendes Phänomen mitthematisiert. Arbeiterliteratur vermag die Gesetzmäßig- 
keiten allgemeinen sozialen Wandels kritisch zu prüfen und auf Zukunfts fragen hin 
auszurichten. Mit dieser inhärenten pädagogischen Ausrichtung eignet sie sich ins- 
besondere für aktuelle Debatten über die Abläufe in und um Ausbildungsinsti- 
tutionen wie Schulen oder Universitäten. 

3.2 Gründe für den Mutter- und Fremdsprachenunterricht 

Aus der oben beschrieben Ästhetik und Poetik der Arbeiterliteratur ergeben sich 
weitere theoretische Anschlüsse bezüglich ihrer Repräsentationseigenschaften. 6 Mit 
dem Anspruch, die soziale und politische Wirklichkeit für eine bestimmte soziale 
Gruppe verändern zu wollen, bedient sich die Arbeiterliteratur eines vielfältigen 
Inventars an literarischen Formen, denen gattungstechnisch bestimmte Funktionen 
zugeschrieben werden. Dazu gehören u.a. politische Lyrik, dramatische Texte, 



6 Dabei sollen ideologieaffine Stellungnahmen wie die Goettes zugunsten einer pluralistischen 
Perspektive auf die didaktischen und politischen Einflüsse vermieden werden, vgl. Goette 1975: 2f. 



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Jens Grimstein 



autobiographische und satirische Schriften sowie journalistische Reportagen und 
allgemein Berichte. Ihre Textsortenvielfalt bietet für einen sprach- und textorien- 
tierten Germanistik- oder DaF-Unterricht eine Breite an schriftlichen Übungen 
und Ausdrucksformen, die für ein differenziertes, tiefschichtiges Verstehen (im 
Falle der Germanistik bei Muttersprachlern) und sprachorientiertes Lernen (im 
Falle des DaF-Unterrichts) relevant sind. Eine literarische Form kann hierbei 
unterschiedliche Fertigkeiten anregen, wenn z.B. anhand eines journalistischen Be 
von E.E. Kisch oder G. Wallraff beobachtendes und kommentierendes Schreiben 
geübt werden. 



4 Arbeiterliteratur als historische Quelle 

Mit dem Verweis auf Epochen und Entwicklungen innerhalb der Arbeiterliteratur 
wird eines ihrer Charakteristika hervorgehoben: Arbeiterliteratur kann neben einer 
synchronen, d.h. je nach Zeitabschnitt gegenwartsbezogenen Lektüre auch schwer- 
punktmäßig aus einem historischen Interesse gelesen werden. Diese Historizität 
bedarf einer Klärung ihres geschichtswissenschaftlichen Wertes, d.h. ihres Status 
als historische Quelle. Unter welchen Bedingungen kann die Arbeiterliteratur einen 
Beitrag für historische Studien leisten? Und was sind die Merkmale einer histo- 
rischen Quelle? 

4.1 Primär- oder Sekundärquelle? 

Eine grundlegende Unterscheidung in der Geschichtswissenschaft betrifft die 
Klassifizierung eines Gegenstandes als Quelle 7 (vgl. Jordan 2005: 49 ff.). Man 
differenziert hierbei in der Regel zwischen Primär- und Sekundärquellen. Als 
Quelle gilt zunächst aus historischer Perspektive, was mittelbar oder unmittelbar 
mit der zur erforschenden Zeit in Verbindung steht. 8 Inwiefern ein Text der Arbei- 
terliteratur aus Sicht einer Quellenklassifikation in Betracht kommt, hängt vom 
Untersuchungsgegenstand ab. Da sich meist das Interesse, sei es literaturwissen- 
schaftlicher oder didaktischer Natur, auf den Text als solchen bezieht, gehört er zu 
den Primärquellen. Lediglich bei einem Untersuchungsgegenstand, bei dem ein 



7 Als Quelle kann prinzipiell alles gelten, was für das Verständnis eines historischen Sachbestands 
bedeutsam ist, also sowohl schriftliche Zeugnisse allgemein als auch auditive und visuelle Medien. 
Vgl. dazu auch die Beiträge von Marc Hieronimus (Einleitung) und Thomas Roth in diesem Band. 

8 Als Beispiele für den Unterschied Primärquelle (1) und Sekundärquelle (2) können dienen: 1) z.B. 
eine Reportage E.E. Kischs über die Stahlindustrie im Ruhrgebiet der 1920er Jahre, in welcher die 
journalistische Darstellung der Zustände interessiert, d.h. wie Kisch seinen Gegenstand beschreibt; 
2) wenn besagte Reportage bei einer Untersuchung der realen Arbeitsbedingungen in den Stahl- 
werken im Ruhrgebiet als Kontext herangezogen wird, aber nicht ausschlaggebend für die Unter- 
suchung ist. — Ein besonderer Fall dieser Quellenlage für die Literaturwissenschaft könnte „In 
Stahlgewittern" von Ernst Jünger darstellen, welches einerseits als authentisches Kriegstagebuch 
verfasst, anschließend aber in zahlreichen Überarbeitungen publiziert wurde. 



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Text der Arbeiterliteratur assistierend für dessen Verständnis von Belang ist, wird 
von einer Sekundärquelle gesprochen. 

Für die Arbeiterliteratur gilt in dieser Hinsicht, dass sie je nach Lese- und For- 
schungsinteresse, sofern es sich aus historischem Anliegen auf einen bestimmten 
Zeitraum bezieht, in beiden Fällen als Quelle für die damaligen Lebens- 
bedingungen der Menschen gewertet werden kann. Ihre Motivation, der Wirklich- 
keit ein möglichst getreues Abbild zu verschaffen, steht hierbei in Spannung zu 
ihrem Status als fiktionalem Text. Die Arbeiterliteratur nimmt hier einen Sonderfall 
ein: Einerseits hat sie den Anspruch, die Arbeitswelt durch ihre literarischen 
Formen und ihre Bezugnahme auf reale Probleme empirisch abzubilden; anderer- 
seits teilt sie das Schicksal einer sich auch als Kunstform verstehenden Literatur, 
die bewusst ästhetisch Gebrauch von rhetorischen und narrativen Instrumenten 
macht. 9 Damit verweisen die Werke der Arbeiterliteratur auf einen weiteren 
Zusammenhang in ihrer Funktion als historische Quelle. 

4.2 Kulturwissenschaftliche Quelle 

Der amerikanische Anglist Louis A. Monrose prägte einen Chiasmus, der die 
Beziehung von Geschichte und Literatur, d.h. Texten, auf den Punkt bringt: Die 
„Geschichtlichkeit von Texten und die Textualität von Geschichte" (Monrose 
2001: 67) verbindet ein genuin kulturwissenschaftliches Interesse zweier erkennt- 
nistheoretischer Leitbegriffe. Dieses aus dem New Historicism 10 kommende Bonmot 
verweist auf die Rückführung literarischer Phänomene auf kulturelle Kräfte, denen 
sie wechselseitig entstammen. Es sind demnach besondere, von bestimmten Kon- 
texten abhängige soziale Umstände, die in einem literarischen Text ihre signifi- 
kanten Spuren hinterlassen. Umgekehrt beeinflusst die Literatur wiederum ihre 
Kultur und damit die auf sie einwirkenden sozialen Bedingungen. Mag dieser 
Zusammenhang einer wechselseitigen Beeinflussung auch zunächst banal 
erscheinen, zeigt sich doch im Einzelfall die Unhintergehbarkeit dieses Gedankens. 
Gerade Werke, die der Arbeiterliteratur zuzurechnen sind, haben in besonderem 
Maße und zweifachem Sinn die „sozialen Energien" (so ein Ausdruck Stephen 
Greenblatts) ihrer Zeit aufgenommen und künstlerisch verarbeitet, um wiederum 
Einfluss auf die Arbeiterbewegungen zu nehmen. Aus den Straßenkämpfen des 



9 So zeugen Brechts „Episches Theater" der mittleren, marxistisch geprägten Werkphase oder Pisca- 
tors experimentelles Agitprop-Theater eindrucksvoll davon. 

10 Mit der Erfolgsgeschichte der Foucaultschen Diskursanalyse entwickelten sich auch theoretische 
Ableger wie der besagte „New Historicism". Berühmtester Vertreter ist der Literaturtheoretiker 
Stephen Greenblatt, der vor allem mit seinen Shakespeare-Studien großen Erfolg hatte (Greenblatt 
1993). Leitgedanke des New Historicism ist vor allem die Annahme einer dynamischen Natur 
literarischer Werke und ihr reziprokes Verhältnis zu ihrer nächsten Umgebung, die maßgeblich an 
ihrer Entstehung beteiligt ist. — Als geschichtswissenschaftliches Pendant zum Zusammenhang 
Geschichte und Literatur kann Hayden Whites These von der Poetik der Geschichte gelten, 
wonach er Geschichtsschreibung in ihrer Eigenschaft als Narration untersucht, vgl. White 1991. 
Zur Verwendung kulturwissenschaftlicher Inhalte im Deutschunterricht siehe Raith 2009. 



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Jens Grimstein 



Proletariats entstandene und später aufgezeichnete Lieder, von Arbeitern verfasste 
Autobiographien, Dramentexte und journalistische Texte, aber auch die Aneignung 
literarischer Werke für die eigene Sache geben hiervon Zeugnis. 

Für eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung kann die Arbeiterliteratur 
somit einen Beitrag dazu leisten, die Schnittstellen und Bündelungen von symbo- 
lischen Ordnungen, in denen sich sozioökonomische und politische Prozesse kreu- 
zen, zu sammeln und hervorzuheben. Eine literarische Gattung stellt hierbei einen 
wortwörtlichen Kontext bereit, der das Verständnis historischer Phänomene er- 
weitert. Dass ein solcher auch für konkrete Sprachvermittlungsmaßnahmen zur 
Verfügung steht, soll nun mit Beispielen verdeutlicht werden. 



5 Anwendungsbeispiele für Arbeiterliteratur im Germanistik- 
und DaF-Unterricht 

Im Folgenden werden für die oben beschriebenen Erläuterungen drei Unterrichts- 
beispiele vorgestellt, um die didaktische Funktionalität der Arbeiterliteratur dar- 
zustellen. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die Textsortendidaktik gelegt 
werden, d.h. das Üben und/oder Vertiefen bereits erlernter Kenntnisse anhand 
schrifdicher Aufgaben mit den gattungsdifferenten Texten der Arbeiterliteratur. 
Wichtig ist zu betonen, dass die einzelnen Übungen keine in sich abgeschlossene 
Unterrichtseinheit darstellen, sondern als anwendungsorientierte Einzelbeispiele 
gedacht sind, die sich, z.B. als Impulsgeber, in einen umfangreicheren Kontext 
„Arbeit" oder „Arbeiterliteratur" integrieren lassen. 11 Hierbei bietet sich im Übri- 
gen ein interdisziplinärer Austausch mit Nachbardisziplinen wie Geschichte oder 
Sozialwissenschaften an. 



5.1 Gegenstand 

Die Übungen decken die drei literarischen Hauptgattungen Lyrik, Drama und Epik 
ab, d.h. ein Gedicht, ein Theater- und ein Prosatext werden drei (literatur)histo- 
rischen Epochen zugeordnet. Das Gedicht „Kinderlied für Arbeitslose" wurde 
gegen Ende der Weimarer Republik vom Lyriker und Kinderbuchautor Erich 
Kästner verfasst. Der Dramenbeitrag des Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann 
ist ein Auszug aus seinem frühen naturalistischen Erfolgsstück „Vor Sonnen- 
aufgang" aus den späten 1880er Jahren. Kathrin Rögglas Prosatext „Wir schlafen 
nicht" aus dem Jahr 2006 kann der aktuellen Gegenwartsliteratur zugerechnet 
werden. 12 



11 Aus diesen Gründen wird auch auf eine tabellarische Unterrichtsübersicht, wie sie für Lehr- 
einheiten üblich ist, verzichtet; es werden nur die didaktisch relevanten Kriterien am Anfang jeder 
Übung genannt. 

12 Literaturgeschichtlich hat sich für Texte aus diesem Zeitraum noch kein mehrheitsfähiges Epo- 
chenetikett durchsetzen können. Will man nichtsdestotrotz eine Epochenbezeichnung, dann bietet 
sich wohl das höchst undeutliche Kennwort „Postmoderne" an. 



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5.2 Thema und Lernerinteresse 

Die drei genannten Textbeispiele stellen aufgrund ihrer Gattungsdifferenzen unter- 
schiedliche didaktische und ästhetische Herausforderungen dar. Dramatische und 
epische Texte finden bei Lernern und Lehrern häufig eine stärkere Resonanz als 
lyrische Werke. Dennoch darf die Bedeutung lyrischer Formen nicht unterschätzt 
werden, wie schon Abraham und Kepser (2009: 15 Off.) erläutern: Die drei alltäg- 
lichen Ausdrucksformen Kinderreim, Poetry Slam und (Pop-)Musik verwenden sie 
intensiv, darüber hinaus stellt aber die Lyrik eine oft gebrauchte Grundlage zur 
Darbietung der Arbeiterliteratur dar. 13 Nicht minder zahlreich sind daneben die 
Prosawerke und Dramen der Arbeiterliteratur. Hier dürften also bei den drei 
Gattungen verschiedene Interessen seitens der Lehrenden und Lernenden bedient 
werden. 

Lyrik, Drama und Prosa vermitteln daneben auch unterschiedliche Rezeptions- 
angebote, die sich wiederum aus didaktischer Sicht mit der Frage nach dem Bezug 
zur — auch beruflichen — Lebenswirklichkeit verbinden lassen. Anders gefragt: 
Welche für den (Arbeits) all tag eines Lerners notwendigen kommunikativen Fertig- 
keiten stellt die Auseinandersetzung mit Arbeiterliteratur zur Verfügung? Jede 
Textsorte setzt hierfür andere Schwerpunkte. Dramentexte fordern dialogisches 
Sprechen und szenisches Verhalten und bieten eine Grundlage für phonetische 
Aufgaben. Prosatexte bedienen alltägliche Lesegewohnheiten (man denke z.B. an 
Zeitungen oder Erläuterungen) und sind aufgrund ihrer Gattungsbreite (Essay, 
Bericht, Aufsatz, Kommentar usw.), zumal in einer Fremdsprache, ein nicht leicht 
zu beherrschendes Format. Lyrik verfügt formal und inhaltlich über Mittel, die den 
Rezipienten für sprachliche und rhythmische Qualitäten einer Sprache in seiner 
Sprachwahrnehmung sensibilisieren, indem hier „mit wenigen Worten viel gesagt 
werden kann." 14 Dementsprechend verfolgen die Übungen das Ziel, die Stoffe 
über die rezeptionsästhetische und textgebundene Beschäftigung hinaus für lebens- 
praktische Bereiche nutzbar zu machen. Es sei dennoch bemerkt: Es handelt sich 
bei dieser Angelegenheit immer noch primär um eine literarische Ressource, die 
Impulse für eine produktions- und handlungsorientierte Didaktik geben kann. 
Lernerfolge bei der Beschäftigung mit Arbeiterliteratur können die kommunika- 
tiven Kompetenzen des Lerners sensibilisieren und im Idealfall bei einer späteren 
Berufsausübung unterstützend wirken. Dies allerdings gilt auch für viele andere 
Bereiche der (Fremd-) Sprachendidaktik. 



13 So schrieben Heinrich Heine und Georg Herwegh und später Brecht, Johannes R. Becher oder 
Wolf Biermann (neben den vielen Arbeiterliedern weniger prominenter Autoren) eine Vielzahl von 
Gedichten zum Thema Arbeit. 

14 Abraham; Kepser 2009: 150. 



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5.3 Lerngruppe und Lernziel 

Die folgenden Aufgaben sind für eine Lerngruppe nach den GER-Kriterien des 
Niveaus B2 konzipiert. Zeit, Material und Sozialformen werden jeweils genannt. 
Die Begründung für die genannte Niveaustufe ist, dass diese Stufe für den Germa- 
nistikunterricht auch für Muttersprachler noch ausreichend Arbeitsanreize bietet, 
und in den meisten Fällen können die Aufgaben seitens der Lehrkraft ohne große 
Anstrengungen auf ein höheres Niveau gehoben werden, indem die Arbeits- 
anweisungen geringfügig verändert werden. Andererseits darf ein Niveau B2 bei 
Fremdsprachenlernern für den Abschluss einer Licence 3 (z.B. im Falle Frank- 
reichs) vorausgesetzt werden; häufig aber lassen sich mit ebenfalls veränderter 
Arbeits anweisung die Übungen leicht nach unten, d.h. auf Niveau Bl verlegen und 
so dem Lernerniveau anpassen. Niedrigere Niveaus als die genannten kommen für 
eine Nutzung nicht in Betracht, da ein angemessenes Verständnis literarischer 
Werke dort mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geleistet wird. 15 Für den mutter- 
sprachlichen Unterricht beziehen sich die didaktischen Vorschläge vor allem auf 
den schulischen Bereich der Sekundarstufen I (Klassen 9 und 10) und II. 

Jedem Textbeispiel wurden verschiedene Aufgaben beigefügt, die allerdings 
zusammen keinen thematischen oder didaktischen Zusammenhang bilden. Viel- 
mehr sollen die Aufgaben einzeln für sich stehen und so für die Einzelstunde 
Material zum Thema bieten. Statt einer in sich geschlossenen Unterrichtseinheit 
zum Thema, die man idealerweise unter strukturell stabilen und regelmäßigen 
Lehrbedingungen durchführen kann, sollen die Einzelaufgaben dem Umstand 
Rechnung tragen, dass sich längere Unterrichtseinheiten gerade nicht immer 
problemlos in den Lehralltag integrieren lassen. 

Als Lernziel sollen die Lerner bei der sprach- und formanalytischen Aufarbei- 
tung anhand einer oder mehrer Textsorten zum Themenkomplex Arbeiterliteratur 
kulturelle Problemzusammenhänge kennen lernen und vor dem Hintergrund ihrer 
sprachlichen Kompetenz in einen neuen, sprachlich alltagspraktisch relevanten 
Zusammenhang transportieren können. Sie tun dies im Einzelnen, indem sie 

- mit den historischen Texten ihr Weltwissen reaktivieren, 

- anhand konkreter sprachlicher Formen Grammatik und Bedeutung des 
Textes untersuchen und 

- die zentrale Thematik Arbeit in neue sprachlich fundierte Handlungsmuster 
ihrer Lebenswirklichkeit überführen. 



5.4 Unterrichtsbeispiele 

Folgende drei Übungen werden exemplarisch für eine Nutzung der Arbeiter- 
literatur im DaF- und Germanistikunterricht beschrieben: 



15 Für Beispiele dieser Art vgl. Abraham; Kepser 2009: 150-160. 



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Formen der Arbeiterliteratur für den Deutsch- und DaF-Unterricht 



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Prosa - Kathrin Röggla: „Wir schlafen nicht" (Auszug) 

Lyrik - Erich Kästner: „Kinderlied für Arbeitslose" 

Drama - Gerhart Hauptmann: „Vor Sonnenaufgang" (Auszug) 



/. Rögg/a, „Wir schlafen nicht" 
Textauszug: 16 

Reinkommen (die Praktikantin) 

„Und wieder kennen sich andere aus mit Vorständen und Aufsichtsräten." 
Und wieder sei sie nicht dabei. Ihr sei immer noch keine Firmenvergangenheit 
zur Hand, obwohl sie alles versucht habe. Dabei wolle sie doch gute PR- Arbeit 
machen, dabei wolle sie doch irgendwann ein guter Coach sein oder Kunden 
gut beraten, „was weiß ich". Heute müsse man eben für alles offen sein, müsse 
man sich auf alles einstellen können. 

Ja, so eine Verlagsvergangenheit würde sie gerne zusammenbringen wie 
Frau Mertens, oder eine Medienvergangenheit wie Frau Bülow, oder eine 
Beratervergangenheit wie Herr Bender. Aber von einer Pressestelle könne man 
heute nur noch träumen, so von einer Fixanstellung mit vernünftigem Gehalt. 
Nur noch träumen könne man von einer Stelle in einer Agentur und mit- 
geträumt sei dann immer auch schon eine kleine Vergangenheit, ein kleiner 
Erfahrungsschatz, den man austauschen kann. 

Aber die anderen hätten ja alle Eltern. Die anderen hätten ihre 
Steuerberatereltern und Wirtschaftsprüfereltern, bei denen sie ein und aus 
gingen und die ihnen bezahlte Praktikumsplätze und Volontariate verschafften. 
Die anderen hätten ihre Eltern, so besorgende, besorgte und übersorgte, und 
sie habe eben keine Eltern. Zumindest nicht in dem Sinn, also keine Steuer- 
berater-, keine Wirtschaftsprüfer-, und keine Unternehmensberatereltern. Gder 
Zahnarzteltern. Kleinbürgereitern, das ja, das könne man schon sagen, also 
praktisch nicht existierende, zumindest, was ihre berufliche Situation betreffe. 

In Wirklichkeit brauche man wieder richtige Eltern. Das müsse sie jetzt 
einmal laut sagen, aber das glaube ihr niemand, genauso wenig wie jemand 
glaube, dass sie keine Krankenversicherung hat. 

Z.B. ihre Eltern verstünden das nicht. Die würden immer nur sagen, es 
müsste doch möglich sein, einen Job zu finden, bei dem man Geld verdienen 
könne und nicht nur ein unbezahltes Praktikum. 



Röggla 2006: 87-92. — Für den vorliegenden Textauszug wurden behutsame Veränderungen im 
Originaltext zur eindeutigeren didaktischen Aufbereitung unternommen: Benutzung der Groß- und 
Kleinschreibung sowie Ersetzung des Konjunktivs durch den Indikativ. Auch sind einzelne Sätze, 
kürzere Satzteile oder kürzere Paragraphen weggelassen worden und stattdessen durch die Absätze 
angegeben. Zur Vollständigkeit wird auf den Originaltext verwiesen. 



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Jens Grimstein 



Außerdem wolle sie ja gar nicht ins Consulting-Business hinein, da habe 
man sie schon richtig verstanden, sie habe da auch nichts verloren, aber wo- 
anders sei kein Job zu holen gewesen. Ja, was solle sie schon groß sagen, das ist 
nur ein Idiotenjob, den sie hier mache, und selbst der sei unbezahlt. 

Nein, sie wisse nicht, zu was sie bereit wäre, um einen Job zu kriegen, das 
wisse sie nicht, sie vermute mal, zu einigem. 

Glossar: 

der Vorstand (PL die Vorstände): eine Kommission von Personen, die ein Unter- 
nehmen führen, z.B. ein Direktor. 

der Aufsichtsrat (PL die Aufsichträte): eine Kommission in einem Unternehmen, die 
den Vorstand kontrolliert. 

die PRArbeit (Public Relations): Kommunikation einer Firma mit der Öffent- 
lichkeit. 

der Berater (PI. die -,er): ein Angestellter einer Firma, der einem Unternehmen mit 
wirtschaftiichen Problemen hilft. 

der Steuerberater (PL die -,er): jemand, der Unternehmen und Privatpersonen bei 
Steuerfragen hilft. 

der Wirtschaftsprüfer (PL die -,er): jemand, der die wirtschaftliche Existenz einer 
Firma kontrolliert. 

Aufgabe 1: 

Zeit: ca. 10 Minuten 

Sozialform: Einzelarbeit 

Lernziel: Grammatische Formen der direkten und indirekten Rede 

Fassen Sie die Aussagen der Praktikantin zusammen. Benutzen Sie dafür die 
indirekte Rede und setzen Sie die konjunktivischen Verbformen in den Indikativ 
Präsens. Variieren Sie die Verben, die den Relativsatz einleiten. Bsp.: „.Ihr sei 
immer noch keine Firmenvergangenheit zur Hand, obwohl sie alles versucht habe" 
wird zu „Sie sagt, dass ihr immer noch keine Firmenvergangenheit zur Hand ist, 
obwohl sie alles versucht hat." 

Aufgabe 2: 

Zeit: ca. 40 Minuten 

Sozialform: Partnerarbeit 

Lernziel: freies Sprechen, einen Dialog führen, Ratschläge geben 

Entwerfen Sie stichwortartig Sprechhandlungsanweisungen für einen drehbuch- 
artigen Dialog mit einem Teilnehmer und verteilen sie folgende Rollen: 1 . die Rolle 
der Praktikantin; 2. die Rolle einer Freundin /eines Freundes. 



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Die Freundin/der Freund soll in einem frei gesprochenen Dialog der Prakti- 
kantin persönliche Ratschläge für ihre Situation geben. Wiederholen Sie im Dialog 
auch Aussagen zu Ratschlägen wie „Uberleg doch mal, X oder Y zu machen"; „Du 
könntest/du solltest..."; „Geh doch einfach mal zu/zum...", „Wie findest du denn 
die Idee, ...."; Hast du schon an X gedacht?"; „Ich würde dir raten,...." 

Bsp.: Praktikantin: (Stichwort Sprechhandlungsanweisung: „unsicher, nach- 
denklich"): „Irgendwie ist alles etwas komisch zur Zeit." 

Freundin: (auf sie eingehend, interessiert): „Was ist los? Warum machst du so 
einen traurigen Eindruck?" 

Aufgabe 3: 

Zeit: ca. 10 Minuten 

Sozialform: Einzelarbeit, auch Partnerarbeit möglich 

Lernziel: sprachliche Abstraktion von einem Text in Form von Stichworten 

Extrahieren Sie in Stichworten die Haltung der Protagonistin zur Arbeitswelt. Bsp.: 
„Ihr sei immer noch keine Firmenvergangenheit zur Hand, obwohl sie alles ver- 
sucht habe" wird zu „kein Glück bei der Jobsuche, trotz großer Motivation". 

Aufgabe 4: 

Zeit: ca. 60 Minuten 

Sozialform: Partnerarbeit und anschließend Gruppenarbeit 

Lernziel: freies Sprechen, Erstellen/Verbalisieren von Argumenten 

Katrin Rögglas Textausschnitt zeigt nicht nur die Zweifel einer jungen Frau an 
ihren Fähigkeiten, sondern auch den mangelnden Glauben an einen Arbeitsmarkt, 
der Berufseinsteigern kaum noch reale Chancen einräumt, sich durch gute Leistung 
beruflich zu etablieren oder aufzusteigen. 

Aber es gibt sicherlich auch Menschen, die z.B. in freien oder kreativen 
Berufen tätig sind und die ihre Arbeit mögen. Die Aufgabe ist es, als Gruppe in 
einem freien Vortrag den anderen Teilnehmern den Beruf zu empfehlen und 
positiv darzustellen. Bilden Sie also fünf Gruppen ä zwei bis drei Lerner und 
übernehmen Sie folgende berufliche Rollen: 17 

Gruppe 1 = Angestellte(r) der Arbeitsagentur/ Arbeitsvermittlung, 
Gruppe 2 = Coaches, 
Gruppe 3 = Kundenberater, 
Gruppe 4 = PR-Fachmann, 



17 Berufsbezeichnungen sollten hier ggf. von der Lehrkraft vorher erklärt und evtl. anhand von 
Beispielen erläutert werden, z.B. mit Beschreibungen dieser Berufe von Seiten der Arbeitsagentur 
oder der entsprechenden Verbände. 



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Jens Grimstein 



Gruppe 5 = Jury. 

Notieren Sie nun in ihrer Gruppe (Ausnahme: die Jury!) Argumente für ihre Rolle, 
d.h. für den Beruf als Coach, Kundenberater, Angestellter der Arbeitsagentur oder 
PR-Fachmann. Bsp.: „Ich arbeite als Coach, weil ich die Fähigkeiten einer Person 
im Beruf fördern möchte"/„Ich arbeite als PR-Fachmann, weil mich Kommu- 
nikation und Öffentlichkeit interessieren." Präsentieren Sie nun in Gruppe 1 bis 4 
nacheinander ihre Argumente so überzeugend wie möglich vor der Jury. Die Jury- 
Gruppe soll am Ende anhand der besten Argumentationen die Gewinnergruppe 
aussuchen. 



2. Kästner, „Kinderlied für Arbeitslose" 

Text: 18 

Schlafzimmer habt ihr immer noch keins. 

Doch Kinder kriegt ihr fast jedes Jahr eins. 

Warum ihr das wohl tut? 

Euch geht's wohl zu gut? 

Der letzte Groschen wird verfeuert. 

Der Vater wird bald ausgesteuert. 

Das Hinterhaus ist voll Geschrei. 

Eia popeia, eia popeia — 

Von wegen Eiapopei! 

2) 

Die Dummheit sollte Grenzen haben. 
Was sollen denn die vielen Knaben? 
Sie werden erstens groß 
Und zweites arbeitslos. 
Wann werdet ihr denn nur gescheit? 
Ihr seid nicht mehr, je mehr ihr seid! 
Was soll die ewige Fortpflanzerei? 
Eia popeia, eia popeia — 
Von wegen Eia popei! 



18 Kästner 1987: 43-44. 



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3) 

Und jeder hat Töchter, und jeder hat Söhne. 
Und immer tiefer drückt man die Löhne. 
Las st doch die Kindereien! 
Begnügt euch mit einem und zweien. 
Ihr seid der Bund der Kinderreichen. 
Ihr liefert für die Zukunft Leichen. 
Ihr liefert dem Elend frei ins Haus. 
Eia poeia, eia popeia — 
Schlaft ein? Nein! Schlaft aus! 



Glossar: 

Groschen: früheres Zahlungsmittel vor der Einführung der D-Mark 1949. 
Aussteuern: hier: jemandem kündigen und ihm einen letzten Geldbetrag auszahlen. 
Eia poeia: Reim aus einem Kinderlied. 
Leiche: ein toter Körper. 

Aufgabe 1: 

Zeit: ca. 20 Minuten 

Sozialformen: Einzelarbeit 

Lernziel: Bewerten und Begründen von Aussagen 

Sehen Sie sich die Überschriften an. Welche Meldungen passen Ihrer Meinung 
nach am besten zu dem Gedicht? Begründen Sie ihre Wahl. Verwenden Sie auch 
mindestens einmal kausale Konjunktionen (weil, da) oder Präpositionen-Nomen- 
Konstruktionen (aufgrund/wegen + Genetiv; aus/vor + Dativ) und achten sie auf 
die Position des Verbs. 



„FAZ" (Februar 2007): Schulessen für Hartz-IV-Kinder 
„BILD-Zeitung" (Mai 2009): Kinderkriegen sollte nicht durch 
Sozialleistungen lukrativ gemacht werden 

„Thüringer-Allgemeine Online" (Juli 2010): Debatte um kostenlose 
Verhütung für Hartz-IV-Empfänger 

„Merkur Online" (Januar 2010): Von der Leyen besteht auf Kindergeld- 
Rückzahlung von Hartz-IV-Empfängern 

„Der Tagesspiegel Online" (Juni 2010): Dann lieber Abtreiben. Kinder 
kriegen trotz unsicherer Jobs? 

„Handelsblatt" (Juli 2010): Haushalte mit Kindern sollten nicht mehr Geld 
bekommen. Allerdings über Gutscheine und Direktzahlungen Schul-Essen 
für Kinder 

„Die Welt Online" (Dezember 2010): Familien brauchen wieder mehr 
Planungs Sicherheit 



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128 



Jens Grimstein 



Aufgabe 2: 
Zeit: 

Sozialform: 
Lernziel: 



ca. 90 Minuten 

Einzelarbeit, die auch Partnerarbeit sein kann/ darf 

Erstellung eines tabellarischen Lebenslaufs, poetikaffine Übungen 

(Produktion von Elfchen, eines Hip-Hop-Textes) 



1. Wer könnte die Person hinter den Zeilen 1-7 jeder Strophe sein, an die sich 
der Sprecher des Gedichts wendet? Aus welchem sozialen Umfeld kommt er/ sie? 
Was für einen Beruf könnte er/sie haben? Ist er/sie arbeitslos? - was für eine 
Arbeit sucht die Person? Entwickeln Sie schriftlich einen tabellarischen Lebens- 
lauf. 19 

2. Notieren Sie am (von der Lehrkraft vorher an die Tafel gezeichneten!) Wort- 
igel ihre spontanen Assoziationen zum Thema „Arbeit" und „Arbeitslosigkeit". 
Schreiben Sie anschließend ein Elfchen in Partnerarbeit. Ein Elfchen ist ein 
Gedicht, in dem es höchstens elf Wörter gibt und in deren 

1 . Zeile - ein Wort 

2. Zeile — zwei Wörter 

3. Zeile — drei Wörter 

4. Zeile — vier Wörter 

5. Zeile - ein Wort 
stehen/steht. 

3. Verwandeln Sie schließlich das Elfchen in einen rhythmischen Text, d.h. ein 
Gedicht oder einen Hip-Hop-Song, und erzählen Sie darin die Kurzbiographie 
Ihrer Person aus Aufgabe 1 nach. 

3. Hauptmann, „Vor Sonnenaufgang" 

Textauszug (Dritter Akt): 20 

HOFFMANN: Sag mal, Loth, was führt dich eigentlich in unsere Gegend? 
Ich hab' bisher ganz vergessen, dich danach zu fragen. 
LOTH: Ich möchte die hiesigen Verhältnisse studieren. 
HOFFMANN: Bitte...? ... Was für Verhältnisse? 

LOTH: Präzise gesprochen: Ich will die Lage der hiesigen Bergleute 
studieren. 

HOFFMANN: Ach, die ist im allgemeinen doch eine sehr gute. 



19 Musterbeispiele und Konzeption tabellarischer Lebensläufe sollten je nach Lernervorwissen vor 
der Übungsdurchführung eingeführt werden. 

20 Hauptmann 1999: 70-72. Das Stück würde 1889 in Berlin uraufgeführt und veröffentlicht. 



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Formen der Arbeiterliteratur für den Deutsch- und DaF-Unterricht 



129 



LOTH: Glaubst du? - Das wäre ja übrigens recht schön... Doch eh ich's 
vergesse: du musst mir dabei einen Dienst leisten. Du kannst dich um die 
Volkswirtschaft sehr verdient machen, wenn... 
HOFFMANN: Ich? I! wieso ich? 

LOTH: Nun, du hast doch den Verschleiß der hiesigen Gruben? 
HOFFMANN: Ja! und was dann? 

LOTH: Dann wird es dir auch ein leichtes sein, mir die Erlaubnis zur 
Besichtigung der Gruben auszuwirken. Das heißt: ich will mindestens vier 
Wochen lang täglich einfahren, damit ich den Betrieb einigermaßen 
kennenlerne. 

HOFFMANN: Was du da unten zu sehen bekommst, willst du dann wohl 
schildern? 

LOTH: Ja. Meine Arbeit soll vorzugsweise eine deskriptive werden. 
HOFFMANN: Das tut mir nun wirklich leid, mit der Sache habe ich gar 
nichts zu tun. - Du willst bloß über die Bergleute schreiben, wie? 
LOTH: Aus dieser Frage hört man, dass du kein Volkswirtschaftler bist. 
HOFFMANN: Bitte sehr um Entschuldigung. Du wirst mir wohl 
zutrauen... Warum? Ich sehe nicht ein, wieso man diese Frage nicht tun 
kann? — und schließlich: es wäre kein Wunder... Alles kann man nicht 
wissen. 

LOTH: Na, beruhige dich nur, die Sache ist einfach die: wenn ich die Lage 

der hiesigen Bergarbeiter studieren will, so ist es unumgänglich, auch alle 

Verhältnisse, welche diese Lage bedingen, zu berühren. 

HOFFMANN: In solchen Schriften wird mitunter schauderhaft 

übertrieben. 

LOTH: Von diesem Fehler gedenke ich mich freizuhalten. 



Glossar: 

hiesig, hier befindlich, ansässig 
Grube: ein Bergbau 
Verschleiß: Verbrauch 
schauderhaft, schrecklich, sehr 



Aufgabe 1: 

Zeit: 
Material: 
Sozialform: 
Lernziel: 



ca. 20 Minuten 

ggf. Computer mit Internetzugang & Email- Account des Lerners 
Einzelarbeit 

Schriftliches Erstellen einer Kurzbiographie 



Suchen Sie sich einen Partner und verteilen Sie die Rollen untereinander. 
Entwerfen Sie auf Grundlage der vorliegenden Zeilen für ihre Rolle eine Kurz- 
biographie (Name, Alter, Herkunft, Studium/Ausbildung, Familie, wichtige Reisen, 



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130 



Jens Grimstein 



Berufserfahrungen, persönliche Interessen und anderes). 21 Lesen Sie anschließend 
mit einem Partner zusammen die Szene in ihren jeweiligen Rollen. Uberlegen Sie 
außerdem: Wie würden Sie ihre Figur stimmlich klingen lassen? 

Aufgabe 2: 

Zeit: ca. 15 Minuten 

Sozialform: Einzelarbeit 

Lernziel: Schreiben einer offiziellen Email 

Angenommen, die Szene würde in der Gegenwart spielen: Formulieren Sie eine 
Email 22 aus der Sicht des Chefs (= Herr Hoffmann) an seine Mitarbeiter, in der Sie 
die Belegschaft über den Studienbesuch des Volkswissenschaftlers (= Dr. Alfred 
Loth) informieren. Bringen Sie dabei auch Hoffmanns Zurückhaltung als Firmen- 
chef gegenüber dem Besuch in der Email unter. 

Aufgabe 3: 

Zeit: ca. 45 Minuten 

Sozialform: Einzelarbeit 

Lernziel: Lese- und Textverständnis, schriftlicher Ausdruck und schrift- 

liches Bewerten von Texten 

Die folgenden drei Auszüge sprechen jeweils von „Arbeit". Nennen Sie schriftlich 
die Unterschiede der drei Texte zueinander (ca. 250 - 350 Wörter). 

Die Figur Loth sagt im Hauptmann-Text den Satz „...du hast doch den Ver- 
schleiß der hiesigen Gruben". Was meint er damit? Auf welchen der drei folgenden 
Texte trifft der Satz am meisten zu? Begründen Sie ihre Wahl schriftlich. 

Lesen Sie die drei Texte: 

1. Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. (Erfurt 1891, 
Auszug) 

Die ökonomische Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft führt mit Natur- 
nothwendigkeit zum Untergang des Kleinbetriebes, dessen Grundlage das 
Privateigenthum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln bildet. Sie trennt 



21 Beispiele und Übungen zu Kurzbiographie bzw. Kurzporträt (Name, Geburtsdatum, Herkunft, 
Ausbildung, wichtige Stationen im Leben etc.) sollten dieser Übung in einer anderen Lehreinheit 
vorgeschaltet werden, d.h. in einer Stunde vor Anwendung der obigen Übung bereits durch- 
genommen worden sein, damit die Lerner sie durchführen können. 

22 Dasselbe gilt für die Email. Hier sollten die Lerner vor allem auf die verschiedenen Varianten 
(formell-informell) einer Email hingewiesen und daran Lernelemente wie z.B. die korrekte Anrede 
(Sehr geehrte(r), Guten Tag, Hallo usw.), sachgerechte Beschreibung des Anliegens oder Ver- 
abschiedung (Mit freundlichen Grüßen, Herzliche Grüße, Ciao usw.) je nach sozialem Kontext 
eingeübt werden. 



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Formen der Arbeiterliteratur für den Deutsch- und DaF-Unterricht 



131 



den Arbeiter von seinen Produktionsmitteln und verwandelt ihn in einen 
besitzlosen Proletarier, indeß die Produktionsmittel das Monopol einer verhält- 
nismäßig kleinen Zahl von Kapitalisten und Grundbesitzern werden. Hand in 
Hand mit dieser Monopolisirung der Produktionsmittel geht die Verdrängung 
der zersplitterten Kleinbetriebe durch kolossale Großbetriebe, geht die Ent- 
wicklung des Werkzeugs zur Maschine, geht ein riesenhaftes Wachsthum der 
Produktivität der menschlichen Arbeit. Aber alle Vortheile dieser Umwandlung 
werden von den Kapitalisten und Großgrundbesitzern monopolisirt. Für das 
Proletariat und die versinkenden Mittelschichten - Kleinbürger, Bauern — 
bedeutet sie wachsende Zunahme der Unsicherheit ihrer Existenz [...]. 

2. Max von der Grün, „Irrlicht und Feuer" (1963, Auszug) 

So ist das also. Eineinhalb Jahrzehnte tat ich meine Arbeit recht und schlecht, 
war pünktlich und zuverlässig. Aber dann wird man plötzlich zur schiefen 
Nummer in der dreitausendköpfigen Belegschaft, nur weil man zweimal unent- 
schuldigt gefehlt hat. [...] Menschliche Schwächen haben in einem modernen 
Industriebetrieb nichts zu suchen, da wird mit Psychologen Kalkulation 
gemacht, mit Stoppuhren die Produktion errechnet. 

3 Ralf Dahrendorf: „Neue Weltordnung" (1997, Auszug) 

Die Frage ist also: Was tun Menschen mit ihrer Zeit, woher kriegen sie ihren 
Lebensunterhalt und ihr Selbstbild? Das wird in den nächsten 100 Jahren 
anders aussehen als in den letzten 100 Jahren. Vor 100 Jahren gab es keine 
Arbeitslosigkeit, sie ist eine Erfindung des späten 19. Jahrhunderts. Vorher 
hatten Menschen kompliziertere Leben. Auch die Industriearbeiter hatten 
meist noch eine Beziehung zum Land oder zu anderen Lebenstätigkeiten. 23 



6 Zusammenfassung 

Texte der Arbeiterliteratur besitzen aufgrund ihrer lebensnahen Problematisierung 
eines universalen Gegenstandes ein großes Potential für die Darstellung histo- 
rischer Prozesse im Hinblick auf Themen aus der Arbeitswelt. Die gegenwärtigen 
globalen Dynamiken von Arbeitsgesellschaften richten das Interesse auch auf die 
geschichtlichen Entwicklungen von Arbeit, die exemplarisch auf dem Gebiet der 
(Arbeiter) literatur ihren Niederschlag finden. Sie ermöglicht dem Leser dadurch ein 
breiteres Verständnis der Bedingungen, unter denen sich bis heute Arbeit als Dis- 
kurs präsentiert. Die Arbeiterliteratur reflektiert texthermeneutische Modelle der 
Kulturwissenschaften und wird so doppelt lesbar: Einerseits als literarischer Text, 
andererseits als schriftliche Verkörperung konkreter sozialer Umstände der 
Arbeitswelt. Dies drückt sich nicht zuletzt auch in der Wahl ihrer Textsorten aus, 



23 Vgl. Beck 2007: 126. 



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132 



Jens Grimstein 



die vom fiktionalen Text über die Autobiographie bis zur dokumentarischen Dar- 
stellung reicht. 

Unter Berücksichtigung dieser Prämissen bietet sich die Arbeiterliteratur in 
besonderem Maße für didaktische Bearbeitungen und Benutzungen an, da sie in 
ihren Übungen sowohl bereits bestehendes als auch neues Wissen von Lernern 
aktiviert. 24 Zudem bildet sie auf der Basis Spracherwerbs- und/ oder sprachanwen- 
dungsorientierter Übungen Kompetenzen aus, die für einen späteren Berufsalltag 
von Interesse sein können. Die Beispielübungen sollen einen Eindruck von den 
Möglichkeiten eines didaktischen Transfers zwischen Literatur, Unterrichtsanwen- 
dung und imaginierter Berufswelt vermitteln. Dass an ihnen wie auch an anderen 
Übungen dazu noch gearbeitet werden kann, versteht sich von selbst. 

Literatur: 

Abraham, Ulf; Kepser, Matthis (2009): Eiteraturdidaktik Deutsch. Eine Einführung. 
Berlin: Erich Schmidt. 

Beck, Ulrich (2007): Schöne neue Arbeitswelt. Frankfurt/Main: Suhrkamp. 

Goette, Jürgen W. (1975): Arbeiterliteratur. Texte und Materialien %um Eiter aturunterricht. 
Frankfurt/Main: Diesterweg. 

Greenblatt, Stephen (1993): Verhandlungen mit Shakespeare. Innenansichten der englischen 
Renaissance. Frankfurt/Main: Fischer. 

Greenblatt, Stephen (1995) Kultur. In: Baßler, Moritz (Hrsg.) (1995): New 

Historicism. Eiteraturgeschichte als Poetik der Kultur. Frankfurt/Main: Fischer, 48-59. 

Hauptmann, Gerhart (1999): Vor Sonnenuntergang. Berlin: Ullstein. 

Jordan, Stefan (2005): Einführung in das Geschichtsstudium. Stuttgart: Reclam. 

Kästner, Erich (1987): Gedichte. Stuttgart: Reclam. 

Monrose, Louis A. (1995): Die Renaissance behaupten. Poetik und Politik der 
Kultur. In: Baßler (Hrsg.) (1995), 60-93. 

Sarter, Heidemarie (2006): Einführung in die Fremdsprachendidaktik. Darmstadt: WBG. 

Scholz, Rüdiger (2007): Arbeiterliteratur. In: Burdorf, Dieter; Fasbender, Chris- 
toph; Moenninghoff, Burkhard (2007): Methler Eexikon Eiteratur. Stuttgart: 
Metzler, 41-42. 

Raith, Markus (2009): Vom Marmorbild %ur Venus von Samoa. Kulturwissenschaftliche 
Perspektiven für die Deutschdidaktik. München: kopaed. 



24 Zum Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht zwischen Sprachrezeption und Sprach- 
produktion vgl. Sarter 2006: 94-99. 



Formen der Arbeiterliteratur für den Deutsch- und DaF-Unterricht 



133 



Röggla, Kathrin (2006): Wir schlafen nicht. Frankfurt/Main: Fischer. 

Von der Grün, Max (1963): Irrlicht und Feuer. Recklinghausen: Klartext. 

White, Hayden (1991): Metahistory. Die historische Einbildungskraft im 1 9. Jahrhundert. 
Frankfurt/Main: Fischer. 



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Namen schildern: Straßennamen und andere 
Namensfelder im DaF-Unterricht 



Arndt Krem er 



1 Einleitung 

Forschungsansätze, die Fragen nach Identität und Mentalität mit kulturellen Raum- 
konzepten verbinden, haben Konjunktur. Vielleicht ist dies der Grund dafür, dass 
gerade kulturwissenschaftliche Reflexionen zu Straßennamen derzeit so en vogue 
sind. Lange Zeit eher heimatkundlich-anekdotisch ambitioniert, hat die Straßen- 
namenforschung sich Ende der 1980er Jahre verstärkt kulturhistorisch-mentalitäts- 
geschichtlichen Erkenntniszielen gewidmet. So wurde dem Gedanken Rechnung 
getragen, dass Straßennamen nicht nur eine spezifische Orientierungs-, sondern 
auch eine ausgeprägte Erinnerungsfunktion haben, weshalb sie für die mnemische 
Interaktion und Kommunikation eine zentrale Rolle spielen. Besonders durch die 
Ergebnisse der Forschungsgruppe um den Kölner Sprachwissenschaftler Dietz 
Bering stehen der kulturwissenschaftlich interessierten Straßennamenforschung 
nun auch immer feiner justierte systematische Analyseraster zu vollständigen Kor- 
pora zur Verfügung. 1 

Dass sich die Bennennungspraxis von Straßennamen im Verlauf der Ge- 
schichte signifikant verändert hat und weiter verändern wird, und dies eben nicht 



1 Der erste Projektentwurf zu Straßennamen in Köln ist rückblickend beschrieben bei: Bering 2001: 
270-281. Dann, fortführend, bei: Bering; Großsteinbeck 1994: 97-117; Bering; Großsteinbeck; 
Werner 1999: 135-166; Bering; Großsteinbeck 2007: 311-335. Neben Köln sind mittlerweile auch 
andere deutsche Großstädte mit günstiger Quellenlage gut untersucht, z.B. Magdeburg: Föllner; 
Luther; Weinert 201 1 . 



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136 



Arndt Kremer 



willkürlich, sondern aufgrund bestimmter gesellschaftlich-kulturell bedingter 
Wandlungen, ist eines der spannendsten Phänomene der Straßennamenforschung. 
Gerade hier bietet sich eine Didaktisierung des Themas im DaF-Bereich an, weil 
der Sprachunterricht durch landeskundliche und interkulturelle Fragestellungen 
bereichert werden könnte, deren Antworten die Lebenswelt der Lernenden 
betreffen, weniger pädagogische Legitimationsprobleme haben und für kognitive 
Lernprozesse sehr förderlich sind. Die kontrovers, ja oft hoch emotional geführten 
Bennennungsdebatten zu Straßennamenbenennungen und -umbenennungen sind 
historische Quellen, die höchst anschaulich vermitteln, dass dieses Feld keine 
quantite negligeable einer linguistischen Randdisziplin darstellt, sondern den Kern 
individueller und kollektiver Identitätsauslegungen trifft. 

Zunächst werden im theoretischen Teil Straßennamen linguistisch verortet und 
ihre kulturhistorische Bedeutung erläutert, dann diachrone und synchrone Analyse- 
ergebnisse am Beispiel des mittelalterlichen Kölns präsentiert und schließlich die 
neuzeitlichen Straßennamen in Köln seit Anfang des 19. Jahrhundert beleuchtet. 
Im zweiten fachdidaktischen Teil wird aufgezeigt, inwiefern vor dem Hintergrund 
dieser kulturgeschichtlichen Erkenntnisse die Verwendung von Straßennamen, 
aber auch anderer Namensphänomene wie Objektnamen (hier: Namen von 
Fußballstadien) sinnvoll sein kann für den DaF-Unterricht. Abschließend werden 
in einer kontrastiv-interkulturellen Perspektive Straßennamen in einem anderen 
europäischen Land, in diesem Fall Malta, untersucht. 



2 Systematische Grundlagen 

2.1 Die kulturhistorische Bedeutung von Straßennamen 

Namen stiften und sichern Identität, sie bilden feste Ankerpunkte, die 
Orientierung verschaffen. Das gilt für Eigennamen, aber auch für Straßennamen, 
den so genannten Hodonymen (von griech. hodos = Weg), die als Teilgebiet der 
Namensforschung (Onomastik) zu den Örtlichkeitsnamen (Toponymen) gehören. 
Straßennamen zählen linguistisch zur Kategorie der Eigennamen (Nomen 
proprium), grenzen sich insofern von der größeren Gruppe der Gattungsnamen 
(Nomen appellativum) ab. Auf der denotativen Ebene bewegen sie sich jedoch auf 
einer gleitenden Skala zwischen beiden Nomina, indem ihr Bestimmungswort 
sowohl proprialen {Adenauerallee) als auch appellativen Ursprungs (Eichenstraße) sein 
kann. Straßennamen setzen sich zumeist aus einem Bestimmungswort (Hölderlin-) 
und einem Grundwort (Straße) zusammen, besonders bei Toponymen (Flur, Orts- 
namen) oft auch in Verbindung mit Präpositionalbildungen (An der hing). 

Auf semiotischer Ebene bilden Straßennamen Signifikanten, die — 
entsprechend der Unterteilung nach Charles Sanders Peirce (1 903) — im Sinne von 
Icons ein Ähnlichkeitsverhältnis (Am Hügel) zum Bezeichneten oder als Indizes ein 
Folgeverhältnis bzw. eine Hinweis funktion (Plat^ der deutschen Einheit) anzeigen 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



137 



können. Dabei haben Straßennamen zunächst einmal eine Primärfunktion: Sie 
dienen der Orientierung im Raum. Dass die Straße, die direkt an der Universität 
vorbeiführt, den Namen Universitätsstraße trägt, verwundert niemanden. Der Name 
erklärt sich von selbst. Straßennamen wären jedoch einseitig interpretiert, würde 
man ihre Bedeutung auf diese Primärfunktion beschränken. Der Name 
Universitätsstraße transportiert darüber hinaus noch etwas anderes, etwas, das bei 
dieser rein funktionalen Bezeichnung immer impliziert ist. Er zeigt nämlich auch 
an, dass die jeweilige Stadt eine Universitätsstadt ist und damit ein gewisses 
Prestige verbinden will (man denke nur an die Ortsnamensschilder direkt an der 
Stadtgrenze: Universitätsstadt Tübingen^). Straßennamen sind also auch Träger einer 
Sekundärfunktion, durch die bestimmte, fast immer bewusst gesetzte, aber vom 
Rezipienten oft nicht bewusst erkannte Botschaften und Inhalte übermittelt 
werden sollen. Gottfried Korff spricht von „Notationssystemen, die eine starke 
bewußtseinsformierende, eine mentalitäts- und affektprägende Wirkung haben." 
(Korff 1992: 325). Man könnte auch davon sprechen, dass Hodonyme als Ober- 
flächenindizes die Tiefenstrukturen einer Kultur abbilden, dass also die kulturellen 
Codizes einer Gesellschaft, Gemeinschaft, Gemeinde dem Sprachmaterial 
Straßenname regelrecht eingeschrieben sind. Die Perzeption offenbart Konzep- 
tionen), und zwar die des Wahrnehmenden ebenso wie die hinter dem Wahrgenom- 
menen stehenden Ideenentwürfe. Öffnet man den Blick auf diese Sekundärfunktion 
und Tiefenstruktur, so wird das Lesen eines Straßennamens zur kulturellen Nabel- 
schau: Sage mir, wie du deine Straße, deine Städte, deine (Vor)-Orte, deine Stadien 
usw. benennst - und ich sage dir, wer du bist. 

Insgesamt liefern uns Straßennamen mindestens vier Informationsebenen, die 
Bering und Großsteinbeck herausgearbeitet haben (Bering; Großsteinbeck 1999: 
147-155): 

1. Basisinformationen (nichtlinguistische Daten wie z.B. die Tatsache, dass 
sich in Köln das Straßenschild Heinestraße und die so benannte Straße im 
Stadtteil Lindenthal befinden); 

2. Formebene (die morphologisch-syntaktische Struktur des Kompositums 

Beethovenstraße) ; 

3. Bezugsebene (das konnotative Potential: Ludwig van Beethoven war 
Rheinländer, Komponist der Unvollendeten, er wurde taub etc.) sowie die 

4. Bedeutungsebene (denotative Aspekte wie die Tatsache, dass Beethoven- 
straße ein Anthroponym ist, dass es eine kulturelle Funktion ausübt, einen 
lokalen, regionalen oder überregionalen Wirkungsbereich intendiert etc.). 

Kurzum: Straßennamen sind Teil der städtischen Physiognomie und Teil des 
Erfahrungsschatzes eines Menschen bzw. einer Gruppe von Menschen, die mit 
der Benennung Beheimatungs-Erlebnisse verbinden. Viele Straßennamen sind auf- 
geladen mit „menmischer Energie" (Assmann; Hölscher 1988: 12), indem sie 
neben ihrer erwähnten topografischen Funktion (Rheinuferstraße) Ankerpunkte in 
einem Wunschraum darstellen (Im Finkenhain, Pariser Passage) und oft auch 



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138 



Arndt Kremer 



Ausdruck einer gelenkten Erinnerungskultur sind (Tannen bergalle in Berlin, die an 
den Sieg der Schlacht bei Tannenberg gegen die russische Armee im Ersten 
Weltkrieg erinnern soll). Sie können Zeichen symbolischer Ortsbezogenheit sein 
und dabei als „verstecktes Politikum" (Koß 1990: 91) wirken, dessen mnemische 
Potenz am augenfälligsten zutrage tritt, wenn bestimmte Interessensgruppen poli- 
tisch-institutionellen Vorhaben der Umbenennung etablierter Straßennamen teils 
heftigen Widerstand entgegensetzen. 

Die Straßennamenforschung lässt sich an drei wissenschaftlichen Horizonten 
verorten: Erstens erforscht sie stadtsemiotisch das Verhältnis von Topografie und 
Namenschatz, untersucht zweitens mentalitätsgeschichtlich die Straßennamen- 
gebung und -pflege als Ausdruck kollektiv unbewusster Sprachpraxis im Rahmen 
alltäglicher Wahrnehmungsweisen und versucht drittens, Straßennamen als identi- 
tätsstiftende und -sichernde, nicht selten politisch-administrativ gelenkte Bestand- 
teile des „kulturellen Gedächtnisses" (Assmann 1992) zu eruieren. 

Bevor wir auf Gründe für eine Didaktisierung von Straßennamen in Gruppen 
von Deutschlernenden näher eingehen und konkrete Beispiele für Unterrichts- 
einheiten nennen, empfiehlt es sich zunächst, am Beispiel einer einzelnen Stadt 
einige grundsätzliche Aspekte von Benennungswandlungen aufzuzeigen. Es ist 
natürlich sinnvoll, sich vor dem eigentlichen Unterricht ein Grundwissen zu histo- 
risch-kulturgeschichtlichen Phänomenen der Straßennamen-Praxis anzueignen. 
Zentrale diachrone Aspekte sollen anhand der Stadt Köln kurz beleuchtet werden. 
Als Forschungsliteratur und gleichzeitig quellendokumentarische Fundgruben dienen 
uns in erster Linie die Ergebnisse der seit 1990 konstituierten Forschergruppe um 
Dietz Bering, wobei vor allem Peter Glasners zweibändige Dissertation zur Kultur- 
geschichte der mittelalterlichen Straßennamen Kölns (Glasner 2002) und Marion 
Werners umfassende Untersuchung für die Zeit von 1933 bis 1989 (Werner 2008) 
hervorzuheben sind. 



3 Historische Perspektiven 

3.1 Vom Toponym zum Mnemotop: Straßennamenpraxis Kölns vom 
Mittelalter zur Moderne 

Vor der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert existierte noch kein breiteres 
öffentliches und schon gar kein wissenschaftliches Interesse an Straßennamen. Im 
Mittelalter waren sie Bestandteile einer weder administrativ reglementierten noch 
politisch gelenkten Sprachpraxis des Alltags, motiviert in erster Linie durch sinn- 
liche Evidenz. In einer mittelalterlichen Stadt gab es weder Straßenschilder, noch 
waren die Straßennamen auf andere Weise optisch sichtbar. Ein der Stadt als Raum 
eingeschriebener symbolischer Zeichencharakter von Plätzen, Kirchen, Wohn- 
häusern und Verkehrs führungen konnte zuweilen „unheimliche Konnotationen" 
(Dinzelbacher 1993: 609) wachrufen. Da die mittelalterliche Kultur viel stärker als 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



139 



heute bestimmt war durch Religiosität, also durch die Gegenwart des Religiösen in 
der Lebenswelt, und durch Mündlichkeit, d.h. durch relative Schriftarmut und weit 
verbreitetes Analphabetentum, geschah die Aufladung mnemischer Energien vor 
allem mit Hilfe von religiös-liturgischen Ritualen, nicht aber vermittels des sicht- 
baren Sprachzeichens Straßenname. 2 

Am Beispiel des mittelalterlichen Kölns, damals eines der bedeutendsten 
urbanen Zentren Mitteleuropas, lassen sich vier Kernbereiche von Wahr- 
nehmungsobjekten für die Straßennamen-Gebung herauskristallisieren: Erstens 
ökonomische Gesichtspunkte (Produktionsstätte, Handelsplätze), zweitens topo- 
grafische Gegebenheiten (Flur- und Naturnamen), drittens religiöse Bezüge (Klöster, 
Kapellen, Heilige), viertens personenbezogene lokale Referenzen. Der vierte Bereich 
betrifft nicht-hageonymische Anthroponyma, also Personennamen nach städtischen 
Grundbesitzern und Familien, ferner nach stadtbekannten Außenseitern. Gerade die 
Personen- und Außenseiternamen eignen sich dazu, das exzeptionell Charakteristische 
an der mittelalterlichen Straßennamenpraxis herauszuarbeiten. 

Mittelalterliche Anthroponyma-Straßennamen sind niemals aus einem Gestus 
des ehrenden Erinnerns entstanden, weswegen ihnen jede Vorbildfunktion fehlt. 
Alle Benennungen sind daraus motiviert, dass die entsprechenden Personen 
ursprünglich im Stadtraum ansässig waren (remers gaß, oirtmanns gaß). Da Benen- 
nungspraxis von Straßennamen durch dominante, phänomenologisch erkannte 
Fakten bedingt ist, ohne von Instanzen festgeschrieben oder kultiviert zu werden, 
kommt auch keinem einzigen der 198 Straßennamen auf dem Mercator-Plan von 
1570/71 eine ideologische Bedeutung zu. Die Straßennamen auf diesem Plan 
verweisen auch nicht auf außerstädtisch oder gar reichsweit bekannte Persön- 
lichkeiten. Ein Canossaplat^ ein Besanconplat^ oder gar eine Barbarossastraß sind im 
mittelalterlichen Köln undenkbar. Dass Straßen und Plätze nicht nach Reichs für sten, 
wohl aber nach Außenseitern benannt wurden, ist symptomatisch für den engen 
Zusammenhang von Sehen und Bezeichnen im Mittelalter. Fremde und Andere 
konnten deshalb namenmotivierend sein, weil sie - im Unterschied zum fernen 
Kaisers Friedrich Barbarossa — Bestandteil des alltäglichen Wahrnehmungsbildes 
waren: bljnderjohansgasse; juedengaß; slungasse, benannt nach dort ansässigen Prosti- 
tuierten (mhd. slun für „Hure"). 

Einer der zentralsten Gründe für mittelalterliche Straßennamen ist ihre 
topografische, ortsanzeigende Funktion. Sie haftet auch Straßennamen mit reli- 
giösem Bezug an (so liegt die apostel straiß an der Apostelkirche, die S. Cicilien straiß 
an der Klosterkirche etc.), ist aber besonders augenfällig in den Straßenbezeich- 
nungen dort ansässiger Zünfte, die innerstädtisch mitunter zu Namens-Karto- 
grafien des Handels vernetzt waren. So konnten die einzelnen Produktions schritte 
des Wollgewerbes in der Kölner Altstadt nachverfolgt werden, und zwar genau in 
ergonomischer Reihenfolge: schaeffen straiß (Schafzucht), An der Wollkuchen (Woll- 



2 Glasner hat, anhand einer akribischen Analyse der Quellen, diesen Zusammenhang am Beispiel 
Kölns in umfassenden Pionierstudien herausgearbeitet: Glasner 2001; 2002a; 2002b. 



140 



Arndt Kremer 



waschen), keimer gaß (Wollkämmen), Weber straiß (Weben), f oller straiß (Walken), 
schaers gaß (Wollscheren), onder glaf erber (Färben). 

Während Bering und Großsteinbeck (1994) eine nahezu identische Relation 
von Benennung und Realität noch für das spätmittelalterliche Köln hervorheben, 3 
stehen für Glasner (2001) Stadt und Namenschatz trotz der genannten Wahrneh- 
mungsmotivierung da schon nicht mehr in einem spiegelartigen Abbildverhältnis 
zueinander. 4 Vielmehr zeige die mittelalterliche Nominationspraxis ein eigenes, 
codiertes Bild aus Betonungen und Ausblendungen, das seine mentalitätsgeschicht- 
lichen Brechungen in der Stadtwahrnehmung bereits ansatzweise enthülle und deshalb 
als „Mentalitätsgeschichte des Sehens" zu bezeichnen sei (Glasner 2002a: 45). Hierbei 
kommen drei zentrale methodische Prinzipien zum Tragen: 

1. Prinzip der (sinnlichen) Evidenz: Straßennamen sind symptomatisches, 
eben evidentes Zeichen eines Erscheinungsbildes der Namensträger; der 
Zusammenhang von Bezeichnetem und Bezeichnendem im Moment der 
Übereinstimmung ist auf ein charakteristisches Merkmal hin verdichtet: blynder- 
johansgasse 

2. Prinzip der Relevanz: Die zeitspezifische Bedeutung eines Straßen- 
Merkmals - also der „mentalitätsgeschichtliche Zeitbezug" (Peter Glasner) - 
entscheidet über dessen Benennung; die Namensgebung ist gleichbedeutend 
mit einem Code, der Wahrnehmungsschwerpunkte setzt (Bsp: Teilstück der 
heutigen Hohe Straße — > 1260: Lapidea platea nach der damals seltenen Pflas- 
terung; 1449: under spermecheren nach den dort ansässigen Speermachern) 

3. Prinzip der Varianz/Konsensorientierung: Jeder Namens-Entscheidung 
gehen insofern unbewusste Auswahlprozesse voraus. Über Varianzen kollek- 
tiver Wahrnehmungen gelangen die Stadtbewohner zu einem Konsens, der bei 
jeweils veränderten Wahrnehmungspräferenzen wiederum korrigiert werden 
kann. 

Die mittelalterliche Praxis, Straßennamen in erster Linie als Abbildung städtischer 
Gegebenheiten und als Bilder einer Geschichte des Sehens zu nutzen, änderte sich 
in Köln erst allmählich im 18. Jahrhundert, ganz entscheidend dann mit der Beset- 
zung der Stadt durch die Franzosen Anfang des 19. Jahrhunderts. Der reichs- 
städtische Universitätsrektor Ferdinand Franz Wallraf, von den französischen 
Besatzern 1812/1813 mit der Übersetzung der da noch unsystematischen und 
nicht ver schriftlichten Straßennamen beauftragt, charakterisiert die größtenteils aus 
dem Mittelalter herrührenden Benennungen mit wenig schmeichelhaften Worten: 



3 Bering; Großsteinbeck 1994: 106: „Die Namen auf dem Mercator-Plan sind im großen und ganzen 
nichts anderes als der Spiegel der Wirklichkeit in geographischer, sozialer und wirtschaftlicher 
Hinsicht." 

4 Glasner 2002b: 41: „Das Verhältnis der Stadt zu ihrem Namensschatz ist also kein spiegelartiges 
Abbildungsverhältnis, sondern ein eigenes Bild aus Betonungen und Ausblendungen." 



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„An den mehrsten unserer bisherigen Straßen und Gassen kleben wirklich nur 
pöbelhafte, seichte, unsichere, ihrer Herleitung nach oft so unbedeutende, 
größtenteils in den Zeiten der crassesten Ignoranz entstandene und nur durch 
Gleichgültigkeit und Gewohnheit angenommene [...] Benennungen [...], deren 
einiger wir uns vor allen fremden Ohren schämen müssen." (Zit. n. Kramer 
1993: 230). 

Wallraf startete ein Projekt, das den Stadtraum wie ein Erinnerungsbuch 
ausstaffieren sollte. Geleitet von aufklärerischem Eifer und klassizistischen Idealen 
sollten die Kölner Straßennamen, seit 1812 sukzessive an Häuserwände gemalt, 
nun einen vermeintlich ehrwürdigeren Charakter bekommen. Pissgasse, Schmierstraße 
oder Hunderücken wurden in Börsengasse {Passage de la Bourse), Komödienstraße (Rue de la 
Comedie) und Hunnenrücken umbenannt. Durch Straßennamen wie Trajanstraße, 
Capitolstraße und Agrippa-Plat^ sollte die „glorreiche" Antike symbolisch wieder ans 
kollektive Gedächtnis gekoppelt und zugleich die Erinnerung an das als dunkel 
empfundene Mittelalter überwunden werden. 

Nicht die alltägliche Wahrnehmung wie im Mittelalter (in Spilmannsgassin, 
mördergasse) , sondern Wunschbilder und identitätssichernde Erinnerung standen im 
Vordergrund dieses neuen Programms, das mit der Preußenherrschaft über Köln 
1880 bis 1890 einen weiteren Höhepunkt erreichte. Die stilisierte Kartografie einer 
deutschen Geschichte am Rhein, in präziser Reihenfolge beginnend am Bayenturm 
in der Südstadt und kulminierend in den Deutschen Ring, findet in dieser Tendenz 
zur Ideologisierung der Straßennamen ihre Begründung: Ubierring und Chlodwigplat^ 
sollten an die germanischen Ursprünge gemahnen, Karolinger Ring, Salierring, 
Barbarossaplat^ und Hohenstaufenring an königliche Herrschergeschlechter des 
Mittelalters erinnern, der Habsburger Ring an die Stabilisierungs- und Endphase des 
Reichs unter der österreichischen Dynastie, der Hohen^ollernring und der Kaiser- 
Wilhelm-Ring an die preußisch dominierte Neuinstallierung der Reichseinheit 
denken lassen. Ein längerer Spaziergang entlang dieser Ringe konnte so schnell 
zum historischen Erinnerungs-Parcours geraten. 

Seit Anfang des 19. Jahrhunderts fungierten die Straßennamen nicht mehr als 
Topografien oder als Realitätsbenennungen entlang der Wahrnehmungsweisen des 
kommunikativen Alltagsgedächtnisses, sondern als Mnemotope, als Denkmäler mit 
Belehrungsfunktion. Von daher wird auch verständlich, weshalb neuzeitliche 
Straßen - oft in Cluster-Bildung - nach (zumeist verstorbenen) militärischen, 
kulturellen, religiösen oder politischen Leitfiguren, aber in aller Regel nicht - wie 
im Mittelalter - auch nach Randgruppen oder Außenseitern benannt wurden: Der 
Zusammenhang von Wahrnehmen und Bezeichnen hatte einer Erinnerungskultur 
zu weichen, die, da sie gelenkt war, viel konsequenter das eine aufnahm, das andere 
eskamotierte. 

Freilich barg und birgt dieser politisch installierte und nicht genuin aus der All- 
tagspraxis der Bewohner stammende Prozess der Historisierung, Ideologisierung, 
Ästhetisierung und Kultivierung des semiotischen Systems Stadt mittels Straßen- 



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Arndt Kremer 



namen ein nicht unbeträchtliches Problematisierungspotenzial: Einmal im identi- 
tätskonkreten kollektiven Gedächtnis eingeschriebene und in der Form des 
Sprachzeichens Straßennamen verdichtete Erinnerungen können zumeist nicht 
widerstandslos ad hoc durch andere Wissensbestände ersetzt werden. „Soziales 
Erinnern heißt immer auch öffentliches Ringen um elementare Bausteine des 
kollektiven Selbstverständnisses." - Diese Analyse Glasners (Glasner 2002b: 20) 
trifft auf diachroner Ebene auf viele historische Dissense um Straßen(um)benen- 
nungen zu. Sie gilt für den Konflikt, der am 6. Juli 1922 im Kölner Rat in einem 

Tumult endete, als die SPD-Fraktion vorschlug, aus Anlass der Ermordung des 
Außenministers Walter Rathenau den Kaiser-Wilhelm-King in Walter-Kathenau-King 
umzutaufen und ein polemischer Zwischenruf die Gemüter erhitzte; und sie gilt 
sechzig bzw. siebzig Jahre später auch noch für die langwierige Auseinander- 
setzung um die Frage, ob der Keichenspergerplat^ oder der Appellhoff) lat% zu einem 
Heinrich-Böll-Plat^ werden dürfe oder ob der an Schlesien erinnernde Breslauer Plat% 
gegen das weltpolitische Schwergewicht Willy Brandt ankommen könne. 

In diesen Ausführungen wurden noch einmal einige der wichtigsten Prinzipien 
zusammengefasst, nach denen neuzeitliche Straßennamen-Gebung funktioniert. 5 
Sie begleiten den seit der Franzosenherrschaft einsetzenden Paradigmenwechsel 
urbaner Gestaltungspräferenzen vom alltäglichen Abbild zum unverwechselbaren 
Denkbild und sind deshalb abschließend eigens zu explizieren: 

1. Prinzipien der Raumgliederung und Richtungsweisung: Die 
Zusammenfassung von Straßen zu Straßenvierteln durch spezifische Gattungs- 
namen erleichtert das Zurechtfinden. Cluster-Bildungen helfen, Räume besser 
erfahrbar zu machen: Markomannenstraße, Alemannenstraße, Teutonenstraße; 
daneben bleibt die richtungweisende Orientierungsfunktion von Straßen mit 
Städtenamen in aller Regel gewahrt: Aachener Straße, Neusser Straße. 

2. Prinzipien der Eindeutigkeit und Gleichwertigkeit: Straßennamen 
müssen unverwechselbar sein, weswegen Namendopplungen auszuschließen 
sind; die Bedeutsamkeit des Namensträgers muss in etwa mit der Bedeutung 
der Verortung des Straßennamen korrespondieren. 

3. Prinzip der (nationalen, regionalen, lokalen oder ideologischen) 
Identitätsstiftung bzw. -Sicherung: Auf Straßennamen werden gedächtniskulturelle 
Inhalte projiziert, die mittels konkreter lokaler oder regionaler Bezüge der 
seelischen Beheimatung der Stadtbewohner dienen bzw. nationale Erinnerungs- 
werte festhalten sollen; sie können auch ganz im Dienst einzelner Ideologien 
stehen. 

4. Prinzip der Heilung/Verschleierung lebensweltlicher Diskrepanzen: 
Mittels euphemistischer (z.B. idyllischer) Beheimatungsnamen in Reißbrett- 
vierteln soll die gedächtniskulturelle Armut eines eben noch nicht „gewach- 
senen" Viertels ausgeglichen werden (ein Beispiel ist die 1921 erfolgte Straßen- 



5 Vgl. zu diesen und weiteren „Gesetzen" bzw. Prinzipien für moderne Namensgebung: Werner 
2008:232-241. 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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namen-Vergabe in der Neusiedlung Bickendorf nach Naturnamen: Unter 
Birken, Unter Bergamotten). 

Teilweise gelten diese Prinzipien bis in die heutige Zeit, in der sich im ohnehin 
immer unruhiger werdenden Zeichenfeld Stadt die Denkbilder rasant verändern. 
Ob man angesichts einer Kölner Toyota-Allee (1995) schon vom beginnenden 
Ausverkauf der Erinnerungskultur oder, weniger dramatisch, von ersten Schritten 
zu einer Neuformulierung der Wissensbestände im Sprachzeichen Straßennamen 
sprechen kann, ist eine von vielen Fragen, die sich dabei aufdrängen. 

3.2 Straßennamen als historische Quellen 

Hodonyme sind im Stadtraum sichtbare, alltägliche Zeichen und Sachquellen, aber 
an historischem Quellenwert gewinnen sie erst, wenn über sie in dokumentierbarer 
Weise reflektiert, diskutiert, entschieden wird, wenn also ein Diskurs entsteht, der 
sich wiederum in Alltagszeugnissen wie Leserbriefen, Zeitungsartikeln, Rats- 
sitzungsprotokollen, administrativen Dokumenten etc. widerspiegelt. Vor allem das 
diskursiv-kommunikative Für und Wider bei erfolgreichen oder gescheiterten (Um-) 
Benennungen von Straßennamen macht sie zu einer historischen Quelle, die sich 
für Didaktisierungen eignet: „Gerade weil sich Kulturen als historisch gewachsene 
Resultate von Kommunikationsprozessen darstellen, sollte ihre Beschreibung 
sinnvoller Weise auch an konkreten Kommunikationsprodukten orientiert sein, 
wobei natürlich insbesondere solche Quellen aufschlussreich sind, die derartige 
Kommunikationsprozesse thematisieren." (Bolten 2007: 26). 

Es war bereits erwähnt worden, dass die Straßennamen Kölns als historische 
Quellen für den Unterricht auch deshalb so prädestiniert sind, weil erstens zu 
ihnen eine umfängliche Forschungsliteratur existiert, auf die der Lehrende 
zurückgreifen kann, kurzum: Das theoretische Fundament ist gesetzt. Zweitens 
verfügt die Stadt Köln mit ihrer über 2000jährigen Geschichte nicht nur über ein 
seit 1130 fast lückenlos dokumentiertes Schreinswesen (den Vorläufern des heu- 
tigen Grundbuches), sondern auch über ein Zentrales Archiv für Straßenbenen- 
nungen — insgesamt also über ein Korpus an Primärquellen und Forschungs- 
literatur, das unter den deutschen Großstädten seinesgleichen sucht. Darüber 
hinaus existiert zu Köln eine Vielzahl von historischen Stadtführern, die - meist in 
anekdotischer Erzählweise - auch Hintergründe zu Kölner Straßennamen liefern. 6 
Folgende Quellen sind für die Straßennamensforschung in Köln besonders 
relevant: 



6 Z.B. Kaufman; Lutz; Schmidt-Esters 1996; Jung 2004; Klever 2001; Schmid 2005; Priebe 2008. 
Natürlich ließe sich eine solche Liste an kulturell orientierten Reiseführern anhand von Straßennamen 
und Plätzen auch problemlos für andere Großstädte finden, wie z.B. Berlin. 



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Arndt Kremer 



a) Mittelalter 

1. Schreinsbücher (Vorläufer des Grundbuches, zunächst in Latein, ab dem 
13 Jh. aber auch verstärkt in Deutsch: 1130-1789) mit 150 000 Eintragungen 
allein bis zum Jahr 1400; 

2. Erinnerungsbücher des Ratsherren Hermann von Weinsberg (1518- 
1597), in denen Weinsberg sich sogar an etymologische Deutungen von 
Straßennamen versucht; 

3. Stadtplan von Arnold Mercator (1570/71) mit 196 Örtlichkeitsangaben: 
Eine um Entsprechung bemühte, wissenschaftlich-kartografische Darstellung 
Kölns aus der Vogelperspektive, im Unterschied zu den typisiert-idealisierten 
Stadtbildern in Tafelmalereien, Holzschnitten und Kupferstichen des 16. 
Jahrhunderts. 

b) Neuheit 

1. Adressbücher: ab 1795 (inkl. kurzer etymologisch-historischer Deutungen); 

2. Zentrales Straßennamenarchiv (in Köln für jede Straße eine Akte: über 
5000 Einzelakten!); 

3. Artikel in den lokalen Medien, vor allem in Tageszeitungen wie „Kölner 
Stadt-Anzeiger", „Kölnische Rundschau", „Express"), aber auch in Rundfunk 
und Lokalfernsehen (WDR etc.) 

Besonders hilfreich für Unterrichtseinheiten zur Straßennamen-Praxis seit der 
Neuzeit sind gerade alle online und kostenfrei zugänglichen Artikel der lokalen 
Tagespresse. 



4 Didaktische Perspektiven 

4.1 Gründe für die Behandlung von Straßennamen im DaF-Unterricht 

Eine Didaktisierung von Straßenschildern in Gruppen von Deutschlernerinnen 
und -lernern erscheint besonders aus folgenden Gründen sinnvoll: 

1. Dass sich jede Sprache auf diachroner Ebene wandelt, ist oft beschrieben 
worden (z.B. bei Keller 1994). Sprachliche Zeichen sind arbiträr und historisch 
konventionalisiert. Variantenreichtum ist dabei ein grundlegendes Merkmal sprach- 
licher Realisation. Dies gilt auf grammatikalischer wie lexematischer Ebene. Was 
aber im Bereich der Grammatik bei Deutschlernerinnen und -lernern zu Ver- 
unsicherung führen könnte - schließlich tendieren Fremdsprachenlerner vor allem 
im Anfängerbereich dazu, die Sprache erst einmal als feststehendes System 
begreifen zu wollen und nicht als ein stetem Wandel unterworfenes Phänomen — 
stellt im Bereich der Straßennamen eine Bereicherung dar. DaF-Lerner erfahren, 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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dass es ganz bestimmte historische, politische, kultur- und mentalitätsgeschicht- 
liche Gründe für die Bennennung und Umbenennung von Straßen gibt. Die 
Lerner/-innen können somit das wichtige Phänomen des Sprachwandels konkret 
erfassen, ohne sich in schwierige und abstrakte linguistische Theorien einarbeiten 
zu müssen. 

2. Straßennamen eignen sich besonders gut, den Lernenden die immense 
Bedeutung von Signifikanten in einem kulturell-politischen Kontext zu vermitteln. 
Sie zeigen, welch starke mnemische Energie die Konnotate von Denotaten ent- 
falten können. Der sprachliche Vollzug ist immer auch Ausdruck einer bestimmten 
„Weltansicht" (Humboldt 1830-35: 60), und zwar sowohl auf individueller wie auf 
kollektiv-nationaler Ebene. Namen sind nun besonders eng an Identität gebunden, 
können diese fördern, aber auch gefährden. Straßennamen schildern dabei 
zweierlei: Erstens weisen sie auf synchroner, aber vor allem auch diachroner Ebene 
Wege zum kollektiven Gedächtnis einer Stadt; zweitens demonstrieren sie, dass 
Sprache immer auch ein Politikum sein kann. Jung fasst dies folgendermaßen 
zusammen: „Wer als Deutschlernender mehr erfahren möchte als die Abläufe der 
Deklination von Substantiven oder der Konjugation von Verben, der hat mit dem 
Straßenschild ein Sesam-öffne-dich zur Hand, das ihm hilft, die Tür zum 
Deutschtum einen Spalt zu öffnen." (Jung 2005: 95) . 7 

3. Die Praxisrelevanz von Straßennamen fällt schnell ins Auge. Als 
„lebendiges Sprachmaterial" (Schultheis; Walter 1968: 7) bieten sie den unschätz- 
baren Vorteil lebensweltlicher Alltagsnähe, denn sie sind Teil dessen, was Jan 
Assmann im Rückgriff auf die Theorien von Maurice Halbwachs das „kommu- 
nikative Alltagsgedächtnis" genannt hat (Assmann 1992: 50): Jeder kennt Straßen- 
namen, so gut wie jeder wohnt an einer Straße, die einen Namen trägt und 
verbindet damit bestimmte Erinnerungen. Sie erfüllen also in besonderer Weise 
zentrale Forderungen einer handlungsbezogenen Sprachdidaktik: Handlungsorien- 
tierung und Nutzbarkeit der Sprache unter Berücksichtigung verschiedener 
Ebenen der Sprachverwendung (sozial, politisch, pragmatisch etc.); Vorrang 
sprachlicher Funktionen vor rein formalen Aspekten; Einsatz authentischer Texte, 
Quellen, Übungen (vgl. Roche 2005: 21 5f.). 

4. Sie bieten darüber hinaus besonders vielfältige Möglichkeiten zur 
Erfahrbarkeit, Visualisierung und Medialisierung. Straßennamen haben immer auch 
einen alltäglichen, ganz praktischen Gebrauchswert. DaF-Lerner können erkennen, 
dass Kenntnisse beispielsweise über die Cluster-Bildung von Straßennamen (also 
die areale Konzentrierung von Straßennamen nach Bennennungsmotiven wie 
Komponisten, Feldherren, Tiernamen etc.) ihnen konkret helfen können, sich in 
einer ihnen zunächst fremden deutschen Stadt besser zu orientieren. Mittels Inter- 
net und Straßenplänen wird die Suche nach dem Gedächtnis der Stadt visualisier- 
bar, mittels angeleiteter Parcours-Erkundungen erlebbar. 

7 Zit. auch bei Oebel 2006, 571. Es versteht sich von selbst, dass die Verwendung von 
problematischen, weil historisch-ideologisch belasteten Begriffen wie „Deutschtum" im DaF- 
Unterricht kritisch reflektiert werden muss. 



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Arndt Kremer 



4.2 Didaktische Literatur zum Thema 

Entscheidende Hinweise darauf, dass die doppelte Funktion von Straßennamen — 
die topographische Orientierungs- und die kulturelle Verweis funktion, also ihr Ge- 
brauchswert plus Kulturwert - den Einsatz von Hodonymen im Fremdsprachen- 
und Landeskundeunterricht sinnvoll macht, finden sich recht früh bei Udo Jung 
(Jung 2000: 609f; Jung 2005). Er konstatiert: „In ihrer Summe stellen die Straßen- 
namen nämlich das Gedächtnisbuch einer Stadt dar, und eine Klasse von (Fremd-) 
Sprachenlernern kann darin blättern und recherchieren, die Ergebnisse mit denen 
anderer Städte vergleichen und sie zueinander in Beziehung setzen." (Jung 2000: 
610). 

Mein Aufsatz verdankt zentrale Anregungen einer Studie von Guido Oebel aus 
dem Jahre 2006, in der die Relevanz und die geradezu unerschöpflichen Einsatz- 
möglichkeiten des Themas Straßennamen im DaF-Unterricht aufgezeigt werden 
(Oebel 2006: 569-583). Einen Reader zur Namenskunde mit Aufsätzen zur 
Reflexion des Themas in der Primarstufe und in den Sekundarstufen I/II haben 
Frank und Koß bereits 1994 angelegt; indes geht darin noch keiner der darin 
enthaltenden Aufsätze explizit auf das Thema Straßennamen ein (Frank; Koß 
1994). Selbst bei neuesten Internetportalen, die umfangreiche Unterrichtsmater- 
ialen zu Namen zur Verfügung stellen, fehlen Hodonyme weitgehend bzw. lassen 
die spezifischen Anforderungen an den DaF-Unterricht unberücksichtigt. 8 

4.3 Eingrenzung der Lernerzielgruppe und des Themas 

Das Thema eignet sich sowohl für weniger fortgeschrittene als auch für 
fortgeschrittene bzw. weit fortgeschrittene Deutschlernende. Im DaF-Unterricht 
mit Deutsch als dominierender Unterrichtssprache sollte aber ein Sprachniveau auf 
dem Level von ca. A2 (entsprechend CEFR) oder höher vorausgesetzt sein, da 
vorher (AI) oder im reinen Anfängerbereich noch die entsprechenden Vokabel- 
und Grammatik-Kenntnisse fehlen, um sich über Prozesse, Debatten und Hinter- 
gründe zu Straßenbenennungen und -umbenennungen sinnvoll austauschen zu können. 
Das Thema eignet sich besonders gut im Landeskundeunterricht, aber auch im Bereich 
des interkulturellen Lernens, wobei Fragen im Vordergrund stehen können wie: Warum 
sind in Deutschland in jedem noch so kleinen Dorf Straßen und Plätze nahezu 
vollständig benannt, während es in einer so gewaltigen Metropole wie Tokyo mit seinen 
fast neun Millionen Einwohnern im Kerngebiet keine stringente Straßenbeschilderung 
gibt? 

Im Prinzip könnte man die Straßennamen-Thematik auch für orthografische 
und sogar grammatische, z.B. flexionsspezifische Fragestellungen nutzen. Der 
Rechtschreib-Duden (2006) widmet der Rechtschreibung von Namen und der 
Setzung der Bindestriche immerhin ganze sechs Seiten (Duden 2006: 86-91, K 



8 Z.B. bei: http://www.lehrerfreund.de/in/schule/ls/namen-unterrichtsmaterial-arbeitsblaetter/ 
(„Namen/Namenskunde im Deutschunterricht - Unterrichtsmaterialien"). 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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134-151), denen sich auch ein eigenes Kapitel zu Straßennamen anschließt 
(ebd.96f., K 161-163). So ließe sich etwa fragen, wieso bei bestimmten 
Straßennamen Bindestriche gesetzt werden (Heinrich-Mann-Alle), bei anderen aber 
nicht {Adenauer Ufer), ob dies willkürlich geschieht oder ob hier eindeutigere 
Regelhaftigkeiten herrschen als die im Duden (Duden 2006: 87, K 136) 
angegebenen: „Einen Bindestrich kann man setzen, wenn der Name 
hervorgehoben werden soll oder wenn dem Namen ein zusammengesetztes 
Grundwort folgt". Auch national- bzw. regionalspezifische Varietäten des 
Deutschen könnten im Fokus des Unterrichts stehen, beispielsweise die im 
Gegensatz zur deutschen Praxis stehende schweizerische Sonderregelung, dass 
„Straßennamen, die die Ableitung eines geografischen Namens auf -er enthalten, 
gewöhnlich zusammengeschrieben [werden] {Hottingerplat^ Winterthurerstraße)." 
(Rechtschreib-Duden 2006: 96, Zusatz zu K 162). Weiterhin könnte das Problem 
der Fugenelemente im Deutschen zum Thema werden, beispielsweise das Phänomen 
des so genannten Fugen-s: Wieso heißt es Reichstagsufer und nicht, was als 
Kompositum eigentlich logischer erscheint, Reichstagufer} 

Solche rein orthografisch-grammatischen Schwerpunktsetzungen erschöpfen 
sich aber schnell thematisch und verspielen eher die Chance, im Unterricht die 
reine Sprachebene mit der Kulturebene zu verbinden. Interessanter erscheint hier 
die Frage nach kulturell-sozial motivierten Regeln für das letzte Kompositum bei 
Straßennamen, beispielsweise im Hinblick auf Diminutive: Nach welchen außer- 
sprachlichen Kriterien wird entschieden, dass die Straße ein Wilhelm-Busch-Plat^ und 
kein -Plätzchen ist? Nach dem vorgeblichen Bedeutungsgrad des ersten Namens- 
bestandteils? Nach dem ästhetisch-atmosphärischen Wert des Ortes? Nach dem 
semantischen Wert des Namensgebers? Nach den politischen Machtverhältnissen 
in der Stadt? 



4.4 Unterrichtseinstiege 

In den nächsten Kapiteln sind Vorschläge für Unterrichtseinstiege und Unter- 
richtseinheiten zu sehen. Als Beispiele für weiterführende Unterrichtseinheiten 
werden wiederum Straßennamen der Stadt Köln ausgewählt. Im Prinzip ließen 
sich die Methoden jedoch auf jede deutsche Stadt anwenden. Als Unterrichts- 
einstiege biete ich einmal einen klassischen Frage-Antwort-Dialog in Form eines 
Brainstormings und zweitens visuelle Diskussionsanreize an. 

4.4. 1 . Brainstorming mittels geleiteter Fragen 

In einem ersten Verfahren könnten den Lernenden folgende Fragen präsentiert 
werden, auf die dann induktiv-assoziativ zu antworten wäre: 



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Arndt Kremer 



Tabelle l 9 

Mögliche Fragen als Unterrichtseinstieg in das Thema Straßennamen 

1. Welche deutschen, österreichischen, schwei2erischen Städte kennen Sie? 

2. Waren Sie schon einmal in einer dieser Städte zu Besuch? 
— > Wenn ja: Wie haben Sie sich dort orientiert? 

— ► Wenn nein: Wie orientieren Sie sich in einer Stadt, die Ihnen unbekannt 
ist? 

Falls „Straßenschilder"/ „Straßennamen" angesprochen werden, ließe sich 
weiter fragen: 

3. Können Sie sich an bestimmte Straßennamen erinnern? 
— ► Wenn ja: An welche? 

— > Wenn nein: Haben Sie schon einmal von folgenden Straßennamen gehört: 
Kö(nigsallee), Alex(anderplat%), Ku(rfiirstendammJ? Was fällt Ihnen auf? 

4. Gibt es Straßennamen, die in verschiedenen Städten identisch sind? 
[interkulturelle Ebene] 

5. Gibt es Unterschiede zwischen Straßennamen aus Ihrem Herkunftsland 
und Straßennamen in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Belgien und 
Luxemburg (deutschsprachige Teile)? [interkulturelle Ebene] 

6. Wer entscheidet Ihrer Meinung nach über die Benennung von Straßen 
(auch: von Plätzen, Sportstadien etc.)? [politisch-soziale Ebene] 

7. Straßenschilder ändern sich oftmals über die Jahre und Jahrzehnte hinweg. 
Welche Gründe kann es für Umbenennungen geben? 

— ► Falls dies nicht ergiebig sein sollte, könnte z. B. folgende Anregung 
weiterhelfen: 

In Köln hatte ein und derselbe Platz über die Jahre hinweg die folgenden 
Straßennamen, und zwar in dieser Reihenfolge: Plat^ der Republik, Adolf-Hitler- 
Vlat^ Ebertplat-%. Können Sie sich Gründe dafür denken, weshalb derselbe 
Ort so unterschiedlich benannt wurde? [historische/kulturell-mentalitäts- 
geschichtliche Ebene] 

8. Was kann man anhand von Straßennamen über die deutsche Sprach- 
geschichte / Mentalität/ Kultur erfahren? [historische/kulturell-mentalitäts- 
geschichtliche Ebene] 



Die Fragen 1 bis 5 eignen sich auch für weniger fortgeschrittene Deutschlernende 
(ab A2), während die Fragen 6 bis 8 ein höheres Sprachniveau (ab Bl) voraus- 



9 Tab.l basiert teilweise auf dem Fragenkatalog bei Oebel 2006: 571. 



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setzen und als Einstiege in längere Unterrichtseinheiten mit möglichen Haus- 
aufgaben dienen können. 

4.4.2. Visualisierung mittels Fotografien 

Alternativ böte sich als Unterrichtseinstieg an, den Deutschlernenden bestimmte 
Fotografien anzubieten und darüber diskutieren zu lassen. Immer kritisch 
mitberücksichtigen muss der Lehrende die oftmals manipulatorische Wirkung von 
Bildern, wobei Fotografien von Straßennamen weniger Gefahr laufen, zu mono- 
perspektivischem Geschichtsdenken zu verleiten, da aktuelle Abbildungen von 
Straßenplänen oder Straßenschildern ohne zusätzliche Textinformationen oder 
wertende Textkommentare erst einmal weitgehend fixierte und wertfreie Doku- 
mentationen städtischer Gegebenheiten sind. Die folgende Auswahl versteht sich 
zudem ausschließlich als Anregung. 




Abb.l: Dichterstraßen. 

Quelle: http://data.lustich.de/bilder/l/13189-strassennamen.jpg. 



Arbeitsanregungen: 

Stellen Sie sich vor, Sie sind das erste Mal in einer deutschen Großstadt, 
versuchen sich zu orientieren und finden die im Bild gezeigten Schilder. Was 
würden Sie denken? Was fällt Ihnen an diesem Bild auf? Welche Namen 
werden genannt? 



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Arndt Kremer 



Machen Sie Vorschläge, wie ein ausländischer Besucher einer Stadt mit 
diesem Straßenschild ein paar wichtige Hintergrundinformationen zu den 
Namens trägem erhalten könnte. 

Halten Sie eine kurze Präsentation von 10 Minuten zu den Namensträgern 
der Wielandstraße und der Hlsa-Brandström-S traße. Wer waren diese beiden Per- 
sönlichkeiten, was hat sie ausgezeichnet? 




Abb.2: Adolf Hitler-Straße. 

Quelle: http:/ /www.history.army.mil/books/wwii/ Occ-GY/ chl5.htm. 

Arbeitsanregungen: 

Was wird auf der Fotografie dargestellt? Schauen Sie sich die drei abgebildeten 
Personen genau an. In welcher Zeit ist das Foto wohl aufgenommen worden? 

1933 wurde in der Stadt Köln der Plat% der Republik in Adolf-Hitler-Plat^ 
umbenannt. Finden Sie Gründe für diese Umbenennung, indem Sie den 
zeitgeschichtlichen Hintergrund kurz skizzieren. Wie heißt der Platz heute? 



Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 151 





Abb.3: Monopoli . 

Quelle: http:/ /monopolie. sourceforge.net/screenshots. shtml. 



Arbeitsanregung 1: 

Dies ist eine englische Version des beliebten Brettspiels „Monopoly". Ziel des 
Spiels ist es, ein Grundstücksimperium aufzubauen und die Mitspieler in den 
Konkurs zu treiben. Die Grundversion hat 22 Straßen, vier Bahnhöfe und je 
ein Elektrizitäts- bzw. Wasserwerk. Je nach Straße und Straßenviertel steigt 
oder sinkt das Mitpreisniveau. Die Straßennamen fehlen auf der obigen 
Abbildung. Im Folgenden finden Sie eine Liste mit Straßennamen, denen Sie 
Mietpreise von 60 bis 1000 Euro zuordnen sollen. 

Ordnen Sie die Straßennamen Mietpreisen zu und tragen Sie beides 
anschließend in das Spielfeld ein, z.B. Glücksallee 1000 €, gelbes Feld oben 
rechts. Schlagen Sie die Bedeutungen von (Straßen-)Namen nach, wenn Sie 
diese nicht kennen. 

Straßennamen: 

Lessingstraße; Operplat^ Mördergasse; Nordbahnhof; Glücksallee; Schillerstraße; 
Turmstraße; Badstraße; Goethestraße; Elisenstraße; Pechstraße; Beethovenstraße; 
Schlossallee; Hinterhofstraße; Hafenstraße; Mo^artstraße; Bahnhofstraße; Parkstraße; 
y4rbeitslosengasse; Bachstraße; Verliererstraße; Chausseestraße 

Mietpreise: 

von 60 € bis 1000 € 

Arbeitsanregung 2: 



152 



Arndt Kremer 



Begründen Sie Ihre Entscheidung! Fällt Ihnen ein Muster auf, nach dem Sie 
die Straßennamen eingeordnet haben? Warum haben Sie einer bestimmten 
Straße ein höheres Mitpreisniveau gegeben als einer anderen? 

Einige der Namen in der Tabelle stammen tatsächlich aus der deutschen 
Version von „Monopoly", andere sind frei erfunden. Welche sind das wohl? 

Welche Straßennamen existieren in deutschen Städten so nicht (mehr) — 
warum wohl nicht? 



4.5 Weiterführende Unterrichtseinheiten 

Im Folgenden sollen einige weiterführende Unterrichtseinheiten dargestellt wer- 
den, die auf die aufgezeigten Unterrichtseinstiege aufbauen können. 

4.5. 1 . Einordnung von Straßennamen nach Motiven der Benennung 

Es war schon angesprochen worden, dass in vielen Städten Straßennamen oft in so 
genannten arealen Clustern angeordnet sind, die einem bestimmten Benennungs- 
motiv folgen: Dichterviertel, belgisches Viertel, Industrieviertel, Obstsorten etc. 
Diese Tatsache lässt sich sinnvoll für den DaF-Unterricht nutzen. Die Lernenden 
werden in Arbeitsgruppen aufgeteilt und erhalten eine Reihe von Straßennamen, die 
sie nun bestimmten Motiven zuordnen müssen (vgl. Oebel 2006, 572f). Dazu 
empfiehlt es sich natürlich, den Lernenden die Möglichkeit zur Recherche zu geben 
(Internet, Bibliothek), also die Lerneinheit mit einer Hausaufgabe zu verknüpfen. 

Tabelle 2 

Sektion I: Anthroponyme (Personen- und Familiennamen) und Phytonyme 
(Tier- und Pflanzennamen) 

Gruppe A: Schriftsteller 

Heinrich-Böll-Plat^ Goethestraße, Schillerstraße, Fessingstraße, Hoffmann-von- 
Fallersleben-S traße, Gorch-Fock-Straße, Oscar-Wilde-Straße, Ricarda-Huch-S traße, 
Rilkestraße, Heinestraße, Rahel-l r arnhagen-S traße, Irmgard-Keun-S traße etc. 

Gruppe B: Maler und Musiker 

Brahms-S traße, Fovis-Corinth-S traße, Spit^iveg-S traße, van-Gogh-S traße, Jacques- 
Offenbach-Plat^ Beethovenpark, Richard-Wagner-Straße, Mo^artstraße etc. 

Gruppe C: Philosophen und Wissenschaftler 

Niet^schestraße, Schlegelstraße, Kantstraße, Feuerbachstraße, Karl-Marx- Allee, 
| Friedrich-Engels-Straße etc. 

Gruppe D: Heilige und Kirchenvertreter (Hageonyme) 

Georgstraße, Severinstraße, Christophstraße, Ursulastraße, Martin-Futher-Plat^ 

Bonhoefferstraße, Prd'lat-Otto-Müller-Plat^ Präses-Rachter-Plat^ Pastor-Paul- 



Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 153 



Milde-Straße etc. 

Gruppe E: Politiker, Funktionäre, Unternehmer 

Bebelplatt^ Clara-Zetkin-Straße, Cornelius-Stüssgen-Straße, Friedrich-Ebert-Plat-^ 
Robert-Schumann-Straße, Kennedy-Ufer etc. 

Gruppe F: Familiennamen, Herrscherhäuser, Volksstämme 

Bayardgasse, Im Dau, Quatermarkt, Steinbrecher Weg, Hohen^ollernring, Hohen- 
staufen ring, Salierring, Friesenstraße, Ubierring, Auf dem Hunnenrücken etc. 

Gruppe G: Tier- und Pflanzennamen (Phytonyme) 

Löwengasse, Schwalbengasse, Taubengasse, Habichtstraße, Ibisweg, Komoranweg, 
Ner^weg, Holunderweg, Eibenweg, Buchenpfad, Eichenstraße etc. 



Tabelle 3 

Sektion IL Toponyme (Ortsnamen, Flurnamen, Gewässernamen) 
Gruppe H: Ortsnamen (Oikonyme) 

Kyoto straße, Turiner Straße, Tel-Aviv-Straße, Tunis-Straße, Te ssiner Weg, Mülheim er 
Zubringer, Heidelbergweg, Indianapolisstraße, Gothaer Allee, Brühler Eandstraße, 
| Berlin-Kölnische-Allee etc. 

Gruppe I: Flurnamen (Oronyme) 

Am Bergerhof, In der Muckel, Am Frohnweiher, Zu den Bendengärten, Auf der 
Füllenweide, Siebenburgen, Weidengasse, Sandkaul, Zum Hedeisberg, Unter den 
Erlen, Unter den Ulmen, Unterste Sauerwiese etc. 

Gruppe J: Gewässernamen (Hydronyme) 

Rheingasse, Rheinuferstraße, Rothgerberbach, Auf der Ruhr, Am Weidenbach etc. 



Tabelle 4 

Sektion III: Chrematonyme (Sach- und Objektnamen) 

Gruppe K: Kirchen und Klöster 

Antoniterstraße, Kartäusergasse, Minoritenstraße etc. 

Gruppe L: Märkte und Nahrungsmittel 

Alter Markt, Heumarkt, Hol^markt, Neumarkt, Waidmarkt, Buttermarkt, 
Fischmarkt, Sal^gasse, Zur Kornkammer etc. 

Gruppe M: Berufs- und Gewerbebezeichnungen 

Faßbindergasse, Fleischmengergasse, Weberstraße, Seidmacherinnengäßchen, Unter 
Goldschmied, Unter Hutmacher, Unter Käster, Unter Taschenmacher etc. 



Arbeitsanregungen: 



154 



Arndt Kremer 



Finden Sie die angegebenen Straßennamen (Tab.2-4) auf dem Kölner Stadt- 
plan. In welchen Stadtteilen liegen Sie? Können Sie eine geografische Ordnung 
erkennen? 

Ordnen Sie dann die Straßennamen (Tab.2-4) bestimmten Motiven zu, 
beispielsweise dem Motiv Dichter. Können Sie die Motive noch einmal 
differenzieren, z.B. in deutsche Dichter und ausländische Dichter? 

Finden Sie auf dem Stadtplan noch mindestens drei weitere Straßennamen, 
die zu den Motiven in den Tabellen passen. 

Stellen Sie abschließend drei Namens-Persönlichkeiten Ihrer Wahl kurz vor. 

Für einzelne der Arbeitsanregungen kann es sinnvoll sein, die Motivnamen in den 
Tabellen abzudecken (Projektor, Powerpoint) bzw. in den ausgeteilten Kopien 
auszulassen. Auch wäre denkbar, die einzelnen Straßen- und Wegenamen den 
Lernenden in einer beliebigen Reihenfolge vorzulegen, so dass diese dann eine 
systematische Ordnung nach Benennungsmotiven finden sollen. Umgekehrt 
könnte der Lehrende eine Tabelle mit den jeweiligen und dann noch weiter ausdif- 
ferenzierten Benennungsmotiven anbieten, für die dann anhand des Kölner Stadt- 
plans Straßennamen-Beispiele gefunden werden sollen. Personennamen werden 
für die Lernenden höchstwahrscheinlich den größten Anreiz bieten, weil die 
Propria per se Identitätsbezüge herzustellen helfen. 

Zu jeder Sektion ließen sich eigene Unterrichtseinheiten konzipieren. Dabei 
wären noch viele weitere Sub-Klassifizierungen denkbar, z.B. danach, ob es sich 
bei den Personen-, Familien-, Herrschernahmen um Kölner Persönlichkeiten 
handelt, ob diese weltweiten oder nur regionalen Bekanntheitsgrad haben etc. 

4.5.2. Praxis von Umbenennungen und mögliche Gründe 

Die Praxis von Straßenumbenennungen und ihre Gründe eignen sich hervorragend 
für eine Didaktisierung des Themas. In Neu- und Umbenennungen zeigt sich das 
Spannungsfeld von kultureller Erinnerung und sozialer Identität am deutlichsten. 
Bering konstatiert: „Dabei ist natürlich das, was im Spiegel nicht erscheint, was also 
gezielt oder zufällig dem Vergessen zugeschrieben wird, ähnlich wichtig [. . .] wie das, 
was als namensMr^ angesehen wird." 10 Die Frage „Können Straßennamen 
umbenannt werden und wenn ja: warum werden sie umbenannt?" ermöglicht viele 
interessante Antworten im Unterricht. Folgende Punkte können diese Erwartung 
stützen: 

1. Zahlreiche Diskussionen um Straßenumbenennungen wurden und werden 
öffentlich in den Medien ausgetragen. Sie sind eben keine bloße Sache der 
Wissenschaft, sondern gehen jeden an, Fachmann wie Laien. Die Lernenden 
erkennen dadurch die Lebens- und Alltagsrelevanz des Themas. Zudem sind die 
Quellen der fraglichen Debatten oftmals online und damit leicht zugänglich. 



1,1 Bering; Großsteinbeck 1994: 116 (Hervorhebungen im Original). 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



155 



2. Durch die enge Verankerung des Namens im Identitätsbewusstsein und der 
individuellen wie kollektiven Mentalität scheinen Straßennamen-Umbenennungen 
ein hohes emotional-psychologisches Konfliktpotential in sich tragen. Viele 
Auseinandersetzungen um Umbenennungen sind über Jahrzehnte mit einem 
erstaunlichen Elan und Esprit vor Gerichten ausgetragen worden, haben Politiker 
und Ämter beschäftigt etc. Mit einem Wort: Die Debatten sind alles andere als 
langweilig. 

3. Kontroverse oder konsensfähige Debatten zu Umbenennungen von 
Straßennamen berühren direkt die geforderte Verzahnung von Sprach- und 
Kulturfragen. Die Diskussionen sind, mögen sie noch so abstrus erscheinen, 
immer auch ,Wortmeldungen* des kulturellen Gedächtnisses. Straßennamen 
spiegeln die mentalitätsgeschichtlichen Wandlungen einer Gesellschaft wider. Wer 
etwas über die Kulturgeschichte von Straßennamen erfährt, erfährt immer auch 
Wesentliches über die Kultur und kulturelle Praxis ihrer Anwohner. Das 
prädestiniert das Thema geradezu für den Landeskundeunterricht. 

4. Die Diskussionen zu Umbenennungen führen, dies war schon angesprochen 
worden, den Lernenden in ganz plastischer Weise vor Augen, dass die semantische 
Brisanz von Sprachfragen oftmals eine politische Brisanz impliziert oder evoziert, 
und dies nicht nur auf nationaler, sondern auch auf kommunaler Ebene. So sind 
die Konflikte um Straßenumbenennungen letztlich das, was man mit Michel 
Foucault „Diskurse der Macht" auf allen Ebenen nennen könnte. Die Debatten 
zeigen, dass nicht nur nationale Sprachpolitiker und Sprachpfleger (etwa die 
„Academie francaise" in Frankreich oder der „Verein für deutsche Sprache" in 
Deutschland) massiv einzugreifen versuchen, wenn es um den vorgeblich schäd- 
lichen Einfluss von Anglizismen in der eigenen Sprache geht, sondern dass auch 
kommunale Politiker sich einmischen, wenn Bürger in hitzigen Leserbriefen etwa 
die Umbenennung der Kölner Heinestraße in eine Oscar-Wilde-Straße mit dem Hin- 
weis zu verhindern suchen, dass dieser Straßenname dann „Oscar-Uwaild-Straße" 
auszusprechen sei, denn: „Mister Wilde war kein Deutscher." 11 

Entwicklung von Straßennamen im Mittelalter 

Straßennamen waren im Mittelalter, wie bereits ausgeführt, vor allem Teil des 
kommunikativen (Alltags-)Gedächtnisses der Sprecher und kein Teil des 
Straßenbildes; erst im 19. Jahrhundert wird das Namengut allmählich fixiert, indem 
Straßennamen an Häuserfassaden geschrieben werden (Köln: 1812) und im Zuge 
der großen Gesellschaftsdebatten und sozial-politischen Umbrüche des 18. und 19. 
Jahrhunderts eine ideologische Aufladung erhalten. 

Der in Peter Glasners Dissertation angeführte Paradigmenwechsel der Straßen- 
und Platzbenennungen vom Ortungsraum zum Mnemotop, also von einem reinen 
Abbildungsverhältnis zum kulturellen Erinnerungsort, kann für Unterrichts- 



11 ZAS (Zentrales Archiv für Straßenbenennungen) - Oscar-Wilde-Straße, Schreiben von Paul Sch. an 
das Vermessungs- und Katasteramt vom 6.10.1982. Zit. n. Werner 2008: 176. 



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156 



Arndt Kremer 



einheiten viel versprechende Ergebnisse zeitigen. Anhand weniger anschaulicher 
Beispiele lässt sich demonstrieren, wie unterschiedlich die Weltbilder und Welt- 
ansichten eines mittelalterlichen und eines modernen Menschen (gewesen) sind. 
Die Lernenden können Schritt für Schritt die zeit- und epochengebundene Rela- 
tivität von Kultur- und Identitätsentwürfen erfahren, wozu die Tatsache gehört, 
dass die enge Bindung von Sprache und Kultur, von Sprache und Identität im 
kollektiv-nationalen Kontext im Wesentlichen ein Konstrukt des 19. Jahrhunderts 
ist, wenngleich mit Vorläufern bis in die Zeit des Barock. Wenn wir heute Begriffe 
wie „Leitkultur" verwenden, etwa in den Debatten um Thilo Sarrazins umstrittenes 
Buch „Deutschland schafft sich ab: Wie wir unser Land aufs Spiel setzen" 
(Sarrazin 2010), so schwingt darin eine Geisteshaltung mit, die dem 
mittelalterlichen Menschen noch vollkommen fremd gewesen wäre. 



a) Bsp. Katharinengraben (Köln-Südstadt) 



Tabelle 5 12 



Benennungsdatum 

8 1 


Straßenname 


1191 


secus Vi alum vetus 


1251 


Supra Antiquuum fossatum 


1317 


Super Antiqua Jossa 


1333 


up der steede graven / aichter dem spitale von s. Katha- 
rinen 


1538 


Uff dem Altengraven 


16. Jh. 


OffS. Catreinen graben 



Die topographischen Bezugnahmen schwanken zwischen Stadtgraben und 
Katharinenhospital. Glasner konstatiert: „Hieran wird deutlich, dass die mündlich 
tradierten Straßenbezeichnungen des Mittelalters aus der Wahrnehmung der Stadt 
entstehen und solange variieren, bis in der Sprechergemeinschaft der Stadt- 
bewohner ein vorbewusster Konsens über die Namenfindung erzielt worden ist." 
(Glasner 2001). 



12 Daten und Namen der Straßennamenentwicklung in den Tabellen 3-5 sind dem Aufsatz von 
Glasner entnommen, der unter anderem die Schreinsurkunden als Quellenbasis nutzt (Glasner 2001 : 
287 u.291). Dort finden sich auch weitere, detaillierte Hintergrundinformationen. 



Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 157 



b) Bsp. Salzgasse (Köln-Altstadt) 



Tabelle 6 



Benennungsdatum 


Straßenname 


1135 


In vico Salis 


1192 


In Sal^ga^in 


1307 


In Sal^gassen 


1542 


uff der Sal^gassen 


1571 


die saltsgaß 


c) Bsp. Hohe Straße (Köln-Zentrum) 
Tabelle 7 


Benennungsdatum 


Straßenname 


1189 


Super stratam Hapideam 


1260 


In Lapidea platea 


1449 


Under spertnecheren 


1545 


Under Spermecher 



Die beiden Straßennamen Sal^gasse und Hohe Straße exemplifizieren die Straßen- 
namen-Praxis des Mittelalters. Diese war gekennzeichnet durch ein Ausprobieren 
und Verändern aufgrund gewandelter Wahrnehmungen, bis man allmählich zu 
einem Konsens gelangte, der aber nicht endgültig sein musste. Die Sal^gasse wurde 
nach den dort ansässigen Salzhändlern benannt, während die Hohe Straße zunächst 
nach der damals seltenen Pflasterung {strata lapidea) und erst im Spätmittelalter 
nach den dortigen Speermachern ihren Namen erhielt, bis sie im Zuge eines 
längeren Wandlungsprozesses ihre heutige Benennung erhielt. Die folgenden 
Arbeitsanregungen könnte auf eine einführende Unterrichtseinheit zum Thema 
„die mittelalterliche Stadt" folgen, in der den Lernenden Grundwissen zum 
Beispiel zur Präsenz mittelalterlicher Handwerksberufe und Zünfte in den Städten 
des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation vermittelt wird. Köln als freie, 
unmittelbare und lange Zeit bevölkerungsreichste Handelsstadt des Reiches könnte 
hier wiederum als ein anschauliches Beispiel dienen. Es wäre aber auch denkbar, 
einen Unterrichtseinstieg in medias res zu wählen, mittels dessen die Lernenden 
intuitiv- assoziativ Gedanken zur Entwicklungsgeschichte ausgewählter mittelalter- 
licher Straßennamen in Köln kommunizieren. 



158 



Arndt Kremer 



Arb eits anr egungen : 

Schauen Sie sich die Entwicklung der Straßennamen des heutigen 
Katharinengrabens sowie der Sal^gasse und Hohe Straße (Tab. 5-7) an. Was fällt 
Ihnen auf? (Wie ändert sich die Sprache? Wie ist der Gebrauch der Lokal- 
präpositionen? Was wird bezeichnet?) 

Finden Sie auf dem Kölner Stadtplan noch andere Straßen, die nach 
Handwerksberufen benannt sind und schreiben Sie diese auf. Welche der 
damaligen Berufe gibt es heute noch, welche sind mittlerweile ausgestorben? 

1812 hielten die Franzosen unter Napoleon Köln besetzt. Sie beauftragten 
den Kölner Universitätsrektor Ferdinand Franz Wallraf damit, die damals nicht 
beschilderten mittelalterlichen Straßennamen neu zu benennen. Wallraf 
ordnete unter anderem an, die Pißgasse in Passage de la Bourse {Börsengasse), die 
Mördergasse in rue des mortiers {Mörsergasse) und die Bus(en)gasse in rue des Buisson 
{Buschgasse) umzubenennen. Warum hatte sich im Mittelalter wohl niemand an 
diesen Straßennamen gestört? Kennen Sie noch andere Straßennamen, 
entweder in Deutschland oder in Ihrem Heimatland, die Ihnen jemals negativ 
aufgefallen sind? 

Ideologisierung von Straßennamen im 19. Jahrhundert 

1881 wurde Köln von den Preußen zur Festung erklärt, was ein Bauverbot vor der 
alten Mauer nach sich zog. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung (1816: 50.000, 
1880: 150.000 Einwohner) mussten die Stadtgrenzen ausgedehnt werden. Indem 
der Rat dem preußischen Minister Kamecke die alte Mauer und das Vorgelände 
abkaufte und Breschen in die alte Stadtmauer schlug, entstand die Kölner 
Neustadt. Eine unmittelbare Folge dieser Entwicklung war, dass 231 Straßen fast 
auf einen Schlag (neue) Namen erhielten, davon 23 noch in der Altstadt. 13 Dieser 
einzigartige Fall für die historische Straßennamenforschung ließe sich für eine 
Unterrichtseinheit nutzen, in der die Lernenden, aufbauend auf ihre über die 
mittelalterliche Benennungspraxis gewonnenen Erkenntnisse, das neuzeitliche 
Prinzip der Historisierung und politischen Ideologisierung von Straßennamen 
herausarbeiten könnten. Die Stadt vor Augen sollte als Stadt im Kopf verankert 
werden, und zwar als „ein ideologisches Konstrukt: eine Selbstinterpretation, die in 
gezielt ausgewählter Vergangenheit Identität gewinnen will." (Bering; Großstein- 
beck 1994: 110). 

Die folgende Tabelle ließe sich im Anschluss an die Unterrichtseinheit zum 
Thema „die mittelalterliche Stadt" einsetzen. Wiederum wäre beides möglich: 
Entweder den Lernenden eine kurze Einführung in die sozialen und politischen 
Verhältnisse im Deutschland der 1870er Jahre nach der Gründung des Deutschen 
Reiches sowie zur Rivalität zwischen dem von Preußen besetzten Rheinland und 
dem übermächtigen Preußen voranzustellen oder ihnen die folgende Kartografie 



13 Daten bei Bering; Großsteinbeck 1994: 108. 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 159 



gleich zu Beginn zu präsentieren und dann deduktiv zu verfahren. Wie bei allen 
Unterrichtseinheiten böte es sich auch hier an, dass die Lernenden ihre Ergebnisse 
in Arbeitsvorträgen vorstellen. 

Tabelle 8 (vgl. Bering; Großsteinbeck 1994: 109) 



Kartografie einer ideologisierten deutschen Geschichte am Rhein, 

beginnend am Bayenturm in der Kölner Innenstadt/Südstadt (nach 1870) 

Ubierring (auch: Teuteburgerstraße) 
Chlodwigplat^ 

Karolinger King (auch: Meroivinger- und Kolandstraße) 

Sachsenring 

Salier King 

Barbarossaplat^ 

Hohenstaufen King (auch: Dassel- und Engelbertsraße) 

Habsburger King 

Kudoljplat^ 

Hohen^ollern King 

Kaiser- Wilhelm-King 

Hansaring (auch: Hamburger-, Lübecker-, Bremerstraße) 

Kulminationspunkt: Deutscher King (damals auch: Sedanstraße, Wörthstraße) 



Arbeitsanregungen: 

Recherchieren Sie im Internet die Bedeutung der neuzeitlichen Straßennamen 
(Tab.8) und vergleichen Sie diese mit den mittelalterlichen Straßenbenennungen 
(Tab. 5-7). Welche Unterschiede und welche Gemeinsamkeiten fallen Ihnen auf? 

Was könnten die Gründe für die unterschiedliche Art und Weise von 
Straßenbenennungen im Mittelalter und in der Neuzeit sein? 

Umbenennungen von Straßennamen während der NS- und in der Nachkriegszeit 

Alle diese Punkte lassen sich sehr gut am Beispiel der massiven Änderungen der 
Namen von Straßen, ja: ganzer Straßenzüge nach der nationalsozialistischen 
Machtergreifung von 1933 aufzeigen. Die neuen Machthaber versuchten, das Ge- 
dächtnis der Stadt von unliebsamen Mnemotopen und Erinnerungsinhalten sozu- 



160 



Arndt Kremer 



sagen zu „reinigen". Getilgt werden sollte vor allem die Erinnerung an die verhass- 
te Weimarer Republik und an sozialdemokratische, kommunistische, liberal-frei- 
denkerische und jüdische Persönlichkeiten. An die Stelle der alten Straßennamen 
traten nun die Namen der „Helden" des Dritten Reiches wie z.B. Horst Wessel 
oder Dietrich Eckart. 

Zu beobachten war zudem die Tendenz, das Kaiserreich nachträglich zu 
rehabilitieren, indem Straßen nach populären Generälen des Ersten Weltkrieges 
wie Hindenburg oder Ludendorff oder nach Repräsentanten der Hohenzollern- 
monarchie (Prin^-Heinrich-S traße) benannt wurden. Überhaupt ist eine Ideologi- 
sierung des Preußentums ein Hauptmotiv nationalsozialistischer Umbenennungs- 
praxis. So musste der Er^bergerplat^ 1933 wieder dem Königin-Euise-Plat^ weichen 
(wobei dieser zehn Jahr zuvor durch den Namen Er^bergerplat^ ersetzt worden 
war). Während der Zentrums-Politikers Matthias Erzberger, der 1918 die Kapi- 
tulation des Deutschen Reiches mit unterzeichnet hatte, von den Nationalsozia- 
listen als Novemberverbrecher diffamiert wurde, zollte man der geradezu ikonisch 
verehrten Gemahlin des Preußenkönigs Friedrich Wilhelms IV. Respekt für ihren 
Versuch, bei Napoleon mildere Friedensbedingungen für das geschlagene Preußen 
zu erreichen. Dass beide, der Politiker und die Königin, letztlich nur eine außer- 
halb ihrer Verantwortung liegende militärische Niederlage bestätigen konnten, tat 
da nichts zur Sache. 

Tabelle 9 14 



Straßenumbenennungen in Köln 1933-1958 (Auswahl) 



vor 1933 


1933-1945 


nach 1945 


Alte Wipperßirter Straße | 


| Braunauer Straße (1938) 


Alte Wipperfürter Straße 
(1945) 


Bebelplat^ 


Dietrich-Eckart-P lat^ 
(1933) 


Bebelplat^ (1945) 


Deutscher King (bis 
1922); dann als 
Teilstück: P/at% der 
Republik 


Adolf-Hitler-Plat^ (1933) 


E bertplat^ (19 50) 


Er%bergerplatzy 


Könlgln-Luise-Platz? (1 933) 


Er^bergerplat^ (1 945) 


Fran^ Hit^e-S traße 


Methfesselstraße (1939) 

1 


Fran^-Hit^e-S traße (1 945) 



14 Quelle: „Straßenumbenennungen in Köln von 1933-1939" (http://www.gbg-koeln.de/denk- 
mal/ns_zeit/str_33_39.htm). Diese von Schülerinnen und Schülern der Jahrgänge 9 und 11 
erarbeitete Internetseite des Georg-Büchner-Gymnasiums in Köln liefert in ansprechendem Layout 
gute Hintergrundinformationen zu vielen Straßennamen und den historischen Namensgebern. 
Bereits Oebel 2006, 575 f., führt ähnliche Tabellen an. 



Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



161 



Heinestraße 


Corrensstraße (1935) 


Heinestraße (1945) 


Hillerstraße 


Viktor-Schnit^ler-Straße 
(1933) 


Hillerstraße (1945) 


Innere Kanalstraße 
(Köln-Nippes) 


Ludendorffstraße (1938) 


-frz/z^ Kanalstraße (Köln- 
Nippes) (1945) 


Innere Kanalstraße 
(Köln-Ehrenfeld) 


Lis^tmannstraße (1938) 


Innere Kanalstraße (Köln- 
Ehrenfeld) (1945) 


'Lassallestraße 


Prin^-Heinrich-Straße 
(1933) 


Lassallestraße (1 945) 


Loreleystraße 


Ulrich-von-Hutten-Straße 
(1936) 


Loreleystraße (1 945) 


Luxemburger Glacis 


Hannes-Miebach-Straße 
(1939) 


Luxemburger Glacis 
(1945) 


Mendelssohnstraße 


L^is^tstraße [iyjD) 


Menaelssohnstraße (ly43j 


Ujfenbachstraße 


n rahmsstraße ( 1 y j j) 


brahmsstraße ( 1 v 4o) ; 
Umbenennung der 
Hannes-Miebach-Straße in 
Lindenthal in 
Offenbachstraße 1 Offenbach 
(1958) 


Rathenauplat^ 


Horst-Wessel-Plat^ (1933) 


Rathenauplat^ (1945) 


Thywissenstraße 


Wilhelm-Gustloff-Plat^ 
(1937) 


Thywissenstraße (1 945) 



Arbeitsanregungen: 



Finden Sie Gründe für die Um- und Rückbenennungen der Straßennamen und 
Plätze zu den angegebenen Zeiten (Tab. 9). Welche Persönlichkeiten verbergen 
sich hinter den Namen? Recherchieren Sie (im Internet, in Bibliotheken etc.). 

Nach dem Tod des Reichspräsidenten Friedrich Ebert am 2. März 1922 
konnten sich der Rat der Stadt Köln nicht darauf einigen, einen Platz nach 
dem verstorbenen höchsten Repräsentanten der Republik zu benennen. Erst 
im Jahr 1950 erhielt der Ebertplat^ seinen heutigen Namen. Welche Gründe 
kann es für die Weigerung des Rates gegeben haben? Recherchieren Sie dazu 
Hintergrundinformationen zur Person Friedrich Eberts und zur Weimarer 
Republik (politisches System, Gesellschaft, Wirtschaft etc.). 

Umbenennungen von Straßennamen nach der Wende 



162 



Arndt Kremer 



Der zweite einschneidende Wendepunkt der deutschen Geschichte nach dem 
Ende des Zweiten Weltkrieges, die friedliche Revolution und der Fall der Mauer 
von 1989, spiegelt sich auch in der Umbenennungspraxis von Straßennamen wider. 
Diese war oftmals von dem seinerseits nicht ideologiefreien Gedanken geleitet, die 
von kommunistisch-sozialistischen Ideologemen geprägte DDR-Erinnungskultur 
umzukodieren (Vgl. Kühn 2001; Azaryahu 1992). Die Denkmäler und Sprachbilder 
mit bestimmten, an den Kommunismus bzw. Sozialismus erinnernden Denotaten 
erhielten neue, unverfängliche oder eben anders verfängliche Namen. Die neue 
Sicht auf die Dinge veränderte das Gesicht der Stadt. 

Wiederum ließe sich das Thema für einen an historischen Fragen interessierten 
Sprach- und Landeskundeunterricht nutzen. Eingebettet in eine Unterrichtseinheit 
zur Wendezeit könnte der Lehrende den DaF-Lernenden zum Beispiel die im 
Internet weitläufig dokumentierten kontroversen Debatten zur entweder erfolgten 
oder nach Protesten verhinderten Umbenennung von Leninstraßen, Ernst-Thälmann- 
Straßen oder Karl-Marx-Plät^en in mehreren deutschen Städten präsentieren. 
Denkbar wäre auch ein schülereigener Arbeitsvortrag inklusive Erstellung einer 
Materialsammlung zur Geschichte der Um- und Rückbenennung einer ganzen 
Stadt: Chemnitz (bis 1953) — > Karl-Marx-Stadt (1953-1990) — > Chemnitz (nach einer 
Volksabstimmung vom 23. April 1990). 

Am Beispiel des folgenden, insgesamt sechs Mal umbenannten Boleslav-Bierut- 
P/at% in Magdeburg könnten die Lernenden wie an einem mnemischen Seismo- 
graphen die jeweils veränderten Präferenzen von gelenkter Erinnerungskultur 
ablesen: 



Tabelle 10 15 



Umbenennung am Beispiel des Bolestaw-Bierut-Plat^m Magdeburg 


Benennungszeitraum 


Straßenname 


1885-1918 


Kaiser- Wilhelm-Plat-^ 


1918-1922 


Friedensplat-^ 


1922-1933 


Staatsbürgerplat^ 


1933-1945 


Kaiser- Wilhelm-Plat^ 


1946-1951 


Deutscher P/at% 


1951-1989 


Boleslaw-Bierut-Plat^ 


seit 1989 


Universitd'tsp/at^ 



15 Die Daten sind Kühn 2001: 308 entnommen. 



Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



163 



Arbeitsanregungen: 

Zwischen 1885 und 1989 wechselte ein Platz in Magdeburg insgesamt neun 
Mal seinen Namen (Tab. 10). Recherchieren Sie im Internet zu den jeweiligen 
Daten: Was ereignete sich in Deutschland während der angegeben Zeiträume 
(politisches System, historische Wendepunkte, soziale Zäsuren etc.) 

Wer war Boleslaw Bierut? Warum wohl benannte die DDR-Regierung 
einen Platz nach seinem Namen und warum wurde dieser Platz nach der 
Wende dann wieder umbenannt? 



Fallbeispiele Straßennamen: Carl-Diem-Weg und Heinrich-Bö 'll-Plat^ 

Um Näheres über die Umbenennungs-Praxis von Straßennamen in der Nach- 
kriegszeit zu erfahren, wäre es möglich, sich zunächst didaktisch auf aussage- 
kräftige Fallbeispiele zu konzentrieren, die geeignet sind, die Brücke von der all- 
täglichen Wahrnehmung zur Vergangenheit zu schlagen — spiegeln sich in den sehr 
kontroversen Debatten um diese Hodonyme doch zeitbedingte, sehr unterschied- 
liche Auffassungen zum Erinnerungswert der bezeichneten Personen und Objekte 
wider. Hierzu können die Lernenden umfangreiche Dokumentationen im Internet 
als Arbeitsgrundlage nehmen. Die beiden folgenden Fallbeispiele sind bei Werner 
(2008) anschaulich und umfassend dokumentiert. Hier gilt es, die dort aufzu- 
findenden Ergebnisse noch einmal kurz zusammenzufassen und zu fragen, inwie- 
fern sich eine Thematisierung der Beispiele für den DaF-Unterricht nutzen ließe. 

a) Bsp.l: Carl-Diem-Weg 

Die heftigen Debatten um den Namen Carl-Diem-Weg währten in Köln fast drei 
Jahre lang, und zwar von Januar 1994 bis November 1996. 16 Zwischen den 
Fraktionen der Bezirks Vertretung Lindenthal kam es zum Streit um den 1962 nach 
Carl Diem (1882-1962) benannten Weg. Schließlich hatte der Gründer und 
ehemalige Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln im März 1945 auch vor 
einer Hitler-Jugend-Division zum „Opfertod für Vaterland und Führer" auf- 
gerufen. 17 An der in der Lokalpresse breit dokumentierten Kontroverse beteiligten 
sich Bürger in zahlreichen Eingaben und Leserbriefen, die politischen Fraktionen 
des Rates der Stadt Köln, das Vermessungs- und Katasteramt, die Deutsche 
Sporthochschule sowie das Historische Archiv der Stadt Köln. 

Man kam zu keiner abschließenden Entscheidung und ließ - nicht ganz 
untypisch für die Domstadt - alles beim Alten. Erst 2005 wurde die Debatte 
wiederbelebt. Die am vormaligen Carl-Diem-Weg in Köln gelegene Deutsche Sport- 
hochschule unterlag schließlich im Rechtsstreit gegen die 2008 erfolgte Umbe- 



16 Erwähnt ist der Namensstreit bei Werner 2008: 6f. 

17 „Kölner Stadt-Anzeiger" vom 27.10.1995, „Zum ,Opfertod für Hitler' aufgerufen - Monitor zu 
Carl Diem". 



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164 



Arndt Kremer 



nennung der Straße in Am Müngersdorfer Sportpark. Interessant ist auch, dass die 
öffentlichen Kontroversen um den in Würzburg geborenen Wahlkölner Carl Diem 
nicht auf Köln beschränkt blieben. Zuvor nach ihm benannte Straßen wurden 
auch in Mülheim an der Ruhr (1996), in Aachen (2007) sowie in Pulheim (2009) 
umgetauft. Grundschulen wie in Ritterhude, Hallen wie in Berlin-Steglitz oder in 
seiner Geburtstadt Würzburg erhielten ebenfalls andere Namen. 

Folgende Quellen ließen sich nutzen, entweder für den Unterricht selbst oder 
für Referate von Arbeitsgruppen, welche die verwickelte Geschichte dieses 
Straßennamensstreits eingehender dokumentieren könnten: 

Deutsche Sporthochschule Köln: Informationsmaterialien zur Diskussion um 
Carl Diem. (Pressematerialien zur Stellungnahme des Rektorats der Deutschen 
Sporthochschule Köln). Köln 1996. 

„Kölner Stadt-Anzeiger" vom 27 .10.1995: „Zum ,Opfertod für Hitler 5 
aufgerufen - Monitor zu Carl Diem" 

„Kölner Stadt- Anzeiger" vom 18.1.2002: „Grüne fordern neue Diskussion 
über Carl Diem" 18 

„Kölner Stadt- Anzeiger" vom 17.3.2005: „Erneute Diskussion um den Carl- 
Diem-Weg" 19 

„Kölner Stadt- Anzeiger" vom 16.12.2005: „Carl Diem ist nicht länger 
Namensgeber" 20 

„Kölner Stadt-Anzeiger" vom 21.8.2007: „Carl-Diem-Weg darf umbenannt 
werden" 21 

„Kölner Stadt-Anzeiger" vom 23.9.2009: „Carl-Diem-Straße wird 
umbenannt" 22 

b) Bsp. 2: Heinrich-Böll-Plat^ 

Die Kontroverse um die Verankerung des Namens des Kölner Literaturnobel- 
preisträgers Heinrich Boll (1917-1985) im Straßenbild seiner Heimatstadt sind 
besonders spannend, weil sie vor Augen führen kann, welche Ausmaße Diskus- 
sionen um Straßenumbenennungen annehmen können. 23 Nur zwei Tage nach dem 
Tod des Schriftstellers am 16. Juli 1985 schlug die Bürgermeisterin Gepa Maibaum 
vor, die damalige Hülchrather Straße im Kölner Agnesviertel, an der Boll lange gelebt 
und gewirkt hatte, in Heinrich-Bö '//-Straße umzubenennen. Die Idee stieß auf geteiltes 
Echo. Als Alternativen wurden vorgeschlagen, entweder den Keichenspergerplat^ oder 
den Appellhojplat^ mit dem Namen des großen Sohnes der Stadt zu ehren. Gegen 

18 http://w-ww.ksta.de/html/artikel/1011285777239.shtml. 

19 http://www.ksta.de/html/artikel/ 1 1 0924351 5314.shtml. 

20 http://www.ksta.de/html/artikel/1132657955723.shtml. 

21 http://www.ksta.de/html/artikel/n87683167324.shtml. 

22 http://www.ksta.de/html/artikel/1246883941983.shtml. 

23 Die Fakten zu diesem Namensstreit sind der sehr anschaulichen und gut lesbaren Studie von 
Werner entnommen: Werner 2008: 2-7. 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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beide Vorschläge, einmal in der Lokalpresse publiziert, erhob sich ein Sturm der 
Entrüstung. Die Gegner stritten sowohl gegen eine Tilgung des an den Appel- 
lationsgerichtsrates August Reichensperger (1808-1895) erinnernden Straßen- 
namens als auch gegen eine Umbenennung des Appellhojplat^es, der dem 1819 von 
den Preußen installierten „Rheinischen Appellationsgerichtshof" seinen Namen 
verdankte. Eine von 331 Anwälten unterschriebene Petition forderte, „daß der 
Appellhojplat^ nicht umbenannt wird, sondern als Erinnerung an die liberale 
Rechtsprechung bestehen bleibt." 24 Ausgerechnet der Name des „Preußen- 
Gegners" Boll, wie ein Schreiber im „Kölner Stadt- Anzeiger" kritisierte, 25 sollte die 
Erinnerung an eine Institution verdrängen, die mit rheinisch-französischer 
Liberalität ein Gegengewicht zur preußisch-rigiden Rechtsauffassung dargestellt 
hatte? 

Ein Kompromissvorschlag der „Kölnischen Rundschau", stattdessen den noch 
unbenannten Platz vor dem neuen Wallraf-Richartz-Museum/Museum Ludwig 
Heinrich-Bö ll-Plat^ zu nennen, hatte sich zunächst nicht durchsetzen können. Man 
monierte, dass diese Stelle nicht exponiert und prestigeträchtig genug für einen 
solch international renommierten Autor wie Boll sei. In der Sitzung der 
Bezirks Vertretung am 17.10.1985 erreichte der Antrag der SPD-Fraktion, den 
Appellhojplat^ in Heinrich-Böll-Platt( umzubenennen, zwar Stimmengleichheit, wurde 
aber dennoch abgelehnt. Erst die Ratssitzung am 28. Januar 1986 fand zu einem - 
wie es der „Kölner Stadt-Anzeiger" formulierte - „Ende einer Blamage". 26 
Einstimmig nahm der Rat in dieser Sitzung den Antrag an, den Platz vor dem 
neuen Museum am Dom nach dem Kölner Ehrenbürger zu benennen. 

Folgende Quellen sind relevant, wiederum entweder für den Unterricht selbst 
oder für eine Präsentation der Straßennamen-Benennungsgeschichte durch die 
Lernenden. Sie sind alle schon bei Werner (2008: 344f.) aufgeführt. Leider liegen 
die Quellen aus Mitte der 80er Jahre nicht online vor, müssten also bei den Zei- 
tungsverlagen bestellt, kopiert und ausgeteilt werden: 

„Kölner Express" vom 18.7.1985, „Heinrich-Böll-Straße fürs Agnesviertel!" 
„Kölner Stadt- Anzeiger" vom 13.9.1985, „Appellhofplatz wird Heinrich-Böll- 
Platz" 

„Kölner Stadt-Anzeiger" vom 17.9.1985, „Dem Preußen-Gegner ein Stück 
Preußen geopfert. Politiker zur Benennung des Appellhofplatzes nach 
Heinrich Böll" 

„Kölner Stadt-Anzeiger" vom 19.10.1985, „Lachen oder Weinen. Kein Platz 
für Böll" 



24 ZAS — Heinrich-Böll-Platz, Schreiben des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer Köln (Dr. 
Heidland) an den Oberstadtdirektor Kurt Rossa vom 15.10.1985. Zit. n. Werner 2008: 4. 

25 „Kölner Stadt-Anzeiger" vom 17.9.1985, „Dem Preußen-Gegner ein Stück Preußen geopfert. 
Politiker zur Benennung des Appellhofplatzes nach Heinrich Boll". Zit. n. Werner 2008: 2. 

26 „Kölner Stadt- Anzeiger" vom 29.1.1986, „Ende einer Blamage - Heinrich-Böll-Platz". Zit. n. 
Werner 2008: 6. 



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Arndt Kremer 



„Kölnische Rundschau" vom 20.9.1985, „Wäre ein Namenswechsel im Sinne 
Heinrich Bolls?" 

„Kölnische Rundschau" vom 20.9.1985, Heinrich-Böll-Platz" - Es gibt viele 
Möglichkeiten" 

„Kölnische Rundschau" vom 20.9.1985, „Museumsplatz für Boll: Nur einer 
legt sich quer" 

„Kölner Stadt- Anzeiger" vom 20.9.1985, „Reichensperger bleibt als Zeuge" 
„Kölner-Stadt- Anzeiger" vom 9.10.1985, Leserbriefe 

„Kölner Stadt- Anzeiger" vom 29.1.1986, „Ende einer Blamage - Heinrich- 
Böll-Platz" 

Arb eits anr egungen : 

Carl Diem war ein verdienstvoller Funktionär in der Domstadt, Heinrich Boll 
ein international geehrter Kölner Autor. Warum kam es bei diesen Straßen- 
umbenennungen dann überhaupt zu solch kontroversen Debatten? 

Schreiben Sie einen Kommentar in einer Zeitung zur Umbenennung des 
Carl-Diem-Weges, in dem Sie entweder für oder gegen die Umbenennung 
Stellung beziehen. 

Bilden Sie eine Diskussionsrunde zum Thema „Namensstreit um einen 
,Nazi?", an dem sich folgende Personen beteiligen: Ein Vertreter der Kölner 
Sporthochschule, ein Journalist des „Express", die Bürgermeisterin, ein 
früheres Mitglied der Hitler-Jugend, Anwohner des Carl-Diem-Weges, die Enke- 
lin eines Opfers des Nationalsozialismus, ein Namensforscher etc.. 

Fallbeispiel (Fußball-) Stadionsnamen: Signal Iduna Park statt Westfalenstadion 

Marion Werner hat am Beispiel der Kölner Toyota-Allee einen Paradigmenwechsel 
von Straßenbenennungen von einer kulturellen Motivation hin zu einer Kommer- 
zialisierung nachgezeichnet — ein Phänomen, das die Semiotik vieler deutscher Städte 
zunehmend prägt (Werner 2008: 6 1-64). 1994 hatte die Firma „Toyota" einen Antrag 
an die CDU-Bezirksvertretung Lindenthal und an den damaligen Oberstadtdirektor 
gestellt, einen Straßennamen mit dem Namen der Firma zu erhalten. Das Kölner 
Zentrale Archiv für Straßenbenennungen (ZAS) lehnte diesen Antrag entschieden 
ab. Es schien, das Amt wollte verhindern, dass rein ökonomische Kräfte ihren Platz 
in der Symbolwelt des kulturellen Gedächtnisses reklamierten. 

Zwar gab es bereits Straßen, deren Namen an Wirtschaftsunternehmen erin- 
nerten, doch hatte man damit in erster Linie die Gründerväter der entsprechenden 
Unternehmen ehren wollen: Die Siemensstraßen in Neuehrenfeld und Porz sollten 
eben an Werner von Siemens (1816-1892), die Daimlerstraßen in Lövenich und 
Bickendorf an Gottlieb Daimler (1834-1900) erinnern. Diese Namen bedeutender 
deutscher Unternehmensväter sind im kulturellen Gedächtnis verankert. Wer aber 
kannte in Köln den Japaner Kiichiro Toyoda (1894-1952), der 1937 das 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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gleichnamige Unternehmen gegründet hatte, das man im deutschen Sprachraum 
mit zwei „t" schreibt? Trotz einiger Proteste wurde dem Antrag der Firma Toyota 
1994 zugestimmt und dann 1999 endgültig entsprochen, die Straße, an der das 
Unternehmen seinen Standort hat, in Toyota-Allee umzubenennen. Werner konsta- 
tiert: „Von diesem Zeitpunkt an war Wirtschaftsförderung als Benennungsgrund 
legalisiert." (Werner 2008: 63). Der Paradigmenwechsel einer rein ökonomisch 
motivierten „Vertreibung der Kultur aus der Sprache" (Ehlich 2006: 50) ist mittler- 
weile zur Normalität geworden: Heutzutage scheint es in vielen deutschen Städten 
beinahe opportun, Straßen oder andere städtische Signifikate nach ansässigen Fir- 
men zu Werbezwecken zu benennen. 

Die Analysen, welche die enge Verzahnung von Name und Identität und deren 
Gefährdungen belegen, müssen weder auf Köln noch auf Straßennamen 
beschränkt bleiben. Ein ebenso diskussionswürdiges Thema ist die seit Jahren zu 
beobachtende Tendenz, bestimmte Plätze der Begegnung und Erinnerung nach 
kommerziellen Gesichtspunkten umzubenennen. Ein besonders plastisches 
Beispiel für diese Praxis, Mnemotope durch „Kommerztope" zu ersetzen, bilden 
Fußballstadien. Bering hat, unter anderem anhand zahlreicher Leserbriefe und 
Artikel in Zeitungen, dokumentiert, welche Auswirkungen die Umbenennung von 
Fußball- und allgemeiner: Sportstadien nach Wirtschaftsunternehmen oder Wirt- 
schaftsprodukten auf die Identitätsversicherung der Fans haben kann. 27 Früher traf 
man sich im Bielefelder Almstadion oder im Bochumer Ruhrstadion, mittlerweile 
spielt man in der Schüco Arena oder im rewirpowerSTADlON. Das Hamburger 
Volksparkstadion wurde bereits so oft umbenannt, dass viele Fans den Überblick 
verloren haben und trotzig dem ihnen vertrauten Namen treu bleiben. Bis 3. Juli 
2007 hieß das Stadion offiziell AOL Arena und bis einschließlich 30. Juni 2010 
HSH Nordbank Arena. Zwischendurch erhielt es zur Fußball- Weltmeisterschaft den 
Namen FIFA WM-Stadion Hamburg, während die offizielle Bezeichnung zu den 
Europapokal-Spielen Hamburg Arena lautet.81 Jahre trafen sich die Kölner im 
Müngersdorfer Stadion, bis auch dieser Traditionsname 2004 fiel und durch Rhein- 
EnergieS tadion ersetzt wurde — ein Name, der schon durch seine eigenwillige 
Schreibweise (ein Quasi-Kompositum durch fehlende Leerstellen zwischen den 
Substantiven) Aufmerksamkeit erheischt. Den Anhängern von Borussia Dortmund 
wurde gar der seit 1974 vertraute Name des Westfalenstadions entrissen und 2005 
durch den Signal Iduna Park ersetzt. „Signal Iduna Park, niemals" hatte noch ein 
wütender Schreiber in einem „Einwurf" in der „FAZ" am 14. Oktober 2005 stand- 
haft verkündet und dabei offenbart, dass Namen durchaus nichts Profanes sind: 
„Namen sind nicht Schall und Rauch. Und der BVB gehört ins Westfalen-Stadion. 



27 Bering 2007, v.a.461-464. Bei ihm findet sich nicht nur eine der ersten systematischen Auf- 
arbeitungen dieses Themas, sondern auch eine tabellarische Einordnung der Namensumbenen- 
nungen von vierzig Stadien unter Nennung der jeweiligen Fußballvereine. Seine Tabelle eignet sich 
sehr gut als Grundlage für die Erstellung einer Materialsammlung für den DaF-Unterricht: Bering 
2007: 438-441. 



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Arndt Kremer 



Der Name des Fußball-Tempels ist heilig. So etwas verkauft man nicht - und 
wenn doch, dann ist Signal Iduna Park die Höchststrafe." 28 

Zwei Monate später war die Namensbenennung unter Dach und Fach. 
Geschätzte 20 Millionen Euro, welche Borussia Dortmund von der Signal Iduna 
Gruppe bis 2016 erhält, waren letztlich doch überzeugender als mögliche Gefähr- 
dungen des kulturellen Gedächtnisses mittels rein kommerzgesteuerter Namens- 
umbenennungen. Nach zahlreichen Protesten der Fans beschloss die Dortmunder 
Bezirksvertretung Innenstadt- West Anfang 2006 als eine Art Versöhnungsakt, 
zumindest eine Straße in Stadionnähe Am Westfalenstadion zu nennen. Der Verein 
versuchte zwar zu intervenieren, weil er darin eine Spitze gegen den so wichtigen 
Sponsor sah, doch ging die Namensbenennung letztlich durch. 

Bering hat den Prozess der Kommerzialisierung von Stadiennamen an den 
Beispielen Bochum (Ruhrstadion — > rewirpowerSTADION) und Nürnberg {Franken- 
stadion — > easyCredit-Stadion) analysiert. Die bei ihm dokumentierten Artikel in der 
Lokalpresse bieten ausdrucksstarke Wortmeldungen von Seiten der Fangruppen 
und journalistische Kommentare, welche den hohen Identitätsgrad des vertrauten 
Stadionsnamens offen legen (Bering 2007: 449-458). Für den Namensstreit um das 
Westfalenstadion in Dortmund sind — als kleine Auswahl aus einer Vielzahl von 
Artikeln — folgende, sämtlich im Internet einsehbare Quellen interessant: 

„FAZ" vom 14.10.2005: „Signal Iduna Park, niemals. Ein Einwurf von Ralf 
Witzler" 

„FAZ" vom 6.9.2006: „Neue Stadiennamen , schwer durchsetzbar"' 29 

„FAZ" vom 1.7.2008: „Kommerzialisierung der Namenwelt. Gute Stimmung 

in der Aldi-Südkurve" 30 

Arb eits anr egungen : 

Dokumentieren Sie die Geschichte der Umbenennung des Dortmunder 
Westfalenstadions in Signal Iduna Park. 

Welche Argumente Pro und Kontra werden in den Artikeln angeführt? 
Kommen Sie zu einer eigenen Stellungnahme. 

Stellen Sie sich vor, das Thema wird im WDR in einer Talkshow diskutiert. 
Bilden Sie dazu eine Diskussionsrunde. Wählen Sie verschiedene Diskussions- 
teilnehmer aus, die über das Thema diskutieren, z.B. Vertreter des Unter- 
nehmens Signal Iduna Group, des Fußballvereins Borussia Dortmund (Mann- 
schaft, Trainerstab etc.), der Fangruppe, kommunale Politiker, ein Journalist. 



28 „FAZ" vom 14. Oktober 2004: „Signal Iduna Park, niemals. Ein Einwurf von Ralf Witzler", 
http:/ / www.faz.net/ -00n26p. 

29 http://www.faz.net/-00qd5y. 

30 http://www.faz.net/-00tfpb. 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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4.5.3. Interkulturelle Vergleiche: Beispiel Valletta in Malta 

Abschließen will ich meinen Beitrag mit der Anregung, die Praxis von 
Straßenbenennungen in verschiedenen Ländern miteinander zu vergleichen. 
Natürlich würde auch die kontrastive Betrachtung von Straßennamen mehrerer 
deutscher Städte interessante Fragen evozieren, etwa die, warum es in so gut wie 
jeder deutschen Großstadt eine Beethovenstraße gibt, aber nicht überall eine 
Mendelssohnstraße, oder warum Düsseldorf 18,12 % seiner Straßen mit Bezügen zu 
Kunst und Kultur benannt hat, während die selbst ernannte Kulturstadt (und 
gescheiterte europäische Kulturhauptstadt-Kandidatin) Köln in der Kemstadt auf 
gerade einmal 1,2 % solcher Straßennamen mit künstlerisch-kulturellen Denotaten 
kommt. 

Für den interkulturell orientierten Landeskundeunterricht würde ein solch 
innerdeutscher Vergleich indes weniger effektiv sein. Hier gilt es, Kulturpraxis und 
Sprache von Ausgangs- und Zielkultur wechselseitig zu betrachten, und zwar unter 
Einbeziehung historischer Prozesse. Idealiter resultiert daraus eine Zunahme inter- 
kultureller Kompetenz, denn: „Ein tiefer gehendes Verständnis in Bezug auf die 
Entwicklung eines konkreten zielkulturellen Systems wird dann erreicht, wenn als 
kulturspezifisch erkannte Merkmale in ihren historischen Entwicklungszusammen- 
hängen erklärt werden." (Bolten 2007: 96). Cultural Studies sowie interkulturelle 
Lernkonzepte im Landeskunde- wie im Sprachunterricht zielen darauf, sich mit 
mindestens zwei Kultur-Perspektiven reflektiv-kritisch auseinanderzusetzen. 
Krumm konstatiert: „Fremdsprachenunterricht muss prinzipiell interkulturell sein, 
insofern als sein Thema die Begegnung (die Konfrontation) mit einer anderen 
Sprache und Kultur ist." (Krumm 2003: 139). Und selbst für den reinen For- 
schungsbereich fordert Bering eine möglichst breite komparatistische Skala in der 
Straßennamenforschung: „Städte aus gleichem Raum und mit sehr ähnlicher 
(Sozial-) Geschichte müssten gegen solche gestellt werden, die ganz andere 
Lebensvoraussetzungen hatten." (Bering 2002: 212). Wo also gibt es Schnitt- 
punkte, wo Differenzen? Es liegt natürlich nahe, dass die Lernergruppen Straßen- 
namen aus den Städten bzw. Ländern wählen, die einer Mehrzahl der Lernenden 
vertraut sind. Es wäre darüber hinaus anzuraten, auch auf konfessionelle Bezüge 
der Lernenden Rücksicht zu nehmen und etwa im Falle einer Lernergruppe aus 
hauptsächlich islamischen Ländern eine Stadt auszuwählen, welche die religiösen 
Bezüge in ihrer Straßennamen-Praxis abbildet (und diese, dann oft, wie zum 
Beispiel im Falle der verfassungsmäßig laizistischen Türkei, nicht-religiösen 
Denotaten gegenüberstellt). 

Die beiden letztgenannten Punkte werden die Straßennamen-Praxis im kleinsten 
und per Verfassung christlich-katholischen EU-Land Malta (410.000 Einwohner, 316 
km 2 , Malteser zu 95 Prozent römisch-katholisch) nicht betreffen. Malta wähle ich 
dennoch aus, und zwar einmal aus ganz persönlichen Gründen, da ich am 
Department of German Studies an der dortigen Universität seit Anfang 2009 erster 
DAAD-Lektor bin und dabei auch mitgewirkt habe, einen MA-Studiengang zu 



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Arndt Kremer 



gründen, der Elemente der Landeskunde, interkultureller Studien, aber auch der 
Pragma- und Soziolinguistik mit einschließt. Eine kulturell orientierte und kreativ 
arbeitende Fremdsprachendidaktik DaF ist hier besonders vonnöten, da Malta seine 
Bezugspunkte immer noch sehr stark am Nachbarn Italien und der ehemaligen 
Kolonialmacht Großbritannien ausrichtet. Deutschland ist dagegen vielen nach wie 
vor ein recht leerer Begriff, allenfalls angereichert durch semantisch eher dürftig 
konnotierte Stereotypen. 31 Malta eignet sich darüber hinaus für eine kontrastive 
Analysen zu Köln, weil es in seiner alten Geschichte ähnlich wie die Domstadt seine 
christlichen, hier aber ausschließlich katholischen Identitätsbezüge in Straßennamen 
einschreibt — und dies meist im harmonischen Nebeneinander zu Straßennamen mit 
rein nationalen bzw. politisch-weltlichen Denotaten. 

Schauen wir uns dazu einmal die Straßennamen in der Hauptstadt Valletta an, 
der kleinsten Hauptstadt Europas (ca. 6.100 Einwohner bei einer Fläche von 
0.8 km 2 ), die von dem französischen Großmeister des Malteserordens, Jean Parisot 
de la Valette (1494-1568), im Jahr 1565 unmittelbar nach dem erfolgreich ab- 
gewehrten Angriff des Osmanischen Reiches auf Malta nach strategischen 
Gesichtspunkten angelegt wurde. 32 




THtölS A HISTORICAL 1 
STREET NAME SIGN 



Abb. 4: „Historischer Straßenname" in Malta, Englisch und Maltesisch 
Photo: Arndt Kremer. 



31 Gleichwohl Malta lange zurückreichende kulturelle und politische Bezüge zu Deutschland aufweist: 
Der erste systematische Versuch, das Maltesische aus dem Punischen abzuleiten, unternahm 1718 der 
Deutsche Heinrich Johannes Maius; der letzte Großmeister des Malteserordens, Ferdinand von 
Hompesch, war ebenfalls Deutscher. Die deutsch-maltesischen Kontakte spiegeln sich dann auch 
vereinzelt in den Straßennamen wider. So findet sich im maltesischen St. Julians neben einer Triq 
Hans Stumme (benannt nach dem Orientalisten Hans Stumme, 1864-1936) auch eine Triq Albert Mayr 
(nach dem gleichnamigen Archäologen, der zu den maltesischen Tempelanlagen in Hagar Qim 
forschte). In Naxxar stößt man auf eine Triq Hieronimus Megiser, die an den Polyhistoriker und 
Sprachgelehrten Hieronimus Megiser (1554-1618/19) erinnert, der in seinen Werken „Polyglottus 
Thesaurus" und „Propugnaculum Europae" 1606 als einer der ersten maltesische Wörter sammelte 
und ins Deutsche übertrug. (Die Hinweise zu diesen Straßennamen verdanke ich meinem Kollegen 
Dr. Albert Friggieri). 

32 Ein Straßenplan Vallettas findet sich z.B. unter: http://mappery.com/maps/Valletta-Tourist- 
Map.jpg. 



Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



171 



Es fällt auf, dass Vallettas Straßennamen nach einem Raster konzipiert wurden, das 
von einer mnemotopischen Planmäßigkeit geleitet zu sein scheint. Die Haupt- 
straßen, die weitgehend durchgängig vom Haupteingangstor zur Meerseite führen, 
tragen mit zwei Ausnahmen sämtlich Namen, die keine kirchlichen oder 
christlichen Denotate aufweisen: Kepublic Street (Maltesisch: Triq ir-Repubblikd); 
Merchant Street (Triq il-Merkanti); Old Bakery Street (Triq il-Fran), Strait Street (Triq Id 
Dejqa), Old Mint Street (Triq Zekka). Diese Straßennamen erinnern also erstens an 
die Unabhängigkeit Maltas von Großbritannien 1964 bzw. die Erklärung zur 
Republik 1974 (Kepublic Street), zweitens an die bis zu den Phöniziern zurück- 
reichende Handelsgeschichte Maltas (Merchant Street) und drittens, ganz im Sinne 
der Analysen Glasners, an eine früher vorherrschende Tendenz zur Abbildung der 
städtischen Gegebenheiten durch Straßenbezeichnungen nach dort ehemals 
dominierenden Berufen (Bäcker: Old Bakery Street). Die angesprochenen Aus- 
nahmen bilden die St. Ursula Street (Triq Sant' Orsld) und die St. Paul Street (Triq San 
Paipl), wobei sich die Platzierung der letzteren leicht durch das erwähnte Prinzip 
der Gleichwertigkeit von Signifikat und Signifikant erklären lässt, d. h. die 
Bedeutsamkeit des Namensträgers muss mit der — auch topologischen — Bedeutung 
des Straßennamens innerhalb der Stadt in etwa korrespondieren: Da Paulus als dem 
Schutzpatron Maltas ein exzeptionell hoher Symbolwert für die kollektive wie 
individuelle Identität der Malteser zukommt, wäre es insofern kaum vorstellbar 
gewesen, ihm in der Hauptstadt der Republik ein nicht ganz zentral gelegenes 
Bezeichnungsobjekt, also etwa eine Seitenstraße, zuzuweisen. 

Diese vier Hauptstraßen mit von politischen, ökonomischen, christlichen bzw. 
beruflichen Denotaten gekennzeichneten Hodonymen werden nun aber gekreuzt 
von einer ganzen Reihe von Seitenstraßen mit Heiligennamen (Hageonymen) oder 
zumindest kirchlich-christlichen, das heißt im Falle Maltas ausschließlich katho- 
lischen Denotaten: St. John 's Street (Triq San Gwann); St. "Lucia Street (Triq Santa 
Lucia); Archbishop Street (Triq L'Arcisqoj); St. Christopher Street (Triq San Kristoferu); St. 
Dominic Street (Triq San Duminikü) etc. Die Seitenstraßen führen in gerader Linie auf 
die Hauptstraßen zu, die auf dem Weg zur Seeseite wiederum zu großen Plätzen 
leiten, die an die Geschichte des Malteserordens erinnern: Great Siege Square (erin- 
nernd an die erfolgreiche Verteidigung Maltas gegen den Angriff der Osmanen 
1565) und Palace Square (an dem der Palast der ehemaligen Großmeister des 
Malteserordens steht, welcher heute zugleich Museum wie Präsidentenpalast ist). 

Die Deutung liegt nahe, dass die Straßenbenennungs-Praxis in der Hauptstadt 
zeigen soll: Hier handelt es sich zwar um eine Republik mit ganz profanen 
politischen und ökonomischen Interessen, aber um einen Staat, der sozusagen sakral 
umrahmt ist, auch weil seine christlich-katholische Vergangenheit und Identität einen 
ganz wesentlichen Teil des kulturellen Gedächtnisses seiner Bürger bildet. Vallettas 
Gründervater, der Großmeister de la Valette, benötigt keine Straße mit seinem 
Namen - er ist im Namen selbst präsent, ist also dem kommunikativen und 
kollektiven Gedächtnis als Stadtname selbst unauslöschbar eingeschrieben. 



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Arndt Kremer 



Die Abgrenzungsbewegung des katholischen Malta vom anglikanischen Groß- 
britannien ist anhand einzelner Hodonyme besonders augenfällig abzulesen. Zwar 
übernahm Malta nach der Unabhängigkeit von der Krone 1964, die indes bis heute 
keinesfalls zu einem Austritt aus dem Commonwealth geführt hat, zunächst die 
meisten der britischen Straßennamen — dass jedoch ausgerechnet der Queensway in 
Pope Pius V Street (Triq Papa Piju V) umbenannt wurde, ist ein an Deutlichkeit 
kaum noch zu überbietendes Statement. Gleiches gilt für die Namensänderung der 
Britannia Street in Melita Street (Triq Melitd), die an den alten, vielleicht ursprünglich 
phönizischen Namen Maltas erinnert. Anhand einer einzelnen Straße wie der 
heutigen Republic Street ließe sich zudem die moderne Geschichte Maltas im Kurz- 
durchlauf ersehen. Die Franzosen, auch in Köln verantwortlich für eine durch- 
gängige Straßennummerierung („4711") und eine ideologischere Straßenbenen- 
nungspraxis, gaben während ihrer kurzen Herrschaft über Malta unter Napoleon von 
1798 bis 1800 der Hauptstraße den Namen Rae Nationale. Nach dem Abzug der 
französischen Truppen nannten die Briten die Straße in Kingsway um, der allerdings 
oft unter dem italienischen bzw. maltesischen Namen Strada Reale/ Strada R/ali 
firmierte (Italienisch war bis 1933 Amtssprache Maltas). Nach der Trennung Maltas 
von der britischen Krone erhielt die zentrale Straßenader Vallettas dann ihren 
heutigen Namen. 33 Ahnliche frankophone Umbenennungen fanden nach der 
französischen Besetzung von 1794 auch in Köln statt, wie sich an der wechselhaften 
Namensgeschichte der zentralen Plätze leicht erkennen lässt, die entweder eine völlig 
neue Bedeutung erhielten wie Neumarkt — > place des victoires oder aber mit franzö- 
sischen Namen versehen wurden, die eine reine Bedeutungsübertragung aus dem 
Deutschen darstellen, so wie Freybeitsplat^ — > place de la liberte (vgl. Kramer 1993: 233). 

Zu fragen wäre nun beispielsweise: Gibt es ähnliche Cluster in deutschen, vor 
allem katholisch geprägten Städten, z.B. in Köln oder München? In Valletta sind 
ca. 25 % aller Straßennamen Hageonyme oder Namen mit kirchlichen bzw. reli- 
giösen Bezügen. In Köln waren es 1997 immerhin noch 13 % religiöse Bezüge 
(Werner 2008: 283, Diagramm 37), zwar nicht ausschließlich katholischer Prove- 
nienz wie in Valletta, aber doch hauptsächlich. Vergleicht man die Straßennamen- 
praxis in Valletta und Köln, so ließen sich schon auf den ersten Blick Parallelen in 
der topografischen Orientierungsfunktion nach Clustern von Heiligen-, bzw. 
Kirchennamen erkennen. Die St Dominic Street in Valletta führt eben zur Domini- 
kanerkirche, während die Kölner Cäcilienstraße zur Klosterkirche der Heiligen Cäcilie 
leitet. Dennoch lässt sich in Köln, z.B. in der Innenstadt, eine solch stringente 
Clusterisierung von Hauptstraßen, benannt nach weltlich-politischen Bezügen und 
darauf zuführenden Seitenstraßen mit kirchlich-religiösen Bezügen, nicht erkennen. 
Das mag daran liegen, dass die nationalpolitische Selbstvergewisserung der Republik 
Malta erst vor gerade einmal 40 Jahren wirklich konkrete Züge angenommen hat. 34 



33 Vgl. hierfür und generell als Fundgrube für die Recherche zu maltesischen Straßennamen: 
http://cilialacorte.com/Valletta%20Street%20Names.htm. 

34 Natürlich zeigt sich auch in Malta das „mnemische Potential" von Straßennamen bzw. der 
Benennungen öffentlicher Plätze besonders dann, wenn Umbenennungen anstehen — z.B. aufgrund 



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Namen schildern: Straßennamen und andere Namensfelder im DaF-Unterricht 



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5 Fazit 

Straßennamen verbinden Alltagserfahrungen mit tiefer gehenden kultur- und 
mentalitätsgeschichtlichen Erkenntnissen und Gedächtnisinhalten. In der kon- 
trastiven-internationalen Analyse lassen sich anhand von Hodonymen Parallelen 
und Differenzen in den Erinnerungsrepräsentationen verschiedener Gesellschaften 
und Nationen aufzeigen. All dies prädestiniert das Thema geradezu für einen 
handlungsbezogenen Sprach- und Kulturunterricht, der bestrebt ist, interkulturelle 
Kompetenzen zu fördern. Die Unterrichtsdiskussion sollte auf der Grundlage ver- 
schiedener Quellen geführt werden. Für die Quellenarbeit bieten sich in erster 
Linie Alltagsquellen wie Zeitungstexte inklusive Leserbriefen an, aber auch Archiv- 
materialien aus Zentralarchiven zur Straßennamenvergabe sowie Grund- und 
Adressbücher. Da viele Quellen im Internet zugänglich sind, können die Lernen- 
den zur Eigenrecherche motiviert werden. 

Die Einsatzmöglichkeiten von Straßennamen, aber auch von anderen 
Namensfeldern wie Objektnamen im DaF-Unterricht sind so vielfältig, dass hier 
nur einzelne Aspekte angesprochen werden konnten. Es wäre an der Zeit, dem 
Thema noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen, z.B. durch die Erstellung einer 
kontrastiv ausgerichteten Materialsammlung von Quellen, welche die speziellen 
Erfordernisse des Fremdsprachen- und Landeskundeunterrichts berücksichtigt. 

Literatur 

Assmann, Jan (1992): Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität 
in frühen Hochkulturen. München: Beck. 

Assmann, Jan; Hölscher, Tonio (Hrsg.) (1988): Kultur und Gedächtnis. 
Frankfurt/Main: Suhrkamp. 

Azaryahu, Maoz (1992): Die Umbenennung der Vergangenheit, oder: Die Politik 
der symbolischen Architextur der Stadt Ost-Berlin 1990-91. In: Zeitschrift für 
Volkskunde 88 (1992), 16-29. 



veränderter sozialer und politischer Präferenzen im Hinblick auf Erinnerungszeichen und -inhalte. 
Ein gutes Beispiel jüngeren Datums ist die Diskussion um die Umbenennung des Gaddafi Gardens 
(Gnien Gaddafi) im maltesischen Städtchen Paola. Was über Jahrzehnte niemanden wirklich 
interessierte, wurde nach dem brutalen Vorgehen Gaddafis gegen Oppositionelle während der 
Protestbewegungen und Kämpfe in Libyen im Sommer und Herbst 2011 Gegenstand längerer 
Kontroversen, nachzulesen u. a. in Zeitungsartikeln und Gnline-Kommentaren: Vgl. die Online- 
Kommentare zum Artikel „Gaddafi honours can only be removed by parliamentary resolution", 
timesofmalta.com, 8.3.2011 http://www.timesofmalta.com/articles/view/20110826/local/parlia- 
mentary-secretary-proposes-renaming-of-gaddafi-gardens. 381938). Vgl. den Kommentar zu dem 
Artikel "Libya no-fly zone would require bombing raids", timesofmalta.com, 1.3.2011 
(http:/ / daphnecaruanagalizia.com/201 1/03/01 /guess-whats-going-to-happen-if-somebody-dares- 
mention-maltas-airfield/), Eintrag vom 2. März 2011: „Oh, and we need to change Gnien Gaddafi's 
name. Imagine if we had a Gnien Mussolini during World War II." 



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Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 

Joachim Sistig 



Einleitung: Unterrichtsthema „Erster Weltkrieg" 

Fremdsprachenunterricht soll über sprachliche und landeskundliche Zielsetzungen 
hinaus immer auch einen interkulturellen Anspruch erfüllen. Kommunikations- 
kompetenz und Kulturwissen sollten niemals bloß Selbstzweck sein, solange nicht 
auch Fragen der Identitätsstiftung und historischen Verortung in Relation zu ande- 
ren Kulturräumen - besonders zum Herkunftshorizont des jeweiligen Lerners - 
gestellt werden. Pierre Noras Arbeiten zu den unterschiedlichen Erscheinungs- 
formen der „lieux de memoire"' haben gezeigt, dass Gedächtnisorte zum Ersten 
Weltkrieg in Frankreich einen anderen, vor allem differenzierteren Stellenwert be- 
setzen als in Deutschland: Neben den offiziell sanktionierten staatlichen Erinne- 
rungsritualen mit Sarkozy und Merkel am 11. November auf den Champs-Elysees 
lässt sich durchaus auch ein Geschichtsbewusstsein „von unten" gegenüber der 
„Grande Guerre" beobachten, die im Bereich der Populärmedien z.B. durch die 
eindrucksvollen bandes-desstnees-Beitt'ige von Tardi einen unpatriotischen, antiauto- 
ritären, pazifistischen Kontrapunkt setzen. Deutschland scheint dem Ersten 
Weltkrieg gegenüber „geschichtsvergessen". Kaum ein Erinnerungsort, kaum ein 



1 Noras „Erinnerungsorte" (Nora 1984, 1986 und 1992) sind ein epochales Grundwerk, das die 
französische Geschichtsschreibung als Erinnerungsforschung definiert, die sowohl einschneidende 
historische Ereignisse (Charlemagne) als auch Phänomene der Alltagskultur (Tour de France) gleich- 
berechtigt betrachtet. „Lieux de memoire" sind dabei nicht allein geografisch zu verstehen, sondern 
schließen auch Institutionen, Personen, Veranstaltungen u.a. ein, die Teil der kollektiven franzö- 
sischen „Gedächtniskultur" sind. In der Folge sind auch in anderen Ländern ähnlich angelegte Werke 
publiziert worden - in Deutschland: Francois; Schulze 2001, oder in Italien: Isnenghi 1996/1997. 



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178 



Joachim Sistig 



Ritual, kaum mehr eine Filmkulisse erinnern an diesen epochalen, mörderischen 
Konflikt, der im Kontext einer Jahrzehnte lang stilisierten „Erbfeindschaft" vor 
allem ein deutsch-französischer Krieg war. Ernst Jünger und Erich Maria 
Remarque fristen im deutschen Literaturbetrieb eher ein Schattendasein. A la limite 
widmet ARTE hin und wieder einen Themenabend der Grande guerre inklusive 
einer der Verfilmungen von „Im Westen nichts Neues" von Lewis Milestone (1930) 
oder Delbert Mann (1979). 



Landeskunde 

Auch wenn der Erste Weltkrieg heute in Deutschland verdrängt scheint, hat er 
doch die Geschichte des Landes geprägt und seine Spuren hinterlassen: eine erste 
deutsche Revolution, die Einsetzung der parlamentarischen Demokratie, die poli- 
tische Verankerung der Frauenrechte, die politische und wirtschaftliche Krise als 
Nährboden des aufkeimenden Nationalsozialismus usw. Um Deutschland zu ver- 
stehen, muss der Fremdsprachenlerner, der sich im DaF-Unterricht mit der deut- 
schen Sprache und Kultur beschäftigt, notwendig auch dieses Geschichtskapitel 
studieren. Die zeitgenössischen Quellen und Kommentare sind nicht immer für 
den Fremdsprachenunterricht geeignet, da sie oft Faktenwissen voraussetzen, in 
einem aus heutiger Sicht altertümelnden Deutsch formuliert wurden und der 
Lebensrealität jugendlicher Lerner von heute auf antiquierte Weise entrückt 
erscheinen. Eine Unterrichtsreihe für eine DaF-Sequenz zum Thema „Erster Welt- 
krieg" sollte daher auf einem gemischten Dossier aus unterschiedlichen Text- und 
Materialsorten basieren. 



Sprachvermittlung: Sprechanlässe, Sprachregister, Wortschatz, Grammatik 

Im vorliegenden Beitrag soll den populärliterarischen Textgattungen das Haupt- 
augenmerk gelten: Karikaturen und Bildgeschichten in Verbindung mit Fotos, 
Denkmal-Abbildungen und Liedern versprechen einen besonderen motivationalen 
Impuls. Der ironische Blick der Karikatur entlarvt den albernen bzw. tragischen 
Ernst der patriotischen Selbst- oder Fremdstilisierung. Die Semantik der Bilddar- 
stellung ist offener als die geschichtliche Textdarstellung und regt eher zum spon- 
tanen Gedankenaustausch über ikonografische Details an. Im Sinne eines pretexte ä 
la production orale sind bildliche Darstellungen ideale Stimuli für die Produktion von 
Sprechakten. Dekodierungsstrategien werden trainiert, die anschließend durch ei- 
nen entsprechenden Aufgabenapparat begleitet in eine mündliche oder schriftliche 
Textproduktion münden sollen. Die Bildbeschreibung sollte von dem offenbaren 
oder versteckten Bildgegenstand, der Inszenierung des Dargestellten mit Vorder- 
und Hintergrund sowie den sichtbaren oder auch abwesenden Hauptakteuren 
innerhalb der Vignette ausgehen. Eventuell lässt sich ein Vorlauf der Handlung 
bzw. eine Konsequenz der Aktion entwerfen. Es stellt sich weiterhin die Frage 
nach der intendierten Reaktion des Betrachters bzw. überhaupt nach dem inten- 



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Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



179 



dierten Publikum, woraus Rückschlüsse über die politische Haltung des Zeichners 
selbst gewonnen werden können. Textteile — besonders Sprechblasen — können 
ausgespart bleiben und von dem Betrachter entworfen werden. Schließlich kann 
die gesamte Handlung in eine neue Textsorte projiziert werden — als Zeitungsarti- 
kel, Brief, Sketch usw. 

Die Intention des Autors von Karikaturen und Bildgeschichten ist meist eine 
appellative, seltener verfolgt er ein rein poetisches oder referentielles Register. Der 
kritisch-ironische Blick soll überzeugen bzw. entlarven und den Betrachter zum 
Agenten der eigenen Überzeugung machen. Im Kontext des Ersten Weltkrieges 
geht es dabei zumeist um überzeichnete Freund- und Feindbilder. Die wörtliche 
Rede ist häufig in einem „kumpelhaften" Ton gehalten, die sich für die Beschäf- 
tigung mit syntagmatischen Wendungen aus der Alltags spräche anbieten. Gerade 
die Zeichnungen von Zille verweisen außerdem auf soziolinguistische Aspekte des 
„Milljöh"-Porträts im Berliner Wedding. Die plattdeutschen Redewendungen müs- 
sen teilweise erst entschlüsselt werden und bieten somit einen weiteren spielerisch- 
ratenden Zugang zur Bild-Text-Botschaft — ebenso das altdeutsche Schriftbild, das 
für Ungeübte einer Entschlüsselung bedarf. 

Die Grammatik steht bei einer landeskundlichen Thematik wie dem „Ersten 
Weltkrieg" naturgemäß nicht im Vordergrund und sollte daher nur kursorisch ein- 
fließen, wenn sich ein Kapitel anbietet, weil spontan auf einen Fehler reagiert 
werden muss, oder weil ein Kommentartext explizit nach einer Übung ruft, wenn 
z.B. Zilles „Universal"-Artikel „dat" einer präziseren Zuordnung bedarf. Zilles 
Bild-Kommentare - zumindest all jene aus seinen Berliner „Milljöh"-Studien - 
könnten für sich genommen bereits als Grammatik-Übung verwendet werden un- 
ter dem Motto „Wer findet die Fehler?" bzw. „Übersetzen Sie ins (Hoch)Deut- 
sche!". 



Interkulturelle Kompetenz 

Unabhängig von der fachimmanenten Perspektive einer zielkulturellen Handlungs- 
kompetenz muss die erste Etappe eines interkulturellen Fremdsprachenunter- 
richtes darauf abzielen, Neugier bei den Lernern zu schüren. Dieser „neu-gierige" 
Blick sollte nicht allein von sprachlichen, ästhetischen oder landeskundlichen 
Fragestellungen geleitet sein, sondern eine echte interkulturelle Horizont-Erweite- 
rung anstreben. Es soll hier nicht einer hybriden „interkulturellen Misch-Identität" 
als Unterrichtsziel das Wort geredet werden, wohl aber könnten auf diese Weise 
Weichen gestellt werden, um einen von nationaler Hybris erfüllten 
Abstammungsmythos als Leitidee individueller Identitätsbildung zu umgehen. 

Am Anfang einer solchen Selbstreflexion müssen zunächst die Kulturunter- 
schiede zwischen zwei Ethnien möglichst differenziert benannt und, anschließend, 
die zu Klischees geschrumpften Repräsentationen des Anderen diesen Realien 
gegenübergestellt werden. Abschottung, Ignoranz und Verschweigen von Kli- 
schees würden die Bereitschaft zur Verallgemeinerung hingegen erhöhen. Nur eine 



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Joachim Sistig 



offene und reflektierte Konfrontation mit Auto- und Heterostereotypen hilft, diese 
zu überwinden, um am Ende ein tieferes Begreifen und Respektieren des Anderen 
zu erreichen. Im Rahmen dieser Reflexion sollten auch sozialpsychologische und 
politische Aspekte der Funktionalisierung von Fremdbildern erörtert werden. Die 
weitgehende Reduzierbarkeit des Fremdbildes auf seine Selbstaufwertungs- und 
Abgrenzungsfunktion wird den Jugendlichen den immanenten Zusammenhang 
von Fremd- und Selbstbildern vor Augen führen, wo die positive Selbsteinschät- 
zung sich (fast) immer proportional zur negativen Fremdeinschätzung verhält. 

Vier Themenfelder aus dem Umkreis des Ersten Weltkrieges sollen mit Hilfe 
von Karikaturen, Comics und Kurztexten erörtert werden — sei es als Stimulus für 
den Unterrichtseinstieg oder als stundenfüllende Materialgrundlage: 

1 . Fronterfahrung und Zivilleben im Ersten Weltkrieg mit einer Auswahl von 
Karikaturen von Heinrich Zille 

2. Propagandistische Texte und Dokumente in der Schule und frühkindli- 
chen Erziehung 

3. Patriotische Texte und Darstellungen aus Feld- und Schützengrabenzei- 
tungen 

4. Ein Blick auf das grafische Schaffen von Walter Trier während des Ersten 
Weltkrieges mit einem Exkurs über seine tragische Rezeptionsgeschichte in 
Frankreich 

Paradigmatisch soll die interpreta torische und ikonografische Auseinandersetzung 
mit den unterschiedlichen Materialien zeigen, welch sprachliches und faktisches 
Potential in den populärliterarischen Medien angelegt ist. 



1 Fronterfahrung und Zivilleben im Ersten Weltkrieg 

Heinrich Zille (1 858-1 929): Vadding in Frankreich, 2. Folge (1917) 

In der politisch-satirischen Beilage des „Berliner Tageblatt" erscheinen ab Kriegs- 
ausbruch Zilles Karikaturen des Frontalltages. Die Zeitungsbeilage trägt den Titel 
„Ulk" („Unsinn, Leitsinn, Kneipsinn") und wird von Otto Eyslers Verlag der 
„Lustigen Blätter" publiziert. Zu seinen Mitarbeitern gehört übrigens nach 1918 
u.a. auch Kurt Tucholsky. Unter dem Titel „Vadding in Frankreich" erscheinen die 
rund 200 Bilder noch während des Krieges in gebundenen Heften. Der Duktus sei- 
ner Zeichnungen, die Motive seiner eigenen Militärdienstzeit zwischen 1880 und 
1882 aufgreifen, sind von spontanem Mutterwitz, unorthodoxen Blickwinkeln, 
aber auch unbedingtem Gehorsam den Vorgesetzten gegenüber geprägt. Die Legi- 
timation der deutschen Kriegsführung wird nicht in Zweifel gezogen. Seine Serien 
„Vadding in Ost und West" sowie „Vadding in Frankreich" (1. Folge) aus den Jah- 
ren 1915/16 spiegeln den politischen Mainstream mit patriotischen und auch 



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Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



181 



kriegsverherrlichenden Motiven wider. Die autonomen, pazifistischen Beiträge sei- 
nes nur in einer kleinen Auflage erschienenen Bandes „Kriegsmarmelade" (1919) 
veröffentlicht Zille erst Jahre nach Kriegsende. 

A hüksT 





ARANEE ALL CAAN DE. 
SOLDAT DV atOWtVT SV 
K>a>trtt}Hl ITTMUt Dt 



® HANS] (1873-1951) 



Abb. 1: Karikatur des elsässischen Zeichners Hansi. 

Wenn der patriotische Impetus auch nicht so ausgeprägt ist, lässt sich doch eine 
Parallele zu den etwa zeitgleich publizierten Arbeiten des elsässischen Kari- 
katuristen Jean Waltz, alias „Hansi", ziehen (Abb. 1). Die Verlagsmitteilung im 
Klappentext des Vadding-Bandes unterstreicht überdies die semiotische Nähe der 
beiden Zeichenkünstler: „Man muß diese köstlichen, auch zeichnerisch glänzenden 
Bilder mit den geschmacklosen und giftigen Karikaturen des Westfranzosen Waltz, 
genannt Hansi, vergleichen, um rasch zu erkennen, auf welcher Seite mehr Freund- 
lichkeit des Charakters und mehr ruhige Zuversicht zu finden sind. Dies Zille-Heft 
gehört zu den besten Erzeugnissen der Kriegsliteratur. Es wird auch nach dem 
großen Kampfe seinen Wert behalten." 2 Gegenüber dem idyllischen Stil Hansis, 
der immerhin in Berlin offenbar rezipiert wird, mit seiner eindimensionalen patri- 
otischen Botschaft implizieren Zilles Zeichnungen hingegen spöttische Sozialkritik 
und politischen Zündstoff, der aber zu keinem Zeitpunkt diskursiv reflektiert wird. 



2 Berliner Tageblatt zitiert im hinteren Einband von Zille 1917. 



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Joachim Sistig 



Zille porträtiert aus eigener persönlicher Erfahrung heraus in oft schroffen, 
ungeschönten Zeichnungen die soziale Lage des „Lumpenproletariats" um 1900 in 
den Berliner Arbeiter-Hochburgen Wedding und Malchin, die er in leicht verklä- 
render Weise zum Milljöh stilisiert. 1858 in Radeburg bei Dresden geboren zieht 
Zille neunjährig mit den wirtschaftlich ruinierten Eltern nach Berlin, wo er die 
sozialen und politischen Auswüchse der frühen Industrialisierung im direkten Um- 
feld seiner Familie miterlebt. Seine Zeichnungen, die Zille seit 1901 in der „Berli- 
ner Secession" ausstellt bzw. im „Simplicissimus", in „Jugend" und in den „Lusti- 
gen Blättern" veröffentlicht, dokumentieren ungeschminkt die Lebensbedingungen 
der Unterschichten und sozialen Außenseiter. Zille verbindet seine Milieu-Porträts 
stets mit einem ironischen Blickwinkel, sodass die implizite soziale Anklage an 
Schärfe verliert und der Verdacht der Unterminierung bestehender Machtverhält- 
nisse erst gar nicht aufkommt. Dennoch bieten all seine Arbeiten für den aufmerk- 
samen Beobachter Ansatzpunkte für sehr genaue Sozialstudien der deutschen Ge- 
sellschaft um die Jahrhundertwende und während des Ersten Weltkrieges. 

Drei ausgewählte Zeichnungen sollen jeweils Männer im Frontgeschehen und 
Frauen in ihren neuen Tätigkeitsbereichen zeigen. Jedes Bild ist von Zilles typi- 
scher Doppelbödigkeit gekennzeichnet. Hinter dem oberflächlichen — scheinbar 
harmlosen — Zeichencode verbirgt sich immer auch eine abgründige, pervertie- 
rende Bedeutungsschicht, die die zunächst vermutete Bildbotschaft wieder in Frage 
stellt: 



Kriegsszenen von der Front 
1) Cabarett Feldgrau 

- „Du, Karl, kniep de elektrische Jungfrau nich in de Bein', dat is nämlich uns'e 
nigen Untroffzier!" (Abb. 2) frei übersetzt: — „Du, Karl, kneif der elektrischen 
Jungfrau nicht ins Bein, das ist nämlich unser Unteroffizier!" Zum Unterhaltungs- 
programm der Frontsoldaten zählen neben Frontzeitungen, Witzblättern und 
kriegsverherrlichenden Comics vor allem Unterhaltungsveranstaltungen mit Caba- 
rett-Charakter und Kirmesklamauk. Männer in Frauenrollen dienen als Ventil für 
die seelisch Verkrüppelten. Neben einschlägigen Zirkusfiguren tritt eine bärtige 
Person in Ballett-Toutou auf, die von Vadding - Zilles alter ego - sogleich in war- 
nendem Ton identifiziert wird. Bei allem aufgesetzten Spaß bleibt die Veran- 
staltung doch eingerahmt von der schwarz-weiß-roten Reichsflagge als Symbol der 
immer noch gültigen Befehlsstrukturen. 



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Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



183 




Abb. 2: Zille, Cabarett Feldgrau. 



Der Spaß stößt also sehr rasch an seine Grenzen. Außerdem steht die „feldgraue" 
Uniform in denkbarem Kontrast zum bemüht bunten Spektakel. Karl und Vadding 
sind mit genügend gesundem Menschenverstand ausgestattet, um auch in dieser 
scheinbaren Ausnahmesituation nicht den Respekt vor den Vorgesetzten zu ver- 
lieren. 



2) Schützengraben-Idylle 

— „Süh, Karl, wenn't sowiet is, nähmt wi uns'n Hindenburg-Park mit nah Hus!" 
(Abb. 3); frei übersetzt: — „Schau mal, Karl, wenn es soweit ist, nehmen wir 
unseren Hindenburg-Park mit nach Hause!" Ein Propaganda-Medium der Kaiser- 
zeit ist die Umbenennung von Ortsnamen und die flächendeckende Aufstellung 
von Kaiser- und Bismarck-Denkmälern; Straßen, Plätze und Parkanlagen werden 
nach Persönlichkeiten und Orten mit patriotischer Konnotation umbenannt: Bis- 
marckstraße, Kaiserpark, Kais er- Wilhelm-Platz und Sedanwiese sind bis heute in 
fast jeder größeren deutschen Stadt zu finden. 3 Einen Hindenburgpark können 
Hamburg, Ingolstadt, Köln oder Leverkusen aufweisen. Einige Grünanlagen muss- 
te der „Held von Tannenberg" im Laufe der Jahre jedoch preisgeben, die in Volks- 

3 Vgl. den Beitrag von Arndt Kremer im vorliegenden Band. 



184 



Joachim Sistig 



park (Berlin- Wilmersdorf), Friedenspark (Köln) oder Ebertpark (Ludwigshafen) 
umgetauft wurden. Die skurrile Idylle, die sich Karl und Vadding barfüßig um 
ihren Schützengraben geschaffen haben, wirkt gegenüber der relativ unscheinbaren 
Hindenburg-Büste in der Mitte etwas despektierlich. 




Abb. 3: Zille, Hindenburgpark 

Ein schlafender Hund vor dem Denkmalsockel, die Wäscheleine direkt daneben 
und die dösenden Soldaten auf dem Graben geben der Bildbotschaft einen deut- 
lich ironisierenden Charakter. Tatsächlich täuscht Zilles idyllische Schilderung des 
Frontalltags über die allgegenwärtigen Schrecken des Krieges durch Tod und Ver- 
stümmelung sowie menschenunwürdige Unterbringung, mangelnde Hygiene und 
grassierende Krankheiten hinweg: 

Soldatenbrief 

„24. Dezember 1916 Sainte Emilie; Weihnachtszauber! An mein liebes 
gutes Mutterl und Schwester! Heute Heiliger Abend, das Fest der Freude und 
Liebe! Wir hier sind im Kriegsgetümmel, sind Sklaven des Krieges, mit verstei- 
nerten Herzen und rauhem Wesen! Doch heute geht ein Weihnachtshauch 
durch aller Herzen! Also meine Lieben! Nur ein Wunsch: Frieden! Wir sind seit 



Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



185 



18. Dezember hier in St. Emilie, das Joseph gut kennen muss, denn er war da- 
mals im Oktober hier. Und zwar sind wir hier Divisionsreserve, morgen 
rücken wir nach Moislains und weiter, das damals so mitten im Schrecken der 
Somme-Kanonade lag, heute etwas ruhiger, und nach einigen Tagen weiter 
vor. Die meisten Verluste treten hier durch Erkrankung ein; ob ich's aushalte, 
wird sich zeigen. Man lebt natürlich das größte Dreckleben, wie ein Tier. Heute 
Sonntag und Heiliger Abend zugleich fingen wir an mit Dienst Exerzieren. 
Dann habe ich gepennt, und dann war in einer Scheune Weihnachtsgottes- 
dienst um 6 Uhr für alle Konfessionen. Danach sangen wir einige Weihnachts- 
lieder um einen Christbaum; liegen in der großen Zuckerfabrik. Im Übrigen ist 
Weihnacht für uns nicht da. Weichheit ist mir fern, wenn es auch unter den 
Leuten gärt, sie sich gerne gefangennehmen lassen wollen ä la Verdun; ich wer- 
de mich wehren und das Vaterland mit dem letzten Blutstropfen verteidigen! 
Gruss und Kuss Euer Hugo." 

3) Kontakt mit einheimischen Franzosen 

- „Na adschüs ok, Madam Quartierwirtin, un passens man up, dat ehr lütt Jean 
nich dat schöne Dütsch verlirnt, dat ick em bibröcht hew!" (Abb. 4); frei übersetzt: 

— „Na dann, auf Wiedersehen auch, Frau Quartierwirtin, und passen Sie gut auf, 
dass der kleine Jean nicht das schöne Deutsch verlernt, das ich ihm beigebracht 
habe!" Während die französische Propaganda von brutalen Übergriffen der deut- 
schen Besatzungsmacht gegenüber der französischen Zivilbevölkerung berichtet 
hatte, zeichnet Zille ein verklärt harmonisierendes Bild der zwischenmenschlichen 
Kontakte. Vadding und Karl scheiden von der französischen Familie, bei der sie 
einquartiert waren, scheinbar als gute Freunde. Der soziale Wandel der Geschlech- 
terrollen spiegelt sich auch in dieser Zeichnung wider: Als „Familienoberhaupt" 
verabschiedet die Frau — „Madame Quartiermeisterin" — die „Gäste", während der 
Mann wie selbstverständlich abwesend an der Front gegen diese „Gäste" einen 
tödlichen Kampf führt. Drei Generationen sind auf der pittoresken Terrasse unter 
dem respektvoll unangetasteten Insignium „RF" (Republique Francaise) versam- 
melt. Es hat anscheinend ein gemeinsames Abschiedsmahl gegeben, die Gesichter 
sind freundlich gezeichnet. Der alte Mann erhebt sich respektvoll - Karl und Vad- 
ding haben sich als höfliche „Gäste" Respekt verdient. Die „deutschen Spuren", 
die Vadding glaubt hinterlassen zu haben, manifestieren sich nicht nur in der Ver- 
mitdung des deutschen Idioms an den kleinen Jean/Hans, sondern auch in Jeans 
typisch wilhelminischem Marinehemdehen, mit dem im Deutschen Reich bereits 
Jahre zuvor auf perfide Weise Werbung für die kaiserliche Flottenpolitik betrieben 
wurde. „Wie selbstverständlich" ist jeder deutsche Knabe, dessen Eltern ihre rech- 
te vaterländische Gesinnung zur Schau stellen wollen, zu Beginn des Jahrhunderts 
in die Militäruniform eines Marinesoldaten gezwängt. 



4 Brief des Vizefeldwebels Hugo Frick an seine Familie bei Würzburg zit. n. Hirschfeld; Krumeich 
2006: 149. 



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Joachim Sistig 




Abb. 4: Zille, Quartiersmadame. 



Die Portion Selbstironie, die sich in der treuherzigen Selbstüberschätzung Vad- 
dings bezüglich der Qualität seiner Deutschstunden mit „dat schöne Dütsch" nie- 
derschlägt, soll den deutschen Soldaten zusätzlich Charme verleihen. Dennoch 
steht die sehr aufgesetzte Freundlichkeit im Kontrast zum Eisernen Kreuz an Vad- 
dings Brust, das den französischen Zivilisten ständig den zahlreichen Tod vieler 
französischer Familienväter vor Augen führt. 



Kriegsszenen im Zivilleben 

Eine der Auswirkungen des Ersten Weltkrieges bezieht sich auf den Wandel der 
Geschlechterrollen. Während der Mann im Krieg seinen „vaterländischen Dienst" 
verrichtet, übernimmt die Frau „Männer-Rollen" im Zivilleben. Das Frauenwahl- 
recht von 1918 ist die politische Konsequenz der wachsenden Verantwortlichkeit 
der Frau in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen. Nipperdey zeigt allerdings, dass 
der Erste Weltkrieg den tendenziellen Anstieg der Frauenlohnarbeit, der bereits 
seit 1895 feststellbar ist, lediglich verstärkt: „Tatsächlich tauchten immer mehr 
Frauen in ,klassischen' Männerberufen auf — ob in den öffentlichen Diensdeis- 



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tungsbereichen, als Schaffnerin oder Briefträgerin, oder gar im Straßenbau oder der 
Munitionsherstellung."(Nipperdey 1998, Bd. 2: 798). 

1) Die Frau im Beruf 1 

— „Ja, Willem is seit acht Tagen eingezogen — un nu fahre ick seine Tour." — „Wat 
denn — als Schaffnerin? Wirste denn damit fertig?" — „Na ob! Bei mir müssen se 
alle zahlen. Ick paß uff!" (S.297) (Abb. 5). 




Abb. 5: Zille, Frauenrolle. 

Zille inszeniert den Geschlechter-Rollentausch als paradoxe Sittenkomödie. Die 
Schaffnerin übernimmt nicht nur im Beruf die Rolle ihres an der Front dienenden 
Ehemannes Willem, sondern sie verkehrt auch in ihrer Freizeit in den gleichen 
„Etablissements", obwohl in der Mehrheit Männer das Publikum bestimmen. Mit 
dem Kommentar „Bei mir müssen se alle zahlen" gleitet Zille in eine zotige Kon- 
notation hinüber, womit er andeutet, dass dieser Rollentausch für breite Teile der 
deutschen Gesellschaft immer noch eine anzügliche Wirkung impliziert. Die 
soziale Wirklichkeit eilt der moralischen Wertigkeit voraus. 



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2) Die Frau im Beruf 2 

— „Ick würde mir schämen, Frida, wenn ick mir so in Hosen zeigen sollte!" — 
„Warum denn? Haste O-Beine?" (S.299) (Abb. 6). Die sehr detailreiche Straßen- 
szene wirkt ohne speedlines statisch. Auch im Vergleich zu Wilhelm Büschs Bewe- 
gungssimulationen durch Konturvervielfachung fehlt es Zilles Zeichnungen an 
Dynamik. Seine Stärken liegen eher bei den Standbild-Einstellungen. 




Abb. 6: Zille, Die Frau im Beruf. 

Der Dialog, der dieser Szene unterlegt ist, spiegelt den moralischen Zwiespalt 
wider, in dem sich „Frau" während des Ersten Weltkrieges bewegt. Das überkom- 
mene Sittenbild — „Ick würde mir schämen" — aus Kaiserzeiten weist der Frau 
einen spezifischen nachgeordneten Platz zu, der klar von der Männerwelt getrennt 
ist. Kriegsbedingt muss diese Geschlechtertrennung aufgehoben werden. Diese 
neue Rollendefinition entspringt also nicht der Erkenntnis des Selbstverständlichen 
— „Warum denn?" — , sondern ist den besonderen Zeitumständen geschuldet. Die 
Emanzipation ist nicht Ausdruck einer aufgeklärten, sondern einer pervertierten 



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Gesellschaft, die aus den Angeln zu brechen droht, indem ihre konservativen mo- 
ralischen Grundfesten in ihr Gegenteil verkehrt werden. 

3) Schwarze Garde 

— „Siehste, Juste, wir sind ooch wehrfähig: wir jagen ooch den Ruß fort!" (S.300) 
(Abb. 7). Zille macht sich hier zum Sprachrohr des militarisierten Alltagsdiskurses 
mit seinen pervertierten Verwerfungen, indem menschenverachtende Propaganda- 
Parolen wie „Serbien muss sterbien. Jeder Stoß ein Franzos, jeder Schuss ein 
Russ!" in den lapidaren Gesprächsfluss Eingang finden. Er dokumentiert damit, 
dass die „mühsam anerzogene Hemmschwelle gegenüber der Gewalt" 5 deutlich 
herabgesetzt worden ist. 




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Abb. 7: Zille, Schwarze Garde. 

Durch das Wortspiel mit der Klangähnlichkeit des Wortes „Ruß" macht sich die 
militarisierte Zivilgesellschaft — die „schwarze Brigade" — zu „wehrfähigen" Mit- 



5 Wehler 1998: 35. 



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wissern und Mitkämpfern des Krieges im Osten gegen Russland. Das Bild der 
„schwarzen Brigade" knüpft außerdem an den Mythos des 1. Leib-Husaren-Regi- 
mentes an, das in seinen schwarzen Uniformen und mit dem silbernen Totenkopf 
auf gekreuzten Knochen seit den Befreiungskriegen in der deutschen Kriegs- 
historie berüchtigt war. 



2 Militarisierte Kinderliteratur - militarisierte Kindheit 

Die Generalmobilmachung berührt im Kaiserreich alle Bereiche des öffentlichen 
Lebens und besonders auch den Schul- und Erziehungsbereich, indem gezielt Kin- 
der zum Objekt der politischen Propaganda und der Erziehung zum Hass werden. 
Der Bildungsauftrag der Schulen war per Kaiser-Erlass definiert: „Bedenken Sie, 
was uns für ein Nachwuchs für die Landes vertheidigung erwächst. Ich suche nach 
Soldaten, wir wollen eine kräftige Generation haben, die auch als geistige Führer 
und Beamte dem Vaterlande dienen." 6 Im Zeichen der „schwarzen Pädagogik", 
wie sie bereits in Heinrich Hoffmanns Struwwelpeter (1845) verbreitet wurde, er- 
reicht die politische Propaganda längst auch die deutschen Kinderzimmer: Käthe 
Kruse fertigt z.B. seit 1914 eine Serie von uniformierten Stoffpuppen unter dem 
Namen „Potsdamer Soldaten". 

Heinz Lemmermann hat in seinem Referenzwerk zur „Kriegserziehung im 
Kaiserreich" (1984) anhand zahlreicher Dokumente die „totale Politisierung der 
Schule" im Sinne der Herrschaftsstabilisierung — im Kampf gegen den inneren 
Feind: die SPD - und der Kriegsvorbereitung — im Kampf gegen den äußeren 
Feind: Frankreich, England, Russland — nachgewiesen. Schullieder, Lernspiele und 
Kinderbücher bereiten die systemkonforme, ideologische Ausrichtung der Jugend- 
lichen vor: „Der Krieg erscheint den Kindern als aktionsreicher, unterhaltsamer 
Vorgang. Das simulierte Töten durch Schießen, Schlagen und Niederstechen bietet 
nicht nur Spaß, sondern führt selbstverständlich zum Sieg. Die panmilitaristische 
Ausrichtung dieser lustbetont betriebenen Erziehungsmaßnahmen ist deutlich. Zu 
den soldatischen Fertigkeiten Marschieren, Exerzieren, Töten kommt in anderen 
Kinderliedern noch eine ideologische Komponente hinzu: Im Knaben soll so früh 
wie möglich das Bewußtsein geschaffen werden, es gar nicht abwarten zu können, 
bis er ein erwachsener Deutscher ist und kriegerischen Taten entgegenfiebern 
darf." Martin Kohlrausch hat nachgewiesen, dass die Neuausrichtung der Schul- 
politik unter das Primat, „,nationale Deutsche' anstelle von ,jungen Griechen und 
Römern'" hervorzubringen, auf den ausdrücklichen Willen des Kaisers zurück- 
geht. In einer an Stringenz armen politischen Führung insgesamt bildet die Er- 
ziehungsarbeit eine Ausnahme. Als Beispiel sei hier das „Soldatenlied" (1878) von 

6 Kaiser Wilhelm zu „Verhandlungen über Fragen des höheren Unterrichts" am 31.10.1890 im preu- 
ßischen Kultusministerium, zit. n. Lemmermann 1984, Bd.l: 19. 

7 Ebd., Bd.l,S.152. 

8 Kohlrausch 2010: 62. 



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Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), dem Schöpfer des Deutschlandliedes, zi- 
tiert, das vor allem in der Vertonung von Robert Schumann zu einem festen Be- 
standteil des kaiserlichen Schulliedkanons wird. 

Soldatenlied 

Ein scheckiges Pferd, 

Ein blankes Gewehr 

Und ein hölzernes Schwert, 

Was braucht man denn mehr? 

Ich bin ein Soldat, 
Man sieht's mir wohl an, 
Ich marschiere schon grad', 
Halt' Schritt wie ein Mann. 

Mit trotzigem Mut 
Zieh' Morgens ich aus, 
Kehr' freundlich und gut 
Um Mittag nach Haus. 

So wird exerziert 
Zum Abend noch spat, 
Bis der Schlaf kommandiert: 
Zu Bett, Kamerad! 

Eine Steigerung der wehrtüchtigen und ideologischen Mobilmachung ist Ludwig 
Nüdlings (1874-1947) Kinderlyrik unter dem Titel „Des deutschen Bübleins 
Wunsch" (1912): 

Des deutschen Bübleins Wunsch 

Mutter, warum bin ich noch so klein, 
Und nicht so groß wie des Nachbars Klaus 
Denn der dürft' in den Krieg hinaus. 
Könnt' ich ein richtig Gewehr jetzt laden, 
Spielte ich nicht mit Bleisoldaten. 
Mutter, hier hast Du die Erbsen wieder, 
Damit schießt man den Feind nicht nieder. 
Lieber schlag ich die Sparbüchs entzwei, 
Kaufe mir selber Pulver und Blei, 
und dann kämpf ich mit eigner Hand, 
Auf, für Kaiser und Vaterland. 
Ach, wenn ich doch jetzt ein Zwilling war, 



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Gab es gleich zwei Soldaten mehr, 
Und dann zog ich für's Deutsche Reich 
Gegen Franzosen und Russen zugleich, 
Einer zur Linken und einer zur Rechten, 
Könnt ich dann nach zwei Seiten fechten. 
Sähst von uns beiden dann keinen mehr, 
Bis der Weltkrieg gewonnen war! 

Die bedingungslose Hingabe für das vaterländische Ideal wird zum absoluten 
pädagogischen Hauptziel stilisiert. Der private Raum und das Individuum über- 
haupt werden dem Zwang des höheren Gemeinschaftszieles geopfert. Dass 
Ludwig Nüdling Priester im Bistum Fulda ist, steht keineswegs im Gegensatz zu 
dem hier propagierten, lebensverachtenden Patriotismus jenseits aller christlichen 
Ideale von Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Die katholische und die protestan- 
tische Kirche haben sich noch vor Ausbruch der Kriegshandlungen dem völki- 
schen Fanatismus im Deutschen Reich unter dem Motto „Für Gott und Vater- 
land" begeistert angeschlossen. „Das Bewußtsein der gerechten Sache, die man 
verteidigt, aber auch der nationale Enthusiasmus und seine Hegemonieansprüche 
werden kirchlich gesegnet und überhöht. Superpatriotismus und Siegesfanfaren, 
Haß- und Rachegesänge, fast unbefangene Gleichsetzung von nationalen Zielen 
mit dem ,Reich Gottes', das erfüllt die Annalen. [...] Patriotische Pflicht und 
chrisdiche Tugend, Bethlehem und Potsdam, das geht schnell ineinander über", 
urteilt Thomas Nipperdey - „,Ein feste Burg' wird eine Art nationale Marseillaise." 
(Nipperdey 1998, Bd.l: 491). 

Gedenk- und Gedächtnisfeiern in der schulischen Aula gehören zum festen 
Bestandteil des Schullebens im Kaiserreich. Gleich nach dem deutsch-franzö- 
sischen Krieg 1870/71 wird der nächste Krieg vorbereitet, indem die Jahrestage 
des Sieges von Sedan (2. September) und der Kaisergeburtstag (seit 1889 der 27. 
Januar) zum alljährlichen vaterländischen Jubelfest stilisiert werden. Seit Kriegsaus- 
bruch wird der Gedächtnis- und Totenkult an den Schulen gezielt intensiviert. 
„Die Flut der Kriegsfreiwilligen konnten die Behörden kaum bewältigen. Selbst 
Tertianer meldeten sich in Klassenstärke, es grassierte bei vielen Jugendlichen die 
,Furcht', das Kriegs- und Bewährungserlebnis sowie den wahrscheinlicherweise 
raschen Sieg zu versäumen." 9 Lemmermann aus dem Brief eines fünfzehnjährigen 
Rekruten an seine Eltern: 

„Das Vaterland hat gerufen, und jeder waffenfähige Jüngling ist begeistert zu 
den Fahnen geeilt, um die heiligste Pflicht zu erfüllen. Geliebte Eltern, Ihr 
werdet die Gefühle eines von Vaterlandsliebe durchdrungenen Menschen- 
kindes verstehen, um den Schritt, den ich unternommen habe, zu begreifen. 



9 Lemmermann 1984, Bd. 1: 260. 



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Du, lieber Vater, hattest den stolzen Ausspruch getan: wenn ich einen Sohn 
stellen könnte, würde ich stolz sein. . ." 10 

Das moralische Wertesystem ist vollends pervertiert und schickt seine eigenen 
Kinder in den sicheren Tod, weil die etablierten Moralinstanzen — Staat, Kirche, 
Schule, Familie — ihre Orientierung und Bestimmung verloren haben. 



3 Feldzeitung und Schützengrabenzeitung 

In den deutschen und französischen Schützengräben schaffen sich die Front- 
soldaten mit ihren Ktiegszeitungen,jout7jaux de guerre bzw.journaux des poilus eigene 
Kommunikationsformen, die teilweise unterstützt, teilweise aber auch unabhängig 
von der Heeresleitung Informationen, Grußadressen, Comics, Karikaturen, Lieder, 
Witze und Kampfberichte aus der Feder der beteiligten Soldaten abdrucken. Diese 
oft amateurhaft improvisierten, manchmal sogar handschriftlich angefertigten Pu- 
blikationen übernehmen die Funktion von „sozialen Netzwerken" avant la lettre. 
Oftmals multiplizieren ungeübte Zeichner und Autoren den Diskurs der offiziellen 
Propaganda in unterhaltsamen Bildern und Geschichten zum Zeitvertreib in der 
Schützengrabenödnis, spiegeln aber auch unterschwellig dissidierende Standpunkte 
und Stimmungen wider. Leider fehlt es bislang an neueren wissenschaftlichen Ar- 
beiten, die aus historiografischer oder literarischer Perspektive diesen Fundus 
sichten. 

Auf französischer Seite sind die Zeitungstitel meist fantasievoller — allen voran 
der mit dem bis heute unveränderten Logo arbeitende „Canard enchaine", der als 
Reaktion auf den extrem gewaltverherrlichenden „Poilu dechaine" entstand. Leicht 
defätistisch und mit geradezu surrealem Humor ausgestattet präsentieren sich u.a. 



10 Ebd. 

11 Die Universitätsbibliothek Heidelberg hat Teile der wöchentlich erschienenen Deutschen Kriegs- 
zeitung (Nr. 1 bis 20, August — Dezember 1914) aus ihrem umfangreichen Fundus an Frontzeitungen 
digitalisiert zugänglich gemacht (http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/feldztgdkzl914, http://digi.- 
ub.uni-heidelberg.de/diglit/feldztgsunwasl917bisl918 [03.02.2011]). Verwiesen sei an dieser Stelle 
auch auf die eher methodologisch angelegte Diplomarbeit von Elke Daucher: Kriegszeitungen der 
Universitätsbibliothek Heidelberg. Überlegungen zu Erschließung, Erhaltung und Präsentation des 
Bestandes, Stuttgart 2003 (http:/ /archiv.ub. uni-heidelberg.de/volltextserver/volltexte/2005/5838- 
/pdf/Diplomarbeit.pdf [03.02.2011]); siehe auch: Hardt, Fred B.: Die deutschen Schützengraben- 
und Soldatenzeitungen, München 1917; Hellmann, Richard/Palm, Kurt: Die deutschen 
Feldzeitungen. Eine Bibliographie, Freiburg 1918; Kurth, Karl: Die deutschen Feld- und Schützen- 
grabenzeitungen des Weltkrieges, Leipzig 1937. Auf französischer Seite wurde das Material der 
journaux du front weitgehender aufgearbeitet. Im Rahmen des „Gallica"-Projektes hat die Bibliotheque 
Nationale de France auch zahlreiche Frontzeitungen digitalisiert zur Verfügung gestellt 
(http://gallica.bnf.fr/Search?ArianeW'ireIndex=index&p=l&lang=FR&q=journal+du+front 
[03.02.2011]). Neben der BN steht in der Bibliotheque de Documentation Internationale Contem- 
poraine ein reichhaltiger Fundus digitalisiert zur Verfügung (http://www.bdic.fr/index.phpPoption- 
=com_content&view=article&com_content=&id=119&Itemid=101 [03.02.2011] ebenso wie in: 
http://www.caricaturesetcaricature.com/article-11180470.html [03.02.2011]); siehe auch: Tubergue; 
Charpentier 2007. 



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„Le Bochofage. Organe anticafardeux, kaisericide et embuscophobe" und „Rigol- 
boche. Le journal le mieux renseigne sur les Teutons". Die Frontzeitungen ent- 
gehen nicht der militärischen Kontrolle — schon in der Nr. 7 des „Rigolboche" 
vom 20. April 1915 taucht beispielsweise eine weiße Vignette mit den Worten 

✓ 12- 

„Dessin supprime par la censure" auf. Achim Schnurrer zeigt in seiner Studie, 
dass auf deutscher Seite spätestens seit 1916 mit Gründung der Feldpressestelle 
massive Eingriffe seitens der Militärzensur nachweisbar sind " . 

Die Feldzeitungen, die in der Etappe hinter der Front gedruckt werden, errei- 
chen bei hoher Druckqualität - gefördert durch die Heeresleitung - oft hohe Auf- 
lagen von mehreren tausend Exemplaren, während die Schützengrabenzeitungen 
in beweglichen Felddruckereien — aus disparaten Beiträgen eher zufällig improvi- 
siert — selten wenige hundert hektographierte Einzelblätter überschreiten. Die 
„Champagne-Kriegszeitung" beginnt beispielsweise zunächst in sporadisch er- 
scheinender, manueller Schreibmaschinen-Qualität als Schützengrabenzeitung, be- 
vor sie mit aufwändigen Tiefdruck-Illustrationen versehen zweimal wöchentlich in 
einer Auflage von bis zu 20.000 Exemplaren erscheint. 

1) „Der Drahtverhau": Flugblätter! 

Diese „Schützengrabenzeitung des Bayerischen Landwehr Infantrie-Regimentes 1" 
(Abb. 8, S. 42) zeichnet sich durch unbedingte Kaisertreue aus, die sie noch 1917 
durch eine Sondernummer „zu Kaisers Geburtstag" dokumentiert (Nr. 16, 
27.01.1917). Die Karikatur spielt mit dem Klischee von den „dumme boches", die 
sich resistent gegenüber den französischen Aufklärungs-Versuchen zeigen. Trotz 
moderner Kriegstechnik - Flugzeug, Hangar, „psychologische Kriegs führung" - 
erreicht der Gegner doch nicht sein Ziel. Die Rückendarstellungen der beiden 
Soldaten im Halbprofil auf den zwei Zeichnungen lassen sich durch die Bärte und 
Uniformen dem deutschen und französischen Lager zuordnen. Die Missachtung 
des Flugblatt-Inhaltes durch seine Nutzung als Klo-Papier richtet sich als warnen- 
der Appell an die eigenen Truppen, die gegnerische Propaganda erst gar nicht zur 
Kenntnis zu nehmen. Die Zeit für inhaltliche Auseinandersetzung auf zivilisierter 
Ebene ist längst abgelaufen und eine Hinwendung zum Gegner durch Kenntnis- 
nahme seiner Argumente käme Hochverrat gleich. Das Handeln wird gerade nicht 
mehr durch den Verstand geleitet, sondern durch primitive Instinkte und Bedürf- 
nisse. Der Zielgruppe des „Drahtverhaus" entsprechend sind die Dialoge in bayri- 
scher Mundart formuliert: „Dö könn ma braucha, Michl! Dö schneid'n ma ausa- 
nand, na ham s' grad dö richtige Groß." Die deutschen Soldaten werden zu Sym- 
pathieträgern, indem sie mit positiv konnotierten Klischee-Elementen ausgestattet 
werden: Das Herz auf dem „Dixi-Klo", die Pfeife, die aus der hinteren Hosen- 
tasche herausragt und der Hund, der sich die tierlieben, deutschen Soldaten und 
nicht deren Gegner als „Herrchen" gewählt hat, stehen für „deutsche Gemüt- 



12 Rigolboche, Nr. 7, 20.04.1915. 

13 Schnurrer 2007. 



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lichkeit". Zuversicht soll vermittelt werden, dass deutsche Tugend und Charakter- 
stärke gegen alliierte Technik und Heimtücke siegen werden. 




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Abb. 8: Der Drahtverhau. 

2) „Kriegszeitung der 4. Armee": Kriegs-Struwwelpeter 

(29.07.1917) [S.35] (Abb. 9). Der Zeichner Franz Breest hat auf dieser Beilage für 
die Kriegszeitung eine Parodie der „Geschichte vom bösen Friederich" aus dem 
„Struwwelpeter" von Heinrich Hoffmann (1845) verfasst, dessen Originaltext als 
Subtext dem Leser gegenwärtig ist: „Der Friederich, der Friederich, der war ein 
arger Wüterich!" Friederich ist das ideale Objekt der „schwarzen Pädagogik", auf 
das sich alle Erziehungsansätze des deutschen „Oberlehrers" im 19. Jahrhundert 



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(vergeblich) konzentrieren. Die — wie man heute sagen würde — ADHS-Symptome 
(Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) des Kindes werden als Ausdruck 
einer kranken bis bösartigen Psyche gedeutet, die die gerechte Strafe eines Hunde- 
bisses „recht tief bis in das Blut hinein" ereilt. Die Rolle des „Friederich" über- 
nimmt in Breests Zeichnung der gemeingefährliche Kosak „Nikolaus", der „Petro- 
leum trank gleich wie Bier" und „zu Kleinholz machte das Klavier". 




Abb. 9: Der Kriegs-Struwwelpeter. 

Mit allen unmenschlichen Attributen ausgestattet — „er schonte Menschen nicht 
noch Tier" — stellt er eine Gefahr für die Zivilisation dar, die quasi aus Notwehr 
heraus unschädlich gemacht werden muss. Ein Gegner bar aller menschlichen 
Züge — „was er nur sah, das schlug er tot" — darf auch nicht auf eine humane Be- 
handlung seitens der deutschen Soldaten hoffen. Die Bild-Text-Botschaft legiti- 
miert im Gegenteil jede Gewaltanwendung. Nikolausens Kopfbedeckung bzw. 
Haartracht knüpft in Struwwelpeter-Manier Assoziationen an das Medusenhaupt, 
dessen Anblick die Gegner vor Angst zu Stein erstarren ließ. Der Schrecken er- 



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reicht seinen — ironisch gebrochenen — Höhepunkt, wenn Nikolaus mit Schuhen 
und „Stiefelschmier" fressend durch das Bett tanzt und dabei „sogar" das Nacht- 
geschirr umwirft. Hinter der Fassade einer kindlichen Lehr-Lektüre offenbart sich 
der fanatische Wille zum entstellenden Blick auf den Gegner, der das eigene barba- 
rische Handeln legitimieren soll. 

3) „Der bayerische Landwehrmann": Der Kreislauf 

(1915/16) (Abb. 10). Wiggerl Greiner ist der Autor dieser Bildfolge, die den Krite- 
rien der bände dessinee bereits sehr nahe kommt und die Monotonie sowie die kata- 
strophalen hygienischen Zustände des Alltags im Schützengraben karikiert. 




Abb. 10: Der Kreislauf. 

Der vergebliche Kampf gegen Verlausung und körperlichen Verfall spiegelt sym- 
bolisch aber auch den inneren, psychischen Verfall der Soldaten wider, deren täg- 
licher Überlebenskampf zu einer pervertierten „Normalität" mutiert. Hinter dem 
ironischen Selbstporträt entdecken die Soldaten nicht nur ihre eigene Lebensrea- 



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lität, sondern auch ihre reale Angst angesichts der Tatsache, dass dieser circulus 
diaboli keine Perspektive auf eine nahe Wende bietet. Auch die äußere Form — die 
Uniform nebst Dienstgradab2eichen — zerfällt innerhalb der Frist von vier Wochen 
und verliert ihre Kontenance bzw. Bedeutung: Im Schützengraben sind alle Solda- 
ten gleich welchen Ranges Opfer. Die serielle Chronologie verläuft horizontal und 
vertikal. Je Zeile ist innerhalb des vierteiligen Zyklus' der Verfall erkennbar, aber es 
lässt sich auch eine Steigerung von Zeile zu Zeile erkennen. Der im Kreis auf sei- 
nen eigenen Spuren schlurfende Soldat - „und so weiter..." - deutet eine unendli- 
che Wiederholung dieser immer gleichen Episode an, deren Sinnhaftigkeit dadurch 
in Frage gestellt wird. Der Soldat ist einem Mechanismus ausgeliefert, den niemand 
mehr zu kontrollieren scheint. Sein sinnentleerter, stierer Blick steht im Kontrast 
zu den seltsamen Verzierungen im Titelschriftzug und Bildrahmen, die vielleicht 
auf die Befürchtung des Autors zurückzuführen sind, die Porträtzeichnungen 
könnten zu realistisch und damit zu frustrierend für die Zielgruppe dieses Bilder- 
bogens gezeichnet sein. Tatsächlich ist hier die Abstumpfung gegenüber der Allge- 
genwärtigkeit der Verrohung und des Todes ablesbar: 

Soldatenbrief: 

„18. August 1916, Favreuil; Der Fahrer Renz, der ja gestern Nacht gefallen ist, 
wird morgen begraben. Den ganzen Leib hatte er voller Schrappneilkugeln. Ihr 
müsst Euch deswegen keine Angst machen, wenn's einen trifft, dann in Gottes 
Namen." 14 

4) „Liller Kriegsbilderbogen" Nr. 21: Männer, Frauen und Kinder! 

(16.02.1915) [S. 34] (Abb. 11). Es liegen kaum Hinweise auf Verbreitungsgrad und 
Auflagenhöhe dieser häufig laienhaft gefertigten Publikationen vor. Achim Schnur- 
rer nennt für den mit logistischer Unterstützung der Heeresleitung produzierten 
„Liller Kriegsbilderbogen" die Zahl von 85.000 Exemplaren 1 ' 1 , was der Auflage 
einer mittleren deutschen Tageszeitung der Zeit entspricht („Vorwärts" 150.000, 
„Der Wahre Jacob" 163.000). Die meisten Feldzeitungen, die mit primitiven 
Druckvorrichtungen produziert werden, bleiben sicherlich weit darunter. Zahlrei- 
che Blätter sprechen gezielt das eigene Regiment an, das im Durchschnitt 650 
Männer umfasst. Eine „Armee-Zeitung" hätte demgegenüber potenzielle 30.000 
Leser ansprechen können (4. Armee an verschiedenen Kriegsschauplätzen in 
Flandern) . 

Der anonyme Zeichner dieses Comic-Strips spielt mit dem Motiv des Juror teu- 
tonicus, der in seiner überspitzten, gewalttätigen Ausprägung auf diesen zehn Bil- 
dern wohl komisch wirken soll. Das Deutsche Reich sowie seine Kriegsgegner Bel- 
gien, Frankreich, Russland, Japan und England werden in allegorischen Figuren 



14 Brief des Divisionsfahrers Otto Maute an seine Familie bei Bailingen, zit. n: Hirschfeld; Krumeich 
2006: 97. 

15 Schnurrer 2007: 35. 



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verkörpert. Dem uniformierten Japaner wird lediglich ein Bild gewidmet, wahr- 
scheinlich, weil der asiatische Kriegsschauplatz um die deutsche Kolonie Kiau- 
tschou zu fern für die Soldaten an der Westfront liegt — aber auch im fernen 
Orient brüstet man sich mit dem negativen Image: „Nur ein Deutscher ist voll 
Niedertracht". Die vier übrigen Nationen werden jeweils auf einem ersten Bild 
friedlich verharrend dargestellt, bevor sie auf dem folgenden Bild von einem deut- 
schen Soldaten — scheinbar grundlos — attackiert werden: Dem belgischen Mäd- 
chen wird schmerzhaft die Nase umgedreht, der französische Soldat wird hinter- 
rücks erstochen, der Russe ertränkt, der Engländer seiner Flotte beraubt. 




Nummg 21. Lille, den 16. Kri»mr 1915. 



Maenner, Frauen und Kinder 

aller kultivierten und wilden Voelkerstacmmc. 
trt-Lol in die glorreiche englische Armee ein! 
Reichliche LoehnUDg! Gute Verpflegung! Liebevolle Behandlung! 




Abb. 11: Liller Kriegsbilderbogen. 



200 



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Die eigentliche Botschaft der Bilderreihe soll tatsächlich all diese Bilder und Kli- 
schees von „angeblichen" deutschen Kriegsverbrechen ad absurdum führen. Tat- 
sächlich kursieren im Frühjahr 1915 beiderseits der Front Gerüchte über deutsche 
Greueltaten: „Dass Kindern ,die Hände abgehackt', Frauen ,Brüste abgeschnitten', 
Nonnen geschändet würden, gehörte bald zum Repertoire derlei Horrorgeschich- 

«16 

ten. 

Die beiden irischen Historiker John Hörne und Alan Kramer haben in ihrer 
Untersuchung „Deutsche Kriegsgreuel 1914" (Hörne; Kramer 2004) zwar nachge- 
wiesen, dass Gerüchte über „abgehackte Kinderhände" eine Erfindung der alliier- 
ten Propaganda waren, dass aber gleichwohl zahlreiche Kriegsverbrechen durch 
deutsche Truppen — besonders an der belgischen Zivilbevölkerung — zwischen 
August und Oktober 1914 begangen worden sind. Gerade im Frontabschnitt des 
„Liller Kriegsbilderbogens" zwischen Leuwen und Dinant werden in dem besagten 
Zeitraum 6427 Zivilisten - auch Kinder und Frauen - Opfer von Massenerschie- 
ßungen im Kampf gegen angebliche Freischärler. Im Zuge dieser Propaganda- 
schlacht stilisiert sich die deutsche Seite in diesem Comic zum Opfer einer Ver- 
leumdungskampagne und nutzt gleichzeitig ihre gespielte Empörung, um sich in 
einem Zuge von jeder Schuld freizusprechen. Nach der bewährten Formel 
„Negation gleich Affirmation" verkörpert der deutsche Soldat also alle Tugenden, 
die auf den Zeichnungen in ihren negierten Versionen erscheinen: Er ist der 
„ritterliche" Patriot, der mit offenem Visier kämpft und „natürlich" die Zivil- 
bevölkerung verschont. Die eigenen Truppen sollen in ihrer Überzeugung gestärkt 
werden, in einer Welt von heuchlerischen Feinden mit fairen Mitteln für die 
richtige Sache zu kämpfen. Die Tatsache allerdings, dass diese Gerüchte überhaupt 
in einer „halbamtlichen" Frontzeitung angesprochen werden, zeugt davon, dass es 
Unruhe in den eigenen Reihen gegeben hat, die hier mit Polemik bekämpft werden 
soll. 



4 Bunte Kriegsbilderbogen von Walter Trier (1890-1951) 

Eckart Sackmann hat für die Wissenschaftsreihe „Deutsche Comicforschung" 
(Sackmann 2008) das Weltkriegs spezifische Comic-Genre der Kriegsbilderbogen 
wiederentdeckt. Der bekannteste Titel dieses Genres ist der „Bunte Kriegsbilder- 
bogen", der in den Jahren 1914 und 1915 im Berliner „Verlag der Vereinigung der 
Kunstfreunde Otto Troitzsch" erscheint. Wie die meisten satirischen Publika- 
tionen — „Simplizissimus", „Wahrer Jacob", „Lustige Blätter" usw. — widmen sich 
auch die Kriegsbilderbogen seit dem Kriegsausbruch im Sommer 1914 ganz der 
chauvinistischen Kriegsbegeisterung. Der ideologische Mainstream setzt sich auch 
bei den anspruchsvollsten Zeichnern auf ganzer Linie durch: „Niemand mochte 
sich offenbar dem nationalen Trend widersetzen; es sind bisher keine Beispiele von 



16 Ullrich 2004: 41. 



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Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



201 



comic-künstlerischem Widerstand bekannt. [...] Während die Bogen mit den Bil- 
dergeschichten künstlerisch zum Teil hervorragend sind, werden die Inhalte getra- 
gen von plattestem Hurra-Patriotismus." Die Comic-Strips umfassen jeweils fünf 
bis zehn farbige Bilder, die in drei Zeilen angeordnet sind. Der Farblichtdruck 
(Troitzschotypie) beschränkt sich auf vier Grundfarben in konstanter Farbinten- 
sität. Die Bildgeschichten folgen einem zusammenhängenden Erzählstrang oder 
lassen sich noch einmal in zwei oder drei Einzelepisoden unterteilen, die aber in 
einem thematisch übergreifenden Kontext zueinander stehen. 

Der „Verlag der Vereinigung der Kunstfreunde Otto Troitzsch" spezialisiert 
sich auf die Massenproduktion von eher kitschigen Kunstdrucken (Schutzengel, 
keusche Liebesszenen, Landschaftsidyllen), die Einzug in die Wohnzimmer der 
kleinbürgerlichen Mittelschichten finden. Dem politischen und moralischen Trend 
der Zeit folgend erweitert Troitzsch seine Angebotspalette mühelos um das gewalt- 
und vaterlandsverherrlichende Motiv. Es lässt sich nur spekulieren, in welcher 
Weise der Kriegsbilderbogen seinen ideologischen Appell in die Privatsphären der 
deutschen Familie transportiert, oder vielleicht als „Wegwerfprodukt" - bei einem 
Preis von 10 Pfennig je Exemplar - nach einmaligem Lesen entsorgt wird. 

1) K.F.A.C. (Kaiserliches Freiwilliges Automobil Corps) 

(Nr. 32, 1914) (Abb. 12). Walter Trier gehört neben Paul Wendling, Leo Leipziger, 
Ludwig Kainer u.a. während des Ersten Weltkrieges zu den regelmäßigen Mitarbei- 
tern der „Bunten Kriegsbilderbogen". 1890 in Prag geboren zieht es ihn zunächst 
1906 nach München, bevor er ab 1910 in Berlin für den Verleger Hermann Ull- 
stein arbeitet. Rasch wird er dort zu einem gefragten Werbe- und Buchillustrator - 
heute sind insbesondere seine Illustrationen für die Werke Erich Kästners (ab 
1929) noch in Erinnerung. Gleichzeitig erscheinen seine Zeichnungen und Kari- 
katuren im „Simplicissimus", in „Jugend", und in den „Lustigen Blättern" von 
Otto Eysler. Im Duktus folgt er während des Ersten Weltkrieges dem herr- 
schenden patriotischen Pathos, zeigt in seinem zeichnerischen Stil aber bereits 
einen kreativen, eigenen Ansatz. Antje Neuner- Warthorst ordnet seinen Stil als 
Produkt des „klimatischen Umfeldes [...] im Redaktionskollegium von Eyslers 
Lustigen Blättern" ein, zu dem neben Paul Simmel auch Heinrich Zille zählt. Bis 
1946 veröffentlicht Trier rund 350 Bildergeschichten und Einzelbildwitze. Als Gat- 
tungsbegriff für den Comic-Strip wählt er die Bezeichnungen „Zeichnerscherz" 
bzw. — als jiddische Variante — „Meschuggenes" und verweist damit bereits auf 
seine jüdische Herkunft, die ihn 1936 dazu zwingen wird, mit seiner Familie nach 
England zu emigrieren. 

Bei dieser sechsteiligen Bildfolge fallen sogleich die progressiven Stilmittel 
Triers ins Auge: Der monochrome, gelbe Hintergrund für die Aktionsmittelpunkte 
der Bilder 3 und 5 erinnert an den berühmten Umschlagentwurf für „Emil und die 



17 Sackmann 2007: 45. 

18 Neuner- Warthorst 2007: 49. Siehe auch: http://www.walter-trier.de/Lebensdaten.htm. 



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Joachim Sistig 



Detektive" (1929). Speed-lines und stilisierte Wölkchen, die zu diesem Zeitpunkt 
bei Zille noch keine Rolle spielen, verleihen den Bewegungen ihre Dynamik. 
Inhaltlich soll die Bildgeschichte die technische Überlegenheit der deutschen Trup- 
pen gegenüber den Franzosen herausstreichen: Der motorisierte deutsche Offizier 
besiegt alleine, als typisch unbesiegbarer Comic-Held, eine ganze Armee von fran- 
zösischen Zuaven und Dragonern. 



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K. F. A. C. 




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«aller rrier k l : A C. <Enberllcrjn Frchrtlii|ri» Aiitrarjobü Unp>l. 1914. 



Abb. 12: Walter Trier, Kriegsbilderbogen K.F.A.C. 



Die französischen Soldaten wirken in ihren Uniformen aus dem Krieg von 1870 
lächerlich rückständig gegenüber der modern ausgestatteten deutschen Armee. Mit 



Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



203 



typisch deutschen Tugenden - Mut und Kaltblütigkeit - ausgestattet, soll der 
Endsieg als zwangsläufige Logik erscheinen. Bar aller Realitätsnähe erzählt Trier 
eine kleine Action-Episode, bei der die Franzosen am Ende die Verlierer sind, 
ohne aber diese propagandistisch über die Maßen zu diffamieren. Durch die Dar- 
stellung der Kolonialtruppen gewinnt die Geschichte allerdings eine rassistische 
Komponente, die den Wert der französischen Zivilisation insgesamt in Frage 
stellen soll. 

2) Der Kosake Wladimir 

(Nr. 2, 1914). Etwas weniger dynamisch, aber wiederum mit dem gelben Bild- 
hintergrund erscheinen die sieben (hier nicht abgebildeten) Zeichnungen, die den 
russischen Gegner an der Ostfront porträtieren. Das ungepflegte Konterfei des 
„Kosaken Wladimir" karikiert den Gegner sehr detailliert in entstellender Weise. 
Um die Überlegenheit der deutschen Truppen herauszustreichen, zitiert Trier das 
Motiv des „Ritters von der traurigen Gestalt". Das erste Bild stellt den russischen 
Soldaten als lächerliche Gestalt in der Art eines Don Quichotte dar. Sinnbildlich 
beschreibt die Darstellung den schlechten Zustand von Ausrüstung und 
Verpflegung der russischen Armee, deren Kampfgeist völlig erloschen scheint. In 
der Kaviar-Dose befindet sich nur Sand. Sogar das Pferd Olga sehnt sich nach der 
deutschen Gefangenschaft: „Futter hofft auch sie zu kriegen, wie ihr Reiter 
Wladimir." Die realistische Zeichnung „unsrer schneidigen Ulanen", die dem 
freiwillig gefangenen Kosaken eine bessere Verpflegung bieten, als er sie jemals 
zuvor genossen habe, suggeriert eine totale deutsche Überlegenheit. Die 
Diffamierung gipfelt im vorletzten Bild darin, dass der russische Soldat in 
moralisch verwerflicher Unmanier seine deutschen Helfer bestiehlt: „Zu dem 
Nachtisch aber schmauste, Wladimir, weil er sie mauste, eine Kerze Stearin." Aus 
Dummheit und aus mangelnder Kultiviertheit heraus isst der Russe die 
Stearinkerze, weil er wohl nicht weiß, wozu diese eigentlich dient (Stearin wird aus 
pflanzlichen und tierischen Ölen und Fetten gewonnen, ist essbar und dient primär 
der Kerzen-Herstellung). Auch an der Ostfront scheint der Endsieg einer 
zwangsläufigen Logik zu entspringen. Die materielle Überlegenheit der „deutschen 
Hochkultur" gegenüber den „barbarischen Russen" ist überdeutlich. 

3) Lustige Blätter 

Nr. 3, 1915 (zit. n. „Rire", 09-06-1939): La Triplice est dissoute (Abb. 13). Es folgt 
nun ein Kapitel tragischer Rezeptionsgeschichte des Werkes von Walter Trier: Die 
Karikatur stammt zwar ursprünglich aus den Berliner „Lustigen Blättern", ist hier 
aber als Reproduktion aus dem französischen Journal humoristique „Le Rire" vom 9. 
Juni 1939 zu sehen. Auf der Titelseite eine Karikatur von Franz Jüttner (1865- 
1925): „... und jetzt werden wir dem Bürschchen eine Lektion erteilen!" bezieht 
sich auf den Eintritt Italiens 1915 auf der Seite der Entente unter der Führung des 
italienischen Königs Viktor Emmanuel III. 



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204 



Joachim Sistig 



Im Mai 1915 widmen sich zahlreiche Karikaturisten ausgiebig dem diffamie- 
renden Porträt angeblicher italienischer Untreue gegenüber dem Dreibund- Vertrag 
zwischen Österreich-Ungarn, Deutschem Reich und Italien aus dem Jahre 1882 
(Abb. 13). Im Original lautet die sprachspielerische Bildunterschrift: „Der Drei- 
bund ist aufgelöst. Es bleibt ein Zweibund . . . und ein Vagabund!" Der realisti- 
schen Darstellung des österreichischen und deutschen Soldaten in solidarischer 
Pose steht die Karikatur des Bersagliere gegenüber, der kleiner gewachsen, mit hämi- 
schem Grinsen auf die ehemaligen Verbündeten zielt. Die Chianä-Flasche an seiner 
Seite soll Disziplinlosigkeit suggerieren. Ein häufig wiederkehrendes grafisches 
Mittel bei Trier ist das Spiel mit dem Bildrahmen. Der in das Nachbarbild hinein- 
ragende Gewehrlauf unterstreicht die Gefährlichkeit des scheinbar unvermittelt an- 
greifenden Italieners. 




Abb. 13: Walter Trier, La triplice est dissoute. 

Der Grund für die Reproduktion einer Auswahl von Karikaturen aus den 
deutschen „Lustigen Blättern" zum Thema „Les Italiens vus par les Allemands" ist 
der soeben beschlossene Stahlpakt zwischen Hitler und Mussolini (22. Mai 1939). 
Die Freunde von heute sind die Gegner von gestern — oder frei nach Talleyrand: 
Die Wahrheit ist immer eine Frage des Zeitpunktes. Deutsche Karikaturisten wer- 
den zwanzig Jahre später als Zeugen angeblicher italienischer Wankelmütigkeit 
zitiert. Obendrein wird die Stabilität des zum „Stahlpakt" stilisierten Bündnisses 
der beiden faschistischen Regime in Frage gestellt: Wo gerade noch die charakter- 
liche Schwäche und UnZuverlässigkeit der Italiener in den deutschen Medien 
angeprangert wurde, wird nun plötzlich eine unzerbrechliche Freundschaft be- 
schworen. Ohne die Originalkarikaturen zu modifizieren und lediglich mit 



Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



205 



französischen Übersetzungen ausgestattet sprechen die 25 Bilder des „Numero 
special du Rire" für sich, indem sie die geheuchelte deutsch-italienische Propa- 
ganda entlarven. Im Vorwort heißt es lediglich: „II nous est particulierement 
agreable de relire les injures, les calomnies, qui furent jetees, ä cette epoque, sur 
nos voisins du sud-est par leurs amis d'aujourd'hui. L'Allemagne, ä la nouvelle que 
l'Italie se rangeait du cote de l'Entente anglo-francaise, entra dans une rage 
hysterique dont les dessins reunis ici donnent une excellente idee." Ein Hinweis 
auf die sehr aufmerksame gegenseitige Rezeption der deutsch-französischen Kari- 
katuristenszene, die in der Feststellung gipfelt: „II n'y eut pas, en 1915, un seul 
caricaturiste allemand, pas un seul journaliste, pas un seul ecrivain, pas un seul 
orateur public qui sut garder quelque mesure." In der Tat verlieren Künstler und 
Politiker auf allen Seiten während des Ersten Weltkrieges jedes menschliche Maß — 
Walter Trier ist daher sicherlich nicht der einzige und auch nicht der fanatischste 
Karikaturist auf deutscher Seite. Fatal, geradezu tragisch ist es aber, dass ausgerech- 
net der Jude Trier 1939 in Frankreich indirekt als Agent des faschistischen Regimes 
Hitlers zitiert wird. Denn zu diesem Zeitpunkt lebt er mit seiner Familie bereits seit 
vier Jahren in London und publiziert Zeichnungen mit einer ganz anderen Aussage 
(Abb. 14). 




Abb. 14: Londoner Zeichnung von Walter Trier. 



Von 1941 bis Kriegsende werden seine Anti-Nazi-Cartoons in der vom englischen 
Informations-Ministerium publizierten Zeitschrift „Die Zeitung" regelmäßig veröf- 
fentlicht. Trier wird nach dem Krieg britischer Staatsbürger und reist 1949 zu sei- 
nen Töchtern nach Kanada aus, wo er 1951 in Toronto stirbt. 



Schluss 

Die hier vorgestellten Bild- und Textmaterialien zeigen die Vielschichtigkeit der 
Einsatzmöglichkeiten von populärliterarischen Medien im DaF-Unterricht. Erstens 
illustrieren sie besser als Sachtexte und Fachvorträge einzelne gesellschaftliche und 



206 



Joachim Sistig 



politische Aspekte einer Epoche. Massenpsychologische Stimmungen und Befind- 
lichkeiten in der Bevölkerung — als „Volkes Stimme" verdichtet - finden in Bild- 
und Textgattungen, die für einen Massenkonsum gedacht sind, einen authentische- 
ren Widerhall. Zweitens bieten sie besonders motivierende Sprechanlässe — jedes 
Bild stellt sich zunächst als Suchbild und Rätsel dar, das dem Betrachter bei einer 
Bildbeschreibung eine gewisse Interpretationsfreiheit lässt und zunächst zum 
freien Assoziieren einlädt. Visuelle Eindrücke bieten einen direkten Einstieg auch 
in abstrakte Themenfelder. Drittens bietet das Medium gerade für den Aspekt der 
interkulturellen Horizont-Erweiterung viele Anknüpfungspunkte bei der Aufarbei- 
tung deutsch-französischer Erinnerungsorte aus dem Ersten Weltkrieg. Um im 
Medium zu bleiben, würde sich eine Vertiefung des Themas über eine vergleichen- 
de Betrachtung französischer Karikaturen und Comic-Strips anbieten. Hier müsste 
unbedingt auch auf die Erinnerungsarbeit von Jacques Tardi zurückgegriffen 
werden mit seinen epochalen Werken: „C'etait la guerre des tranchees" (1993), „Le 
der des ders" (1996), „Varlot soldat" (1999) und den Illustrationen zu Celines 
„Voyage au bout de la nuit" (1988). 19 Schließlich stellt das Bildmedium selbst 
bereits ein Dokument deutscher Kultur dar, das gerade bei Künstlern wie Zille und 
Trier eine eingehendere Würdigung verdient. Gerade für die tendenziell BD- 
begeisterteren französischen Deutschlernenden wäre dies sicherlich die Ent- 
deckung eines „starken Stückes Deutschlands". 

Quellen 

Rigolboche, Nr. 7, 20.04.1915 (Bibliotheque Nationale, Cote LC6-144). 
Numero special du „Rire", Nr. 1037, 09.06.1939. 

Hansi, alias Jean-Jacques Waltz (1918): Le Paradis Tricolore. Paris: Herscher. 

Ostwald, Hans (Hrsg.) (1942): Zille 's Hausschaf^. Berlin: Paul Franke Verlag. 

Zille, Heinrich (1915/16): Vadding in Frankreich (2 Bde.). Berlin: Verlag „Lustige 
Blätter". 

Literatur 

Francois, Etienne; Schulze, Hagen (Hrsg.) (2001): Deutsche Erinnerungsorie. 
München: Beck. 

Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd (Hrsg.) (2006): Die Deutschen an der Somme 
1914-1918. Essen: Klartext. 



» Vgl. Sistig 2002. 



Der Erste Weltkrieg in populärliterarischen Medien 



207 



Hörne, John; Kramer, Alan (2004): German Atroäties 1914. New Häven: Yale 
University Press. 

Isnenghi, Mario (Hrsg.) (1996/1997): I luoghi de IIa memoria. Roma: Laterza. 

Kohlrausch, Martin (2010): Das Reich bin ich - Selbstherrlich, dilettantisch, 
modern: Wilhelm IL In: ZEH 'Geschichte, Nr. 4, 2010, 60-63. 

Lemmermann, Heinz (1984): Kriegs er^ehung im Kaiserreich. Bremen: Eres Edition. 

Neuner- Warthorst, Antje (2007): ,Meschuggenes' von Walter Trier. In: Sackmann 
(Hrsg.) (2008), 48-61. 

Nipperdey, Thomas (1998): Deutsche Geschichte. München: Beck. 

Nora, Pierre (Hrsg.) (1984): Les lieux de memoire Bd. 1. Paris: Gallimard. 

Nora, Pierre (Hrsg.) (1986): Les lieux de memoire Bd. 2. Paris: Gallimard. 

Nora, Pierre (Hrsg.) (1992): Les lieux de memoire Bd. 3. Paris: Gallimard. 

Sackmann, Eckart (2007): Bunte Kriegsbilderbogen. In: Ders. (Hrsg.) (2008), 44- 
47. 

Sackmann, Eckart (Hrsg.) (2008): Deutsche Comicforschung 2008. Hildesheim: 
Comicplus +. 

Schnurrer, Achim (2007): Aus der Bildermappe des Meldereiters. In: Sackmann 
(Hrsg.) (2008), 34-43. 

Sistig, Joachim (2002): Invasion aus der Vergangenheit. Das Deutschlandbild in 
frankophonen Bandes Dessinees. Frankfurt/Main: Peter Lang. 

Tubergue, Jean-Pierre; Charpentier, Andre (2007): La plume au fusil: 1914-1918. Les 
journaux des tranchees. Paris: Editions Italiques. 

Ullrich, Volker (2004): Krieg der Worte, Kampf der Bilder. In: Die Zeit, 

24.06.2004, 41. 

Wehler, Hans-Ulrich (1998): Der erste totale Krieg. In: Die Zeit, 20.08.1998, 35. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



Marc Hieronimus 



1 Einleitung 

Seit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert werden deutsche Großstädte mit 
Plakaten tapeziert. Ihre Zahl dürfte über die Jahre erheblich gestiegen sein, über 
die Qualität lässt sich streiten: „Plakate sind in der Politik wie in der Markenartikel- 
Werbung nur noch Sekundanten. So erklärt sich die Armut ihrer Argumentation 
und das Bemühen um ästhetischen Schick" , hieß es schon vor über dreißig Jahren 
(Arnold 1977: keine Seitenangabe). Ob man angesichts ihrer Allgegenwart wirklich 
von einer Zweitrangigkeit sprechen kann, sei dahingestellt; sicher ist, dass Plakate 
weit mehr als nur Dekor, nämlich Ausdruck ihrer Zeit sind. Werbebilder und -bot- 
schaften — und das heißt auch politische — können „hochsensible Quellen mit gera- 
dezu prismatischen Eigenschaften" darstellen, und zwar selbst wenig erfolgreiche. 
„Der Idealfall freilich scheint die durch Werbung zustande gekommene sinnfällige 
oder gar sinnstiftende Abbreviatur gesamtgesellschaftlichen Selbstverständnisses - 
als griffige und formelhafte Bewußtseinsmünze." (Gries; Ilgen; Schindelbeck 
1995a: 17f). 

Gemessen an ihrer Verbreitung und Bedeutung erfahren Plakate, abgesehen 
von einigen semiotischen Studien und populärwissenschaftlichen Motiv- und Fir- 
mengeschichten, in der Geschichtswissenschaft allerdings nur wenig Aufmerksam- 
keit. 1 Das mag auf internationaler Ebene nicht zuletzt an einer Begriffsverwirrung 
liegen: Auf Englisch heißen die Plakate „posters", sind aber keine; denn anders als 



1 Einen Überblick gibt Seidensticker 1995: 5f. 



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210 



Marc Hieronimus 



die Poster im deutschen Sinne sind Plakate auf Außengebrauch hin ausgelegt, und 
im Gegensatz zum Kunstplakat, das auch unter den englischen Poster-Begriff fällt, 
im Deutschen aber meist mit (Original- oder Repro-) „Druck" bezeichnet wird, 
sind Plakate, wenn auch oft von Künstlern gestaltet, fast ausschließlich kommer- 
zieller oder politischer Natur. 2 

So definiert wird die Werbe- und Druckgeschichte zur Vorgeschichte des 
Plakats. Hanns Buchli (1962) geht sicher zu weit, wenn er, gestützt auf Beispiele 
aus Uruk und anderen alttestamentarischen Grabungs statten, von „6000 Jahren 
Werbung" spricht; selbst nach einer weiten Definition wie der seinen fallen bloße 
Hinweisschilder doch nicht unter die Kategorie. Wichtig ist sein Hinweis auf die 
gleichen Wurzeln von Wirtschaftswerbung und politischer Propaganda. Er spricht 
von zwei Erscheinungsformen der Werbung. Wirtschaftswerbung und politische 
oder weltanschauliche Propaganda (wie etwa die Mitgliederwerbung [sie!] für 
religiöse Strömungen) bedienten sich gleicher Mittel, und das Gbjekt sei in jedem 
Falle der Mensch (Buchli 1962: 42). So kommt er zu folgenden Begriffsbestim- 
mungen: „Werbung ist eine Beeinflussung des Menschen, die ihn veranlaßt, etwas 
freiwillig zu tun", nämlich „sich freiwillig eine Uberzeugung anzueignen und sie als 
wahr anzuerkennen" im Falle der politischen Werbung oder Propaganda, oder 
„freiwillig ein Geschäft abzuschließen" in dem der Wirtschaftswerbung (Buchli 
1962: 64). 3 

1.1 Druckgeschichte 

Die Geschichte der Druckgrafik als Vorbedingung für die Entstehung des Plakats 
beginnt im Spätmittelalter. Auf das Jahr 1390 ist die älteste Urkunde über gewerb- 
liche Papierherstellung in Deutschland datiert; erst als der Nürnberger Großkauf- 
mann Ulrich Stromer und seine Nachfolger und Konkurrenten massenhaft Papier 
herstellten, konnte sich der Buch- und Bilddruck zunächst mit unbeweglichen, seit 
Gutenberg dann mit beweglichen Lettern fortentwickeln. Um 1440 kommen Kup- 
ferstiche auf, von denen man bis zu 2000 Abzüge machen kann; der gröbere Holz- 
schnitt lässt sich beinah unbegrenzt wiederverwenden. Plötzlich gibt es also käuf- 
liche Bilder. „Dass von einem einzigen Original, einem Druckrelief, eine Vielzahl 
von Abzügen genommen werden konnte, dürfte im frühen 15Jh. so ähnlich be- 
staunt worden sein wie die wundersame Brotvermehrung. [...] Solche wundersame 
Bildvermehrung bringt einen sozialen wie psychologischen Umschwung mit sich. 



2 Warnungen und Hinweise werden in der Regel auf Schildern kommuniziert, und auch „ungeklebte" 
Plakatsatire etwa in der Zeitschrift „Titanic" fällt nicht unter den Begriff. 

3 Der Zusammenhang war früher geläufiger: Der Werbegrafiker Julius Klinger hat das Titelbild einer 
Zeitschrift mit Namen „Propganda" gestaltet; das von Robert Exner herausgegebene Blatt zeigte laut 
Eigenwerbung „den Weg zum geschäftlichen Erfolg". Ein anderes Beispiel: Hans Domizlaff, Berater 
von Reemtsma, Siemens und der Deutschen Grammophon und vielleicht der „Urfaust" der deut- 
schen Werbung, konnte „keinen Unterschied darin erblicken, ob [er] ein Wirtschafts-Untemehmen 
berate oder eine Staatsidee" und brüstete sich damit, Goebbels habe sein Buch namens „Die Propa- 
gandamittel der Staatsidee" auswendig gelernt, vgl. Schindelbeck 1992: 23f. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



211 



[. . .] Wer beispielsweise den Hl. Christopherus nicht mehr nur an einer bestimmten 
Kirchenwand um Fürbitte anrufen muss, ihn stattdessen als gedrucktes Bild belie- 
big oft zur Hand und in den Blick nehmen kann, dessen Einstellung zu Seelenheil 
und Kunst wird sich grundlegend verändern." (Rebel 2 2009: 14f.). Um 1505 gibt es 
in Italien erste Beispiele für Reproduktionsgrafik (statt Originalgrafik). Dürer und 
Raffael gelten als die ersten reproduzierten Meister der Kunstgeschichte. 

Über dreihundert Jahre blieben Kunstdrucke einem wohlhabenden Publikum 
vorbehalten. Litfaßsäulen, Anschlagkästen und „Sandwichmänner" als öffentliche 
Bildträger kamen erst Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auf, denn ,,[e]rst seit 
1844, als Holzschliff als Rohmaterial für die Papierherstellung eingeführt wurde, 
konnte Papier preiswert und in großen Mengen hergestellt werden." (Ingenkamp 
1996: 164; vgl. auch Buchli 1966: 223), und noch ein wenig später erlaubte die Ent- 
wicklung des Rasterdrucks durch Georg Meisenbach die massenhafte Repro- 
duktion jedes beliebigen Bildmotivs. Nun erst entsteht das Plakat als „groß- 
formatiges, auf demonstrative Wirkung angelegtes Druckerzeugnis (lat. Placatus 
,geebnet, geglättet'). [...] Technisch und wahrnehmungspsychologisch ist das Me- 
dium Plakat an die Erfindung der Lithografie geknüpft: an deren beschleunigte, 
auflagenstarke, kostengünstige und aktualitätsbegierige Reproduktionsleistung, aber 
auch an deren künstlerisch experimentelle Formkraft. Bei Einbeziehung foto- 
mechanischer Komponenten wird das Plakat dann im System der industriellen 
Druckgrafik, also etwa ab 1890, ein bevorzugter Aufmerksamkeitsfänger und 
Werbeträger für politische Propaganda und kommerzielle Reklame." (Rebel 2 2009: 
245). 

Nun enstehen z.B. die heute noch geschätzten Kunst-/ Werbeplakate Cherets 
und Toulouse-Lautrecs. Der Kunsthistoriker Ernst Rebel spricht in diesem Zu- 
sammenhang von einer (zweiten) „Transmedialisierung": „Wie um 1500 mit der er- 
reichten Gleichberechtigung von Malerei und Druckgrafik eine erste Transmedi- 
alisierung stattgefunden hat, so nun um 1900 mit erreichter Gleichberechtigung 
von künstlerischem und industrialisiert-öffentlichem Bild der gebrauchsgrafischen 
Medien eine zweite." (Rebel 2 20 09: 126). 4 Von den 1890er Jahren bis zur Wie- 
marer, vielleicht sogar Bonner Republik sollten Plakate ein bedeutendes Medium 
künsderischer Entfaltung sein; es wird sich zeigen, dass die Grafiker und Werbe- 
fachleute wenig Bedenken hatten, ihre Kunst in den Dienst von Kommerz und 
Propaganda zu stellen. 



2 Werbeplakate 

Das Phänomen Werbung wird oft unterschätzt. „In den USA hat man schon 1968 
in einer Untersuchung festgestellt, daß rund 1600 Werbeimpulse täglich auf den 
Verbraucher eindringen. Und das waren schon seinerzeit rund 500% mehr als 20 



4 Zu den Werken der (Kunst)Druckgrafik vgl. Rebel 2010. 



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Marc Hieronimus 



Jahre zuvor." (Schönert 1988: 46). Eine Fachindustrie von Grafikern, Psychologen, 
Soziologen, Lobbyisten, Marketingstrategen und anderen Experten arbeitet seit 
Jahrzehnten beharrlich an der stetigen Ausweitung der werblichen Beeinflussung 
des Bürgers durch Vermehrung der Träger und Kanäle und durch Verfeinerung 
der Mittel, oder positiv ausgedrückt: „Die Hauptaufgabe der modernen Werbung: 
sorgfältig und bedacht die individuelle Persönlichkeit des Konsumenten und seiner 
Bezugsgruppen aufzusuchen und anzusprechen." (Huber 1990: 129). Das wich- 
tigste Mittel sind dabei die Bilder, denn sie erregen schneller größere und längere 
sowie emotionalere Aufmerksamkeit und transportieren ihre Botschaften subtiler 
als Texte. Dem entsprechend werden Werbebotschaften nach Einschätzung eines 
Werbefachmanns auch nur zu fünf Prozent bewusst wahrgenommen, zu 95 Pro- 
zent aber unbewusst emotional (Huber 1990: 15). 5 Dem wird im Unterricht wenig 
entgegengesetzt. „Unsere Gesellschaft vermittelt primär Kulturtechniken im Um- 
gang mit dem sprachlichen Symbolsystem — Lesen wie Schreiben — und vernach- 
lässigt sträflich die Visual Hteracy" (Schierl 2005: 309). 6 

Dabei ist die Erkenntnis, in einem visuellen Zeitalter zu leben, umgeben von 
halbverstandenen, aber dennoch wirksamen Zeichen, nicht neu. Schon zu Beginn 
der 1970er Jahre gab es durchaus Bestrebungen, den klassischen, vermeindich ide- 
ologisch aufgeladenen Kunstunterricht durch das Fach „Visuelle Kommunikation" 
zu ersetzen, in dem es zum Beispiel darum gegangen wäre, „Gebrauchsgegen- 
stände wie: Kleider, Schränke, Parks, Flugzeuge, Autos, Zeitschriften, Gemälde, 
Fotos, Reklamematerial, Dias, Filme usw. als Träger von visueller Information (= 
vi) und als visuelle Phänomene (vPh) wahrnehmen und begreifen [zu] lernen", 
oder das „Angebot an visueller Kommunikation im Bereich des Freizeitverhaltens 
als Angebot von Waren interpretieren [zu] lernen". Insbesondere sollte es um eine 
„Sensibilisierung für die Möglichkeit, über vi manipuliert zu werden" gehen und 
darum, die „Abhängigkeit der Produktion von vi von ökonomischen Bedingungen 
erkennen" zu lernen. (Hartwig 1971: 339). 

Kunsterziehung und Kunstunterricht als Erziehung durch bzw. zur Kunst 
wurde damals, bei aller heute vermeindich obsoleten Rhetorik, völlig zu Recht als 
ungenügend kritisiert: 

,,a) Bildende Kunst ist seit langem, aber erst recht heute nicht mehr denn ein 
Teilbereich optischer Kultur; andere Bereiche optischer Kultur (Fotografie, 
Film, Fernsehen) haben ihn schon rein quantitativ weit überflügelt, b) Die 
quantitative Dominanz der sog. Massenmedien wird zur qualitativen, da ihre 
kommunikative Effizienz durch Masse und Realitätsgrad ungleich höher liegt 
als bei der Bildenden Kunst [...] c) Die Darstellung gesellschaftlichen Bewußt- 
seins vollzieht sich heute außerordentlich effektiv in den optischen Massen- 



5 Wie Imagewerbung (wahrscheinlich) funktioniert erklärt der Evolutionsbiologe Geoffrey Miller 
(Miller 2010). 

6 Zur Bedeutung der Bilder in der Werbung vgl. a. Messaris 1997. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



213 



kommunikationsmedien; es ist hier von jedermann jederzeit relativ problemlos 
erfahrbar und mitvollziehbar." (Möller 1971: 363f.). 7 

2.1 Geschichte der Plakatwerbung 

In ihrer umfangreichen Dissertation zur Reklame in Deutschland macht Christiane 
Lamberty drei Wurzeln der Plakate aus: amdiche Ankündigungen, Buchhändler- 
plakate und die illustrierten Plakate der Schausteller. 8 Als um 1850 die ersten 
Produktwerbeplakate aufkommen, haben sie noch recht eigentümliche Formen: 
„Produktreklame wurde zunächst nur durch so genannte ,Blankoplakate' gemacht; 
in fertige Entwürfe wurden nur noch die jeweiligen Firmen- bzw. Markennamen 
eingefügt. Reisende der Druckereien legten dazu zweimal jährlich den Kunden fer- 
tige Plakate zur Auswahl vor." (Lamberty 2000: 189). Gegen Ende des neunzehn- 
ten Jahrhunderts wird das Plakat nun als eigenes Kunst- und Werbemedium ent- 
deckt; deutsche Beiträge zur gewerblichen Bildkunst aber lassen zunächst noch auf 
sich warten. Die ersten innovativen Plakate deutscher Herkunft — Thomas Theo- 
dor Heines „Simplicissimus"-Hund und Ludwig Sütterlins Plakat für die Berliner 
Gewerbeausstellung — wurden im „Durchbruchs jähr" 1896 veröffentlicht, nach- 
dem die Besucher der Plakatausstellungen in London (Royal Aquarium 1894 und 
1896) und Hamburg (Museum für Kunst und Gewerbe 1896) das bereits über 
zehn Jahre dauernde Schaffen vor allem britischer, amerikanischer und 
französischer Künstler hatten bewundern können. Nach den Jahren des „Miss- 
trauen [s] gegenüber der Gebrauchsgraphik" eines Grasset oder Mucha als 
vermeintlich minderwertige Kunstform (Ingenkamp 1996: 167) konnten sich nun 
München und Berlin als frühe Zentren der jetzt auch über Ausschreibungen 
angeregten Kunstform herausbilden. 

Zu einer eigenständigen Marke wird das deutsche Plakat aber erst ab 1903, als 
Hans Lindenstaedt und Lucian Bernhard beginnen, das „Berliner Sachplakat" zu 
entwickeln. „Hierbei ging es vor allem um Verkürzung, Komprimierung und Asso- 
ziation. Alles als überflüssig empfundene Beiwerk wurde weggelassen; was übrig 
blieb, suchte man in seinem Informationsgehalt weiter zu komprimieren, so dass 
vor allem der Textanteil zugunsten des Bildanteils schrumpfte. Assoziative Zusam- 
menhänge zwischen Bild und Text wurden bewusst angestrebt, das Prinzip der 
,Wort-Bild-Marke' zum obersten Prinzip erklärt. [...] Die Reduktion und Konzen- 
tration hatte nicht nur eine völlig neue Bildwelt zur Folge, sondern auch enorme 
Auswirkungen." (Grohnert 2007: 78) Zunächst bestand die Auswirkung darin, dass 
der Jugendstil überwunden wurde. Man kann im Berliner Sachplakat einen Vor- 
läufer der Bauhaus-Werbegrafik sehen, insofern seine Konzeption auf empirische 



7 Vgl. a. den Beitrag der Adhoc-Gruppe Visuelle Kommunikation im selben Band: Adhoc-Gruppe 
Visuelle Kommunikation 1971. 

8 Als kleine Einführung zu Wesen und Geschichte der Plakatwerbung s.a. Haubl 1992. 



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Marc Hieronimus 



Untersuchungen gestützt war und von einer heute nur noch schwer vorstellbaren 
Publizistik und öffendichen Diskussion begleitet wurde. 




Abb. 1: Kein „Phrasennebel" (Lamberty 2000: 196): Manoli Gibson Girl (Dame mit 
Rose). Plakat von Lucian Bernhard, o.J. (vor 1911). Hollerbaum & Schmidt, Berlin 
Farblithographie, Steindruck, 69 x 92,5 cm. 
Deutsches Historisches Museum Berlin. 



1907 rufen je zwölf Künstler und Industrielle zur Gründung des Deutschen Werk- 
bundes auf. ,,[D]ie Unternehmer zogen aus dem schlechten Abschneiden des 
deutschen Kunstgewerbes auf den Weltausstellungen und dem verheerenden Ur- 
teil, dass dieses im Vergleich zum französischen oder englischen besonders stillos 
sei und für die Massenproduktion nicht tauge, die Konsequenz, der Einsatz künst- 
lerischer Entwürfe sowohl in der Produktion als auch in der Werbung sei 
aussichtsreich, um für qualitativ hochwertige Waren Marktchancen zu eröffnen." 
Im Werkbund wird ein „Programm allgemeiner Geschmacksbildung als das 
gemeinsame Werk von Produzenten, Künstlern, Einzelhandel und Reklamefach- 
leuten" entworfen. (Lamberty 2000: 329). 

In der Symbiose von Kunst und Gewerbe sollte auch die Volkserziehung nicht 
vergessen werden. 1912 fragt Adolf Saager, der Generalsekretär der Vereinigung 
Die Brücke: „Wie ist die Reklame zu organisieren, damit das dafür ausgegebene 



Plakate im DaF-Unterricht 



215 



Geld den höchsten Nutzeffekt ergibt und zugleich in den Dienst der Kultur ge- 
stellt wird?" (Lamberty 2000: 324) Er stellte sich eine Koppelung zwischen 
Reklamezweck und einem kulturgeschichtlichen, gesundheitserzieherischen oder 
anders bildenden Text auf der Rückseite aller Reklamebilder vor, „Reklame als 
Kulturträger, als die mit Riesenmitteln ausgestattete Volkshochschule." (ebd.: 325). 



CIRCUS ALBERT SCHUMANN 

* 




«I DOPA 9» 
SCHUMANN 
AUF IHREM 
SCHULPFERD 
DEWETT'.' 



Abb. 2: Mit Ludwig Hohlwein „tritt das Erhabene in die Plakatwelt ein" (Kühnel 
2007: 143), 1910. Circus Albert Schumann - Fräulein Dora Schumann auf ihrem 
Schulpferd "Dewett", o.J. (um 1910). Vereinigte Druckereien und Kunstanstalten, 
München. Farblithographie, Steindruck. 242,5 x 176 cm. 
Deutsches Historisches Museum, Berlin. 



216 



Marc Hieronimus 



So lässt sich (auch) anhand der Werbung deutsche Mentalitäts- und Geistes- 
geschichte nachvollziehen, und Beispiele sind leicht zu finden. Nach der frühen 
Glanzzeit des Werbeplakats haben viele Künstler ihr Können in den Dienst der 
politischen Parteien gestellt, weshalb man beim politischen Plakat der Weimarer 
Republik, wie sich unten zeigen wird, von einer Blütezeit sprechen kann. Zugleich 
wurde die Wirtschaftswerbung perfektioniert. 

1919 kam es zur Gründung des Bundes deutscher Gebrauchsgrafiker, denn 
„Reklame war vor allem ein Arbeitsfeld dieses Standes geworden, wenngleich nach 
wie vor die so genannten freien Künstler auf diesem Felde tätig waren [...]. Das 
hatte durchaus beflügelnde Wirkung. Die verschiedenen Strömungen wie Expres- 
sionismus, Dadaismus, Futurismus und Neue Sachlichkeit oder Konstruktivismus 
hatten Einfluss auf die stilistischen Mittel im Plakat gewonnen." (Kühnel 2007: 
143). Im Deutschen Werkbund, im Staatlichen Bauhaus, an der Essener Folkwang- 
schule für Gestaltung wurden gestalterische Positionen, Bildaufbauten und 
Schriften entwickelt, die zum Teil bis heute von Bedeutung sind. 

Für die Zeit von 1933 bis 1945 ist von einer „leichten Faschisierung" der Wer- 
bung gesprochen worden (Ingenkamp 1995: 237-245); festzuhalten ist jedenfalls, 
dass die Werbewirtschaft im Dritten Reich von der „Gleichschaltung" nicht ver- 
schont blieb und klaren nationalsozialistischen Zwecken zu dienen hatte (vgl. 
Westphal 1989; Rücker 2000). Typisch für die Nachkriegszeit bis Ende der 1950er 
Jahre waren Plakate mit der Aufschrift „Es gibt wieder...". 9 

2.2 Neuere Beispiele 

Gerade im großen und reichen Deutschland scheint es sich nach wie vor zu 
lohnen, landesspezifische und so nirgends sonst verständliche Werbung zu schal- 
ten. So gab es kurz nach dem neunten November 1989 im werbemäßig schon 
einmal vor-vereinigten Deutschland eine Plakatwerbung von Fiat: Vier offen- 
sichdich ostdeutsche Interessierte schauen sich einen Fiat Panda an. 10 Darüber 
steht: 

„Also mal ehrlich, Erich... äh Egon..., den real existierenden Spätkapitalismus 
hatten wir uns wesentlich dekadenter vorgestellt. — Fiat Panda. Die tolle 
Kiste." Unter dem Bild heißt es: „Was hatte der Schwarze Kanal nicht alles 
über den Westen erzählt: kalte Glitzerwelt, verchromte Herzlosigkeit. Und 
dann fährt man rechts ran, kauft Bananen, und plötzlich fällt es einem wie 
Glasnost von den Augen: dieser Kleine da, nicht größer als ein Trabi, das soll 
der Konsumterror sein, vor dem die weise Führung immer gewarnt hat? 



9 Bei der Übernahme der großen Werbefirmen durch amerikanische Konkurrenten sei es zum Verlust 
jeglicher Eigenständigkeit und damit zur „Amerikanisierung" der Werbung in Deutschland gekom- 
men, schreibt Konstantin Ingenkamp in seiner Dissertation zum Thema (1996: 266-275), bleibt aber 
eine genauere Beschreibung des „Amerikanischen" in der deutschen Werbung schuldig. 

10 Reproduziert auf dem Titelblatt der Geschichtswerkstatt 25 (1992): Werbung als Geschichte. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



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Lächerliche 4,0 1 bleifrei Super [...] - ist das die spätkapitalistische Vergeudung 
knapper Ressourcen? 11.990,- DM für 45 PS/33kW, geregelten 3-Wege-Kat., 
verschiebbaren Aschenbecher und wiederverschließbare Türen — das soll Aus- 
beutung der werktätigen Massen sein? Der Panda ist lieferbar in Sozialis- 
musrot, Preußischblau, Diplomatenschwarz und weiteren United Colors. [...]." 

Die „United Colors" spielen natürlich auf die italienische Modefirma Benetton und 
die außerordentlich Aufsehen erregenden, wenn auch letztlich nicht unbedingt ein- 
träglichen Plakatkampagnen Oliviero Toscanis an, mit der der Parforceritt durch 
die Geschichte der Werbeplakate enden soll. Anfang der 1990er Jahre machte eine 
neue Art Werbung Furore, die gegen die eiserne Regel der Branche zu verstoßen 
schien, niemals Problematisches darzustellen. 11 Toscanis Plakate zeigten keine 
Kleidung (jedenfalls nicht von Benetton), sondern nur Problematisches - einen 
Säugling voller Schmiere an der Nabelschnur, zwei kopulierende Pferde, eine öl- 
verschmierte Möwe, einen Aids-Patienten im Endstadium, ein Opfer eines Mafia- 
mords, Kondome — und trafen damit einen Nerv. Als Imagewerbung schien seine 
Kampagne zunächst außerordentlich erfolgreich, indem die vormals „brave" 
Benettonkleidung nun zu einer Art globaler Protestkleidung avancierte, deren 
Träger etwa Toleranz, Entrüstung und Verantwortungsgefühl demonstrierten. Die 
Öffentlichkeit war gespalten, schließlich blieben die Plakate kommerziell orien- 
tierte Werbung. „Unbehagen bereitete es Kritikern, dass es manchen Benetton- 
Plakaten offenbar tatsächlich gelang, eine größere Aufmerksamkeit auf Themen 
wie Aids oder Rassismus oder auch den Krieg in Bosnien zu lenken, als es andere 
Medien damals vermochten. Mit der Verwendung von Pressefotos in den Kam- 
pagnen von 1992 holte Toscani die Realität in ihren negativen Erscheinungsfor- 
men in die heüe Welt der Werbung." Pöring 2008: 634). 

1994 erschien das wohl berühmteste Plakat: eine blutige Uniform. „Das Foto 
rief heftigste Kritiken hervor", Zeitungen lehnten den Abdruck ab. „In Deutsch- 
land protestierten Benetton-Händler und meldeten Umsatzeinbußen [...]. Ent- 
scheidend für die nachhaltige Wirkung seiner Bilder ist nicht zuletzt, dass Toscani 
den Betrachter mit seiner Interpretation allein lässt. Er serviert die Klischees fron- 
tal und geradezu klinisch rein und fordert damit fast unvermeidlich eine Reaktion 
heraus." (Döring 2008: 635f). In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre verzichtete 
Benetton auf Imagewerbung, unterstützte aber weiterhin etwa die Formel 1. Zur 
Trennung von Toscani kam es im Jahre 2000 in der Kontroverse um eine neue 
Plakatserie, die amerikanische Häftlinge in Todeszellen zeigte. In Insgesamt 120 
Ländern waren Benetton-Plakate zu sehen, viele wurden zensiert, manche waren 
Gegenstand von Gerichtsverfahren, auch in Deutschland. 



11 Eine andere, untergeordnete Regel der Werbung ist freilich „Abweichen von der Norm" (so der 
Titel des Art-Directors-Club-Jahrbuchs 1998). Hier hat die schwächere die stärkere einmal 
geschlagen. 



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Marc Hieronimus 



3 Politische Plakate 

„Erste Zeugnisse von Rang verdankte die politische Plakatkunst im kaiserlichen 
Deutschland der satirischen Zeitschrift ,Simplicissimus"', vor allem dem schon 
zitierten Thomas Theodor Heine. Käthe Kollwitz' Plakat für die Deutsche Heim- 
arbeit-Ausstellung von 1906 wurde auf Wunsch der Kaiserin von den Anschlags- 
säulen entfernt, weil ihr das Motiv einer abgearbeiteten Frau nicht gefiel (Malhotra 
1984: 17). Kollwitz verstand sich als politische Künstlerin: „In solchen Augen- 
blicken, wenn ich mich mitarbeiten weiß in einer internationalen Gemeinschaft 
gegen den Krieg, hab ich ein warmes, durchströmendes und befriedigendes 
Gefühl. Freilich, reine Kunst in dem Sinne wie z.B. die Schmidt-Rottluffs ist meine 
nicht. Aber Kunst doch. Jeder arbeitet, wie er kann. Ich bin einverstanden damit, 
dass meine Kunst Zwecke hat. Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen 
so ratlos und hilfsbedürftig sind." (zitiert bei Malhotra 1984: 11). 

Buchlis Werbe-Definition (s.o) legt eine enge Verwandtschaft von Wirtschafts- 
werbung und politischer Propaganda nahe. Ästhetisch und personell sind beide 
Arten eng miteinander verwoben, schon weil ab 1916 (fast) dieselben Grafi- 
ker/Künstler die Plakate gestalten. Im dritten Kriegsjahr entschied sich die neue 
Oberste Heeresleitung unter Ludendorff, nun auch massiv Propaganda zu 
betreiben und gewann den Werbegrafiker Lucian Bernhard für die Gestaltung des 
Plakats zur fünften Kriegsanleihe. Bis dahin schien es, „als sei das drastische 
Feindbild mit einem Tabu belegt. Dieses für uns rätselhafte Verhalten hatte einen 
Grund: Auf die alliierte Flugblattpropaganda antwortete die Heeresleitung aus 
moralischen Bedenken nicht." (Vorsteher 2007: 124). 



3.1 Politische Plakate der Weimarer Republik 

1918 begann dann die große Zeit des politischen Plakats: „Gleich nach der 
Novemberrevolution wurde das Land nicht nur mit amtlichen Plakaten über- 
schwemmt, vor allem die politischen Parteien bemächtigten sich nun dieses Medi- 
ums. In einer ereignisreichen Zeit des politischen Umbruchs, in der es weder 
Rundfunk noch Fernsehen gab, die Zeitungen entweder nicht erschienen oder für 
eine schnelle Information nicht zu gebrauchen waren, sich viele eine solche auch 
nicht leisten konnten, kam Plakaten eine besonders große Bedeutung zu. Aber 
nicht nur die turbulenten Ereignisse trugen zu ihrer Vermehrung bei, sondern vor 
allem die Tatsache, daß die einschränkenden Zensurbestimmungen nun zum 
größten Teil weggefallen waren. Das Plakat war als schlagkräftiges Agitations- und 
Propagandamittel in der geistigen Auseinandersetzung und im politischen Kampf, 
vor allem in den Wahlkampfschlachten, bestens verwendbar." (Bayrisches Haupt- 
staatsarchiv München 1996: 9). 12 



12 Im Bayrischen Hauptstaatsarchiv sind 40.000 Plakate archiviert, davon 25.000 politische, die v.a. 
auf die „Sammlung Rehse" zurückgehen. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



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Die Sprache der Plakate war nach über vier Jahren Weltkrieg, Revolution und 
alltäglich gewordener blutiger Auseinandersetzung mit politischen Gegnern nicht 
mehr dieselbe wie zuvor. „[Ajbgesehen vom agitatorischen Gestus, mit dem nach 
1918 für neu entstandene Parteien und deren Ideen geworben wurde, erschienen 
oft Schreckensbilder des politischen Gegners, gepaart mit Katastrophenvisionen. 
Was bis dahin nur in der Karikatur und Pressezeichnung oder im Flugblatt möglich 
gewesen war, zog nun in die Bildwelt des öffentlichen Anschlags ein: Verun- 
glimpfung, Spott und Abschreckung; ebenso eine Ikonographie, die sich bestimm- 
ter Stereotypen für Gut und Böse bediente." (Kühnel 2007: 142). 




Abb. 3: Was will Spartakus?/K.P.D. (Spartakusbund), 1919. 
Deutsches Historisches Museum Berlin. 



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Marc Hieronimus 



Manfred Hagen ( 2 1984: 49) schreibt zur Bedeutung der Plakate, sie seien „Rufe auf 
Papier" gewesen. „Was heute in der westlichen Welt meist kurz vor Wahlterminen 
als Plakate von Parteien sichtbar wird, das sind nur blasse Nachkommen einer fast 
ein Jahrhundert lang blühenden, äußerst mannigfaltigen und oft aussagestarken 
Propagandaform." Wie schon das Berliner Sachplakat ist auch das politische Plakat 
auf die Eigenheiten des Passanten der Großstadt zugeschnitten. „Sein Adressat ist 
nicht der lesende, zuhörende, in Ruhe nachdenkende Mensch, der sich vorsätzlich 
politischen Fragen widmet, sondern der unterwegs Befindliche, der zur Arbeit, 
zum Einkauf oder zum Termin eilt. Dieses Vorübergehen nutzt das Plakat. Es soll 
den Menschen, der sich mit dem intendierten Appell möglicherweise sonst nicht 
befassen würde, mit optimal platzierten und großformatigen Aufrufen gleichsam 
im Flug ansprechen, die nur einige Schritte währende Aufmerksamkeitsspanne 
maximal nutzen und schnellstens eine ,Botschaft' vermitteln. [...] Die Notwendig- 
keit, einen möglichst komprimierten Appell auszusenden, hat in diesem Sinn, 
massenpsychologische Meisterwerke hervorgebracht..." (ebd.). Vielleicht ist das 
auch der Grund für die Armut so vieler heutiger (Groß-) Plakate; so sie nicht etwa 
an Bahnhaltestellen angebracht sind, richten sie sich an Autofahrer, die nur noch 
Bruchteile von Sekunden zur Betrachtung haben. Viel lässt sich in dieser Zeit nicht 
vermitteln. 

Alle während der Weimarer Zeit bedeutenden Parteien (von links nach rechts: 
KPD, SPD, DDP, Zentrum, DVP, BVP, DNVP, NSDAP) nutzten auf ihren 
Plakaten drastische Bilder und Sprüche. Ein Historiker hat 1939 in seiner Disser- 
tation über Wesen und Bedeutung der Plakate in der „Kampfzeit" die „Gesetze 
der publizistischen Massen- und Volksführung, zitiert und zusammengetragen 
nach Ernst Dovifat und Adolf Hitler" zusammengetragen: 1. Humanität und 
Schönheit können wegen des „herrschenden Existenzkampfes der Völker [...] nicht 
als Maßstab für Propaganda Verwendung finden"; 2. Propaganda „hat sich ewig 
nur an die Masse zu richten". Daraus folgen die Grundgesetze der geistigen Ver- 
einfachung, der Stoffbeschränkung, der „hämmernden Wiederholung", der Subjek- 
tivität, der gefühlsmäßigen Steigerung etc. (Medenbach 1941: 12-14). Die Bedeu- 
tung des Plakats ist für ihn auch nach sechs Jahren Diktatur noch gegeben: Es sei 
„eine der der zahlreichen Waffen, die heute der moderne Publizist zur geistigen 
Formung und Führung der Massen und Völker einsetzt." Und anders als Film, 
Zeitung oder Rundfunk sei es „zu jeder Zeit wirkungsbereit. Es kann jeden erfas- 
sen, der auf die Straße hinausgeht, ob zur Arbeit oder zum Spaziergang nach Feier- 
abend." (ebd: 1,3)." 

3.2 Politische Plakate der Bundesrepublik 

Nach dem zweiten Weltkrieg nehmen die politischen Plakate eine andere Gestalt 
an; das Umdenken der „Stunde Null" war allerdings nicht ganz so radikal, wie man 

13 Zu politischen Plakaten vgl.a. Brommer; Krümmel; Werner 2002. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



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heute meinen mag: „Zwar hatte der Holocaust den biologischen Rassismus 
weitgehend diskreditiert; ein kultureller Rassismus indes schimmerte weiterhin 
durch, wenn Sowjetbürger als Menschen niederer Kultur, als verdreckt, gewalttätig 
und eroberungssüchtig präsentiert wurden, und auch Reminiszenzen an den biolo- 
gischen Rassismus erhielten sich in einzelnen Darstellungen [...]." (Paul 2008: 95). 
In Erinnerung geblieben ist vor allem das CDU-Plakat von 1953. 




Abb. 4: Ein „Klassiker" des politischen Plakats: CDU-Werbung von 1953. 
Deutsches Historisches Museum Berlin. 



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Marc Hieronimus 



„Wie kein anderes Bild transferiert das Plakat das bis dato figürlich angelegte 
antikommunistische Feindbild in eine moderne zeitgenössische Bildsprache, indem 
es dieses mit dem Bild einer strukturell-totalitären Bedrohung verkoppelt. Ähnlich 
wie bei dem Foto vom Torhaus Au schwitz -Birkenau erzeugt das Plakat einen ener- 
getischen Kraftraum, der sich sowohl aus der zentralperspektivischen Anordnung 
seiner Bildelemente wie aus dem hypnotischen Blick des bolschewistischen Funk- 
tionärs ergibt, der die mit dem Sowjetsystem assoziierten Überwachungs- und Be- 
spitzelungsängste aktiviert." (Paul 2008: 90) 

Die politischen Plakate wurden schon bald nach Gründung der Bundes- 
republik nicht mehr aus dem Bauch heraus konzipiert: „Seit Beginn von Adenauers 
Kanzlerschaft erforschte das Institut für Demoskopie in Allensbach im Auftrag 
der Regierung fortlaufend die öffentliche Meinung über Adenauer; vor Wahlen 
wurden diese Untersuchungen durch EMNID-Studien auf Kosten der CDU 
ergänzt. Allensbach-Chef Peter Neumann gehörte auch bei der Bundestagswahl 
von 1957 zu den wichtigsten Beratern, denn es galt, die Kanzlerdarstellung an die 
Umfragen anzupassen. Im Herbst 1956 sprachen sich nur 34 Prozent der Befrag- 
ten für eine erneute Wahl Adenauers aus, was gegen eine starke Personalisierung 
des Wahlkampfes sprach. Nachdem jedoch seine Beliebtheit nach der Nieder- 
schlagung des ungarischen Volksaufstands durch sowjetische Truppen in den inter- 
nen Meinungsumfragen wieder steil anstieg, setzte die Wahlkampfleitung erneut 
ganz auf den Kanzler. Deutlich negativ schlug in den Umfragen lediglich zu Buche, 
dass Adenauer als zu alt angesehen wurde." (Bosch 2008: 196). Also wurde er für 
das berühmte Plakat verjüngt. 

Hubert Straufs Essener Agentur „Die Werbe", die das Plakat gestaltet hat, 
zeichnete auch für den Coca-Cola-Spruch „Mach mal Pause" verantwortlich. „In 
ihrer sprichwörtlichen Eingängigkeit wurden [die beiden Sprüche] zu den mentalen 
Imperativen der spätem Adenauerzeit." (Gries; Ilgen; Schindelbeck 1995b: 94). 
„Das ,Keine-Experimente'-Plakat zeichnet sich zudem durch eine Konzentration 
auf das Wesentliche aus. Der Verzicht auf einen Hintergrund und die alleinige 
Fokussierung auf Adenauers Kopf waren ebenso auffällig wie die prägnante Kürze 
des Slogans. Dies korrespondierte mit Adenauers politischer Gabe, komplexe 
Sachverhalte zu vereinfachen, zuzuspitzen oder verschmitzt schön zu färben. Das 
Wahlplakat von 1957 war in gewisser Weise ein Ausdruck seiner pointierten Rhe- 
torik, die etwa im gleichen Jahr die Aufstellung von Atomwaffen als weiter- 
entwickelte Artillerie rechtfertigte." (Bosch 2008: 197). In seiner Einfachheit ist das 
Plakat raffiniert gestaltet. „Die semantische Ähnlichkeit mit der Wahlkampfaussage 
der Union aus dem Jahr 1986/87 ,Weiter so, Deutschland!' ist frappierend. ,Weiter 
so Deutschland' aber entwickelte längst nicht jene dramaturgische Spannung, die 
die Text-Bild-Komposition ,Keine Experimente' — auch aufgrund ihres histori- 
schen Ortes — auszeichnete: Den aufrüttelnden Worten auf der einen Seite 
antwortete das beruhigende Bildnis des Alten auf der anderen, ein in sich geschlos- 
senes Zeichensystem, das zugleich Ansprache und Integration leistete. Noch waren 
ja die Erinnerungen an Zusammenbruch und unmittelbare Nachkriegszeit in der 



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Bevölkerung wach, selbst bei den damals jüngsten Wählern, den Einundzwanzig- 
jährigen. Verglichen mit jener Zeit mußten die Zustände nun, im Jahr 1957, als 
geradezu paradiesisch empfunden werden. Nur vor dem mentalen Hintergrund 
dieses Kontrastes ist es zu verstehen, warum eine Ex-negativo-Formulierung als 
die positivste aller Möglichkeiten verstanden werden mußte. Der Gestus, mit dem 
,Keine Experimente' auftrat, scheint zudem in sich etwas von der Würde, Qualität 
und Festigkeit eines kategorischen Imperativs zu enthalten." (Gries; Ilgen; Schin- 
delbeck 1995b: 103). 

Die Gestaltung von Wahlplakaten erscheint heute weitgehend uniformiert. 
Meist wird mit dem Konterfei eines Politikers geworben, der Schriftanteil ist auf 
wenige Wörter beschränkt. Das ist auch bei den Grünen nicht anders; ihr zunächst 
„alternativer", farbenfroher Bildcode hat sich mit den Jahren zu einem eher post- 
modernen entwickelt. „Während die alternative ,Öko-Ästhetik' der Ursprungs- 
wähler sich dadurch auszeichnete, dass man der ,kalten Modernisierung' mit orga- 
nischer Buntheit und mit authentischer Individualität begegnete, war der post- 
moderne Code der ,No-future'-Generation in den 1980er Jahren von pessimis- 
tischer Abgeklärtheit gekennzeichnet." (Fahlenbrach 2008: 480). Nur die Plakate, 
die zur Direktwahl des Berliner Bundestagskandidaten Christian Ströbele aufrufen, 
haben sich einen eigenen Stil bewahrt. „Die Kreuzberger Wähler werden hier als 
Mitglieder einer fröhlich rebellierenden, aber auch pluralistischen Alternativkultur 
angesprochen, in der Jung und Alt, Christen und Moslems, schwarzhäutige und 
weißhäutige Menschen friedfertig für gemeinsame Werte eintreten. An ihrer Spitze 
steht Ströbele, dessen sozialpolitisches Programm für mehr Gerechtigkeit auf 
einem Wahlplakat im Plakat verkündet wird: ,Sozial gerecht ist nicht zu teuer mit 
Ströbeles Vermögenssteuer!' und: ,Prenzel-, Kreuzberg, Friedrichshain wählen sich 
den Christian rein'. Auch der gereimte Duktus dieser Slogans zitiert die Agit-Prop- 
Ästhetik der linken Protestkultur. Sowohl in der Ästhetik als auch mit den prokla- 
mierten Werten und Zielen spricht Seyfrieds Plakat also u.a. jene Stammwähler an, 
die sich nicht nur mit der Politik, sondern auch mit der alternativen Kultur identi- 
fizieren, für die die Grünen politisch und symbolisch seit den 1980er Jahren stehen 
— wenn auch mit Anpassungen an postmoderne und andere Werteentwicklungen" 
(ebd.: 481). Jedes politische Plakat spricht auch von seiner Entstehungszeit: das 
SPD-Plakat von 1949 - „Mit der SPD von Bonn über Berlin für ein freies, soziales 
und geeintes Deutschland", und zwar in den Grenzen von 1937; das SED-Plakat 
von 1950 mit Marx, Engels, Lenin und (noch!) Stalin im Hintergrund; oder, und 
das leitet zum „kritischen" Teil über, das Antiplakat der Piratenpartei mit dem 
Slogan: „Vertrau keinem Plakat. Informier dich." 



4 Analyse, Kritik und Protest 

Die Kritik der Werbung in Plakat- oder anderer Form hat eine lange Tradition. 
Bereits vor dem ersten Weltkrieg wurde sie vereinzelt als „Zeichen des amerika- 



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nischen Kapitalismus" oder gar „jüdischer Erwerbsgier" verschrien, und Preußen 
hat 1902 und 1907 Gesetze gegen die „Verunstaltung von Ortschaften und land- 
schaftlich hervorragender Gegenden" verabschiedet (Lamberty 2000: 477-490). 
Erst in jüngerer Zeit aber wird Werbung als Transportmittel einer Ideologie 
verstanden. Im ersten Band seines großen, zwischen 1938 und 1947 entstandenen 
Werkes „Das Prinzip Hoffnung" versteht Ernst Bloch die Werbung in Schau- 
fenstern und auf Plakaten noch recht unkritisch als „Leimruten für die angelockten 
Traumvögel." „Die Reklame macht aus der Ware, auch aus der beiläufigsten, einen 
Zauber, worin alles und jedes gelöst ist, wenn man sie nur kauft. Die Dame der 
Zeichnung, die Kölnisch Wasser auf die Schläfen tupft, die von Herren eine 
Schweizer Schokolade entgegennimmt, ist eben dadurch die Glücklichgewordene 
schlechthin." (Bloch 1985: 400). Etwa zur gleichen Zeit notierte Theodor W. 
Adorno in den „Minima Moralia": 

„Welch einen Zustand muß das herrschende Bewußtsein erreicht haben, daß 
die dezidierte Proklamation von Verschwendungssucht und Champagnerfröh- 
lichkeit, wie sie früher den Attaches in ungarischen Operetten vorbehalten war, 
mit tierischem Ernst zur Maxime richtigen Lebens erhoben wird. Das verord- 
nete Glück sieht denn auch danach aus [...]. Die Ermahnung zur happiness, in 
der der wissenschaftlich lebemännische Sanatoriumsdirektor mit den nervösen 
Propagandachefs der Vergnügungsindustrie übereinstimmt, trägt die Züge des 
wütenden Vaters, der die Kinder anbrüllt, weil sie nicht jubelnd die Treppe 
hinunterstürzen, wenn er mißlaunisch aus dem Geschäft nach Hause kommt. 
Es gehört zum Mechanismus der Herrschaft, die Erkenntnis des Leidens, das 
sie produziert, zu verbieten, und ein gerader Weg führt vom Evangelium der 
Lebensfreude zur Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinten in 
Polen, daß jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die 
Schmerzensschreie nicht. Das ist das Schema der ungestörten Genußfähigkeit. 
Triumphierend darf die Psychoanalyse dem, der es beim Namen nennt, bestä- 
tigen, er habe halt einen Ödipuskomplex." 

Er empfiehlt eine kathartische Methode, um „die Menschen zum Bewußtsein des 
Unglücks, des allgemeinen und des davon unablösbaren eigenen, zu bringen [...]" 
(Adorno 2003: 69f). 14 

Sein Kollege Herbert Marcuse ging zwei Jahrzehnte später, als Adornos Schriften 
von einer neuen medienkritischen Generation wiederentdeckt wurden, so weit zu 
sagen, „die bloße Abwesenheit aller Reklame und aller schulenden Informations- 
und Unterhaltungsmedien würde das Individuum in eine traumatische Leere stür- 
zen, in der es die Chance hätte, sich zu wundern, nachzudenken, sich (oder viel- 
mehr seine Negativität) und seine Gesellschaft zu erkennen. Seiner falschen Väter, 



14 Der zitierte Teil der Minima Moralia entstand 1944, das gesamte Werk wurde 1951 veröffentlicht. 



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Führer, Freunde und Vertreter beraubt, hätte es wieder sein ABC zu lernen. Aber 
die Wörter und Sätze, die es bilden würde, könnten völlig anders ausfallen, ebenso 
seine Wünsche und Ängste." [...] Mehr noch: „Das Nicht-Funktionieren des Fern- 
sehens und verwandter Medien" könnte „den Zerfall des Systems" erreichen. 
(Marcuse 1967: 256f.) 15 

Ein politisch weniger radikaler, dafür umso auflagenstärkerer Klassiker der 
Werbekritik stammt aus den 1950er Jahren. Vance Packard (1962) 16 dokumentiert 
in seinem Bestseller über die „Geheimen Verführer" die Anfänge der angewandten 
Werbepsychologie mit Befragungen und Motivanalysen, wie sie zur gleichen Zeit 
auch in der Politik begannen, Anwendung zu finden. Seine Beispiele betreffen etwa 
die (vermeindich) sexuellen Konnotationen des Rauchens und des Milchkonsums, 
oder er deckt die heute weitgehend bekannten (wenn auch immer wieder verdräng- 
ten) Kaufmotivationen auf: Statt Autos, Schuhen, Apfelmus usw. kaufen wir 
Liebes- und Prestigeobjekte bzw. Gefühle und Sehnsüchte wie Verwurzelung, Un- 
sterblichkeit, Anerkennung und andere. Auch dass Werbung den Bedarf erst 
schafft, den die immer neuen Produkte dann decken, dass sie bewusst auf Kinder 
abzielt, Impulskäufe erregt usw. ist heute einerseits so normal, dass es niemand 
mehr sieht oder für erwähnenswert hält, andererseits ist auch das Publikum klüger 
geworden; der Abstumpfung gegen die Werbung wird also mit mehr Werbung be- 
gegnet. 17 

Neben der amerikanischen und der „Frankfurter" Richtung gibt es eine facet- 
tenreiche französische Tradition der Werbekritik. Spätestens seit Roland Barthes' 
„Mythen des Alltags" werden die Werbung und die Dinge, für die sie wirbt, als 
gewichtige und kunstvolle Bedeutungs träger verstanden (Barthes 1957). 18 In den 
(auch) konsum- und medienkritischen 1960er Jahren haben die Situationisten, be- 
sonders Guy Debord, den „Spektakek'-Charakter der Werbung und ihre Bedeu- 
tung für das weitgehend reibungslose Funktionieren der kapitalistischen Gesell- 
schaften deudich gemacht (Debord 1967, Baudrillard 1970, Debord 1988). 

Seit den 1980er Jahren hat unter anderem Francois Brune in zahlreichen 
Analysen sprachliche und inhaltliche Einflüsse der omnipräsenten Werbung im 
medialen Alltag aufgedeckt, nicht zuletzt in der Politik (Brune 1985; 1996, 2004; 
Offensive 2010: 85-93). Für ihn ist Werbung das neue Gesicht des Totalitarismus, 
indem sie nach völliger Durchdringung jedes Bürgers strebt, ihm Werte und Vor- 
stellungen von Normalität vermittelt, zwischen Besitzern/ Angehörigen und 



15 Das Original erschien 1964. 

16 Das Original erschien 1957. 

17 Schon Aldous Huxley (1958) kritisiert, Packards Entdeckungen (die sexuellen Konnotationen des 
Rauchens und andere (tiefen)psychologische Erkenntnisse, die die Werbeindustrie zur Förderung des 
Verkaufs anwendet) seien doch lange bekannt. Zu möglichen „Instinkten" hinter unseren Kaufent- 
scheidungen vgl. Miller 2010. 

18 Die deutsche Ausgabe ist 1964 erschienen. Vgl. auch die anlässlich des 50. Jubiläums erschienene 
Sammlung neuer Mythen (Garcin 2007). 



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Marc Hieronimus 



Besitzlosen bzw. Dissidenten teilt, um zu herrschen. 19 Andere Werbegegner werfen 
ihr neben Umweltzerstörung und allgemeiner Verschandelung der Landschaft auch 
die Unterminierung der Demokratie, die Unterwerfung der Presse und nicht zu- 
letzt die Zerstörung kultureller Traditionen vor. 20 Und die Entscheider/innen in 
den Machtpositionen sind sich der Bedeutung und Wirkmechanismen der Wer- 
bung durchaus nicht ganz unbewusst. Patrick Lelay, ehemals Chef des privati- 
sierten französischen Fernsehsenders TF1, hat es für sein Medium in einem 
unbedachten Moment auf die griffige Formel gebracht, der Auftrag des Fernsehens 
sei es, die Gehirne für Coca-Cola empfänglich zu machen. 21 Trotzdem ist Werbe- 
kritik medial nicht präsent, sind die Medien, auch die öffentlich-rechtlichen, doch 
zu einem wesentlichen Teil durch Werbung finanziert. 

Man muss sich die Ausmaße des Phänomens Werbung einmal verdeutlichen: 
die Einwohner industrialisierter Gesellschaften empfangen heute täglich min- 
destens 1.500 größtenteils unbewusst wahrgenommene Werbebotschaften, etwa 
350.000 in der Kindheit, und Millionen über das Leben verteilt (Ramonet 2000: 
38). Ein Informations- und Aktionshandbuch aus dem besonders betroffenen 
Nachbarland Frankreich setzt die Tagesdosis sogar doppelt so hoch an und fragt: 
„Ist es möglich, dass das völlig harmlos für uns ist?" (Les Desobeissants 2009: 8). 
In Frankreich gibt es mehr als eine Million Werbetafeln, davon ist ein Drittel il- 
legal. Jedes Jahr landen 35 Kilo Werbeprospekte im Briefkasten. Die Kosten betra- 
gen dreißig Milliarden Euro, das bedeutet 500 Euro pro Einwohner, die Kinder 
eingerechnet. In einer Umfrage aus dem Jahre 2007 sprachen sich 30% der Fran- 
zosen gegen die Werbung aus, die Hälfte fand sie gefährlich, und 58% aggressiv. 
Trotzdem gibt es mit Forcalquier nur ein einziges werbefreies Dorf im Nach- 
barland (Les Desobeissants 2009: 28) — leuchtendes Beispiel für die Werbegegner 
ist die seit 1.1.2007 werbefreie 1 1 -Millionen-Metropole Sao Paulo. 

Werbekritik muss nicht Totalablehnung sein, sondern kann sich auch als eine 
Art feuilletonistische Kulturkritik verstehen. Ein erster Schritt ist in jedem Fall die 
genaue Lektüre. Eine berühmtes, auch als Zeitungsanzeige erschienenes Plakat mit 
dem früheren Staatschef Michail Gorbatschow etwa zeigt dem aufmerksamen 
Betrachter einige Ungereimtheiten: Der jetztzeitliche „Gorbi" sitzt in einem ZIL- 



19 Ulrich Eicke hat in diesem Zusammenhang schon vor zwanzig Jahren von einem „Angriff auf 
unser Bewusstsein" und dem „Ausverkauf der Politik" gesprochen (Eicke 1991, v.a. 208-226). Seither 
ist der Ton der Kritik beißender geworden. 

20 Zu aktueller ökologischer, sozialer, psychologischer, ethischer Werbekritik, -karikatur und -parodie 
vgl. das kanadische englischsprachige Magazin „Adbusters", das Jahresheft der französischen Organi- 
sation „Casseurs de pub" sowie die an sie angeschlossene Monatszeitung „La decroissance le journal 
de la joie de vivre", die auch aktuelle Entwicklungen beobachtet und einschlägige Literatur rezensiert, 
sowie im WWW die Seiten casseursdepub.org, ladecroissace.net, deboulonneurs.org, paysagesde- 
france.org, antipub.org. 

21 Das Zitat im Wordaut: „Le metier de TF1, c'est d'aider Coca-Cola, par exemple, ä vendre son 
produit (...). Pour qu'un message publicitaire soit per^u, il faut que le cerveau du telespectateur soit 
disponible. Nos emissions ont pour vocation de le rendre disponible: c'est-ä-dire de le divertir, de le 
detendre pour le preparer entre deux messages. Ce que nous vendons ä Coca-Cola, c'est du temps de 
cerveau humain disponible." Zitiert nach: Les Desobeissants 2009: 4. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



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41047, einer russischen Staatskarosse aus der Zeit der Perestroika, ist allein, wirkt 
deprimiert. Er fährt die Mauer ab, oder was von ihr noch steht. Sehnt er sich in die 
1980er Jahre zurück? Aus seiner Louis-Vuitton-Tasche, für die das Plakat wirbt, 
schaut ein Buch über den ehemaligen KGB-Agenten Litvinenko, der 2006 nach 
einigen unbequemen Recherchen an einer Pollonium-Vergiftung starb. Gorbat- 
schow hat zu diesem Detail geäußert, er habe nicht gewusst, was in der Tasche 
stecke. (Oeil-de-Boeuf 2010: 62-67). 22 Beispiele von sexistischer, infantilisierender 
oder einfach nur „schlecht gemachter" Werbung lassen sich angesichts der Omni- 
präsenz der Plakatwände leicht finden, auch ist es lohnend, sich mit der Arbeit des 
deutschen Werberats und anderer selbstregulierender Institutionen zu beschäf- 
tigen. 23 



5 Protestplakate 

Der bekannteste deutsche Protestplakatkünsder ist ohne Zweifel Klaus Staeck, der 
sich seit nunmehr vierzig Jahren wie kein anderer mit der Kunstform befasst. 24 
Protestplakate stellen gewissermaßen die Synthese zwischen politischem bzw. 
Wirtschaftswerbeplakat und der Kritik an ihr dar; der Übergang zum engagierten 
Kunstplakat ist dabei fließend: „Die Frage, ob die Plakate denn nun Kunst oder 
Politik seien, wird bis heute gestellt. Dieses für Menschen aus dem politischen 
Raum eher belanglose Problem beschäftigt vor allem den Kunstbetrieb und sein 
weitgehend an traditionellen Kunstauffassungen orientiertes Publikum, das den 
Kunstraum gern von jeder politischen Einflussnahme freihalten möchte. Dabei 
sind meine Arbeiten stets sowohl Kunst als auch Politik: eine ständige Grat- 
wanderung, ein Versuch politisch-gesellschaftlicher Meinungsäußerung mit künst- 
lerischen Mitteln, ohne der Diktatur des Ästhetischen unterworfen zu werden." 
(Staeck 2008: 111). Energisch vertritt er die Rolle der Kunst. „Dabei geht es nicht 
um eine Kunst im Sinne politischer Ergebenheitsbekundungen oder einklagbarer 
Sozialhilfe, eher um Herausforderung, Reflexion, um ein Korrektiv, immer aber 
um Teilhabe, nicht um eigennützige Verweigerung. [...] Kunst als Vorausschau, als 
Warnung, gar als Vision, als Utopie. Was ist aus diesem Anspruch geworden, wo- 
her kommt der Hochmut, mit dem manch einer heute verächtlich auf die Politik 
herabschaut? Gegenwärtig hat die herrschende Politik von Seiten der Kunst nichts 
Ernsthaftes zu befürchten [...]." (ebd.: 133). 



22 Die französische Wochenzeitung „Charlie Hebdo" hat eine werbekritische Rubrik; auch die ein- 
gangs erwähnten Plakatsatiren der deutschen Zeitschrift „Titanic" lassen sich als Werbekritiken lesen. 

23 Vgl. für Deutschland: www.werberat.de; für Großbritannien: www.asa.org.uk (Seite der Advertising 
Standards Authority); für Frankreich: www.arpp-pub.de (Seite der autorite de regulation profes- 
sionelle de la publicite). 

24 Ernst Volland hat eine Zeitlang ähnliche Plakate geschaffen, sich dann aber anderen Medien wie 
Karikatur, Comic, Film und historischer Fotografie zugewandt. 



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Marc Hieronimus 




Abb. 5: Das erste Staeck-Plakat (1972). 



Weil öffentliche Plakate nicht von jener „künstlichen Aura" der musealen oder in 
Galerien ausgestellten Kunst umgeben seien, beschäftigten sich die Betrachter sehr 
viel stärker mit dem Inhalt. So will Staeck „Denkanstöße geben, Unbequemes zur 
Sprache bringen, Vorurteile erschüttern, die Kritikfähigkeit möglichst vieler Men- 
schen schärfen. [...] Meine Arbeiten dienen der Aufklärung. [...] Es geht um ein 
neues kritisches Sehen. Mit Bildern kann man dazu beitragen. Es wäre sinnlos, alle 
psychologisch ausgeklügelten Bilderlügen etwa in der Werbung einzeln widerlegen 
zu wollen. Es genügt, einmal gelernt zu haben, den Bildern zu mistrauen, sie mit 
anderen Augen zu sehen, hinter die Bilder zu blicken." (ebd.: 117; 1 18f). 



Plakate im DaF-Unterricht 



229 



Staecks Vorbilder sind John Heartfield und George Grosz, deren Montage- 
technik er weiterentwickelt. Seine scharfe Satire wird nicht von jedem verstanden. 
„So wurde 1972 das Plakat ,Die Reichen müssen noch reicher werden. Deshalb 
CDU' gleich mehrfach juristisch verfolgt, weil viele Mitglieder und Anhänger der 
Union glaubten, das Motiv stamme tatsächlich von der Partei. Die CDU fühlte sich 
verpflichtet, ihr Klientel zu schützen und es vor einem folgenschweren Irrtum zu 
bewahren. Als besonders erfolgreich hat sich die Verwendung fiktiver Bekannt- 
machungen, Amtsbezeichnungen, Wappen und Siegel erwiesen." (ebd: 113). 
Insgesamt wurden einundvierzig Prozesse gegen ihn geführt, doch er hat alle ge- 
wonnen: „Die Hoffnung auf ein Verbot scheint allemal größer als das Vertrauen 
auf die Stärke der eigenen Argumente." (ebd.: 121) Uber eine eigene Druckerei, die 
er mit seinem Bruder und einem Freund betreibt, bewahrt er sich die größt- 
mögliche Unabhängigkeit. 25 

Im Zusammenhang von Werbekritik und Protestplakaten bleiben noch die 
Aktionen nicht-kommerzieller Nichtregierungsorganisationen zu erwähnen - die 
doppelte Verneinung zeigt schon an, dass sie eher die Ausnahme als die Regel sind. 
Vor allem die Tierschutzorganisation PETA sorgt regelmäßig mit ihren Plakat- 
aktionen für Aufsehen. In Deutschland treten u.a. Thomas D., Bill und Tom 
Kaulitz oder Bela B. und Franka Potente für Vegetarismus und gegen das Tragen 
von Pelzen ein. 26 Anders (vielleicht) als etwa bei WWF oder Unicef, deren Werbe- 
kooperationen u.a. mit Erdölkonzernen als „Greenwashing" kritisiert werden, 
greifen die Plakate dieser Tierschutzorganisation sehr viel tiefer. Hier geht es nicht 
um Kaufentscheidungen zwischen A und B, auch nicht um Spendenmittel- 
werbung, sondern um einen tief greifenden Bewusstseinswandel; als Verzichtaufruf 
und Konsumkritik verstanden sind die Plakate sogar potentiell systemgefährdend. 27 



6 Anwendungen 

Folgendes sollte klar geworden sein: 

1. Plakate sind ein eigenständiges visuelles Medium der Beeinflussung. 

2. So ist es nach der Werbe-Formulierung Hanns Buchlis (1962: 64) ihr Ziel, 
die Menschen zu veranlassen, etwas freiwillig zu tun - zweckfreie Kunst- oder 
Dekorationsplakate sind im öffentlichen Raum ausgesprochen selten, und Infor- 
mationen werden gemalt („Plakate ankleben verboten") oder in Form von 
Schildern vermittelt. 



25 Vgl. auch www.staeck.de und die heute nur noch antiquarisch zu erstehenden so genannten 
„Staeckbriefe". 

26 Vgl. www.peta.de, www.peta.org. 

27 PETA ist die bekannteste unter den wenigen Nichtregierungsorganisationen, die überhaupt Plakat- 
werbung betreiben; die meisten anderen, nicht wenige von ihnen kirchlich, werben vor Weihnachten 
um Spenden. 



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Marc Hieronimus 



3. Kunst-, ereignis- und v.a. mentalitäts- und alltagsgeschichtlich sind Plakate 
historische Quellen allererster Güte. Uberall, wo deutsche Geschichte seit etwa der 
Thronbesteigung Wilhelms II. vermittelt wird, können und sollten Plakate eine 
Rolle spielen, also auch im Landeskundeunterricht. 

4. Das politische ist aus dem Werbeplakat hervorgegangen; beide stützen sich 
weitgehend auf die gleichen Ausdrucksweisen und „Macher". Eine wichtige Aus- 
nahme stellen die Protestplakate Klaus Staecks und einiger Nichtregierungsorga- 
nisationen dar, die Großkonzerne, Korruption und/oder die Konsumgewohn- 
heiten der Gesellschaft anprangern und ein Umdenken erzwingen wollen. 

5. Kritiker bezeichnen (Plakat)Werbung als hässlich, sexistisch, umwelt- 
feindlich, systemerhaltend, totalitär u.v.m, mit unterschiedlichen Schwerpunkten je 
nach intellektueller Herkunft. Es bleibt festzuhalten, dass ohne ein generelles 
Verbot offenbar nur überlebt, wer klebt: Firmen und Organisationen, die keine 
Werbung betreiben, haben es schwer, gegen die Omnipräsenz der großen Spieler 
anzukommen; das gilt selbst für wohltätige oder „wohlmeinende" Organisationen. 

Für den Einsatz von Plakaten im DaF-Unterricht lassen sich alle pädago- 
gischen, lernpsychologischen und landeskundlichen Argumente geltend machen, 
die generell für den Einsatz von Bildern sprechen, 28 darüber hinaus aber weitere 
medienspezifische, indem sie über die fast immer Aufmerksamkeit heischenden, 
oft darüber hinaus auch tief greifenden, interpretationsfreudigen Bilder hinaus 
auch Text bieten. 

Die thematischen Anwendungen liegen wohl auf der Hand. Zahllose Aspekte der 
deutschen Geschichte von der Kaiserzeit bis heute lassen sich mit Werbe- und (ab 
1916) politischen Plakaten illustrieren und dokumentieren. Das gilt für die 
Ereignisgeschichte, vor allem aber für oft nur schwer oder wenig unterhaltsam zu 
unterfütternde Themen wie Wirtschaftsentwicklung, Handel, Technik, die den 
Hauptgegenstand viele spezialisierter Kurse darstellen; um das Thema Werbekritik 
herum lassen sich politische und philosophische Diskussionen führen: Die 
Gedankenwelt der Frankfurter Schule und der Situationistischen Internationale 
etwa ist nur vor dem Hintergrund der Geistes-, und das heißt auch: Konsum- und 
Werbewelt der Weimarer bzw. Vierten und jungen Fünften Republik zu verstehen; 
Bildanalyse und -kritik sollten, wie oben zitiert, einmal ein Teil eines eigenen 
Unterrichtsfachs werden, man könnte also eine entsprechende Unterrichtsreihe als 
eine Art zivilbürgerliche Aufklärung im visuellen Zeitalter verstehen: Lehrkraft und 
Lernende würden gemeinsam die Sprache der Bilder lesen lernen... die Beispiele 
sind Legion. 

Wichtig ist, zu verstehen, das Plakate auch im engeren Sinne sprachdidaktisch 
zum Einsatz kommen können, und zwar von der „Stunde Null" an. Ein paar 
Anregungen: 



28 Vgl. u.a. Bücken 1985, Lieskounig 1988, Kaminski 1990, Scherling; Schuckall 1992, Macaire; Hosch 
1999, Biechele 2004. 



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Plakate im DaF-Unterricht 



231 



Man werfe ein möglichst buntes Plakat an die Wand (bzw. teile Kopien aus) 
und schreibe die deutschen Farbbezeichnungen in der unflektierten Form an die 
Tafel. Jeder Lerner mit Englischkenntnissen wird sie zuordnen können. Etwas 
später nutze man das gleiche Plakat bzw. Handout für die Genera und die 
Adjektivdeklination. Wenn es gut gewählt ist, lassen sich darüber hinaus einige 
Substantive erlernen und vielleicht auch Details zur Entstehungszeit klären. 

Imperative werden in Lehrwerken des Öfteren mit Werbung in Verbindung 
gebracht; 29 warum nicht authentische Werbe- und Politslogans verwenden: „Mach 
mal Pause", „Pack den Tiger in den Tank", „Wählt kommunistisch", „Schützt 
Bayern" o.ä., um so zugleich etwas Landes- bzw. Regionalgeschichte zu vermitteln? 

Lektionen zu Lokaladverbien und Wechselpräpositionen werden in aller Regel 
illustriert. Auch hier gilt: warum nicht Plakate oder andere historische Quellen 
nutzen, wie auch bei Vokabelübungen, etwa zu Adjektiven oder Alltagsgegen- 
ständen? 

Mit Werbeplakaten lässt sich auch Umgangssprache vermitteln. So warb 
Mercedes-Benz vor einigen Jahren für die Taxibranche mit den Worten: „Bisschen 
breit? Kein Problem: Wir haben Platz" und „Gerade hinstellen, Hand raushalten — 
fertig ist die Haltestelle." (Art Directors Club für Deutschland 1998: keine 
Seitenangabe). An Wortschöpfungsbeispielen wie „unkaputtbar" oder „Nogger dir 
einen" lassen sich selbst morphologische bzw. morphosyntaktische Eigenheiten 
des Deutschen erklären. 30 

Plakate sind auch hervorragende Sprechanlässe („was sehen Sie, für welches 
Produkt/welche Partei wirbt dieses Bild, aus welcher Zeit stammt das Plakat" 
etc.). 31 Wahrscheinlich ist jedes bedeutendere sprachliche Phänomen auch über 
Plakate zu verdeutlichen. Am besten aber kombiniert man den reinen Sprach- 
unterricht mit dem inhaldichen (d.h. landeskundlich-geschichtlichen, aber auch 
technischen, wirtschaftlichen etc.): Warum nicht einmal Produktwerbungen aus 
verschiedenen Jahrzehnten in die richtige Reihenfolge bringen lassen (die Lösung 
ist zu begründen), Fachvokabular über Werbeplakate vermitteln und gleichzeitig, 
wie im Fiat-Beispiel oben, landeskundliche oder andere relevante Aspekte ins Spiel 
bringen? Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Und: Anders als früher sind heute 
zahllose Plakate im Internet abrufbar und daher auch sofort einsatzbereit. Not- 
wendig für die Suche ist allerdings eine gewisse Vorbildung über Künstler, Parteien 
und dergleichen mehr, die zu vermitteln das bescheidene Ziel des vorliegenden 
Beitrags war. 



29 Etwa in „Tangram" (Alke; Dallapiazza; Jan; Maenner 1998). 

30 Der „Witz" bei „unkaputtbar" ist freilich der Verstoß gegen die Regel. Ein anderes Beispiel ist 
„Hier werden Sie geholfen", das man als falsches Beispiel für das unpersönliche Passiv verwenden 
kann. 

31 Zur Arbeit mit Plakaten im DaF-Unterricht: Laveau; Nicolas; Sprenger 1988; Werbung im DaF- 
Unterricht: Macaire; Hosch 1999: 138-148. 



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Marc Hieronimus 



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Rücker, Matthias (2000): Wirtschaftswerbung unter dem Nationalsozialismus. Rechtliche 
Ausgestaltung der Werbung und Tätigkeit des Werberats der deutschen Wirtschaft. 
Frankfurt/ Main: Peter Lang. 

Scherling, Theo; Schuckall, Hans Friedrich (1992): Mit Bildern lernen. Handbuch 
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Schierl, Thomas (2005): Werbungsforschung. In: Sachs-Hombach, Klaus (Hrsg.) 
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Westphal, Uwe (1989): Werbung im Dritten Reich. Berlin: Transit. 



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Autoren 



Jens Grimstein, M.A. 

Universite Paris Est Creteil (UPEC) 
UFR Lettres et Sciences Humaines 
Departement d'allemand 
F-94010 Creteil Cedex 

jens.grimstein@u-pec.fr 

Dr. Marc Hieronimus 

Universite de Picardie Jules Verne 
Faculte de Langues 
Section d'Allemand 
F-80025 Amiens 

marc.hieronimus@u-picardie.fr 

Wolfgang Koller, M.A. 

Lutherstr. 7 
D-34117 Kassel 

wolfgangkoller@yahoo.de 

Prof. Dr. Uwe Koreik 

Universität Bielefeld 

Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft 
D-33501 Bielefeld 

uwe.koreik@uni-bielefeld.de 

Dr. Arndt Kremer 

University of Malta 
Department of German 
MSD-2080 Malta 

kremer.arndt@web .de 



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Autoren 



PD Dr. Jürgen Nielsen-Sikora 

Universität zu Köln 

Historisches Institut 

Abteilung Didaktik der Geschichte und 

Geschichte der Europäischen Integration 

D-50931 Köln 

juergen.sikora@uni-koeln.de 

Dr. Thomas Roth 

NS-Dokumentationszentrum 
EL-DE-Haus 
Appellhofplatz 23-25 
D-50667 Köln 

thomas.roth@stadt-koeln.de 

Dr. Joachim Sistig 

Ruhr-Universität-Bochum 
Romanisches Seminar 
GB 8/140 
D-44780 Bochum 

sjsistig@aol.com 

Beatrice Wiegand, M.A. 

Doktorandin am Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik 
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 
D-061 14 Halle 

bwiegand@gmx.net 



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Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen auf eine Fachtagung des Deutschen Akademischen 
Austauschdienstes (DAAD) im März 2011 zurück. Ihr lag eine simple Überlegung zugrunde: Im 
Sprach- und Landeskundeunterricht sind Medien unerlässlich - warum nicht auf historische Quellen 
zurückgreifen? Sie sind vielseitig einsetzbar, haben einen hohen Wiedererkennungswert und bieten 
unzählige Anknüpfungspunkte an landeskundliche und medienwissenschaftliche Themen. Die Beiträge 
einschlägiger Fachwissenschaftler stellen zunächst die wichtigsten Sammlungen und Portale im Internet 
vor und fragen nach Aussagekraft und Praxiswert historischer Quellen. Eingehender behandelt werden 
sodann die Quellen Tondokument, Spielfilm, Karikatur und Plakat sowie Straßennamen und Texte der 
Arbeiterliteratur. 



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ISBN: 978-3-86395-061-3 



(>• GEORG-AUGUST-UNIVERSITÄT 
J[~y GÖTTINGEN 



Universitätsdrucke Göttingen